Alte His­to­rien­filme sind ver­staubt und lang­weilig? Mit­nicht­en! Der Film “Water­loo” (1970) zeigt, dass auch das Gegen­teil der Fall sein kann – unter ungewöhn­lichen Bedin­gun­gen. Eine Rezension.

Die Sonne glitzert auf tausenden von Bajonet­ten, Geschütze don­nern, Schießpul­verqualm liegt in der Luft. Dutzende von Kanonen, hun­derte von Pfer­den und tausende Män­ner in blauen und roten Uni­for­men überziehen den Hang des Hügels, der bald zum ver­wüsteten Schlacht­feld wer­den wird. In den Geschüt­zlärm und das Knat­tern der Gewehrsal­ven mis­chen sich die Schreie von Ver­wun­de­ten, der spröde Klang schot­tis­ch­er Dudel­säcke und franzö­sis­che Marschlieder. Doch diese Schlacht find­et nicht südlich von Brüs­sel statt, son­dern in den Hügeln der west­lichen Ukraine. Die über zehn­tausend Sol­dat­en, die aufeinan­der zumarschieren, sind keine Fran­zosen oder Briten, son­dern Bürg­er der Sow­je­tu­nion. Wir befind­en uns auch nicht im Jahre 1815, son­dern im heißen Som­mer des Jahres 1969. Was hier gedreht wird, ist ein­er der ambi­tion­iertesten, teuer­sten und ungewöhn­lich­sten His­to­rien­filme aller Zeit­en: „Water­loo“.

Realismus dank der Sowjetarmee

Napoleons über­raschende Rück­kehr aus seinem Exil auf der Insel Elba, seine „Herrschaft der Hun­dert Tage“ und die kul­minierende, let­zte Nieder­lage bei Water­loo gehören zu den erstaunlich­sten Kapiteln der europäis­chen Geschichte. Mit nur 1.000 Mann gelang es dem kor­sis­chen Feld­her­rn, ganz Frankre­ich prak­tisch ohne Blutvergießen auf seine Seite zu ziehen und sich erneut zum Kaiser aus­rufen zu lassen – um dann in der Nähe des Städtchens Water­loo endgültig geschla­gen zu wer­den. Der Film konzen­tri­ert sich vor allem auf die Schlacht selb­st, gibt jedoch auch szenis­che Ein­blicke in die vorherge­hen­den Ereignisse. Zur Real­isierung eines so ehrgeizigen Pro­jek­tes wie der authen­tis­chen Darstel­lung der Schlacht von Water­loo war jedoch ein Aufwand nötig, den west­liche Film­stu­dios allein nicht schul­tern kon­nten. Daher fand Colum­bia Pic­tures mit­ten im Kalten Krieg eine sehr unkon­ven­tionelle Lösung: Ein Großteil des Streifens wurde in der Sow­je­tu­nion unter der Regie des Russen Sergej Bon­dartschuk gedreht, während die Sow­je­tarmee für das über 38 Mio. Dol­lar teure Pro­jekt – nach heutigem Wert etwa 259 Mio. Dol­lar – tausende von Sol­dat­en zur Ver­fü­gung stellte.

Dur­chaus ungewöhn­lich war auch, dass für die Rollen der bei­den Feld­her­ren bedeu­tende Charak­ter­darsteller engagiert wur­den. Rod Steiger spielt einen getriebe­nen, manch­mal allerd­ings über­e­mo­tion­al wirk­enden Napoleon Bona­parte, der in ruhigeren Momenten auch erschöpft und melan­cholisch daherkommt. Den Gegen­part bildet Christo­pher Plum­mer als Arthur Welles­ley, Duke of Welling­ton, der den „Eis­er­nen Her­zog“ als klas­sis­chen britis­chen Gen­tle­man mit „Stiff Upper Lip“ verkörpert.

Illus­tra­tio­nen: Ange­li­ka Sterzer

Die eigentliche Haup­trol­le spie­len jedoch die 16.000 sow­jetis­chen Sol­dat­en, die für den Film nicht nur mit authen­tis­chen Uni­for­men, Waf­fen und Kanonen aus­ges­tat­tet, son­dern auch im zeit­typ­is­chen Marschieren, Bewe­gen in For­ma­tio­nen und Schießen aus­ge­bildet wur­den. Allein der materielle Aufwand, der für die Drehar­beit­en betrieben wurde, ist beachtlich: Tausende von Bäu­men mussten gepflanzt, Felder und Straßen angelegt, ganze Hügel abge­tra­gen und Bauern­höfe aus Stein aufge­baut wer­den, um die ukrainis­che Land­schaft dem wirk­lichen Schlacht­feld möglichst genau anzu­gle­ichen. Über­haupt ist das Bemühen Bon­dartschuks um his­torische Genauigkeit bis heute verblüf­fend. Von großen Trup­pen­be­we­gun­gen bis hin zu kleinen Uni­for­mde­tails wurde nichts dem Zufall über­lassen. Viele Szenen des Films wirken regel­recht wie his­torische Gemälde. Dies macht „Water­loo“ zu einem einzi­gar­ti­gen Film, den es in dieser Real­ität­snähe nie wieder geben wird; heutige Pro­duk­tio­nen kön­nten sich diesen Aufwand kaum leis­ten. Alles was der Zuschauer sieht, ist echt – jed­er Men­sch, jedes Pferd, jede Kanone.

Zudem hält sich die Hand­lung sehr eng an den tat­säch­lichen Schlachtver­lauf, ein im Filmgeschäft dur­chaus seltenes Phänomen. Einziger Wer­mut­stropfen bleibt die Tat­sache, dass die preußis­che Armee Blüch­ers nur am Rande vorkommt, obwohl es in Wirk­lichkeit jene Ver­stärkung war, die Welling­tons dro­hende Nieder­lage doch noch in einen Sieg ver­wan­delte. Abge­se­hen davon lässt der Film jedoch in punk­to his­torisch­er Genauigkeit kaum etwas zu wün­schen übrig. Unter­stützt wird diese Authen­tiz­ität von der Film­musik Nino Rotas, die vor allem mit his­torischen Märschen und zeit­typ­is­chen Sol­datengesän­gen aufwartet.

Menschliches Drama – in zweifacher Hinsicht

Erstaunlicher­weise ist „Water­loo“ dabei trotz des gewalti­gen Mate­ri­alaufwands und der bis ins Detail nachgestell­ten Manöver der bei­den Armeen kein pathetis­ch­er Kriegs­film, son­dern hält die Bal­ance zwis­chen real­is­tis­chem Schlacht­engemälde und men­schlichen Dra­ma. Im Mit­telpunkt ste­hen die bei­den Feld­her­ren, die wie in ein­er gigan­tis­chen Schach­par­tie Trup­pen­teile ver­schieben und die Manöver des Gegen­spiel­ers ver­suchen vorauszuse­hen. Der Film zeigt das zähe Rin­gen zwis­chen einem altern­den, von Krankheit und Selb­stzweifeln geprägten Napoleon, der seinen Zen­it über­schrit­ten hat und nun zum let­zten Mal alles auf eine Karte set­zt, und einem äußer­lich stois­chen, um das Schick­sal sein­er Män­ner besorgten Welling­ton, der dem „Großen Kors­en“ einen let­zten, knap­pen Sieg abtrotzen muss.

Zen­tral ist jedoch auch das Dra­ma des Schlacht­feldes, das der Film immer wieder in zum Teil erschüt­tern­den Szenen vor Augen führt. Da wäre etwa das Kaval­leriereg­i­ment der „Scots Greys“, das in ein­er Attacke gegen die Fran­zosen zu weit vorstößt und durch Kanonen­feuer aufgerieben wird. Bewe­gend sind auch das Schick­sal eines jun­gen britis­chen Offiziers, der ein­er Gewehrkugel zum Opfer fällt, sowie die Darstel­lung der erbit­terten Kämpfe um einige tak­tisch wichtige Bauern­häuser im Zen­trum der Schlacht.

Obwohl die Schlacht als his­torisches Spek­takel meist im Vorder­grund ste­ht, hat „Water­loo“ auch Anklänge eines Antikriegs­films. Gezeigt wird, wie sich zehn­tausende junger Rekruten gegen­seit­ig nie­der­met­zeln, um den Zie­len ihrer Feld­her­ren und Monar­chen zu dienen. Die let­zte Szene des Films, als sich die Nacht über das mit Schießpul­verqualm ver­hangenen und mit Leichen über­säten Schlacht­feld senkt, zeigt diesen Aspekt deut­lich – oder mit den Worten Welling­tons aus­ge­drückt: „Nichts außer ein­er ver­lore­nen Schlacht kann halb so melan­cholisch stim­men wie eine gewonnene Schlacht.“ Eine Botschaft, die „Water­loo“ bis heute rel­e­vant und sehenswert macht.

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