Diese Serie ist den Frauen gewid­met, die einen Bezug zu Halle hat­ten. Ob hier geboren, aufgewach­sen oder studiert, meist prägten diese Per­sön­lichkeit­en über die Stadt hin­aus Kun­st, Gesellschaft und Kul­tur. Dies­mal geht es um Jeanette Schock­en, Kaufhaus­be­sitzerin und Wohltäterin.

Wohltätigkeit und soziales Engage­ment waren, beson­ders in Zeit­en des aufkeimenden Natio­nalsozialismus und bevorste­hen­den Kriegs, in der jüdis­chen Bevölkerung sehr ver­bre­it­et. Ver­fol­gt, enteignet und in ständi­ger Lebens­ge­fahr ver­sucht­en die Men­schen, denen es möglich war, anderen Betrof­fe­nen zu helfen. Als Kind ein­er großbürg­er­lichen jüdis­chen Fam­i­lie wuchs Schock­en gemein­sam mit fünf Geschwis­tern auf. Von 1890 bis 1900 erhielt sie in der Städtis­chen Höheren Mäd­chen­schule eine umfassende Schul­bil­dung, an die sich jedoch keine weit­ere Berufs­bil­dung anschloss. Ihr Vater Max Pinthus, der seinen Nach­na­men auf­grund des preußis­chen Judenedik­ts vom 11. März 1812 ändern musste, besaß im Zen­trum Halles ein Posamentier‑, Kurz‑, Weiß- und Wollwarengeschäft.

Nach der Eheschließung mit Julius Schock­en 1905 zogen bei­de nach Bre­mer­haven, wo Julius ein neues Waren­haus auf­baute. Seine Brüder Salman und Simon Schock­en waren die Grün­der des Kaufhaus­es Schock­en in Zwick­au und gal­ten bere­its in dieser Zeit als die größten Kaufhaus­be­sitzer des Deutschen Reich­es und engagierte Förder­er des Judentums.

Auch sein Brud­er Julius war für seine Wohl­tätigkeit bekan­nt; die phil­an­thropis­che Tätigkeit ihres Mannes unter­stützte Jeanette Schock­en sehr aktiv. Sie wurde Mit­glied von Hil­fs- und Wohltätigkeit­sein­rich­tun­gen der jüdis­chen Gemeinde, unter anderem des „Hil­fsvere­ins der Juden in Deutsch­land“. Dieser Vere­in war führend in der Auswan­derung­shil­fe für deutsche Juden tätig. Als ihr Mann 1934 starb, kam es in der Fam­i­lie zu Auseinan­der­set­zun­gen über die Ver­mö­gen­snach­folge; vor allem in Bezug auf die Kaufhäuser. Jeanette Schock­en ging als alleinige Erbin ihres Mannes daraus her­vor und führte die Geschäfte in Bre­mer­haven und Geester­münde weit­er. Die engen Geschäfts­beziehun­gen zur Zen­trale in Zwick­au blieben jedoch erhalten.

Jeanette und Julius Schock­en
Illus­tra­tion: Gre­gor Borkowski
Enteignung und Fluchtabsicht

Die Machter­grei­fung der Nazis und die damit ver­bun­dene zunehmende juden­feindliche Poli­tik, gekop­pelt mit der „Arisierung“, zwan­gen Schock­en 1938 dazu, ihre Geschäfts­be­triebe und Grund­stücke an ein Bankenkon­sor­tium unter Führung der Deutschen Bank zu verkaufen. Schock­en legte daraufhin Beschw­erde ein, nicht um das Kaufhaus zu ret­ten, son­dern vielmehr um die Arbeit­splätze der jüdis­chen Belegschaft zu erhal­ten – verge­blich. Bei­de Kaufhäuser wur­den in der Pogrom­nacht vom 9. Novem­ber 1938 geplün­dert und weitest­ge­hend zer­stört. Ihre Tochter Hilde und ihr Sohn Heinz kon­nten in die USA zu Ver­wandten emi­gri­eren. Tochter Edith kam wegen der trau­ma­tis­chen Erleb­nisse in der Pogrom­nacht in psy­chi­a­trische Behand­lung. In über 30 Briefen aus der Zeit ab 1937 schildert Schock­en ergreifend, welche Möglichkeit zur Flucht

unter­nom­men wer­den und welchen Fre­un­den wie geholfen wer­den kann. Die Sorge um die eige­nen Kinder und Enkelkinder war groß. Trotz der Sorge um die Fam­i­lie erwies sich Schock­en als ener­gis­che Kauf­frau bei der Abwick­lung der Unternehmen­skaufverträge und der ges­per­rten Devisenkon­ten ihrer Kinder.

Bis zum Som­mer 1941 nahm sie in ihrer Vil­la zwölf weit­ere jüdis­che Leidensgenoss:innen auf, darunter ihren Brud­er Erich mit sein­er Fam­i­lie, dessen Auswan­derungspläne gescheit­ert waren. Jeanette Schock­ens eigene Flucht war seit 1938 abhängig von der Gesund­heit ihrer Tochter Edith. Die Ärzte rieten wegen ihres labilen Zus­tandes und der Belas­tung durch mehrma­lige Ver­legung von ein­er Aus­reise ab.

Kein Ausweg

Die Lage in Deutsch­land wurde für die Juden immer bedrohlich­er; Schock­en befasste sich ab 1941 inten­siv mit Flucht­plä­nen. Der Weg nach Palästi­na, wo sich die Ver­wandtschaft um Salman Schock­en aufhielt, war inzwis­chen versper­rt. Tochter Edith wurde im sel­ben Jahr für geheilt erk­lärt und kon­nte nach Bre­mer­haven zurück­kehren. Als let­ztes Fluchtziel wurde nun Kuba in Betra­cht gezo­gen. Jedoch war seit dem 3. Okto­ber 1941 die Auswan­derung von Juden für die Dauer des Kriegs ver­boten, was auch diese let­zte Möglichkeit zunichte machte. Am 17. Novem­ber 1941 mussten Mut­ter und Tochter Bre­mer­haven mit dem Zug ver­lassen. Sie wur­den nach Maly Trostinez bei Min­sk deportiert. Die let­zte Postkarte an die Kinder schrieb Jeanette Schock­en am Tag ihrer Depor­ta­tion; bei­de star­ben ver­mut­lich im Juli 1942.

Der 1991 von der Stadt Bre­mer­haven ins Leben gerufene Jeanette-Schock­en-Preis ehrt Literat:innen und soll gle­ichzeit­ig ein Zeichen gegen Unrecht, Gewalt, Hass und Intol­er­anz set­zen. Auch soll mit dem P

reis dem 6. Mai 1933 gedacht wird­en, an dem auf dem Mark­t­platz in Bre­mer­haven unter Beifall Büch­er ver­bran­nt wur­den. Er wird alle zwei Jahre verliehen

Jeanette Schock­en mit Engel
Foto: Gre­gor Borkowski

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