Einst war die Moritzburg eines der bedeu­tends­ten Museen Deutschlands. Dann kam der Nationalsozialismus. Heute ist sie auf der Suche nach ihrer Identität. Was macht sie heu­te noch aus? Wo will sie hin? Ein Museumsporträt.

Das moder­ne Dach der Moritzburg thront, sich sei­nes Architekturpreises bewusst, über den alten Gemäuern des heu­ti­gen Kunstmuseums. Der Innenhof der Moritzburg ist kalt in die­sen Wintermonaten. Eine Aluminiumbox lädt zum Eintritt ein. Es ist ein moder­ner Eingang, ein Eingang in die Moderne.

Die Ausstellung, die vom 29. September 2019 bis zum 12. Januar 2020 in Räumen des hal­li­schen Kunstmuseums hängt, dreht sich genau dar­um – um die Moderne. Die Moritzburg in der Moderne. Sie ist ein Rückblick, eine Aufarbeitung der eige­nen Geschichte, viel­leicht auch ein Versuch, bes­se­re, erfolg­rei­che­re Zeiten wie­der auf­le­ben zu las­sen. Kann das Museum so schaf­fen, was ihm archi­tek­to­nisch fast schon spie­lend gelingt: der Drahtseilakt zwi­schen Vergangenheit und Zukunft, zwi­schen geschicht­li­cher Aufarbeitung und dem, für was die Moritzburg einst so berühmt war: zeit­ge­nös­si­sches Sammeln?

Comeback der „entarteten Kunst“

Bis 1937 war die Moritzburg eines der wich­tigs­ten Kunstmuseen auf der deut­schen Landkarte. Sie war füh­rend im Bereich der zeit­ge­nös­si­schen Kunst, die heu­te als die klas­si­sche Moderne gilt. Es war nicht unge­wöhn­lich, die Sammlung der Moritzburg in einem Atemzug mit der Moderne-Sammlung der Berliner Nationalgalerie im Kronprinzenpalais Unter den Linden zu nennen.

Foto: Manuel Klein

Dann, im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“, beschlag­nahm­ten die Nationalsozialisten im Sommer 1937 an die 147 Werke der Moritzburg. „Entartet“ – ein Begriff, der von der Medizin auf die Kunst übertra­gen wur­de und unter den nun alles fiel, was nicht mit der Kunstauffassung und dem Schön­heits­ideal der Natio­nal­sozialisten ver­ein­bar war. Kunstströmun­gen wie Expressionismus, Im­pressionismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit, Kubismus und Sur­realismus wur­den aus der deut­schen Kunstwelt ver­bannt. Künstler wie Kandinsky, Kirch­ner, Klee, Kokoschka auch, um nur ein paar von ihnen zu nen­nen. Einen Teil der Meisterwerke ver­kauf­ten die Nationalsozialisten ins Ausland, der Rest wur­de zer­stört. Die Moritzburg ver­lor damit nicht nur einen Großteil ihrer bedeu­tends­ten Werke. Sie ver­lor ein Stück ihrer Identität. Ungefähr 40 der ent­wen­de­ten Kunstwerke hän­gen unter dem Titel „Das Comeback – Bauhaus Meister Moderne“ für eine kur­ze Zeit wie­der an den Ausstellungswänden in Halle.

Früher war alles besser?

Der kla­re Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der nicht ganz voll­stän­di­gen Rekonstruktion der Sammlung von 1937. Mit ihr besinnt sich die Moritzburg zurück auf die eige­nen Wurzeln: „Eine wich­ti­ge Aufgabe, der sich auch schon frü­her immer wie­der gewid­met wur­de“, sagt Professor Olaf Peters. Er hat an der MLU einen Lehrstuhl für Kunstgeschichte inne, sitzt außer­dem im Stiftungsbeirat der Moritzburg und hält dort gera­de den Vorsitz.

Verschiedene Tagungen und teil­wei­se auch Ausstellungen hat­ten sich schon vor der jet­zi­gen mit dem Thema beschäf­tigt. Auch Noldes „Das letz­te Abendmahl“ ist mit die­ser Ausstellung schon ein zwei­tes Mal aus­ge­lie­hen wor­den. Das Gemälde Noldes ist wahr­schein­lich am bedeu­tends­ten für die Moritzburg. 1913 kam es erst­mals in das hal­li­sche Kunstmuseum. Ein Skandal, wie von Bode, der dama­li­ge Generaldirektor der Berliner Museen, deut­lich mach­te. In der Folge brach ein öffent­li­cher Streit zwi­schen ihm und Sauerlandt, dem dama­li­gen Museumsdirektor in Halle, aus. Die Konfliktfrage: Gehört zeit­ge­nös­si­sche Kunst in Museen? Es soll­te ein öffent­li­cher Streit wer­den, der die Moritzburg für ihre muti­ge Sammlungsstrategie und Emil Nolde als Erneuerer der Kunst berühmt gemacht hat.

Nolde ist auch Grundstein für die „Comeback“-Ausstellung. Sein Bild ziert den Flyer, sein Name prangt dar­auf ganz oben. Doch bleibt ein bit­te­rer Beigeschmack beim Verlassen der Ausstellung: War es nicht Nolde, den Kanzlerin Merkel im April 2019 aus dem Kanzleramt ver­bann­te? Über ihn war doch lan­ge schon bekannt, dass er Nationalsozialist und Antisemit war. Er war es, der sein Werk als Beitrag zu ech­tem Germanentum und völ­ki­scher Kunst sah. Er war es, der schon 1934 mit sei­ner Unterschrift unter den „Aufruf der Kulturschaffenden“ klar­stell­te, er gehö­re zur Gefolgschaft des Führers. Ebenso wie Heckel, der auch in der jet­zi­gen Sammlungsrekonstruktion hängt. Noldes Bilder wur­den zwar Teil der von Goebbels initi­ier­ten Ausstellung „Entartete Kunst,“ jedoch war er ent­ge­gen eige­ner sowie außen­ste­hen­der Darstellungen gewiss kein inne­rer Emigrant und kein Opfer.

Professor Peters bezeich­net das Thema als „kal­ten Kaffee“. Die Frage sei doch, war­um – wo man doch schon lan­ge um Noldes Vergangenheit wis­se – man jetzt so tue, als wäre das eine neue Erkenntnis.

Die Trennung von Kunst und Künstler war schon immer ein schwe­rer Streitpunkt. Ein Ur-Thema, über das erst kürz­lich das Friedensnobelpreiskomitee gestol­pert ist. Peters macht sei­nen Standpunkt anhand eines anschau­li­chen Beispiels klar: „Der Mord, den ich in der Kunst dar­stel­le, ist nicht der, den ich – als Caravaggio viel­leicht – in Wirklichkeit sogar ver­übt habe. Der mora­li­sche Diskurs gehört nicht in die Kunst.“

Man muss die­se Ausstellung ver­ste­hen, um erah­nen zu kön­nen, wo die Moritzburg hin will. Unter den Direktoren Sauerlandt und Schardt sam­mel­te die Moritzburg am Puls der Zeit. Und heu­te? „Heute“, sagt Professor Peters, „habe ich das Gefühl, dass die Moritzburg eher auf geschicht­li­che Aufarbeitung und Rekonstruktion als auf das Abbilden aktu­el­ler Strömungen Wert legt.“

Auf der Suche nach sich selbst

Thomas Bauer-Friedrich, Museumsdirektor der Moritzburg, nennt die Bedingungen zu sei­nem Antritt als Gründe dafür, dass man sich nicht gleich wie­der in die eige­ne Tradition stell­te. „Es stan­den erst ein­mal ande­re Dinge an, und auch mit dem vor­ge­fun­de­nen Personal war es schwie­rig, einen völ­lig radi­ka­len Programmwechsel vor­zu­neh­men.“ Es bestehe aber Änderungswille. „Die gro­ße Gefahr ist, dass wir nur noch zu Verwaltern unse­rer eige­nen Geschichte wer­den und nicht mehr am Puls der Zeit sind. Das ist eigent­lich der Auftrag, den wir von unse­ren Vorfahren geerbt haben. Ich hof­fe, dass es uns gelingt, den wie­der auf­zu­grei­fen, zu erfül­len.“ Mit Hilfe neu­be­setz­ter Sammlungsleitungen, dis­kur­si­ven Formaten und zeit­ge­nös­si­schen Ausstellungen will man an der Moritzburg wie­der die eige­nen Traditionslinien auf­er­ste­hen lassen.

Nur eine Schwierigkeit bleibt: Wie soll man stra­te­gisch und zeit­ge­nös­sisch oder über­haupt noch sam­meln, wenn man kei­nen Ankaufsetat hat? Erst ein­mal soll Aufmerksamkeit im gro­ßen Stil gene­riert wer­den. Mit der Klimt-Ausstellung im letz­ten Jahr habe man eine wich­ti­ge Marke erreicht. Die „Comeback“-Ausstellung, so Bauer-Friedrich, sei nun so etwas wie eine zwei­te Zündstufe. „Sie ist – ambi­tio­niert gesagt – ein Projekt, dass der Welt klar­ma­chen soll, dass die Moritzburg nicht irgend­ein Provinzmuseum ist.“ Dieses Wissen um die Bedeutung der Moritzburg sei durch Nationalsozialismus und auch die DDR auf inter­na­tio­na­ler wie auch natio­na­ler Ebene lei­der größ­ten­teils ver­lo­ren gegan­gen. Das Kunstmuseum will wie­der „ein eta­blier­tes, in der Wahrnehmung gesetz­tes Museum wer­den“, wie der Museumsdirektor es nennt.

Foto: Manuel Klein

Bei so viel Verlangen nach Aufmerksamkeit besteht die Gefahr, dass Forschung, Tiefe und kri­ti­sche Auseinandersetzung Abstriche machen müs­sen. Thomas Bauer-Friedrich sieht die­se Gefahr auch. Er ist aber zuver­sicht­lich, dass gro­ße Ausstellungen mit gro­ßen Namen nicht zwin­gend ober­fläch­lich sein müs­sen. Im Gegenteil, man sei sehr bemüht, die Wissenschaftlichkeit zu wah­ren. Klimt zum Beispiel hät­te so noch nie­mand aus­ge­stellt. Auch zu Nolde ergänzt er, dass die­ser in der 2017 ein­ge­rich­te­ten Sammlungspräsentation des Museums an ver­schie­de­nen Stellen the­ma­ti­siert wur­de, unter ande­rem auch zum Abschnitt „Kunst im drit­ten Reich.“

Auch die kom­men­de Ausstellung will hoch hin­aus. „Karl Lagerfeld. Fotografie“ wird sie hei­ßen. Sie will die ers­te Retrospektive nach sei­nem Tod sein. Lagerfeld habe von ihr gewusst, sie vor sei­nem Tod abge­seg­net. Er selbst hät­te bei der Eröffnung dabei sein sol­len. Hier wird sich die Moritzburg nun bewei­sen kön­nen: Wie will sie mit der Kritik an Lagerfelds Person umge­hen? Damit umge­hen, dass er sehr dün­ne bis dür­re Models bevor­zug­te, sei­ne Kleidung oft nicht in kon­ven­tio­nel­len Größen pro­du­zie­ren ließ?

  • „Karl Lagerfeld. Fotografie“ wird am 8. März star­ten und bis zum 23. August andauern.
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