Der Studieren­den­rat (Stu­Ra) der Uni­ver­sität ver­anstal­tete kür­zlich ein Pilot­pro­jekt, das so sel­ten in der hal­lis­chen Uni­ver­sität­s­land­schaft vorkommt, wie die Berück­sich­ti­gung von stu­den­tis­chen Anliegen in Entschei­dung­sprozessen der Hochschulpoli­tik. Alle Studieren­den waren am 27. Juni 2022 dazu ein­ge­laden über stu­di­en­be­zo­gene The­men zu disku­tieren und ihre Stimme im Votum abzugeben. Die Ver­anstal­tung zielte darauf ab, der Studieren­den­schaft Gehör zu ver­schaf­fen und sie an demokratis­chen Entschei­dun­gen teil­haben zu lassen, um sie fort­laufend für die Ver­wirk­lichung ihrer Anliegen zu mobilisieren.

Auf einem Tisch liegt ein grüner Ringbuchblock, ein weißer Zettel und ein roter Stift. Die Schrift auf dem Ringbuchblock wirbt für die studentische Vollversammlung. Der Zettel wirbt für eine öffentliche Befragung und einen Protest von #MLUnterfinanziert.

Drei große Hörsäle auf drei ver­schiede­nen Cam­pus, die dig­i­tal miteinan­der ver­bun­den waren, soll­ten Raum für den poli­tis­chen Aus­tausch bieten, wobei im Melanch­to­ni­anum die Haupt­mod­er­a­tion stat­tfand. Infolge tech­nis­ch­er Schwierigkeit­en ver­sam­melten sich die Studieren­den jedoch kurz nach Beginn gemein­sam im Hör­saal auf dem Haupt­cam­pus. Der Sys­temad­min­is­tra­tor des Stu­Ra, Max Nord­haus, beurteilte die räum­liche Ent­fer­nung der Räume als poten­zielle Fehlerquelle: “Da wäre es ein­fach­er gewe­sen, hätte man zum Beispiel das Audi­max gehabt, drei große Räume, die ein­fach ver­bun­den sind — dann wäre das tech­nis­che Prob­lem vielle­icht raus gefall­en.”
Zur Ein­stim­mung auf das inhaltliche Herzstück der Ver­samm­lung, den Lei­tantrag, kon­nten drei Gas­tred­ner ihre hochschulpoli­tis­chen Anliegen äußern. Der Vor­sitzende des Per­son­al­rates, Dr. Rain­er Hert­er begrüßte das Zus­tandekom­men der Ver­anstal­tung und übte in seinem Rede­beitrag strenge Kri­tik an der Bil­dungspoli­tik der Lan­desregierung Sach­sen-Anhalt anlässlich der entsch­iede­nen Kürzun­gen an der MLU: “Wir haben eine Schlacht ver­loren, aber keinen Krieg.”
Er ani­mierte die Studieren­den dazu, ihre Stim­men zu erheben und sich kri­tisch gegenüber dem Akademis­chen Sen­at für ihre Rechte zu posi­tion­ieren. Er plädierte ener­gisch dafür, dass die formellen Entschei­dungsver­fahren inner­halb des Sen­ats auf Grund der Unter­repräsen­ta­tion der Studieren­den­schaft, die immer­hin für die kul­turelle Dynamik der Stadt Halle ver­ant­wortlich sei, nicht akzept­abel seien.
Chris­t­ian Müller, ein Vertreter des Deutschen Gew­erkschafts­bun­des bzw. der bun­desweit­en Tar­ifini­tia­tive der stu­den­tis­chen Beschäftigten, set­zte sich in seinem Rede­beitrag für Bil­dungs­gerechtigkeit und faire Arbeits­be­din­gun­gen für stu­den­tis­che Angestellte an der MLU ein.
Der abschließende Red­ner Lukas Wanke vom Aktions­bünd­nis ‘MLUn­ter­fi­nanziert’, wün­scht eine Hochschuldemokratie, in der nicht ‘neolib­er­al rumgekürzt’ wird und fordert ver­stärk­te Aufmerk­samkeit und mehr Engage­ment in der Bil­dungspoli­tik vom Land Sach­sen-Anhalt.
Die Agen­da des Abends erlaubte anschließend Raum für Rede­beiträge der Studieren­den­schaft, wobei es hin­sichtlich des Verzugs im Zeit­plan von Vorteil war, dass sich nie­mand äußerte.
Schließlich richtete sich die Aufmerk­samkeit auf den Lei­tantrag: Der vorgeschla­gene Antrag des Stu­Ra wurde durch mehrere Abstim­mungen in der Vol­lver­samm­lung final beschlossen. Dieser lis­tet inhaltlich fünf Leit­punk­te auf, die disku­tiert und ggf. durch Änderungsanträge ergänzt wur­den. Der redak­tionell geän­derte Lei­tantrag wird in let­zter Etappe u.a. an den Sen­at weit­ergegeben mit der hoff­nungsvollen Bitte, die stu­di­en­be­zo­ge­nen Anliegen bei Hand­lun­gen und Entschei­dun­gen ern­sthaft zu Rate zu ziehen.

Hinter einem Redner-Pult stehen zwei Personen. Eine Person spricht in ein Mikrofon. Rechts daneben sitzt eine weitere Person hinter einem Laptop.
Stu­Ra-Mit­glieder leit­en und mod­erieren die Versammlung 

Inhaltlich schlägt der Studieren­den­rat eine Grund­fi­nanzierung und Demokratisierung der Hochschul­land­schaft, faire Arbeits­be­din­gun­gen für stu­den­tis­che Hil­f­skräfte, elter­nun­ab­hängiges BAföG sowie bessere Stu­di­enbe­din­gun­gen vor, die den Prü­fungsaufwand oder die Anwe­sen­heit­spflicht betr­e­f­fen.
Konkret wird gefordert, dass die MLU ‘richtig aus­fi­nanziert’ und nicht in der Bil­dung gekürzt wird. Während der Debat­te über den Lei­tantrag plädierten Studierende für eine vol­lkommene Trans­parenz und Öffentlichkeit der Sen­atssitzun­gen, was prak­tisch jedoch nicht erfüllt wer­den kann. Deshalb ver­langt ein Änderungsantrag die Veröf­fentlichung von aus­führlichen Sen­ats­bericht­en sowie Beschlüssen inner­halb von 48 Stun­den nach der jew­eili­gen Sitzung. Zudem wird nach ein­er stu­den­tis­chen Vertre­tung im Rek­torat ver­langt, die entsprechend des Lan­deshochschulge­set­zes rechtlich möglich ist und von der Hochschulleitung ini­ti­iert wer­den kön­nte.
Im The­men­feld BAföG argu­men­tiert der Stu­Ra, dass über­durch­schnit­tlich viele Student:innen arm sind, weshalb Gelder am tat­säch­lichen Bedarf ori­en­tiert wer­den müssten sowie eine Entkop­plung von der Regel­stu­dien­zeit erfol­gen sollte. Es sollte im Inter­esse der Hochschulleitung sein, sich für die Studierende in diesem Bere­ich einzuset­zen, um u.a. als Vor­bild auf weit­ere Uni­ver­sitäten zu wirken. Zum Ende ent­fachte die Debat­te bezüglich der Forderun­gen nach ein­er gerin­geren Anzahl von schriftlichen Prü­fun­gen, Verdich­tun­gen von Mod­ulen sowie der Anwe­sen­heit­spflicht­en. Eine Seite wün­scht die Abschaf­fung von Anwe­sen­heit­spflicht­en, Modul­struk­turen und der max­i­malen Anzahl von Prü­fungsver­suchen. Dem Prü­fungszeitraum soll­ten Gren­zen geset­zt wer­den, damit die vor­lesun­gens­freie Zeit auch tat­säch­lich seinen Namen ver­di­ent hat, sowie sollte die Prü­fungsart und –zeitraum der freien Entschei­dung unter­liegen.
Andere Stim­men posi­tion­ierten sich dage­gen und bew­erteten die Vorschläge als ‘Klas­sik­er der Geis­teswis­senschaften’. Stattdessen wird lediglich das Schieben von Prü­fun­gen vorgeschla­gen, um benötigte Vor­bere­itungszeit gewährleis­ten zu kön­nen sowie die Erhöhung von Einzelleis­tun­gen anstatt der Möglichkeit von unendlichen Prü­fungsver­suchen. Der freien Kur­swahl und dem Ent­fall von Modul­struk­turen wird der freie Zugang zu Lehrver­anstal­tun­gen aller Fakultäten entgegnet. 

Es sind Studierende zu sehen, die hinter- und nebeneinander in einem Hörsaal sitzen während ein*e Student*in in ein Mikrofon spricht.
Studierende im Hör­saal während der Vollversammlung

Die Vol­lver­samm­lung organ­isierte und real­isierte eine Gruppe engagiert­er Student:innen. Das Ange­bot von Studieren­den für Studierende wurde lei­der begren­zt angenom­men, jedoch zeigten die anwe­senden Student:innen großes Inter­esse und ergänzten gemein­sam inhaltlich den Lei­tantrag. Dabei ver­ständigten sich die Anwe­senden darauf, dass die stu­den­tis­che Vol­lver­samm­lung for­t­an jährlich stat­tfind­en soll, um ein kon­tinuier­lich­es Inter­esse an Hochschulpoli­tik und Aufk­lärungsar­beit über Gremien wie dem Sen­at oder Stu­Ra fördern zu kön­nen. Zudem entwick­elte sich aus der Debat­te her­aus die Forderung, dass kom­mende Vol­lver­samm­lun­gen die Befug­nis der Aufhe­bung von Sen­ats- sowie Rek­torats­beschlüssen erhal­ten sollte.
Wer nicht dabei war, hat neben emo­tionalen Rede­beiträ­gen, impul­siv­en Debat­ten und demokratis­chen Entschei­dun­gen eben­falls den Merch des Stu­Ra ver­passt. Tja, dann eben näch­stes Jahr!

Im Anschluss an die Ver­samm­lung beant­worteten Anton Bor­rmann und Jan Niklas Reiche, Vor­sitzende Sprecher:innen des Stu­Ra eini­gen Fra­gen im Interview:

Wie lief es?
Anton: Anstren­gend, durcheinan­der, zeitweise chao­tisch und trotz­dem irgend­wie kon­struk­tiv und erfol­gre­ich. Ich glaube so kann man es zusam­men­fassen.
Am Anfang gab es mas­siv tech­nis­che Prob­leme, die wir so nicht vorherge­se­hen hat­ten und für die wir – und das ist der größte Fehler am heuti­gen Abend gewe­sen – keinen Exit Plan hat­ten, keinen Plan B. Wir haben uns zu 100 Prozent darauf ver­lassen, dass die Tech­nik funk­tion­iert und das hat sie nicht, was uns am Ende lei­der eine gute Stunde gekostet hat. Den­noch will ich damit die Ver­anstal­tung nicht schlecht reden, denn wir haben am Ende eine sehr kon­struk­tive Diskus­sion führen kön­nen. So kon­struk­tiv, dass wir sog­ar die Zeit nochmal ver­längern mussten. Wir haben viele Änderungsanträge gehabt, die Leute waren unfass­bar aktiv, und deswe­gen haben wir bei den Sachen auch ein wirk­lich gutes, dif­feren­ziertes, repräsen­ta­tives Ergeb­nis. Dafür war die Vol­lver­samm­lung da und egal was organ­isatorisch oder tech­nisch nicht funk­tion­iert hat, solange sie das erfüllt hat, würde ich trotz­dem sagen, es war eine erfol­gre­iche erste Vol­lver­samm­lung.
Jan Niklas: Um das nochmal deut­lich zu machen: Das Ziel der Ver­anstal­tung war, der Stimme der Studieren­den Gehör zu ver­schaf­fen. Ich glaube das haben wir geschafft, das kön­nen wir auch nutzen, für die Rek­toratswahl. Das ist am Ende ein basis­demokratis­ches Ver­fahren, klar, dass das immer auch ein biss­chen chao­tisch ist, aber ich denke es ist klar gewor­den, dass die fünf Punk­te, die wir in dem Lei­tantrag zusam­menge­fasst haben alle qua­si ein­stim­mig beschlossen wor­den. Damit ist klar, dass ein­deutig Inter­esse der Studieren­den beste­ht. Das ist die Haupt­these, die aus der Ver­anstal­tung mitgenom­men wer­den kann.

Auf dem Bild ist ein Stapel grüner Flyer im Fokus, auf denen in einem roten Kreis mit weißen Buchstaben "Stimmkarte" geschrieben steht.

Kann die Stich­probe von Studieren­den, die hier im Raum saß, die Studieren­den­schaft über­haupt repräsen­tieren?
Anton: Wir waren rund 150 Studierende in dem Raum. Ich würde behaupten ja. Sie kann vielle­icht in den Detail­fra­gen nicht immer die Studieren­den­schaft ein­deutig abbilden, aber der Prozess, den wir starten wollen, ist „diese fünf The­men müssen auf die Tage­sor­d­nung“. Und selb­st wenn man die Forderun­gen anfecht­en kann – wären wir jet­zt tausend Studierende hier gewe­sen, hätte ich gesagt „es gibt keine Grund­lage mehr, dass wir kein stu­den­tis­ches Prorek­torat haben.“ – jet­zt würde ich sagen „kein Rek­torat und kein Poli­tik­er kann sich dem jet­zt entziehen, darüber zu disku­tieren.“ Und diesen Diskus­sion­srah­men woll­ten wir schaf­fen.
Wir hät­ten natür­lich gern mehr Leute gehabt, aber der Druck, den wir jet­zt haben – und der ist da, selb­st wenn nur 150 Studierende in einem Raum sitzen – bringt ein Rek­torat jet­zt unter Hand­lungszwang und es muss drauf reagieren. Das woll­ten wir erre­ichen und ich würde sagen das haben wir geschafft. Und wir haben ja auch sehr dif­feren­ziert über die Sachen disku­tiert.
Jan Niklas: Was beson­ders inter­es­sant war: wir haben über Details sehr stre­it­bar disku­tiert, was zeigt, dass da auch ein gewiss­er Plu­ral­is­mus drin war, aber in den Grund­fra­gen gab es immer große Ein­heitlichkeit. Ich finde das kann man auch als Erfahrung mit­nehmen, weil man sieht, dass es ein zwar klein­er, aber plu­raler Teil der Studieren­den war, der aber zu den Grund­fra­gen sehr ein­heitlich ste­ht. Ich denke, das kön­nte man auch auf die gesamte Studieren­den­schaft über­tra­gen. Ich kann mir vorstellen, wenn tausend Leute da gewe­sen wären, hät­ten wir bei den großen The­men ähn­liche Übere­in­stim­mung gehabt. 

Jet­zt sind die Anträge gestellt und ihr habt selb­st fest­gestellt: Wir sind eine absolute Min­der­heit. Was passiert, wenn die „Machthaber“ nein sagen?
Anton: Dann ist das ein schwach­es Sig­nal der Chefe­tage. Punkt.
Jan Niklas: Wir haben dann nicht die Entschei­dungs­ge­walt irgend­was zu tun, aber es ist dann klar, was die Mei­n­ung der Studieren­den­schaft ist, der Druck ist da und wird auch weit­er­hin kom­men. Es ist klar artikuliert, was wir als Studieren­den­schaft wollen und wenn das keine Beach­tung find­et, müssen die Entschei­dungstra­gen­den auch die Ver­ant­wor­tung dafür übernehmen, dass sie stu­den­tis­che Inter­essen nicht vertreten.
Anton: Das Kürzungspa­pi­er ist durchge­gan­gen, ohne, dass wahrschein­lich ein einziger Studieren­der dafür ges­timmt hat. Es war eine geheime Abstim­mung, aber an dem Abstim­mungsergeb­nis würde ich es jet­zt ein­fach mal annehmen. Und wahrschein­lich auch kein Per­son­al. Und trotz­dem wird es durchge­set­zt, obwohl seit Jahren, Jahrzehn­ten eine kleine Min­der­heit, näm­lich die Professor:innen, hier über den Weg der Uni­ver­sität entschei­det. Und diese Min­der­heit ist weitaus klein­er und im Sen­at weitaus unter­repräsen­tiert­er als wir das heute waren. Und wenn man das respek­tiert und umset­zt, dann muss man auch uns respek­tieren und sich zumin­d­est zur Diskus­sion bere­it zeigen – das ist ja, was wir jet­zt erwarten. Man muss uns nicht zus­tim­men, aber muss zumin­d­est mit uns in Diskurs treten.
Natür­lich wird nicht alles, was wir heute in dem Lei­tantrag besprochen und abges­timmt haben, durchge­set­zt wer­den, das war von Anfang an klar. Natür­lich ist es so, dass der Druck weitaus höher gewe­sen wäre, wenn es mehr Leute gewe­sen wären. Aber trotz­dem sind 150 Studierende eine Kraft, die man nicht ignori­eren kann. Und wer das ignori­ert, zeigt, finde ich, und das kann man auch so klar sagen, dass die Per­son zu feige ist, sich mit den Studieren­den auseinanderzusetzten.

Inter­view: Ste­fan Kranz
Fotos: Ste­fan Kranz

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