1954 wur­de die Puppe in Halle zum Leben erweckt. Ohne ein Anzeichen von Altersschwäche füllt das in der Innenstadt gele­ge­ne Theater auch heu­te noch sei­ne Räumlichkeiten mit packen­den Szenerien, emo­tio­na­len Geschichten und schöp­fe­ri­schen Werkumsetzungen der beson­de­ren Art. Mit viel Energie und krea­ti­ven Ideen star­tet das Puppenspielensemble nun anläss­lich sei­nes run­den Geburtstages in ein Jahr vol­ler ori­gi­nel­ler Vorführungen und lädt herz­lich zum Mitfeiern ein. 

Erster Akt 

Gleich einer Spielwiese eröff­net sich der Bühnenraum den Rezipient:innen. Eine knall­grü­ne, ram­pen­ähn­li­che Kulisse, an wel­cher sich Stück für Stück die Akteur:innen sam­meln. Der unaus­ge­füllt schei­nen­de Spielraum wird jedoch nicht nur durch die Spielenden mit Leben erfüllt – viel mehr sind es die von ihnen geführ­ten anthro­po­mor­phen Gestalten, die den Zuschauenden in die ganz eige­ne Welt des Puppentheaters zu Halle ent­füh­ren. Ohne wei­te­res Bühnenbild und anhand weni­ger Requisiten schafft es das Stück „Viel Lärm um Nichts“ so eine Dynamik zu erzeu­gen, in wel­cher sich Jung und Alt, Verspieltheit und Ernst, wie­der­fin­den. Menschen jeden Alters zusam­men­brin­gen, Menschenähnliches zum Hauptakteur wer­den las­sen – das sind fast 70 Jahre Puppentheater Halle. 

Zweiter Akt 

Das hie­si­ge Puppentheater beein­druckt nicht nur durch sei­ne viel­fäl­ti­gen und indi­vi­du­el­len Aufführungen für erwach­se­nes Publikum, son­dern auch durch sei­ne Geschichte. Die Sparte des Puppenspiels blieb in der DDR zu Nachkriegszeiten eher unbe­ach­tet und wur­de nicht geför­dert. Es han­del­te sich haupt­säch­lich um ein­zel­ne Schaustellerfamilien, die als „fah­ren­des Volk“ von Ort zu Ort reis­ten, um dort ihre Kunst zu prä­sen­tie­ren. Abgesehen von der gerin­gen Nachfrage wur­de den Künstler:innen die Ausübung ihres Gewerbes durch die mit dem stän­di­gen Ortswechsel ver­bun­de­ne, zuneh­men­de Bürokratie erschwert. Als dann 1950 Sergei Wladimirowitsch Obraszow, ein renom­mier­ter Puppenspieler und Leiter des dama­lig größ­ten Puppentheaters in Moskau, mit sei­nem Ensemble ein Gastspiel in Halle vor­führ­te, eta­blier­te sich auch inner­halb der DDR der Wunsch nach einer pas­sen­den reprä­sen­ta­ti­ven Kulturstätte und Inszenierungen der Kunstform. Der Mangel an Darstellenden und die Schwierigkeiten, die ein Selbststudium mit sich brach­te, führ­ten schließ­lich erst­ma­lig zu der Einführung eines dem­entspre­chen­den Studiengangs in Berlin. Diese neu­en Voraussetzungen nut­zend, kam es in Halle, durch das Thalia Theater bereits einen guten kul­tu­rel­len Ruf genie­ßend, zur Gründung des, zu dem Zeitpunkt größ­ten, Puppentheaters Ostdeutschlands. Die erbau­te Spielstätte erfreu­te sein Publikum jedoch nur tem­po­rär, da jene nach cir­ca drei bis vier Jahren Bestand durch Brandstiftung unbe­nutz­bar wur­de. Zehn Jahre lang blieb das hal­li­sche Puppentheater dar­auf­hin hei­mat­los, bis ihm schließ­lich eine zu sei­nem Zweck umge­bau­te alte Villa im Mühlweg 12 zur Verfügung gestellt wur­de. Trotz der ein­la­den­den Atmosphäre und der posi­ti­ven Reaktion des Publikums ent­sprach der neu­ge­won­ne­ne Standort nicht den Ansprüchen eines Puppentheaters. Zu tief gele­ge­ne Decken und zu klei­ne Räumlichkeiten brach­ten das Ensemble schließ­lich im Jahr 2000 an ihren heu­ti­gen Standort in der Großen Ulrichstraße 51. 

Nils Dreschke in “Mord im Orientexpress”

Dritter Akt 

Nach der Wende mach­te sich Ungewissheit und Existenzangst unter den füh­ren­den Kulturhäusern Ostdeutschlands breit. Glücklicherweise wur­den gro­ße Anteile des Vermögens der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) für die Finanzierung und Aufrechterhaltung der kul­tu­rel­len Institutionen genutzt, sodass auch das Puppentheater in Halle als eigen­stän­di­ges Haus bestehen blei­ben konn­te. Seit 2009 ist die­ses aller­dings nicht mehr pri­va­ti­siert, son­dern Teil einer Verwaltungseinheit. Der Zusammenschluss die „Bühnen Halle“, bestehend aus dem Neuen Theater, der Oper, ein­schließ­lich der Staatskapelle und dem Ballett, dem Thalia Theater und dem Puppentheater, bil­det eines der weni­gen staat­lich geför­der­ten öffent­li­chen Häuser Deutschlands. Die Verbindung der kul­tu­rel­len Einrichtungen nahm dem Puppentheater zwar sei­ne Unabhängigkeit und führ­te dadurch, dass sie das kleins­te Haus der Gruppe bil­den, dazu, dass sie die gerings­te Werbefläche und Arbeitszeit in der gemein­sa­men Werkstatt erhal­ten, doch gewann das Theater zugleich die Unabhängigkeit von insti­tu­tio­nel­len Förderungen. Da sie sich auf ein ver­läss­li­ches Budget aus­ge­hend vom Land stüt­zen kön­nen, sind sie nicht wei­ter auf Sponsor:innen ange­wie­sen und genie­ßen die Freiheit kei­ne Anträge für Neuanschaffungen oder Projekte mehr stel­len zu müs­sen. Die damit ein­her­ge­hen­den viel­sei­ti­ge­ren Möglichkeiten und die finan­zi­el­le Absicherung, auch für die Mitarbeitenden, bestär­ken das har­mo­ni­sche Bild, wel­ches die Gäst:innen beim Betreten des Kulturhauses umgibt. 

Vierter Akt 

Der Intendant des Theaters, Christoph Werner, wel­cher mir für die Beantwortung mei­ner Fragen bereit­wil­lig Auskunft gab, ist bereits seit 1985 im städ­ti­schen Puppentheater beschäf­tigt. Damals als Techniker ange­fan­gen hat er wäh­rend sei­ner Zeit im und um das Ensemble einen prä­zi­sen Blick auf die ver­schie­de­nen Aufgabenbereiche, die zur Leitung des Theaters gehö­ren, ent­wi­ckelt. Diese Erfahrungswerte brach­ten ihn auch in sei­ne heu­ti­ge Position. Von der all­ge­mei­nen Spielgestaltung abge­se­hen beschäf­tigt sich sei­ne Funktion haupt­säch­lich mit ele­men­ta­ren Verwaltungsarbeiten, wie der Verteilung und Verwendung des künst­le­ri­schen Budgets, der Aufstellung der Besetzung und des Spielplans. Als Repräsentant des Hauses liegt es an ihm neue Kontakte, auch über­re­gio­nal, zu knüp­fen und zu pfle­gen. Die Rolle des Chefregisseurs, ob in sei­ner hei­mi­schen Stätte oder für ein Gastspiel in ande­ren Theatern, über­nimmt Werner eben­falls des Öfteren, wozu er auch ver­trag­lich ange­hal­ten wird. 

Durch sei­ne lan­ge Geschichte und sei­ne ein­zig­ar­ti­gen und krea­ti­ven Abendspielplanungen kann sich das Puppentheater in Halle seit­je­her eines fes­ten Publikumsstamms erfreu­en. Als eines der weni­gen Puppentheater im deutsch­spra­chi­gen Raum, des­sen Vorführungen sich haupt­säch­lich an Erwachsene rich­ten, genießt es ein Alleinstellungsmerkmal und wird, die kul­tu­rel­le und ästhe­ti­sche Schulung för­dernd, zu einem wich­ti­gen Teil des Bildungskanons der Stadt. Durch die offe­ne Spielweise und den beson­de­ren Stil der Stücke, bei denen teil­wei­se alle acht der­zei­tig ange­stell­ten Puppenspieler:innen gleich­zei­tig auf der Bühne ste­hen, schafft es das Theater Vorurteilsschranken zu über­win­den und in dem Zuschauenden, durch Illusion und Desillusion in einem Akt, auf erfri­schen­de und packen­de Art und Weise das inne­re Kind zu wecken. 

Szene aus “Mord im Orientexpress”

Das abwechs­lungs­rei­che Programm des hal­li­schen Puppentheaters erreicht nun die­ses Jahr bis zum kom­men­den Sommer eine neue Stufe: Im Zuge des anste­hen­den 70-jäh­ri­gen Jubiläums dür­fen sich Kulturinteressierte auf ver­schie­de­ne Premieren, unter ande­rem aktu­ell „Mord im Orientexpress“ oder ab dem 03.12.2023 „Momo“, sowie Kooperationen mit ande­ren euro­päi­schen Puppenspielensembles freu­en und sich ein­neh­men las­sen von dem ein­zig­ar­ti­gen Charakter des Puppentheaters Halle. 

Text: Rika Garbe
Fotos: Anna Kolata

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