Eine Sim­u­la­tion holt die Weltk­li­makon­ferenz an die MLU.

„Meine Damen und Her­ren, ich begrüße Sie her­zlich zur 25. Weltk­li­makon­ferenz, die nach der Ver­legung von Chile nach Madrid nun spon­tan in Halle stat­tfind­et“. Ges­pan­ntes Gelächter tönt an diesem Mon­tagabend durch den Sitzungsraum des Melanchtho­ni­anums. Auf dem Namenss­child des Red­ners ste­ht der Name des UN-Gen­er­alsekretärs António Guter­res. „Wir haben uns heute Abend als Welt­ge­mein­schaft hier ver­sam­melt, um ein Abkom­men zur Umset­zung der Paris­er Kli­maziele von 2015 auszuhandeln.“

Erstmals in Sachsen-Anhalt

Der richtige António Guter­res sitzt unter­dessen auf dem Podi­um der Weltk­li­makon­ferenz in Madrid, die er am sel­ben Tag eröffnet hat und die deut­lich länger als ein Abend dauern wird. Die gut zwanzig Per­so­n­en im Melanchtho­ni­anum nehmen an der Sim­u­la­tion „World Cli­mate“ teil, die die Kli­makon­ferenz auf einen über­schaubaren und den­noch inhaltlich weit­er­hin kom­plex­en Rah­men herunterbricht.

„Wir fan­den es ganz char­mant, die Sim­u­la­tion zeit­gle­ich zur richti­gen Kli­makon­ferenz durchzuführen“, erk­lärt Fred­erik Bub, im echt­en Leben wis­senschaftlich­er Mitar­beit­er am Physikalis­chen Insti­tut der MLU, heute Abend der hallesche António Guter­res. Unter sein­er Fed­er­führung hat die Region­al­gruppe Halle von „Sci­en­tists for Future“, die erst seit Sep­tem­ber existiert, „World Cli­mate“ erst­mals nach Sach­sen-Anhalt geholt.

Entwick­elt wurde die Sim­u­la­tion, an der seit 2015 weltweit mehr als 80 000 Men­schen teilgenom­men haben, durch Wis­senschaftler ein­er US-amerikanis­chen Man­age­ment-Hochschule und der NGO „Cli­mate Inter­ac­tive“. Das Rol­len­spiel macht seine Teil­nehmer zu Delegierten der Weltk­li­makon­ferenz und stellt sie vor die Auf­gabe, gemein­sam ein Abkom­men über Maß­nah­men zur Begren­zung der Erder­wär­mung auf unter zwei Grad Cel­sius auszuhan­deln. Dabei müssen die Teil­nehmer gle­ichzeit­ig die indi­vidu­ellen wirtschaftlichen und poli­tis­chen Inter­essen der Län­der berück­sichti­gen, die sie vertreten. Das ist der Punkt, an dem es – wie auf der echt­en Weltk­li­makon­ferenz – zu ern­sthaften Schwierigkeit­en kommt.

Leb­hafte Diskus­sion zwis­chen Vertretern der Indus­trie- und Schwellen­län­der. Foto: Burkhard Seresse
Eigeninteresse contra Klimaschutz

„Im Vorder­grund muss unsere Wirtschaft ste­hen.“ Am Tisch der Schwellen­län­der ist die Mei­n­ung klar. „Bevor es um Kli­maschutz geht, müssen wir erst­mal weit­erwach­sen. Schließlich sind ja auch die Indus­trielän­der die Hauptverur­sach­er des Kli­mawan­dels, wir kön­nen uns Zeit lassen und brauchen erst ab 2050 unsere Emis­sio­nen zu reduzieren.“ Die Delegierten am Tisch der Indus­trielän­der geben sich auf der Hal­lenser Kli­makon­ferenz in der ersten Ver­hand­lungsrunde erstaunlich ambi­tion­iert: Schon ab 2020 wollen sie ihre Treib­haus­gase­mis­sio­nen jährlich um fünf Prozent ver­ringern. Als real­is­tisch in der Durch­führung gel­ten ger­ade ein­mal 3,5 Prozent.

Trotz der teils vielver­sprechen­den Werte ist das Ergeb­nis der ersten Ver­hand­lungsrunde ernüchternd. Nach­dem alle Ziel­w­erte in die Sim­u­la­tion­ssoft­ware von „World Cli­mate“ einge­tra­gen sind, ste­ht fest: Das Paris­er Kli­maziel wird klar ver­fehlt, die durch­schnit­tliche Tem­per­atur auf der Erde wird um 2,4 Grad ansteigen.

Die Vertreter der Indus­trielän­der erhal­ten als einzige Gruppe Verpfle­gung. Foto: Burkhard Seresse
Schokolade als Druckmittel

Die zweite Ver­hand­lungsrunde fol­gt, nun auch mit inten­sivem und emo­tionalen Aus­tausch zwis­chen den Län­der­grup­pen. Die Gruppe der Indus­trielän­der, die sym­bol­ge­treu als einzige zu Beginn der Kon­ferenz Verpfle­gung erhal­ten hat, ver­lagert nach ein­er Weile Obst und Schoko­lade in Rich­tung der Schwellen­län­der, die Kekse gehen den Entwick­lungslän­dern zu. So wer­den alle ver­füg­baren Ein­flussmit­tel aus­geschöpft, um einen Kom­pro­miss zu erzie­len. Lei­den­schaftliche Debat­ten wer­den geführt, Bedenkzeit einge­fordert, Forderun­gen gestellt, Ent­ge­genkom­men an Bedin­gun­gen geknüpft, Kom­pro­misse abgeschmettert – und auch die zweite Ver­hand­lungsrunde muss ver­längert wer­den. „Das entspricht jet­zt ein­er Nacht­sitzung“, erläutert Ver­hand­lungs­führer Bub. „Ganz wie in der Realität.“

Mit Span­nung ver­fol­gen die Teil­nehmer die Ergeb­nisse des Sim­u­la­tion­srech­n­ers. Alle haben den Ein­druck, ihre Kom­pro­miss­bere­itschaft deut­lich gesteigert zu haben: Die Schwellen­län­der wollen nun schon ab 2040 ihre Emis­sio­nen reduzieren, die Indus­trielän­der haben sich auf einen höheren Prozentsatz zur Reduk­tion ver­ständigt. Und die Höhe der Erder­wär­mung geht um ger­ade ein­mal 0,2 Grad zurück, steigt sog­ar wieder, als die Entwick­lungslän­der ihre nur sym­bol­haft min­i­mal angepassten Ziele verkün­den. Ungläu­bigkeit mis­cht sich im Raum mit Betroffenheit.

Die Sim­u­la­tion rech­net die Kli­maziele der Del­e­ga­tio­nen sofort in den zu erwartenden Tem­per­at­u­ranstieg um. Foto: Burkhard Seresse
Gemischte Gefühle

Noch mehrere Male rin­gen sich die Län­der­grup­pen Großzügigkeit­en ab, die von der Real­ität weit ent­fer­nt sind. Die Sim­u­la­tion zeigt let­ztlich: Erst bei einem nahezu sofor­ti­gen Beginn der Reduk­tion von Treib­hause­mis­sio­nen, gepaart mit ein­er sieben­prozenti­gen Steigerung dieser Reduk­tion pro Jahr ist das 1,5‑Grad-Ziel zu erre­ichen. „Angesichts dieser Ergeb­nisse entste­ht ein gewiss­es Gefühl der Res­ig­na­tion”, berichtet Teil­nehmer Aaron. „Gle­ichzeit­ig zeigt die Sim­u­la­tion, dass man noch mehr sel­ber machen und aktiv­er wer­den muss.“

Teil­nehmerin Julia betont, dem Ablauf von Kli­maver­hand­lun­gen nähergekom­men zu sein. „Es war auch cool, die Posi­tion eines bes­timmten Lan­des vertreten zu müssen, mit dem man sich vorher noch nicht auseinan­derge­set­zt hat.“

Hoffnung auf Madrid

In Halle ist die Weltk­li­makon­ferenz an diesem Abend nach zweiein­halb Stun­den been­det und Fred­erik Bub legt sein Guter­res-Namen­schild wieder ab. In Madrid hat die Kli­makon­ferenz erst begonnen und vor dem echt­en António Guter­res und den Tausenden Delegierten aus aller Welt liegen zwei entschei­dende Wochen. Die Sim­u­la­tion „World Cli­mate“ ist auf drama­tis­che Weise hochre­al­is­tisch, und doch bleibt zu hof­fen, dass die Madrid­er Real­ität sie übertrumpfen kann.

  • Auf https://croadsworldclimate.climateinteractive.org/ ste­ht die Sim­u­la­tion­san­wen­dung von „World Cli­mate” frei zur Ver­fü­gung. Hier kann unter Berück­sich­ti­gung ver­schieden­er Fak­toren aus­gerech­net wer­den, wie hoch der glob­ale Tem­per­at­u­ranstieg jew­eils aus­fall­en würde.
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