Vor dem Hin­ter­grund der „Black Lives Mat­ter“ Proteste ger­at­en bekan­nte his­torische Fig­uren in die Kri­tik. In Halle ist noch nicht viel davon zu spüren, obwohl es beson­ders an der Uni­ver­sität dur­chaus Anlass dazu gäbe. Ein Kom­men­tar. 

In ein­er Zeit, in der gesellschaftliche Prob­leme wie unter einem Bren­n­glas sicht­bar wer­den, wird in den USA George Floyd, ein schwarz­er Mann, von Polizis­ten ermordet. Lei­der nichts, was nicht schon ein­mal passiert ist. Doch dieses Mal scheint etwas anders zu sein. Es fol­gen weltweite Proteste und darüber hin­aus bleibt es nicht bei bloßen Demon­stra­tio­nen. Die Teilnehmer:innen lassen ihren Forderun­gen Tat­en folgen. 

Der Sock­el auf dem einst die Stat­ue des Edward Col­ston stand.
Foto: Caitlin Hobbs 

Das erste Denkmal, das fällt, ist das von Edward Col­ston. Er war Sklaven­händler und bis vor kurzem stand seine Stat­ue noch in Bris­tol. Heute liegt er auf dem Grund des Hafen­beck­ens von Bris­tol. An seine Stelle trat nun, wenn auch nur für kurze Zeit, die Stat­ue ein­er „Black Lives Matter“-Demonstrantin.  
In Bel­gien trifft es König Leopold II., er war Kolo­nial­ist und für den Tod und die Mis­shand­lung zahllos­er Men­schen im Kon­go ver­ant­wortlich. Dann wird in den USA, aus­gerech­net am 4. Juli, eine Kolum­bus-Stat­ue niederg­eris­sen. In Boston ver­liert eine anderes Denkmal des Ent­deck­ers den Kopf. Er wird für die Ermor­dun­gen der Ure­in­wohn­er Amerikas ver­ant­wortlich gemacht. Seit­dem disku­tiert man allerorts über Stat­uen, deren Bedeu­tung und um die geschichtliche Auseinan­der­set­zung mit großen Köpfen ver­gan­gener Zeit­en – auch hier in Deutsch­land. In Ham­burg zum Beispiel wird um die Bis­mar­ck-Stat­ue gestrit­ten. Darf sie bleiben, dreht man sie auf den Kopf oder muss sie doch ganz gehen. 

Der­weil ste­ht in Halle das Denkmal Hän­dels noch rel­a­tiv unange­tastet auf seinem stein­er­nen Sock­el am Markt. Obwohl er am Sklaven­han­del ver­di­ente. Und noch jemand scheint sich den aktuellen Debat­ten ent­zo­gen zu haben. Mar­tin Luther, der Namenspa­tron der Uni­ver­sität Halle-Wit­ten­berg, ste­ht nicht im Zen­trum aktueller Debat­ten. Anlass dafür gäbe es genug. 

Antisemitismus Luthers 

Luther stünde, das muss man auch sagen, nicht zum ersten Mal in der Kri­tik. Schon 2016 legte die Offene Linke Liste (Olli) dem Stu­Ra einen Antrag vor, in dem sie die Umbe­nen­nung der Mar­tin-Luther-Uni­ver­sität forderte. In ihrer Begrün­dung berief sie sich auf seine anti­semi­tis­chen Äußerun­gen. Vor dem Hin­ter­grund der Pegi­da-Demon­stra­tio­nen war es Ziel der Olli sich klar gegen jeden Anti­semitismus zu posi­tion­ieren. Dazu gehöre eben auch, so die Antragssteller:innen, dass seine juden­feindlichen Äußerun­gen nicht hin­ter seinen Errun­gen­schaften als Refor­ma­tor zurück­bleiben dürften. Luther dürfe nicht geehrt wer­den, indem die Uni­ver­sität weit­er­hin seinen Namen trägt. 

In der Tat sind Luthers juden­feindliche Äußerun­gen zahlre­ich belegt. Schien er am Anfang seines Schaf­fens noch eine mildere Lin­ie zu fahren, sprach er sich gegen Ende seines Lebens ver­mehrt für die Vertrei­bung der Jüdin­nen und Juden und das Abbren­nen von Syn­a­gogen aus. Luther war damit nicht nur Kind sein­er Zeit, er war ihr auch voraus. Unter His­torik­ern, wie auch The­olo­gen gibt es einen nicht enden wol­len­den Stre­it, ob man Luther über­haupt Anti­semitismus unter­stellen dürfe. Anti­semitismus, der die Grund­lage für den später durch die Deutschen vol­l­zo­ge­nen Holo­caust bildet und primär die ras­sis­tisch motivierte Feind­seligkeit gegenüber Jüdin­nen und Juden meint, ent­stand in dieser Form erst im 19. Jahrhun­dert. Bei Luther, der im 16. Jahrhun­dert wirk­te, müsste man fol­gerichtig von Anti­ju­dais­mus sprechen – also von the­ol­o­gisch motiviert­er Juden­feindlichkeit. Es gibt jedoch Stim­men, wie die des Bon­ner The­olo­gen Pangritz, die dieser peniblen Unter­schei­dung nicht fol­gen. Es bleibe der Ver­dacht, dass sie dazu diene, Luthers Juden­feindlichkeit zu ver­harm­losen. Am Ende mache es für die Ver­fol­gten keinen Unter­schied, aus welchen Motiv­en die Täter han­del­ten. Übri­gens rief auch Luther zu Weilen zur „elim­i­na­torischen Tat“ auf – man darf bei ihm also ruhig von Anti­semitismus sprechen. 

Geschichte der Namensfindung 
In gold­e­nen Buch­staben prangt der Name des Refor­ma­tors an einem Uni­ver­sitäts­ge­bäude.
Foto: Manuel Klein

Wenig Auf­schluss gibt dage­gen die Benen­nung der Uni­ver­sität. Bis 1930 war sie noch als „Vere­inigte-Friedrichs-Uni­ver­sität“ bekan­nt, diesen Namen ver­lor sie jedoch, als die Uni­ver­sität eine demokratis­che Ver­fas­sung erhielt. Den ersten Vorschlag den großen Refor­ma­tor zum Namenspa­tron zu machen, brachte 1932 der Medi­zin­er Theodor Brugsch ein — sein Vorschlag wurde mehrheitlich abgelehnt. Nach der Machter­grei­fung durch die Nation­al­sozial­is­ten fand der Vorschlag jedoch Anklang und wurde mehrheitlich angenom­men. Nur drei stramme Nation­al­sozial­is­ten stimmten gegen Mar­tin Luther, sie woll­ten, dass die Uni­ver­sität wieder ihren alten Namen erhalte. Zur Namen­sän­derungs­feier am Refor­ma­tion­stag 1933 erschien dann auch kein höher­rangiger nation­al­sozial­is­tis­ch­er Funk­tionär. Würdigte Rek­tor Her­mann Stieve Luther noch als „Vor­denker der Frei­heit und als Ver­fechter des kom­pro­miss­losen Kampfes um neue wis­senschaftliche Erken­nt­nisse“, änderte sich die Argu­men­ta­tion für den Namen der Uni­ver­sität, als noch im sel­ben Jahr der nation­al­sozial­is­tis­che Rek­tor Hans Hahne ins Amt kam. Dieser begrün­dete den Namen „Mar­tin-Luther-Uni­ver­sität“ unter Rück­griff auf die juden­feindlichen Äußerun­gen Luthers. Ein Parade­beispiel für die Ambivalenz des Namens, der mit Rück­blick auf die Geschichte vertei­digt oder kri­tisiert wer­den kann. 

Tiefgreifende Problematik 

Gründe für eine Umbe­nen­nung gäbe es. Nun geht die Frage, ob man eine Uni­ver­sität umbe­nen­nt oder eine Stat­ue ent­fer­nt, viel weit­er als die bloße Abwä­gung zwis­chen den guten und den schlecht­en Tat­en, des (meis­tens) Mannes, der dort geehrt wird. Auch die Olli befasst sich in ihrem Antrag von 2016 mit der Frage, was das denn alles brin­gen soll. Es sei nun mal nie­man­dem geholfen, stünde da nicht mehr der Name Mar­tin Luthers, oder?  
„An den Men­schen, die mit Benen­nun­gen nach Uni­ver­sitäten, Straßen oder ganzen Gemein­den geehrt wer­den, in den Attrak­tio­nen, die Tourist*innen aus aller Welt anziehen sollen und an der Art und Weise wie in die Ver­gan­gen­heit geblickt wird, zeigt sich, was in ein­er Gesellschaft mehrheitlich als vor­bildlich emp­fun­den wird, was als wün­schenswerte Eigen­schaft gilt und welche Werte gel­ten sollen. Die Ein­stel­lung ein­er Gesellschaft drückt sich in Sym­bol­en wie Benen­nun­gen aus.“, schreiben die Antragssteller:innen. Wäre es wirk­lich, wie manch ein­er behauptet ein geschichtsvergessen­er Umgang mit unser­er Ver­gan­gen­heit, wenn wir jet­zt anfan­gen Stat­uen niederzureißen und Insti­tu­tio­nen umzube­nen­nen? Ist es nicht vielmehr so, dass dieser Prozess sich noch viel inten­siv­er mit der Geschichte auseinan­der­set­zt, als die ewige Huldigung der Immer­gle­ichen? Mit ein­er sich verän­dern­den Gesellschaft, müssen sich auch ihre Sym­bole ändern. 

Nun darf man bei weit­em nicht vergessen, dass Luther keineswegs unum­strit­ten ist. Es gibt manche, die sich kri­tisch mit ihm auseinan­der­set­zen, auch hier an der Uni­ver­sität Halle. Das kön­nte man aber auch noch, wenn sein Name nicht mehr in gold­e­nen Let­tern an den Uni­ver­sitäts­ge­bäu­den prangt.  
Und was wäre es für ein Zeichen würde die Uni­ver­sität Halle-Wit­ten­berg die Erste wer­den, die nach ein­er Frau oder ein­er Per­son of Col­or benan­nt würde. Es gibt näm­lich konkrete Vorschläge. Dorothee von Erxleben, die erste pro­movierte deutsche Ärztin studierte an der Uni­ver­sität Halle. Oder Anton Wil­helm Amo, er war der erste Philosoph und Rechtswis­senschaftler afrikanis­ch­er Herkun­ft in Deutsch­land und das obwohl er als Kind ver­sklavt wurde. Bei­de wären würdi­ge Namensgeber:innen für die Uni­ver­sität. Von Erxleben und Amo wer­den auch bei­de schon geehrt. Nach ihr ist zum Beispiel ein Lernzen­trum in Halle benan­nt und seine, wohlge­merkt nicht unum­strit­tene Stat­ue, lässt sich am Uni­ver­sität­sring find­en. Es wäre aber ein ganz anderes Sym­bol, würde die Uni­ver­sität nach ihnen benan­nt. Sie würde damit nicht nur Wis­sen schaf­fen, son­dern auch Zukun­ft. 
 
 Titelfo­to: sharo­nang via pixabay

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