Im März 2020 fährt Deutsch­land herunter. Das öffentliche Leben find­et kaum mehr statt, Kon­tak­tbeschränkun­gen sind in Kraft. Die über­wiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung fol­gt den harten Maß­nah­men, denn die Bedro­hung durch das neuar­tige Coro­n­avirus scheint akut zu sein. Jahrzehn­te­lange Prog­nosen zur Entwick­lung des Kli­mawan­dels hinge­gen find­en deut­lich weniger offene Ohren. Welche Gründe steck­en dahin­ter – und was lässt sich aus der einen für die andere Krise lernen?

Illus­tra­tion: Esther Wetzel

Dass wir Men­schen die Kurve der Infek­tion­szahlen gegenüber der Kurve des Tem­per­at­u­ranstiegs als wichtiger empfind­en, lässt sich evo­lu­tionär begrün­den, erk­lärt Dr. Mark Fren­zel vom Helmholtz-Zen­trum für Umwelt­forschung in Halle: „Es ging in der Men­schheits­geschichte lange darum, nicht weit­er als in die nahe Zukun­ft zu pla­nen, um etwa den näch­sten Win­ter zu über­ste­hen. Die Dimen­sion der Kli­makrise umfasst Jahrzehnte und Jahrhun­derte – so weit mussten wir noch nie voraus­denken.“ Hierzu­lande seien zudem noch keine Men­schen­leben durch den Kli­mawan­del konkret bedro­ht wor­den, außer die von sehr alten Men­schen in Hitze­som­mern. Fren­zel, der sich bei den Sci­en­tists for Future Halle engagiert, fasst zusam­men: „Die Kli­makrise ist in Deutsch­land immer noch rel­a­tiv abstrakt. Wälder, die in Kali­fornien bren­nen, sind weit weg von unserem Lebens­umfeld.“ Zahlre­iche Prog­nosen wie Ernährungskrisen, Massen­mi­gra­tion, sog­ar das Ende der men­schlichen Zivil­i­sa­tion auf der Erde, wie von den aus­tralis­chen Kli­maforsch­ern David Spratt und Ian Dun­lop im Mai 2019 vorherge­sagt, ord­nen viele Men­schen zudem in den Bere­ich Sci­ence Fic­tion ein.

„Wenn man den Leuten sagt, ihr dürft nicht nach Malle fliegen und kein Fleisch essen, erre­icht man vermut­lich eher einen gegen­läu­fi­gen Effekt“, erk­lärt Prof. Bernd Lep­low vom Insti­tut für Psy­cholo­gie der Uni Halle. (Foto: Ute Boeters)

Auch ein Virus ist zunächst abstrakt, nicht sicht­bar, eine Pan­demie war über Jahrzehnte kaum vorstell­bar. Den­noch nehmen viele Men­schen „Coro­na“ als eine Bedro­hung wahr, was sich, vor allem zu Beginn der Pan­demie im Feb­ru­ar und März 2020, in Ham­sterkäufen und Anfein­dun­gen gegen asi­atis­chstäm­mige Per­so­n­en offen­barte. „Unser Ver­hal­ten ist stark durch Anreize und Kon­se­quen­zen ges­teuert“, erk­lärt Bernd Lep­low, Senior­professor am Insti­tut für Psy­cholo­gie der Uni­ver­sität Halle. „Wenn ich unvor­sichtig bin, werde ich unter Umstän­den sofort krank. Und selb­st wenn ich nicht krank werde, stecke ich unter Umstän­den geliebte Men­schen an. Das geht mich per­sön­lich an, ich kann mich und andere schützen.“ In der Kli­makrise hinge­gen sei die Selb­st­wirk­samkeit
deut­lich geringer: „Wenn ich als Einzel­ner etwas an meinem Ver­hal­ten ändere, werde ich die Welt nicht ret­ten. Wenn alle Men­schen in Deutsch­land ihr Ver­hal­ten ändern, wer­den sie die Welt nicht ret­ten. Wenn alle Men­schen auf der ganzen Welt etwas verän­dern, gibt es vielle­icht eine Auswirkung.“

Infektionszahlen versus Klickzahlen
Hat vor, die Aktio­nen von Fri­days for Future zu den Land­tags- und Bun­destagswahlen in diesem Jahr zu unter­stützen: Dr. Mark Fren­zel vom Helmholtz-Zen­trum für Umwelt­forschung Halle.
(Foto: Kas­par Konrad)

Das enorme Bedürf­nis nach wis­senschaftlich­er Ori­en­tierung oder sog­ar Autorität in der Coro­na-Pan­demie spiegelt sich in den Abrufzahlen etwa des Pod­casts mit dem Virolo­gen Prof. Chris­t­ian Drosten von der Berlin­er Char­ité wider. Auf allen Ver­bre­itungswe­gen zusam­men erre­ichte „Das Coro­n­a­virus-Update“ alleine in den ersten vier Wochen, in denen der Pod­cast werk­täglich erschien, mehr als 15 Mil­lio­nen Aufrufe. Im Som­mer sanken die Aufruf- mit den Infek­tion­szahlen – und stiegen im Herb­st wieder mit ihnen an. Das Inter­esse ste­ht und fällt mit der Brisanz der Lage, analysiert Mark Fren­zel: „Den Drosten-Pod­cast wird es, wenn der Impf­stoff da ist und alles sich immer weit­er nor­mal­isiert, dann bald nicht mehr geben.“

Bräuchte es also erst Extremwet­ter­ereignisse ungekan­nten Aus­maßes in Deutsch­land, um Pub­likum für ein „Kli­makrisen-Update“ zu find­en? „Ein Kli­ma-Pod­cast würde nicht funk­tion­ieren wie der Coro­na-Pod­cast. Das The­ma Kli­makrise muss viel stärk­er über die Poli­tik in die Gesellschaft und die Medi­en kom­men“, so Mark Frenzel.

Zurzeit ist es eine Bewe­gung über­wiegend junger Men­schen, im Ursprung Schüler:innen, die das The­ma Kli­makrise am lautesten zu Gehör bringt. „Fri­days for Future haben mich enorm beein­druckt“, sagt Dr. Gre­gor Vul­turius. Von 2007 bis 2010 studierte er Sozi­olo­gie und Geo­gra­phie an der Uni Halle, bere­its damals lag sein Fokus auf dem The­ma Kli­ma. Heute arbeit­et er am Stock­holm Envi­ron­ment Insti­tute, einem weltweit führen­den Umwelt­forschungsin­sti­tut, das wis­senschafts­basierte Poli­tik- und Wirtschafts­ber­atung in Klima­fragen leis­tet. „Fri­days for Future haben es geschafft, dass der Kli­mawan­del in der gesamten Gesellschaft besprochen wird“, bilanziert der Wis­senschaftler, der regelmäßig nach Deutsch­land pendelt.

Zulet­zt demon­stri­erten Ende Sep­tem­ber 2020 weltweit etwa 200 000 Aktivist:innen im Rah­men des „Glob­alen Kli­mas­treiks“. Auch in Halle zogen nach Angaben der Organisator:innen etwa 2000 Per­so­n­en unter Ein­hal­tung von Hygien­evorkehrun­gen durch die Stadt. Die Kli­makrise find­et unum­strit­ten Beach­tung in der deutschen Gesellschaft, selb­st im Schat­ten der über­mächti­gen Coro­na-Krise. „Ein Indika­tor dafür ist, dass Kli­math­e­men in poli­tis­chen Stim­mungs­barom­e­tern ganz oben mit dabei sind und es sich eigentlich keine Partei mehr leis­ten kann, nichts dazu anzu­bi­eten“, stellt auch Mark Fren­zel fest.

Dr. Gre­gor Vul­turius arbeit­et am Stock­holm Envi­ron­ment Insti­tute sowohl an der Erforschung als auch an der Kom­mu­nika­tion des Kli­mawan­dels.
(Foto: Jes­si­ca Säll)

Wie muss aber eine wirkungsvolle Kom­mu­nika­tion der Kli­makrise ausse­hen? Gre­ta Thun­berg, die Begrün­derin von Fri­days for Future, und Luisa Neubauer, die promi­nen­teste deutsche Aktivistin der Bewe­gung, seien eigentlich gute Beispiele, find­et Gre­gor Vul­turius: „Sie machen nicht nur Angst, son­dern sie agieren lösungsorientiert.“

In der Coro­na-Krise sei das in Deutsch­land gelun­gen: Die über­wiegende Mehrheit der Bevölkerung hält sich an Maß­nah­men zur Eindäm­mung der Pan­demie. Ver­ant­wortlich dafür sei nicht zulet­zt die Bun­deskan­z­lerin: „Angela Merkel ist Wis­senschaft­lerin, und das merkt man auch“, so Vul­turius, der seine Dok­torar­beit über die Kom­mu­nika­tion des Kli­mawan­dels geschrieben hat. „Ihr sach­lich­er Ton hil­ft, skep­tis­che Men­schen zu überzeu­gen.“ Die zen­tralen Sätze in Merkels Fernse­hansprache am 18. März 2020 waren kurz und eingängig: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“

Radikalität versus Konstruktivität

Die Reden von Gre­ta Thun­berg und Luisa Neubauer mögen nicht nur dringlich sein, son­dern auch die besagte Kon­struk­tiv­ität bein­hal­ten. Radikale Straßen­proteste kön­nen diese Aspek­te jedoch meist nicht in bre­it­ere Gesellschaftss­chicht­en tra­gen, denn Radikalität sei nicht mehrheits­fähig, so Mark Fren­zel: „Wenn Extinc­tion Rebel­lion den Berlin­er Stadt­verkehr lahm­legt, sind viele Leute betrof­fen. In dem Moment sind die Men­schen aber wahrschein­lich weniger offen für die Beweg­gründe der Gruppe, son­dern ein­fach gen­ervt, weil sie eingeschränkt wer­den und zum Beispiel zu spät zur Arbeit kom­men. Damit ver­grätzt man die Men­schen eher. Da wir keine Ökodik­tatur haben oder anstreben, müssen wir in der Demokratie immer die Mehrheit mitnehmen.“

Psy­chologe Lep­low stimmt zu: „Wer Men­schen immer nur sagt, was sie nicht tun dür­fen, erzielt einen gegen­läu­fi­gen Effekt. Deshalb ist es bess­er zu sagen, was geht!“ Die Poli­tik müsse ein „Wir-Gefühl“ erzeu­gen: „‚Wir kön­nen es schaf­fen, einen Anstieg der Infek­tio­nen zu ver­hin­dern. Wir kön­nen Menschen­leben ret­ten.‘ Das ist viel effek­tiv­er als zu sagen, was die Men­schen alles nicht dür­fen.“ Gle­ich­es gelte für die Kom­mu­nika­tion der Kli­makrise, so Lep­low: „Man sollte nicht sagen, ‚ihr dürft kein Auto fah­ren, nicht nach Malle fliegen und kein Fleisch essen.‘ Auch dann gibt es ver­mut­lich eher einen gegen­läu­fi­gen Effekt.“

Während Kommunikator:innen der Coro­na-Krise die ungeteilte Aufmerk­samkeit von Mil­lio­nen direkt betrof­fe­nen Men­schen haben, müssen Kommunikator:innen der Kli­makrise sich diese erst erkämpfen. Die noch unge­bore­nen Gen­er­a­tio­nen, die mut­maßlich viel stärk­er vom Kli­mawan­del betrof­fen sein wer­den, kön­nen ihre Stim­men nicht erheben.

Die Fri­days-for-Future-Bewe­gung hat allerd­ings einen großen Vorteil: Wenn das eigene Kind oder Enkelkind für den Kli­maschutz auf die Straße geht, entste­ht eine starke Mit­tel­barkeit. „Damit mich ein The­ma ange­ht, muss es sich entwed­er direkt bei mir abspie­len oder es muss emo­tion­al­isiert wer­den“, bestätigt Psy­chologe Lep­low. „Die Coro­na-Sit­u­a­tion in Ital­ien im März wäre mir vielle­icht weniger nahege­gan­gen, wenn ich nicht im Fernse­hen die Bilder der Mil­itär­trans­porter in Berg­amo gese­hen hätte, die am Virus Ver­stor­bene abtrans­portieren.“ In der Kli­makrise könne die Emo­tion­al­isierung über eigene Kinder und Enkelkinder geschehen, deren Zukun­ft auch von der Entwick­lung des Kli­mas abhängt.

Am Franck­e­platz in Halle war­nen Plakate vor den Auswirkun­gen der Kli­makrise.
(Foto: Burkhard Seresse)
1,5‑Grad-Ziel versus Inzidenzwert

Die Wahrnehmung ein­er Krise allein reicht nicht – aus ihr müssen Tat­en fol­gen. Im Dezem­ber 2015 einigten sich fast 200 Staat­en im Paris­er Kli­maabkom­men darauf, die Erder­wär­mung auf max­i­mal 1,5 Grad Cel­sius im Ver­gle­ich zur vorindus­triellen Zeit zu beschränken. Wie dies jedoch geschehen soll, ist jedem Staat mehr oder weniger sel­ber überlassen.

In der Coro­na-Krise hat die Bun­desregierung einen Inzi­den­zw­ert von max­i­mal 50 als Ziel­rich­tung geset­zt. Maske tra­gen oder nicht, Abstand hal­ten oder nicht, ver­reisen oder zuhause bleiben – das sind konkrete, rel­a­tiv unkom­plizierte Tätigkeit­en, die eine direk­te Auswirkung haben. Auch Mil­liar­den­hil­fen für die Wirtschaft waren schnell in Aus­sicht gestellt, denn sie sind schwarz auf weiß fass­bar. „Poli­tik und Wis­senschaft haben in der Coro­na-Krise sofort an einem Strang gezo­gen, eine Koali­tion gebildet, wie man in der Poli­tik­wis­senschaft sagt“, bilanziert Gre­gor Vul­turius. Durch enge Zusam­me­nar­beit und Kom­mu­nika­tion wur­den in kürzester Zeit mehrere Impf­stoffe entwick­elt und zuge­lassen; noch im Dezem­ber 2020 erhiel­ten die ersten Men­schen in Deutsch­land eine Imp­fung gegen Covid-19. „In der Kli­makrise fehlt diese inten­sive und effek­tive Zusam­me­nar­beit noch“, beklagt der Klimaforscher.

Forschung, Entwick­lung und konkretes Tun sind jedoch nur die eine Seite der Medaille, find­et Vul­turius: Die Poli­tik müsse auch aufzeigen, was bere­its erre­icht wurde. „Deutsch­land wird im Aus­land oft viel pos­i­tiv­er wahrgenom­men, als die Deutschen es sel­ber tun. Wir brauchen pos­i­tive enforce­ment, müssen zeigen, so weit haben wir es schon geschafft.“ So arbeit­en in den Erneuer­baren Energien in Deutsch­land mehr als 300 000 Men­schen, während in der Kohlein­dus­trie noch 40 000 tätig sind. „So etwas müsste man eigentlich jeden Tag von den Däch­ern schreien“, find­et Vul­turius und nen­nt noch ein weit­eres Beispiel: „Ohne Deutsch­land wären wir weltweit bei den Erneuer­baren Energien nicht da, wo wir sind. Deutsch­land hat die Entwick­lung und Vergü­tung von Erneuer­baren Energien entschei­dend vor­angetrieben, sodass Chi­na ange­fan­gen hat, Solarzellen gün­stiger zu produzieren.“

In Bezug auf die Coro­na-Krise ist diese pos­i­tive Kom­mu­nika­tion bere­its zu beobacht­en: So wies Bundeskanz­lerin Angela Merkel in ihrer Neujahrs­ansprache am 31. Dezem­ber 2020 aus­drücklich darauf hin, dass neben einem Schnell­test auch ein Impf­stoff in Deutsch­land entwick­elt wor­den sei.

Hoffnung versus Beunruhigung
Anfang März 2020 informiert die Deutsche Bahn am Berlin­er Haupt­bahn­hof über das neue Coro­n­avirus.
(Foto: Burkhard Seresse)

Auch wenn es eine Floskel ist: In der Krise kann auch eine Chance steck­en. „Nach Coro­na kann man irgend­wann sagen: Wir nehmen jet­zt die näch­ste große Krise in Angriff“, so Vul­turius. Die düsteren Szenar­ien und Prog­nosen der Kli­makrise, von denen viele bere­its einge­treten oder übertrof­fen wor­den seien, dürfe man dabei nicht als Argu­ment sehen, alle Bestre­bun­gen ernüchtert aufzugeben, warnt Mark Fren­zel. „Wir dür­fen die Hoff­nung nicht ver­lieren, dass wir nicht doch etwas bewirken kön­nen. Es ist erstaunlich, welche Krisen die Men­schheit immer wieder gemeis­tert hat.“

Das gibt Zuver­sicht. Doch es bleibt dabei: Die Zeitachse und die Lösungsmöglichkeit­en von Kli­ma- und Coro­n­akrise unter­schei­den sich erhe­blich. „Coro­na wird in zwei bis drei Jahren durch Impf­stoffe erledigt sein“, prog­nos­tiziert Kli­maforsch­er Gre­gor Vul­turius. „Der Kli­mawan­del ist viel kom­pliziert­er und wird uns über Jahrhun­derte beschäfti­gen.“ Pan­demien kön­nten zusät­zlich – und zwar im Zuge des Kli­mawan­dels und der damit ver­bun­de­nen Bio­di­ver­sität­skrise – in Zukun­ft ver­mehrt auftreten. Davor warnte der Welt­bio­diversitätsrat IPBES im Okto­ber 2020 und zog direk­te Zusam­men­hänge zwis­chen dem men­schlichen Ein­greifen in die Natur und der Entste­hung der Corona-Pandemie.

Plaka­tiv aus­ge­drückt: Wir kön­nen keinen Abstand zum Meere­sanstieg hal­ten, besitzen keine Masken für tauende Gletsch­er, kön­nen keinen Lock­down gegen den Tem­per­at­u­ranstieg ver­hän­gen – und einen Impf­stoff für das Kli­ma wird es auch nicht geben. Nicht nur eine Vorstel­lung, son­dern eine Tat­sache, die Anlass zur Beun­ruhi­gung bietet.

0 0 vote
Arti­cle Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments