Das Beru­fungsver­fahren für den Lehrstuhl Regierungslehre und Pol­i­cy­forschung an der Uni Halle war rechtswidrig – diese über­raschende Gericht­sentschei­dung bringt die Uni­ver­sität in Erk­lärungsnot. Eine Bilanz nach einem Jahr Streit.

Am 29. Sep­tem­ber 2020 entschei­det das Ver­wal­tungs­gericht Halle: Die Beru­fung von Sven Siefken als Pro­fes­sor an das Insti­tut für Poli­tik­wis­senschaften darf nicht erge­hen, der Uni wird es ver­boten, die Stelle mit ihm zu beset­zen, bis eine neue Entschei­dung getrof­fen wird. Ein Beschluss, der hohe Wellen schlägt in ein­er Affäre, die seit Monat­en schon ihre Kreise durch die akademis­che Repub­lik zieht. Wir haben in Aus­gabe 89 aus­führlich über das Ver­fahren und den dama­li­gen Stand berichtet. Sven Siefken war zum Nach­fol­ger von Pro­fes­sorin Dr. Suzanne Schüt­te­mey­er auserko­ren wor­den, der Pro­fes­sorin, bei der er pro­moviert und habil­i­tiert, also seinen Dok­tor­ti­tel und seine Lehrbe­fähi­gung erwor­ben hat­te. Eine solche Nähe zum neuen Arbeit­splatz ist bei Professor:innen sel­ten: Zumin­d­est die Habil­i­ta­tion wird meist an ein­er anderen Uni­ver­sität absolviert als dort, wo man die erste Stelle antritt.

Damit erregte die Beru­fung Aufmerk­samkeit, unter dem Hash­tag #Haus­beru­fung­Halle brachte es das Ver­fahren auf Twit­ter zu ein­er gewis­sen Berühmtheit. Auf­grund des Vor­wurfs der Haus­beru­fung legten mehrere Bewer­ber Konkur­renten­klage ein. Das ist ein Ver­fahren vor den Ver­wal­tungs­gericht­en, bei dem die Auswahlentschei­dung für eine Beamten­stelle im öffentlichen Dienst ange­grif­f­en wer­den kann. Doch die Erfol­gschan­cen für eine solche Klage sind meist ger­ing. Vor allem Hochschulen wird bei der Auswahl des akademis­chen Per­son­als ein großer Spiel­raum zuge­s­tanden, Grund hier­für ist die Wis­senschafts­frei­heit und Hochschu­lau­tonomie, ver­ankert in Artikel 5 Absatz 3 des Grundge­set­zes. Kurz gesagt: Bis ein Gericht eine Auswahlentschei­dung für rechtswidrig erk­lärt, muss einiges passieren.

Befangenheit und Formfehler entscheiden Gerichtsverfahren

Eine Haus­beru­fung im Sinne des Geset­zes kann ein Grund sein, warum ein Gericht ein­greift. Aber die Voraus­set­zun­gen dafür waren hier nicht erfüllt. Denn nach § 36 des Hochschulge­set­zes Sach­sen-Anhalt fall­en darunter nur Mitarbeiter:innen, Juniorprofessor:innen und Professor:innen, die bere­its an der eige­nen Hochschule tätig sind. Dr. Siefken war aber zum Zeit­punkt der Bewer­bung seit zwei Jahren nicht mehr an der Uni Halle beschäftigt. Wenig über­raschend urteilte das Gericht daher, dass es sich bei der Entschei­dung nicht um eine Haus­beru­fung handele.

Den­noch, die Nähe von Siefken zu seinem alten Arbeit­ge­ber löste heftige Kri­tik aus – und führte mit­tel­bar dazu, dass das Ver­wal­tungs­gericht entsch­ied, das Ver­fahren sei rechtswidrig abge­laufen: In der Beru­fungskom­mis­sion, die die:den neue:n Inhaber:in der Pro­fes­sur auswählen sollte, saß näm­lich auch die dama­lige Dekanin der Philosophis­chen Fakultät I, Prof. Dr. Dob­n­er. Diese war mit Siefken gut bekan­nt; sie haben bei­de bei Prof. Dr. Schüt­te­mey­er habil­i­tiert. Prof. Dr. Dob­n­er sei deshalb befan­gen, urteilte das Gericht, und hätte nicht am Ver­fahren mitwirken dür­fen. „Uns hat diese Frage der Befan­gen­heit tat­säch­lich über­rascht“, so der Rek­tor der Uni­ver­sität Chris­t­ian Tiet­je im Gespräch mit der has­tuzeit. Er halte diese Entschei­dung auch für eine Änderung in der Recht­sprechung: Akademis­che „Geschwis­ter­ver­hält­nisse“ wie das zwis­chen Prof. Dr. Dob­n­er und Dr. Siefken seien bis­lang noch nicht so bew­ertet wor­den. Ähn­lich äußerte sich der Bon­ner Jura-Pro­fes­sor Wolf­gang Löw­er in der FAZ. Er halte die Annahme, Prof. Dr. Dob­n­er sei auf­grund dieses Umstandes befan­gen gewe­sen, für realitätsfremd.

Doch das Urteil begrün­det die Rechtswidrigkeit des Ver­fahrens noch mit einem weit­eren Aspekt: man­gel­nde Doku­men­ta­tion. Das klingt zunächst nach for­maljuris­tis­ch­er Über­ge­nauigkeit. In deut­lichem Ton­fall aber wer­den der Uni­ver­sität durch das Urteil hier ver­schiedene Män­gel aufgezeigt. Die man­gel­hafte Doku­men­ta­tion bezieht sich laut Gericht dabei auf zwei Aspek­te: die Diskus­sio­nen in den Sitzun­gen der Beru­fungskom­mis­sion zum einen. Diese ließen nicht erken­nen, dass die Kri­te­rien, nach denen Bewerber:innen aus­gewählt wer­den soll­ten, ein­heitlich angewen­det wur­den. Zum anderen fehle eine schriftliche Begrün­dung der abschließen­den Besten­liste, die drei Plätze umfasste und auf Platz 1 Dr. Siefken als geeignet­sten Kan­di­dat­en führte.

Illus­tra­tion: Esther Wetzel
Urteils- und Fehleranalyse

Der Rek­tor ver­weist darauf, dass das Gericht auf­grund des weit­en Beurteilungsspiel­raums für Uni­ver­sitäten eben eine deut­liche Sprache ver­wen­den müsse, um ein solch­es Urteil zu recht­fer­ti­gen. Er sagt: „Den Juris­ten irri­tiert das gar nicht“. Nichts­destotrotz, Franz Josef Lind­ner von der Uni Augs­burg, wie der Rek­tor Pro­fes­sor für Öffentlich­es Recht, befand, eben­falls in der FAZ, der Beschluss zeige eine „Deut­lichkeit, die man in der Recht­sprechung sel­ten find­et“. Dabei ist wohl wichtig zu beacht­en, dass die man­gel­nde Nachvol­lziehbarkeit von Kri­te­rien und Begrün­dung nicht bedeuten muss, dass es keine strin­gen­ten Kri­te­rien gab und die Wahl von Dr. Siefken gän­zlich unbe­grün­det war. Den­noch: Das Gericht muss auf Grund der Infor­ma­tio­nen, zu denen es Zugang hat, entschei­den. Und nicht nur vor Gericht gilt: Um glaub­würdig zu behaupten, dass recht­mäßig gehan­delt wurde, ist eine hin­re­ichende Doku­men­ta­tion unerlässlich.

Michèle Per­gande war ab Juni 2018 stu­den­tis­ches Mit­glied der Beru­fungskom­mis­sion. „Wir haben nie geschaut, ob das eine Pro­tokoll zu einem anderen passt oder ob es da Wider­sprüche gibt, son­dern nur, ob das eine Pro­tokoll in sich stim­mig ist“, beschreibt sie den Umgang in dem Gremi­um. In einem anderen Ver­fahren an ein­er anderen Uni­ver­sität, an dem sie als stu­den­tis­ches Mit­glied teilgenom­men habe, sei das allerd­ings ähn­lich abgelaufen.

Der Rek­tor ver­weist weit­erge­hend auf einen Artikel, der in der Zeitschrift „Forschung und Lehre“ erschien und in dem von Beteiligten andere Beru­fungsver­fahren geschildert wur­den, die formell und inhaltlich teils unerträglich fehler­haft waren. So etwas sei laut Tiet­je in Halle undenkbar.

Während die Pro­tokolle unge­nau sind, fehlt aber nun eben­falls die Begrün­dung der abschließen­den Platzierungsliste. Das Gericht bew­ertet dann ersatzhal­ber Doku­mente aus der Akte: Die „Lau­da­tiones“, also Lobre­den, der Beru­fungskom­mis­sion, die für den Fall ver­fasst wer­den, dass ein Bewer­ber den Ruf an die Uni­ver­sität annimmt und dann veröf­fentlicht wer­den. Mit der Erörterung der Lau­da­tio für Dr. Siefken kommt es für die Uni aber noch dick­er: Denn während diese das Ver­fahren vor Gericht sowieso nicht mehr ret­ten kann, wird darin pos­i­tiv ange­merkt, Siefken habe sich durch mehrere gut evaluierte Lehrver­anstal­tun­gen und seine Arbeit als Fach­stu­di­en­ber­ater an der MLU her­vor­ge­tan. Auch wenn darin keine juris­tis­che Begrün­dung zu sehen ist, liegt es nach diesen Worten nahe, dass Dr. Siefken während des Ver­fahrens davon prof­i­tiert hat, dass er bere­its lange an der Uni Halle beschäftigt war.

Darin sieht Michèle auch die Ursache für die große Kri­tik am Aus­gang des Ver­fahrens: „Bew­erte ich nach dem, was er schon gemacht hat, oder kann ich das kom­plett ausklam­mern? Mein­er Mei­n­ung nach ist das nicht möglich und nur men­schlich, es miteinzubeziehen. Außer­dem hätte man dann die gesamte akademis­che Kar­riere eines Bewer­bers damit aus­blenden müssen.“ Let­ztlich hätte die Beru­fungskom­mis­sion den gold­e­nen Mit­tel­weg find­en müssen zwis­chen Ein­beziehung der Leis­tun­gen des Bewer­bers und der gebote­nen Neu­tral­ität – und doku­men­tieren, wie sie das geschafft hat. Jeden­falls an let­zterem hat es gefehlt.

Illus­tra­tion: Jonas Kyora
Verfahren und Urteil erzeugen bundesweite Aufmerksamkeit

All das geht nicht unbe­merkt am Wis­senschafts­deutsch­land vor­bei. Die FAZ berichtet dreimal über die Beru­fung am hal­lis­chen Poli­tikin­sti­tut, vom „Beru­fungsskan­dal von Halle“ ist zu lesen. Auch der Magde­burg­er Land­tag wird im Früh­jahr 2020 auf das Ver­fahren aufmerk­sam. Nach dem Urteil nehmen Rek­tor und Wis­senschaftsmin­is­ter Will­ing­mann im Land­tag dazu Stel­lung. Denn auch das Wis­senschaftsmin­is­teri­um spielt eine Rolle: Während die inhaltliche Entschei­dung über die Beru­fung nur der Fakultät zuste­ht, gibt es über den Ver­fahrens­gang eine Recht­sauf­sicht. Diese lag damals zunächst beim Rek­torat der Uni und dann beim Wis­senschaftsmin­is­teri­um. Uni-intern wurde nach Angaben des Rek­tors das Ver­fahren mehrmals an den Fakultät­srat zurück­ver­wiesen, um Män­gel zu beheben. Danach fand das Wis­senschaftsmin­is­teri­um keine Män­gel mehr, die es zu rügen hätte. Warum das Min­is­teri­um das Ver­fahren für gut befand, während das Gericht ein­deutige Fehler fest­stellte, dazu hat sich das Min­is­teri­um auf Anfrage der has­tuzeit nicht geäußert.

„Ich finde, die Auf­sicht hat die Beru­fungskom­mis­sion insoweit im Stich gelassen,“ sagt Michèle. Auch Hen­drik Lange, wis­senschaft­spoli­tis­ch­er Sprech­er der Oppo­si­tions­frak­tion Die Linke im Land­tag, find­et, dass das Min­is­teri­um die Angele­gen­heit „zu weit von sich wegschiebt“. Aber genau­so müsse die Uni­ver­sität aus dem Ver­fahren ihre Lehren ziehen. Hochschulen in Sach­sen-Anhalt soll­ten angesichts der Gericht­sentschei­dung ihre Ver­fahren über­prüfen, so Lange. Einen dage­gen gän­zlich ungemäßigten Ton schlug die andere Oppo­si­tions­frak­tion im Land­tag an: Der hochschulpoli­tis­che Sprech­er der AfD, Hans-Thomas Tillschnei­der, hat­te nach der Anhörung im Land­tag den Rück­tritt des Rek­tors gefordert.

Im Gespräch mit der has­tuzeit sagte Tiet­je, dass ihn das Ver­hal­ten der AfD besorge, die die Affäre als hochschulpoli­tis­ches Wahlkampfthe­ma missbrauche.

Der Rek­tor glaubt, dass mit den Maß­nah­men seit sein­er Amt­süber­nahme viel getan werde, um die Qual­ität von Beru­fungsver­fahren an der Uni Halle zu gewährleis­ten. „In aller Deut­lichkeit: Wir schließen pro Jahr etwa 25 Beru­fungsver­fahren ab, in den let­zten fünf Jahren wur­den drei Konkur­renten­stre­itver­fahren gegen diese angestrengt – wir haben kein Prob­lem mit der Qual­ität unser­er Beru­fungsver­fahren.“ Sie zu verbessern sei eine Dauer­auf­gabe, seit seinem Amt­santritt im Sep­tem­ber 2018 sei dies immer Anliegen seines Rek­torats gewesen.

Eine Dauer­auf­gabe kön­nte es aber auch wer­den, den Imageschaden für die Uni Halle wiedergutzu­machen. Die medi­ale Berichter­stat­tung über das gegen­ständliche Ver­fahren hält der Rek­tor für unaus­ge­wogen: „Lei­der hat­ten wir immer wieder mit bewusster oder unbe­wusster falsch­er Tat­sachen­darstel­lung zu kämpfen“, so Tiet­je in Bezug auf die Bericht­erstattung in der FAZ und der MZ. Er kri­tisiert, dass ver­trauliche Infor­ma­tio­nen an diese Medi­en weit­ergegeben wur­den und diese „ohne Ver­i­fika­tion über­nom­men wor­den“ wären.

Wie weiter an der Uni?

Ende Dezem­ber 2020 entsch­ied die Fakultät, das Beru­fungsver­fahren einzustellen. Formell gese­hen hat­te das Gericht­surteil dieses näm­lich nicht been­det, son­dern bloß der Uni aufgegeben, die Auswahlentschei­dung zu wieder­holen. Dazu hätte das Ver­fahren auch wieder­holt wer­den kön­nen. Aber die Uni­ver­sität scheint das Fiasko schnell hin­ter sich brin­gen zu wollen. „Das Ver­fahren wurde eingestellt, das gibt es also nicht mehr, und wir leg­en darauf auch keinen Fokus mehr”, so Tiet­je. Die Entschei­dung ste­ht also noch aus, ob, wie und wann ein neuer Ver­such unter­nom­men wird, eine:n Nachfolger:in für Prof. Dr. Schüt­te­mey­er zu find­en. Dr. Siefken hat die Pro­fes­sur zurzeit vertre­tungsweise inne, das wird aber kaum ein Dauerzu­s­tand sein können.

Michèle Per­gande ver­weist auch auf die Nachteile, die die lang­wieri­gen Auseinan­der­set­zun­gen für die Studieren­den mit sich brin­gen. Dr. Siefken kon­nte im Ver­fahren auch mit sein­er Ken­nt­nis des hal­lis­chen Mas­ter­stu­di­en­ganges „Par­la­ments­fra­gen und Zivilge­sellschaft“ punk­ten, der maßge­blich durch den zu beset­zen­den Lehrstuhl konzip­iert wurde – und, so Michèle, seit län­gerem neu konzip­iert wer­den solle. Kor­rek­turzeit­en von Arbeit­en und ein enormer Hausar­beit­e­naufwand hät­ten zu vie­len Abbrüchen und ver­längerten Stu­di­en­ver­läufen geführt. Eine grundle­gende Verän­derung im Lehrplan scheint aber in der aktuellen Sit­u­a­tion unwahrscheinlich.

Auch für Dr. Siefken selb­st war die Bewer­bung in Halle ein Fiasko. Für ihn bleibt zu hof­fen, dass er in sein­er weit­eren akademis­chen Kar­riere seinen Namen noch von dieser Affäre lösen kann. Ob er in Halle in näch­ster Zeit eine Pro­fes­sur beset­zen darf, ist unklar­er denn je. Prof. Dr. Dob­n­er, zum Zeit­punkt des Beru­fungsver­fahrens Dekanin, trat schließlich von ihrem Amt zurück – dass Dekan:innen zurück­treten, ist ungewöhn­lich. Und auch sie war Vor­wür­fen aus­ge­set­zt, das Ver­fahren absichtlich manip­uliert zu haben. Die anderen Bewerber:innen sehen sich zu Recht eines ordentlichen Ver­fahrens beraubt, wie das Gericht fest­stellte – in das sie gegebe­nen­falls große Hoff­nun­gen set­zen durften.

Unab­hängig davon, ob eine vor­ein­genommene Beru­fungskom­mis­sion oder unacht­same Auf­sichts­be­hör­den ver­ant­wortlich waren für die unzure­ichende Aus­führung des Ver­fahrens – am Ende ste­hen Bewerber:innen, Bew­er­tende, Uni und Studierende als Ver­lier­er da. Anreiz genug, um bei ein­er erneuten Auss­chrei­bung der Stelle nichts mehr falsch zu machen.

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