Ist es möglich den Aufbau sinfonischer Musik publikumsnah zu vermitteln? — Das akademische Orchester der MLU unter Leitung von Daniel Spogis stellte sich dieser Aufgabe am 5. November 2023. Im Rahmen des Werkstattkonzerts konnten Musikinteressierte mehr über zwei ausgewählte Werke von Niels Gade und Max Bruch erfahren.
Zu Beginn
Langsam füllen sich die Reihen.
Rings ist jeder Platz erhellt.
In der Luft liegt leise Spannung.
Ein Gemurmel füllt den Saal.
Die Gespräche werden lauter.
Da erklingt ein erster Ton.
Kurze Stille will verweilen,
doch verstummt die Ruhe schnell.
Nach der zweiten Schelle folgen
leise Worte und noch mehr.
Letzte Leute suchen Plätze,
schon ertönt der dritte Gong.
Türen schwingen auf die Bühne,
Menschen hüllt das Licht in Nacht.
Sie begrüßen das Orchester
mit Applaus im ganzen Raum.
Nach dem Klatschen, Blätter rascheln.
Die Oboe spielt ein A.
Alle Instrumente folgen
diesem kleinen ersten Klang.
Schließlich steigt mit schnellen Schritten
jener Mensch zum Podium.
Dirigiert nun voller Freude
den Beginn der Sinfonie.
Mit einem kleinen musikalischen Teaser eröffnet das Akademische Orchester unter Leitung von Daniel Spogis das Werkstattkonzert „Hinter den Kulissen einer Sinfonie“. Das Konzert selbst soll eine Brücke schlagen zwischen dem klassischen Sinfoniekonzert und dem Charakter eines Workshops unter der Thematik der Komposition. Die Teile des Puzzles „Sinfonie“ werden auseinandergenommen und wieder zusammengefügt. Das Publikum bekommt, durch Erklärungen in Kombination mit musikalischen Ausschnitten die Möglichkeit, an der Musik teilzuhaben. Das ist die Grundidee dieses Werkstattkonzerts.
Im ersten Teil der Veranstaltung widmet sich das Orchester dem Verstehen zweier Kompositionen. Zunächst bekommt das Publikum einen Einblick in die Ouvertüre „Nachklänge zu Ossian“ des dänischen Komponisten Niels Gade. Eine Melodie, ein Thema aus dem Teaser, wird von Spogis zunächst näher beleuchtet. Er gibt den Zuhörer:innen eine Idee zum Hintergrund des Werks, vergleicht es mit heroischen Erzählungen und keltischen Sagen. Die Melodie selbst ist simpel und eingängig. Alles zusammen bildet eine Vorgabe für das heldenhafte, nordische Hauptthema des Konzertprogramms. Durch das abwechselnde Einzelspiel der Instrumentengruppen gelingt es dem Orchester Phrasen des Werks durchschaubarer zu machen, welche zuvor sehr komplex schienen. Der Leiter des Orchesters schafft es außerdem, die Bedeutung der verwendeten musikalischen Stilmittel geschickt zu erklären. Ob neu oder fortgeschritten im Bereich der Musik, für jede Person gibt es interessante Ideen und Konzepte zu verstehen oder zu erinnern. Der Dirigent erläutert, wie Gade es vollbrachte, aus dem halben Orchester eine „gigantische Harfe“ zu machen. Indem der Komponist die einzelne Harfe mit gebrochenen Akkorden der Streicher unterstützen ließ, konnte die Begleitung an Ausdruck und Kraft gewinnen.
Durch Daniel Spogis´ Ausführungen, unterstrichen von den Darbietungen des Orchesters, wird schnell die Bedeutung von Ruhepunkten und Kontrastmomenten für die musikalische Komposition ersichtlich. Gades Ouvertüre eignet sich hervorragend, um viele verschiedene Facetten der Wirkung von Instrumenten darzustellen. Tiefe Bläser können einen epischen Charakter erzeugen, Fanfaren von Trompeten und Hörnern rufen zum Kampf. Hingegen sanfte Holzbläser friedliche Passagen übernehmen und Ruhe vermitteln.
Die „Nachklänge zu Ossian“ haben einen konkreten mythischen Bezug. Im Gegensatz dazu weist das zweite Stück des ersten Teils einen solchen Grundgedanken nicht auf.
Die erste Sinfonie in Es-Dur von Max Bruch steht für sich, bezieht sich auf keine Sagen und Gesänge. So gehört sie zur Kunstform der absoluten Musik. Den ersten Satz dieses Werks nimmt der Dirigent zusammen mit dem akademischen Orchester genauer unter die Lupe. Er stellt den Bezug zur Sonatenhauptsatzform her und zeigt, wie Bruch die Zuhörer:innen durch ein „Labyrinth von Tonarten“ navigiert. Am Anfang steht die Exposition, die Themen werden vorgestellt. Danach folgt die Durchführung. Alle musikalischen Ideen prallen aufeinander und ringen im Canon um das Finale. Schließlich mündet die Steigerung in der Reprise. Das erste Thema in Es-Dur setzt sich durch und gewinnt.
Beide vorgestellten sinfonischen Kompositionen haben einen heroischen Charakter und die Romantik als ihre Entstehungsepoche gemein. Durch die verzaubernde Darbietung des Orchesters und Spogis´ begeisternden Erklärungen verschmelzen die Grundgedanken der Komponisten mit der Fantasie des Publikums.
Der zweite Teil des Werkstattkonzerts umfasst die kompletten vorgestellten Stücke ohne Unterbrechungen mit Zusatz des dritten Satzes von Bruchs erster Sinfonie. Musik zum Genießen.
Für alle, die das Konzert am 5. November 2023 verpasst haben, gibt es eine weitere Möglichkeit diesen fantastischen Melodien zu lauschen. Für das Sinfoniekonzert „Nordische Weiten“ am 25. Januar 2024 gibt es die Möglichkeit, Tickets zu erwerben. Dieses wird Gades Ouvertüre, das Violinkonzert in D‑Moll von Sibelius und Bruchs komplette erste Sinfonie umfassen. Weiter kann man auf inspirierende und faszinierende Konzerte im Format des Werkstattkonzerts in Zukunft hoffen. Selten bekommen sinfonische Werke derartig neues Leben eingehaucht. Doch diese neuen Blickwinkel, die Daniel Spogis und das akademische Orchester eröffnen, sind genau das Richtige, um sinfonische Musik einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Text und Bild: Johannes Wingert