Von mise­ra­blen Wahlbeteiligungen bis hin zu skur­ri­len Skandalen – CORRECTIV hat sich inten­siv mit Problemen stu­den­ti­scher Demokratien aus­ein­an­der­ge­setzt und dabei eini­ge inter­es­san­te Fälle ans Licht gebracht. Lukas Wanke ist bereits seit meh­re­ren Jahren in der hal­li­schen Hochschulpolitik aktiv und sprach mit uns über die Lage unse­rer stu­den­ti­schen Vertretungen.

Wenigstens zwei­stel­lig! So könn­te eine opti­mis­ti­sche Einschätzung der Wahlbeteiligung von 16,8 Prozent an den Hochschulwahlen 2019 der MLU lau­ten, wenn auch sicher­lich nicht ohne einen Anflug von Galgenhumor. Tatsächlich ist die­ses Ergebnis im bun­des­wei­ten Vergleich gar nicht mal so schlecht. Die MLU beklei­det damit Platz 18 unter den 70 von CORRECTIV erho­be­nen Universitäten Deutschlands und liegt noch leicht über deren Durchschnitt von 13,9 Prozent. Doch kann dies wirk­lich ein Grund zur Freude sein?

Eine Frage des Blickwinkels
Illustration: Esther Wetzel

Lukas Wanke ist momen­tan einer von zwei vor­sit­zen­den Sprechern des Stura, wo er sich bereits seit fünf Jahren enga­giert. Dem Fachschaftsrat der Philosophischen Fakultät I wohnt er sogar schon zwei Jahre län­ger bei; ins­ge­samt ist er also jemand, der sich defi­ni­tiv mit Hochschulpolitik aus­kennt. Unsere Wahlbeteiligung fin­det er – wie die aller Universitäten – aus­bau­fä­hig, gibt jedoch zu beden­ken, dass die Ergebnisse der ein­zel­nen Unis immer in deren Kontext ein­ge­ord­net wer­den müs­sen. So kön­nen bei­spiels­wei­se die Größe der Universität und das Wahlsystem einen Unterschied machen. „Deshalb muss man sowohl bei hoher als auch bei nied­ri­ger Wahlbeteiligung schau­en, wie es dort eigent­lich beschaf­fen ist.“

Außerdem bedeu­te eine nied­ri­ge Wahlbeteiligung nicht unbe­dingt, dass die Studierendenvertretungen schlecht arbei­ten. So habe bei­spiels­wei­se der Asta der Universität Duisburg-Essen, die mit einer Wahlbeteiligung von 4,8 Prozent den vor­letz­ten Platz belegt, nach sei­nen Beobachtungen eine „hoch­pro­fes­sio­nel­le Struktur“ mit vie­len Angeboten für Studierende. „Vielleicht gibt’s da ein­fach vie­le Leute, die die Serviceleistung neh­men und nicht zur Wahl gehen, weil sie eben den­ken, es läuft doch.“ Dennoch müs­sen sich alle Studierendenschaften mit einer nied­ri­gen Wahlbeteiligung fra­gen, war­um die Leute nicht wäh­len gehen, denn „das kann auch wirk­lich sehr schlim­me Gründe haben. Zum Beispiel, dass sie sich sehr von den Studierenden ent­fernt haben.“

Stura, Asta und Co.
In Halle haben wir – wie in vie­len ost­deut­schen Universitäten – einen Studierendenrat (Stura), in dem sowohl die Exekutive als auch die Legislative ver­eint ist. Dort sit­zen neben den Referent:innen und Sprecher:innen, wel­che geschäfts­füh­ren­de Aufgaben über­neh­men und für die Vertretung nach außen zustän­dig sind, auch ein­fa­che Mitglieder, wel­che gemein­sam mit den Sprecher:innen über Satzungsänderungen, Projektförderungen und ähn­li­ches abstim­men. Zwischen den Sitzungen des Stura führt das Sprecher:innenkollegium (SPK) die lau­fen­den Geschäfte.
Die meis­ten nord- und west­deut­schen Universitäten haben statt des Stura ein Studierendenparlament (Stupa) und einen Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta). Das Stupa wird in der Regel direkt von den Studierenden gewählt und
ist für die Gesetzgebung der Studieren­denschaft zustän­dig. Die geschäfts­füh­ren­den Aufgaben über­nimmt der Asta, des­sen Mitglieder für gewöhn­lich das Stupa bestimmt.

Illustration: Esther Wetzel
Der Stand an der MLU

Die in Halle ver­gleichs­wei­se gute Wahlbeteiligung erklärt er sich damit, dass „wir immer eine recht hohe Anbindung von der Studierendenschaft an die Studierenden haben – gera­de über die Fachschaften“. Das sehe man auch gut an den unter­schied­li­chen Beteiligungsquoten inner­halb der Fachbereiche. Verbessern kann sich das Ergebnis laut Lukas, wenn die Wahlwerbung aus­ge­baut wird – da könn­ten sowohl die Uni, der Stura, die Fachschaftsräte als auch die ein­zel­nen Kandidat:innen mehr machen – und wenn Beschlüsse und Arbeiten bes­ser in die Studierendenschaft kom­mu­ni­ziert wer­den. Doch er schätzt: „Selbst wenn alle alles per­fekt machen, wer­den wir nicht auf 70 Prozent Wahlbeteiligung kom­men, aber über 20 Prozent sind natür­lich drin.“

Neben der man­geln­den Bereitschaft der Studierenden, zu Wahlen zu gehen, erwähnt CORRECTIV außer­dem noch eine man­geln­de Bereitschaft unter Studierenden, sich zu Wahlen auf­stel­len zu las­sen. In Halle muss­ten wegen feh­len­der Kandidaturen bis­her zwar kei­ne Wahlen abge­sagt wer­den, doch gele­gent­lich stel­len sich in ein­zel­nen Wahlkreisen zu wenig Leute auf; dann müs­sen die Wähler:innen eigen­stän­dig Namen auf die Wahlzettel schrei­ben. Doch selbst eini­ge Studierende, die sich auf­stel­len las­sen, wol­len offen­bar gar nicht wirk­lich in das ent­spre­chen­de Gremium, wie die gele­gent­li­chen Anwesenheitsprobleme auf Sturasitzungen bele­gen, von denen wir in unse­rer 87. Ausgabe bereits aus­führ­lich berich­te­ten. In der momen­tan lau­fen­den Stura-Legislatur muss­ten nach Lukas’ Angaben jedoch noch kei­ne Sitzungen wegen man­geln­der Anwesenheit aus­fal­len, „und das könn­te his­to­risch sein“. Wie sich die durch COVID-19 ver­scho­be­ne und auf online ver­leg­te Wahl aus­wir­ke, blei­be abzu­war­ten, doch Lukas gibt sich optimistisch.

Haushaltsloch vs. vegane Lecktücher
Illustration: Esther Wetzel

Ein zen­tra­les von CORRECTIV beschrie­be­nes Problem der Studierenvertretungen sind wie­der­keh­ren­de Skandale, die das Vertrauen der Studierendenschaft erschüt­tern. An der MLU sind zwar kei­ne schwer­wie­gen­den Manipulationen von Wahlen, Veruntreuungen von Geldern oder ähn­li­ches bekannt, doch es fal­len bei der Kassenprüfung immer wie­der Berechnungsfehler auf. „Das kann man zum Skandal auf­bau­schen“, meint Lukas, doch an sich sei­en das ein­fach Fehler, die ohne Täuschungsabsicht passieren.

2017 ent­deck­ten die dama­li­gen Sprecherinnen für Finanzen des Stura jedoch ein Berechnungsproblem, das wegen sei­ner Schwere doch das Potential zu einem Skandal hat­te: ein Haushaltsloch von 60 000 Euro. Dieses ent­stand durch ver­schie­de­ne lang­jäh­ri­ge Berechnungsfehler, die sich immer wei­ter anhäuf­ten. Die Studierendenschaft hat­te also mehr Geld auf dem Papier als auf den Konten. Um dies aus­zu­glei­chen, ent­schied der Stura schließ­lich mehr­heit­lich, einen ein­ma­li­gen Sonderbeitrag zusam­men mit dem Semesterbeitrag zu erhe­ben. Dieses Vorkommnis einen Skandal zu nen­nen, damit tut sich Lukas den­noch schwer. Als sol­chen wür­de er bezeich­nen, wenn poli­tisch etwas gemacht wer­de, das kom­plett gegen die Interessen vie­ler gehe.

„Die Diskussionen um Lecktücher von 2015 hat­ten mehr das Zeug zu einem Skandal“, fin­det Lukas. Damals hat­te es auch außer­halb des Stura viel Wirbel um den Vorschlag gege­ben, den Ersti-Beuteln vega­ne Lecktücher bei­zu­le­gen. „Da konn­te sich dann eine Gruppe dar­über empö­ren, dass im Stura das Geld so ver­schleu­dert wird. Aber bei dem Haushaltsloch ging es ja ein­fach dar­um, dass sich der Stura einen rea­lis­ti­schen Haushaltsplan holt und nie­mand das Geld ver­schleu­dert hat.“ Obwohl die vega­nen Lecktücher im Endeffekt nie gekauft wur­den, begeg­net einem übri­gens auch heu­te noch gele­gent­lich der Mythos, der Stura habe Unsummen dafür aus­ge­ge­ben, wäh­rend die Haushaltsloch-Problematik schein­bar kaum wahr­ge­nom­men wurde.

Zum Haushaltsloch betont Lukas noch, dass es „der­artige Berechnungsprobleme“ über­all gebe, „auch in Unternehmen und der Landes- oder Bundespolitik, und es ist natür­lich schwie­rig, die­sen gan­zen Haushaltskram zu ver­ste­hen, wenn man kein aus­ge­bil­de­ter Buchhalter oder eine Buchhalterin ist“. Doch auch wenn die Amtsträger:innen im Stura kei­ne Ausbildung in dem jewei­li­gen Bereich haben, son­dern ledig­lich von ihren Vorgänger:innen ein­ge­wie­sen wer­den, fin­det Lukas die Arbeit mach­bar. Wer Hilfe brau­che, kön­ne außer­dem immer Unterstützung von der Uni oder von Leuten bekom­men, die schon län­ger dabei sind.

Illustration: Esther Wetzel
Warum das Interesse fehlt

Viele Probleme der stu­den­ti­schen Demokratie resul­tie­ren offen­bar aus dem man­geln­den Interesse der Studierendenschaft an Hochschulpolitik. In Bezug dar­auf zitiert CORRECTIV in der aus­führ­li­chen Version sei­nes Beitrages zwei Personen. Eine Studentin kri­ti­siert, dass Hochschulpolitik an einen „Ziegenkrieg“ zwi­schen den Hochschulgruppen erin­ne­re, was sie für vie­le Studierende unin­ter­es­sant mache. Etwas ähn­li­ches spra­chen auch wir in der Stura-Folge unse­res Podcasts hastuGehört an: Leute, die nicht par­tei­po­li­tisch sind, könn­ten von den bestehen­den Dynamiken und Parteikämpfen abge­schreckt wer­den. Lukas meint, er höre den Vorwurf oft, dass „rea­le poli­ti­sche Interessen den Partikularinteressen der Hochschulgruppen auf Selbstinszenierung ent­ge­gen­ste­hen“. Er stimmt dem jedoch nicht zu, son­dern ver­mu­tet, dass es die unter­schied­li­chen Standpunkte auch ohne die Listen und Hochschulgruppen gäbe und die­se nur eine Form sei­en, „wie poli­ti­sche Unterschiede, die es immer gibt, aus­dif­fe­ren­ziert wer­den können“.

Anschließend meint er, auf den bei Sturasitzungen häu­fig doch recht rau­en Umgang unter­ein­an­der ange­spro­chen: „Natürlich wäre es zum Teil bes­ser, wenn man da mehr zusam­men­ar­bei­ten wür­de, und manch­mal eska­liert es auch rhe­to­risch, aller­dings habe ich ein­fach den Eindruck, dass die Fronten nicht zwi­schen Unabhängigen und Politischen ver­lau­fen, son­dern zwi­schen Leuten, die rela­tiv viel Raum und Redezeit ein­neh­men, und Leuten, die davon eher ein­ge­schüch­tert sind.“

Der ande­re von CORRECTIV zitier­te Student meint, bei ihm blei­be neben Studium und Nebenjob ein­fach kei­ne Zeit, sich gebüh­rend mit Hochschulpolitik aus­ein­an­der­zu­set­zen. Lukas, der nun nach acht Jahren Bachelorstudium sei­nen Master beginnt, fin­det: „Mehr Zeit im Studium wäre eh gut.“ Er habe für Hochschulpolitik nur genug Zeit gehabt, da er so lan­ge stu­die­re, womit er übri­gens nicht der ein­zi­ge ist. Das Problematische dar­an: „Das muss man sich erst mal leis­ten kön­nen“, wodurch die Demokratie in die­sem Fall exklu­si­ver wer­de. „Es gibt aber auch Leute, die das sehr gut neben­her machen kön­nen, und es kommt auch dar­auf an, inwie­weit das Teamspiel funktioniert.“

Ist Hochschulpolitik einfach zu irrelevant?
Illustration: Esther Wetzel

Als wei­te­res Argument, sich nicht mit Hochschulpolitik zu beschäf­ti­gen, wird immer wie­der ange­bracht, sie sei unwich­tig und kön­ne sowie­so nichts bewir­ken. Lukas gibt dem inso­fern recht, dass ver­mut­lich mehr Leute wäh­len wür­den, „wenn wir mehr Macht hät­ten“. Sie wür­den im Stura zwar das Geld der Studierendenschaft ver­wal­ten, womit man auch eini­ges machen kön­ne, aber „wir haben kei­ne gestal­te­ri­schen Kompetenzen im Bezug auf die Gesamtuniversität; wir kön­nen nur for­dern, dass die Uni etwas ändert“. Und auch die stu­den­ti­schen Vertreter:innen im Senat und den Fakultätsräten, wo tat­säch­lich gestal­te­ri­sche Kompetenz lie­ge, sei­en in der Minderheitenposition.

Dennoch kön­nen Studierende laut Lukas eini­ges in der Hochschulpolitik bewir­ken, wenn sie im rich­ti­gen Moment die Initiative ergrei­fen. Das habe jüngst zum Beispiel Lena Schütt bewie­sen, die mit den ande­ren stu­den­ti­schen Senats­mitgliedern für das Sommersemester die Aufhebung der Maximalanzahl von Prüfungsversuchen durch­ge­bracht hat. Sie selbst äußer­te gegen­über der has­tu­zeit, die­ses Ereignis sei defi­ni­tiv eines der Highlights ihrer bis­he­ri­gen drei Jahre im Senat und „ein Zeichen, dass man in der Hochschulpolitik doch tat­säch­lich etwas errei­chen kann und nicht nur her­um­sitzt.“ Zwei wei­te­re eini­ger­ma­ßen aktu­el­le Beispiele sind das Fitnessstudio Lührmann, das erhal­ten blieb, da der Stura Diskussionsrunden und Proteste gegen die von der Uni geplan­te Schließung orga­ni­sier­te, und der Fairteiler, der auf Initiative des Stura wie­der im Juri-Innenhof auf­ge­baut wer­den konnte.

Illustration: Esther Wetzel

Abschließend nennt Lukas drei Punkte, wie die Hochschulpolitik inter­es­san­ter für Studierende wer­den könn­te: Erstens mehr Einfluss, „den uns die Landes- und Bundespolitik ein­fach geben muss“, damit die Studierenden sehen, dass ihre Wahlentscheidung etwas bewir­ke. Zweitens eine bes­se­re Kommunikation. „Wir müs­sen mehr an Leute her­an­tre­ten und über die Gremien und Wahlen auf­klä­ren.“ Und drit­tens eine „sau­be­re Arbeit in den Gremien, die man auch immer ver­tre­ten kann, selbst wenn nie­mand danach fragt“.

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