Ohne sie geht es nicht. Doch viel zu oft wer­den die Schied­srichter als Regel-Polizei wahrgenom­men – nicht als Men­schen, die den Sport genau­so lieben wie Spiel­er, Train­er und Zuschauer. Ein Umstand, der sich ändern muss.

Ein Hand­ball­spiel der Ver­band­sli­ga in Sach­sen-Anhalt. Auf ein­mal knallt es auf dem Par­kett. Ein Spiel­er liegt ver­let­zt auf dem Boden, ein ander­er streckt unschuldig die Arme von sich. Ein Pfiff, eine Entschei­dung. Der ver­meintlich unschuldige Spiel­er muss die Spielfläche für zwei Minuten ver­lassen. Unmen­gen an Emo­tio­nen pras­seln auf die Schied­srichter ein. „Du Vogel, das war doch gar nichts! Wie kann man denn so blind sein?“ Eine Phys­io­ther­a­peutin ren­nt zu dem Ver­let­zten, um ihn zu behan­deln. Wild gestikulierende Spiel­er reden auf die Schied­srichter ein, sie sollen jet­zt bloß nicht die Kon­trolle über das Spiel verlieren.

Foto: Sascha Klahn/DHB

Kon­trolle. Nahezu jedes Woch­enende heißt es aufs Neue, diese zu bewahren – über das Spiel, aber auch über sich selb­st. Ein kurz­er Moment der Unaufmerk­samkeit, ein falsch­er Pfiff zur falschen Zeit oder ein unangemessen­er Gesicht­saus­druck kön­nen Spiel­er, Train­er und Zuschauer von einem auf den anderen Moment gegen die Schied­srichter auf­brin­gen. Ein Unpartei­is­ch­er möchte so sel­ten wie möglich im Zen­trum der Aufmerk­samkeit ste­hen, doch allzu oft wird er Ziel zumeist neg­a­tiv­er Emo­tio­nen. Mit diesen umzuge­hen ist nicht ganz ein­fach, denn anders als die Spiel­er hat ein Schied­srichter keine Fans, die ihn nach einem guten Spiel feiern und nach einem schlecht­en auf­bauen. Er hat keine Mannschaft, mit der er sich auf die Spiele vor­bere­it­et, und Medi­en hal­ten sich bei pos­i­tiv­er Bericht­erstattung über Schied­srichter zumeist sehr zurück.

Schiedsrichter zu sein bedeutet mehr, als nur die Regeln zu kennen

Der All­t­ag eines Schied­srichters ist dage­gen sehr auf seinen Schied­srichter­part­ner bezo­gen. Denn der Schied­srichter­beruf begin­nt und endet nicht an der Ein­gangstür der Sporthalle. Nahezu wöchentlich­es Videostudi­um der eige­nen Spiele sind Teil des Schied­srichter­seins, genau­so wie zwei Lehrgangswoch­enen­den pro Sai­son, in denen mit anspruchsvollen Tests Regel­sicher­heit und Fit­ness­stand der Schiris gemessen wird. Da kann es schon mal vorkom­men, dass sich auf einen Lehrgang ähn­lich aus­führlich und inten­siv vor­bere­it­et wer­den muss wie auf eine mit­telschwere Klausur an der Universität.

Rückt das Spielt­agswoch­enende näher, wird die gemein­same Anreise geplant. Während die Zuschauer noch am Mit­tagstisch sitzen und so manch­er Spiel­er noch sein Spiel­trikot in die Sport­tasche stopft, sind die Schied­srichter bere­its anderthalb Stun­den vor Spiel­be­ginn an der Spiel­stätte. Sie kon­trol­lieren die Tore, bere­it­en das Spiel­pro­tokoll vor, und um stets hellwach zu sein, trinken sie eine Menge Kaf­fee. Ohne den geht bei den meis­ten Schied­srichtern näm­lich nichts.

Ist der Anwurf dann vol­l­zo­gen, ist die Ruhe der Vor­bere­itung meist schnell vor­bei. Hand­ball ist ein schneller und har­ter Sport. Bei nahezu jedem Angriff kommt es zu kri­tis­chen Sit­u­a­tio­nen, in denen die Schied­srichter zügig und kor­rekt entschei­den müssen. Unge­fähr 600 Sit­u­a­tio­nen pro Spiel bedür­fen ein­er Schiri-Entschei­dung, und bei einem Großteil gibt es so viele ver­schiedene Mei­n­un­gen, wie es Zuschauer in der Halle gibt. Dieser Ver­ant­wor­tung müssen die Unpartei­is­chen erst ein­mal gewach­sen sein.

Foto: Sascha Klahn/DHB

Das Auftreten eines guten Schieds­richters sollte kompe­tent, aber nicht rechthabe­risch, sym­pa­thisch, aber nicht anbiedernd, kon­se­quent, aber nicht dom­i­nant sein. Acht­en Schied­srichter auf diese Grund­sätze, ist es wahrschein­lich, dass sie zusam­men mit allen Beteiligten auf der Spiel­fläche und den Sport­begeis­terten auf der Tribüne ein faires und angenehmes Spiel erleben werden.

Lei­der kommt es auch immer wieder zu Gren­züber­schre­itun­gen gegenüber Schied­srichtern. Im Hand­ball sind diese eher psy­chis­ch­er Natur und reichen meist nicht über Belei­di­gun­gen hin­aus. Trotz­dem ist der Schutz der Schiris durch Sicher­heitsper­son­al der trau­rige Stan­dard. Bei einem Blick zum großen Brud­er Fußball ergibt sich ein noch erschüt­tern­deres Bild: Hier haben Schied­srichter von Kreis- bis Bun­desli­ga teils sog­ar mit tätlichen Über­grif­f­en umzuge­hen. Der Gesang „Schiri, wir wis­sen, wo dein Auto ste­ht!“ wird teil­weise wörtlich genom­men. Erst let­ztes Jahr musste ein Schied­srichter bei einem C‑Ligaspiel in Mün­ster nach einem Faustschlag mit dem Helikopter und unter akuter Lebens­ge­fahr ins Kranken­haus gebracht werden.

Das Setting des sportlichen Wettkampfes fordert Aggressionen heraus

Sportpsy­chologe und MLU-Dozent Prof. Dr. Oliv­er Stoll führt die Vielzahl an Vor­fällen auf den Kon­text des sportlichen Wet­tbe­werbs zurück. Im Wesentlichen begäben sich die bei­den Mannschaften in einen Kampf gegeneinan­der, in dem bei­de nur eines wollen: Die andere Mannschaft besiegen. Hier seien Aggres­sio­nen – vor allem im Hand­ball – ein pro­bates Mit­tel, um dieses Ziel zu erre­ichen. Dass sich Wut und Frust aber auch gegen Schied­srichter richt­en, läge an dem Umgang der Spiel­er mit ihren aufk­om­menden Emotionen.

Laut Stoll sind drei Strate­gien für diesen Umgang zu beobacht­en: Die ide­ale Form ist anger con­trol. Das bedeutet, aufk­om­mende Empfind­un­gen in bren­zli­gen Sit­u­a­tio­nen dosiert und kon­trol­liert ausleben zu kön­nen, ohne dabei Regeln zu ver­let­zen oder Gren­zen zu über­schre­it­en. Diese beson­dere Art der Emo­tion­sreg­ulierung streben viele pro­fes­sionelle Sportvere­ine bei ihren Spiel­ern an und suchen daher ver­mehrt die Zusam­me­nar­beit mit Sportpsy­cholo­gen. Des Weit­eren gibt es anger in. In diesem Fall fressen die Spiel­er ihren Frust in sich hinein, wodurch sie viel mehr mit sich selb­st beschäftigt sind und dadurch den Fokus auf das Spiel ver­lieren. Die prob­lema­tis­chste Form der Emo­tion­sreg­u­la­tion ist anger out. Die Spiel­er tra­gen ihren Frust zumeist unge­filtert nach außen. Stoll ver­gle­icht dieses Ver­hal­ten mit einem reini­gen­den Feuer, das die Spiel­er nutzen, um sich von ablenk­enden Gefühlen zu befreien und sich anschließend wieder bess­er auf das Spielgeschehen konzen­tri­eren zu kön­nen. Prob­lema­tisch wäre allerd­ings, so Stoll, dass sich dieses Ver­hal­ten über Mod­el­ller­nen auch auf die Zuschauer über­trage. Wenn ein Spiel­er sich respek­t­los gegenüber den Schied­srichtern ver­halte, ani­miere das viele Zuschauer, dies eben­falls zu tun. Außer­dem dürfe auch die enthem­mende Wirkung alko­holis­ch­er Getränke, die in Sporthallen in Massen aus­geschenkt wer­den, nicht vergessen werden.

Foto: Sascha Klahn/DHB

Es heißt also nicht nur für die Schied­srichter sich zu kon­trol­lieren. Auch Spiel­er und Train­er müssen ihren Beitrag leis­ten, um ein Spiel im Sinne des Fair­play-Gedankens zu gestal­ten. Hier gilt die Redewen­dung „Früh übt sich“: Genau wie die E‑Jugendlichen ele­mentare Grund­fähigkeit­en wie Fan­gen und Passen erler­nen, müssen sie den Schied­srichter als Respek­tsper­son ken­nen­ler­nen. Sie müssen ler­nen, dass der Schied­srichter ein uner­set­zbar­er Teil des Spiels ist, dass es ohne ihn gar kein Spiel geben kön­nte. Genau wie es einen frühen Lern­prozess bei jun­gen Akteuren braucht, müssen auch Train­er und Eltern den Schied­srichter als einen Men­schen wahrnehmen, der seine Freizeit opfert, um den Spiel­be­trieb aufrechtzuer­hal­ten. Und das ohne Fans, ohne Dank für das Geleis­tete. Mit ein­er Sache dafür aber ganz bes­timmt: ein­er dick­en Haut.

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