Nie­mand mag Spielverder­ber. Warum das 75-Jährige Jubiläum der „Feuerzan­gen­bowle“ trotz­dem kein Grund zum Feiern sein darf. Ein Kommentar. 

Das Uniki­no Halle zeigt am 5. Dezem­ber, wie jedes Jahr, den Film „Die Feuerzan­gen­bowle“. Ein guter alter Schwarz-Weiß-Streifen, eine Mis­chung aus Komödie und Schnulze über die schöne Schulzeit. Heinz Rüh­mann spielt die Haup­trol­le, der auch im Nachkriegs­deutsch­land zu den bekan­ntesten Schaus­piel­ern gehörte. 75 Jahre ist es jet­zt her, dass Rüh­mann und seine Kolleg:innen die Feuerzan­gen­bowle in der „Ufas­tadt“ Babels­berg dreht­en. Ein run­der Geburt­stag also. 

Grund genug zum Feiern? Für die Uniki­nos, die an das Net­zw­erk unifilm angeschlossen sind, scheint es zumin­d­est so. Von unifilm wer­den jeden­falls nicht nur die Auf­führungsrechte ver­mit­telt, dazu wer­den auch ein schön gemacht­es Design, ein Mit­mach­paket und eine Fly­er­vor­lage geliefert, den alle assozi­ierten Kinos ver­wen­den kön­nen. So macht es auch das Uniki­no Halle: „75 Jahre Feuerzan­gen­bowle“ ste­ht darauf, die Sil­hou­ette der Haup­trol­le Johannes Pfeif­fer auf wei­h­nachtlichem Grün ver­mit­telt Fest­tagsat­mo­sphäre. Im Innen­teil des Fly­ers wer­den die Filmvor­führun­gen angekündigt, und es gibt eine Mit­machan­leitung. Darüber ste­ht ein abge­wan­deltes Zitat des Lehrers Pro­fes­sor Schnauz aus dem Film: „Nun stelle mer uns janz dumm und fra­gen mal: Wie schauen mer eigentlich die Feuerzangenbowle?“ 

Geschichtsvergessen wegen Geschäftsverhältnis 

Ganz dumm stellen, das scheint für den Kinoabend das Mot­to zu sein. Denn das muss man sich wohl, um die Geschichte des Films so sehr zu ignori­eren. Man braucht nur die 75 Jahre von 2019 abziehen – und lan­det in 1944. Das nation­al­sozial­is­tis­che Regime ste­ht kurz vor seinem Unter­gang, hat einen ver­nich­t­en­den Weltkrieg angezettelt und zieht völk­er­mor­dend durch Europa. Aber was hat denn die roman­tis­che Verk­lärung der Schulzeit mit den Schreck­en des Drit­ten Reich­es zu tun? Lei­der sehr viel. Auch wenn vorder­gründig kein Nazi zu sehen ist, der Film liegt natür­lich genau auf der Lin­ie des Reich­spro­pa­gan­damin­is­ters Goebbels. Nach­dem der Reich­serziehungsmin­is­ter ver­sucht den Film zu ver­hin­dern, fährt Rüh­mann selb­st in die Wolf­ss­chanze. Let­z­tendlich genehmi­gen Hitler und Goebbels ihn persönlich. 

„Die Feuerzan­gen­bowle“ soll eine Ablenkung sein von der Not, dem Man­gel und den Bomben, die wie tödliche Bumerange den Ter­ror des NS-Regimes auf die eigene Zivil­bevölkerung zurückschla­gen lassen. Die Pre­miere des Films in den Berlin­er Ufa-Kinos wird in die Mor­gen­stun­den ver­legt, denn am Abend ist mit Fliegeralarm zu rech­nen. Aber wenig­stens für die gut 95 Minuten ver­sucht die nation­al­sozial­is­tis­che Pro­pa­gan­da das Pub­likum zurück­zu­ver­set­zen in eine Zeit, in der die Schulen keinen Krieg, son­dern höch­stens die Stre­iche eines spät­pu­bertieren­den Schrift­stellers fürcht­en müssen. 

Witzig, humor­voll, schaus­pielerisch sehr gut – diese Prädikate mag der Film alle bekom­men haben und heute noch bekom­men. Aber die Manip­u­la­tion, die sein Ziel war, darf nicht uner­wäh­nt bleiben. Genau das ist aber bei unifilm und den angeschlosse­nen Uniki­nos der Fall. Vielle­icht aus einem wirtschaftlichen Grund: Die Rechte an dem Film besitzt eine in Mün­ster ansäs­sige Unternehmerin namens Cor­nelia Mey­er zur Heyde. Die Dame hat es nicht gern, wenn zu der Vor­führung kri­tis­che Gedanken hinzukom­men. 2013 hat sie dem Deutschen His­torischen Muse­um die Auf­führung des Filmes mit ein­er Einord­nung unter­sagt.  „Ich bin ja kein Wohlfahrtsin­sti­tut. Ich entschei­de, wem ich meinen Film gebe“, sagte sie der Süd­deutschen Zeitung 2018. Eine Auseinan­der­set­zung lehne sie „aus Mar­ket­ing­grün­den“ ab. Mey­er zur Heyde ist seit eini­gen Jahren Mit­glied der AfD. 

Die Auseinan­der­set­zung wird also nicht nur ignori­ert, sie wird seit­ens der Rechtein­hab­erin schlechthin ver­weigert. Gut, diese geschicht­spoli­tis­che Prob­lematik stellt sich immer schon, seit­dem die Feuerzan­gen­bowle in Uniki­nos in ganz Deutsch­land aufge­führt wird. Dazu kommt dann aber noch der designte Fly­er mit der „Mit­machan­leitung“. Darin wird ver­sucht, die Zuse­hen­den an bes­timmten Stellen im Film zu ermuti­gen, an den Stre­ichen der Pro­tag­o­nis­ten mitzuwirken. Mit ein­er mit­ge­bracht­en Taschen­lampe sollen die Lehrer geblendet wer­den, bei Trinksprüchen und Liedern mit einges­timmt wer­den. Soweit, so lustig. Der fün­fte Vorschlag scheint allerd­ings schon fast eine Real­satire zu sein: „Kannst Du pfeifen? Jet­zt! Und immer wenn ein ‚Frauen­z­im­mer‘ im Bild ist!“ ste­ht unter einem Bild, in dem die Fre­undin der Haup­trol­le „Mar­i­on“ zu sehen ist. Nicht nur der his­torische Kon­text wird ignori­ert: Sollen dazu also auch die Geschlechter­rollen längst ver­gan­gener Zeit­en propagiert wer­den? Zulet­zt kri­tisierte auch der Stu­ra in ein­er Stel­lung­nahme diese Anre­gung scharf.

Unikino Halle zeigt sich gesprächsbereiter 

Immer­hin: Das Uniki­no in Halle ver­sucht hier Abhil­fe zu schaf­fen, indem vor der Ver­anstal­tung gebeten wird, das Pfeifen doch bitte zu unter­lassen. Bleibt zu hof­fen, dass alle so weit mit­denken. Es mag noch ver­ständlich erscheinen, die Filmkomödie als vor­wei­h­nachtlich­es Rit­u­al erhal­ten zu wollen, mit ein­er his­torischen Einord­nung wäre dies ja auch dur­chaus möglich. Auf Nach­frage ist auch das Team des Uniki­nos in Halle rede­bere­it. Außer­dem könne man sich auch vorstellen, näch­stes Jahr eine Einord­nung zu tre­f­fen. Der PR-Gag der unifilm aber, mitzu­machen bei einem Film, der NS-Pro­pa­gan­da war und die Rol­len­bilder des Regimes trans­portiert, ist reich­lich ober­fläch­lich. Natür­lich mag nie­mand Spielverder­ber sein, und ger­ade am Vor­abend des Niko­laus haben wenige Men­schen Lust auf Diskus­sio­nen über Geschlechter­rollen und Geschichte. Aber in Deutsch­land kann man sich auch 75 Jahre nach der Urauf­führung „der Bowle“ dieser Ver­ant­wor­tung nicht entziehen. Wer diesen Film sehen möchte, aus Tra­di­tion, als Wei­h­nacht­sritu­al oder aus nos­tal­gis­chen Erin­nerun­gen an die eigene Schulzeit, muss seine Geschichte und seine ide­ol­o­gis­che Prä­gung mit­denken. Anson­sten machen die Zuse­hen­den nicht nur bei dem Pro­gramm der unifilm mit, son­dern auch im Unter­richt von Pro­fes­sor Schnauz – und stellen sich ganz dumm. 

Weit­ere Artikel zur Feuerzan­gen­bowle und der his­torischen Einordnung: 

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