Im Oktober eröff­ne­te die Konsum Leipzig eG unter dem Namen „Konsum Halle“ eine Filiale in der Großen Steinstraße – der ers­te Konsum in der Saalestadt seit über 25 Jahren. Ein Blick auf die wech­sel­vol­le Geschichte eines ganz beson­de­ren Ladens.

„Bumm bumm bumm, der Tod geht um – wie­der einer tot vom Konsumbrot“. Hörte man zu DDR-Zeiten die­sen Satz, so wuss­te man schon: Die Backwaren der Konsum-Handelskette (gespro­chen: Konnsumm) hat­ten auch dies­mal ent­ge­gen aller Hoffnungen das Wochenende über­lebt und sich zurück an die Verkaufstheke gemo­gelt. Doch was ist eigent­lich das Besondere an die­ser „ein­ge­tra­ge­nen Genossenschaft“?

Oft hört man, dass „ja nicht alles schlecht war, in der DDR“. Zu die­sen weni­ger schlech­ten Aspekten des Arbeiter- und Bauernstaates zähl­ten die Konsumgenossenschaften, auch wenn das Wort zunächst ein­mal Erinnerungen an Zwangskollektivierung und Planwirtschaft weckt. Allerdings sind auch ande­re Einzelhandelsketten wie Edeka oder Rewe Genossenschaften – frei­wil­li­ge Assoziationen von Supermarktbetreibern, die sich, getreu dem Prinzip „Gemeinsam ist man stär­ker“, zusam­men­ge­schlos­sen haben. Die im Verband „Zentralkonsum eG“ orga­ni­sier­ten Vereinigungen in Berlin, Dresden und eben Leipzig unter­schei­den sich von die­sen Einzelhandelsriesen jedoch in einem wesent­li­chen Punkt: Hier sind nicht die Ladenbetreiber die Teilhaber, son­dern die Kunden.

Die von 1929 bis 1932 im zeit­ge­mä­ßen Stil erbau­te Leipziger Konsumzentrale.
Foto: Paul Thiemicke
Genosse Kunde

Als 1884 der „Consum-Verein für Plagwitz und Umgegend“ im indus­tri­el­len Westen Leipzigs gegrün­det wur­de, stand vor allem ein Ziel im Vordergrund: Möglichst vie­len Menschen qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Lebensmittel zu fai­ren Preisen zugäng­lich zu machen. Wer einen Geschäftsanteil zu 50 Mark erwarb, wur­de zum Genossen, zum Miteigentümer des Unternehmens. Getreu dem Genossenschaftsprinzip wur­de das Unternehmen demo­kra­tisch durch sei­ne Mitglieder (und Kapitalgeber) gelenkt, die, anders als Aktionäre, oft selbst die Kunden waren. Bald begann man zu expan­die­ren, eröff­ne­te neben ein­fa­chen Kaufmannsläden auch gro­ße Warenhäuser. Überall in Deutschland ent­stan­den nun in schnel­ler Folge Konsumgenossenschaften. 1894 schlos­sen sich vie­le von ihnen, so auch die Leipziger Assoziation, in der „Groß-Einkaufsgesellschaft deut­scher Consumvereine“, kurz GEG, zusam­men. Der Verband begann schon bald damit, Zentrallager und eige­ne Fabriken für Lebensmittel und ande­re Gebrauchsgüter wie Waschmittel oder Seife zu errich­ten. Auf die­se, für sie bedroh­li­che, Expansion reagier­ten die Einzelhandelskaufleute vier Jahre spä­ter mit der Gründung ihrer eige­nen Vereinigung, der „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler“ (E.d.K., die heu­ti­ge Edeka).

Doch das Wachstum der GEG war kaum auf­zu­hal­ten – mit über 1.000 Konsumvereinen, 50 Fabriken und mehr als einer Milliarde Reichsmark Jahresumsatz war sie 1932 zum größ­ten deut­schen Handels- und Produktionsunternehmen auf­ge­stie­gen. Allein die Leipziger Abteilung hat­te über 60.000 Mitglieder und beschäf­tig­te 1.900 Angestellte. Auf die­sen Höhepunkt folg­te jedoch kurz dar­auf der Absturz: Von den Nationalsozialisten wur­den die Genossenschaften ab 1934 gleich­ge­schal­tet, schließ­lich 1941 auf­ge­löst und ihre Vermögenswerte ein­ge­zo­gen. Nach dem Zweiten Weltkrieg mach­te man sich an ihren mühe­vol­len Wiederaufbau; nur lang­sam ging es wie­der auf­wärts. In der öst­li­chen Zone wur­den die Genossenschaften sogar von der sowje­ti­schen Besatzungsmacht geför­dert – nur um nach Gründung der DDR erneut ver­ein­nahmt und gleich­ge­schal­tet zu werden.

Das Gebäude mit der mar­kan­ten Klinkerfassade ist noch heu­te Sitz der Genossenschaft und steht unter Denkmalschutz.
Foto: Paul Thiemicke

Immerhin bewahr­te die Konsum-Handelskette eine zumin­dest for­ma­le Eigenständigkeit, da die Mitgliedschaft nicht an eine Parteizugehörigkeit gebun­den war. Während die Schwestergenossenschaften im Westen auch nach ihrem Zusammenschluss zur „co op AG“ zuneh­mend an Bedeutung ver­lo­ren, stieg „der Konsum“ neben der staat­li­chen „Handelsorganisation“ (HO) zum zweit­größ­ten Handelsunternehmen der DDR auf. Trotz Einbindung in die Planwirtschaft wur­den noch immer in eige­nen Betrieben Verbrauchsgüter pro­du­ziert, ver­füg­te die Kette über eige­ne Marken wie „Röstfein“-Kaffee oder die Riesaer Teigwaren. Auch die Idee der Rückvergütung blieb leben­dig – ab 1954 über ein System von Rabattmarken, die das Mitglied in spe­zi­el­le Hefte zu kle­ben hat­te. In fast jedem Ort gab es einen „Dorf-Konsum“, in den grö­ße­ren Städten zudem gro­ße „Konsument“-Warenhäuser. Die Handelskette war so weit ver­brei­tet, dass ihr Name – auf der ers­ten Silbe betont – zum Synonym für Gemischtwarenläden wurde.

Markenkleben und Schokolade

Gerade in etwas abge­le­ge­nen Orten oder Stadtteilen waren die nach klas­si­schem Kaufmannsladenprinzip mit Theke und Bedienung aus­ge­stat­te­ten Geschäfte neben Bäckerei und Fleischerei nicht nur die ein­zi­ge Einkaufsmöglichkeit, son­dern auch ein wich­ti­ger sozia­ler Bezugspunkt. Für Kinder konn­te sich der Konsum sogar zum Sehnsuchtsort ent­wi­ckeln, waren doch neben Seifenpulver und Grundnahrungsmitteln auch Lakritze, Schokolade und ande­re Süßigkeiten im Angebot. Auch nach­dem ab den Sechziger Jahren zuneh­mend Kaufhallen mit Selbstbedienung die alten Läden ersetz­ten und der sozia­le Aspekt zum Teil ver­lo­ren ging, blieb die Konsum-Handelskette wei­ter­hin ein wich­ti­ger Teil von Wirtschaft und Alltagsleben. Bis zum Ende der DDR hat­te sie einen Anteil am Einzelhandel von immer­hin 31 Prozent.

Allerdings hat­te der DDR-Konsum nicht nur sei­ne posi­ti­ven Seiten: Die genos­sen­schaft­li­che Grundidee der gemein­schaft­li­chen Mitwirkung, durch die NS-Gleichschaltung bereits schwer beschä­digt, geriet im „real exis­tie­ren­den Sozialismus“ end­gül­tig unter die Räder. Die basis­de­mo­kra­ti­schen Elemente der Konsumvereine wur­den zur rei­nen Fassade; Mitgliederversammlungen hat­ten stel­len­wei­se den Charakter von poli­ti­schen Agitationsveranstaltungen. Dennoch stieg die Mitgliederzahl, wohl vor allem wegen der Rückvergütungen, wei­ter­hin an. 1989 lag sie bei etwa 4,6 Millionen – was mehr als einem Viertel der DDR-Bevölkerung ent­sprach. Nach der Wende ging es mit dem Konsum jedoch steil berg­ab; vor allem das Fehlen eines eigen­stän­di­gen Großhandels war unter den Bedingungen der frei­en Marktwirtschaft ver­hee­rend. Auch wenn die Genossenschaften als pri­va­te Unternehmen nicht von der Abwicklung durch die Treuhandanstalt betrof­fen waren, über­leb­ten nur weni­ge von ihnen den wirt­schaft­li­chen Umbruch, etwa in Berlin, Dresden oder Leipzig. Die hal­le­sche Genossenschaft dage­gen ging 1992 bankrott.

Es gibt den Konsum also heu­te noch – auch wenn er ledig­lich regio­nal aktiv ist und sich der basis­de­mo­kra­ti­sche, genos­sen­schaft­li­che Geist nie wie­der rich­tig erho­len konn­te. Dennoch: Das Rückvergütungssystem gibt es immer noch – statt Klebemarken und Sammelheftchen wird die indi­vi­du­el­le jähr­li­che Einkaufsmenge über Mitgliederkarten erfasst und auf die­ser Grundlage even­tu­el­le Rückzahlungen berech­net. Dazu kommt heut­zu­ta­ge noch eine Dividende, die sich am jewei­li­gen Geschäftsanteil ori­en­tiert. Auch wenn sie bei wei­tem nicht mehr zu den gro­ßen Einzelhandelsketten Deutschlands gehört – die Genossenschaft hat über­lebt und beginnt sogar wie­der vor­sich­tig zu expan­die­ren, wie etwa in Halle. Das neue Konzept: Kleinere Läden in den Innenstädten mit viel­fäl­ti­gem Warensortiment, ohne grö­ße­re Parkplätze, dafür aber mit loka­ler Einbindung. Auf gewis­se Weise ist der Konsum also wie­der zu sei­nen Ursprüngen zurückgekehrt.

Neubau einer Konsum-Filiale in der Käthe-Kollwitz-Straße in Leipzig.
Foto: Paul Thiemicke
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