Die Online-Lehre an der Uni Halle läuft jetzt schon seit mehr als einem Monat. Wie gehen die Lehrenden mit der Krise um? Ein Blick hinter die Kulissen verschiedener Fakultäten.
Michael Germann sitzt vor einer weißen Wand. Er trägt Hemd und Jackett. Mehr kann man nicht sehen. Zuhause sei er. Zuhause, das ist unser aller neuer Arbeitsplatz. Germann ist Professor für Öffentliches Recht und hält in diesem Semester Vorlesungen wie zum Beispiel Gefahrenabwehrrecht. Wenn man überhaupt von Vorlesungen sprechen kann. Ihr eigentlicher Kern, die Diskussion zwischen Studierenden und den Lehrenden, geht momentan irgendwo zwischen einem Home-Office und dem anderen verloren. Online-Vorlesungen, so Germann, können kein Ersatz für Präsenzveranstaltungen sein. „Das ist etwas ganz anderes“, sagt er „zum Teil aber auch intensiver.“ Durch den schriftlichen Austausch – etwa beim Einsenden von Falllösungen – könne viel genauer gearbeitet werden, als das in einer Situation mit vielen Hörern möglich sei. „Der schriftliche Austausch kostet aber auch viel mehr Zeit.“, ergänzt er.
Germann zeichnet seine Veranstaltungen von zu Hause aus auf, er geht nicht – wie einige seiner anderen Kolleg:innen – in den leeren Hörsaal und hält dort eine Geistervorlesung nach der anderen. Diese Möglichkeit gab es natürlich auch, sagt er, zumal er schon in den letzten Semestern einige Vorlesungen – damals noch mit Publikum – aufgezeichnet hatte. Das ist jetzt von großem Nutzen, er kann manche davon einfach erneut hochladen. Der Aufwand sei trotzdem groß und die Umstellung deutlicher als gedacht. Demensprechend gerne werde er auch wieder in den Hörsaal zurückkehren, wenn die Beschränkungen nicht mehr gelten.
Es gibt dieser Tage viele verschiedene Ansätze, wie man die Online-Lehre gestalten kann. Da wäre die bereits erwähnte Geistervorlesung, die Vorlesungsaufzeichnung von zu Hause oder die Vertonung von PowerPoint-Folien. Manche Professor:innen probieren sich auch im Erschaffen eines Podcasts und andere stellen nur die Folien ins Internet, die sie auch sonst hochladen. Der Lehrauftrag wird, wie schon immer, sehr verschieden interpretiert. Germann erläutert: „Wir versuchen Lehrveranstaltungen zu machen, bei denen der Inhalt gut rüberkommt. Es ist jedem klar, dass es nicht die eine Patentlösung für alle gibt. Auf beiden Seiten ist es auch stark von den individuellen Zugängen und Möglichkeiten abhängig.“
Für Professor Germann gibt es keine Punkte der Online-Lehre, auf die man schon früher hätte kommen können. Nur die Aufzeichnung der Vorlesungen will er, wenn Präsenzveranstaltungen wieder möglich sind, systematischer machen. Solange die noch nicht möglich sind, gelte es die Angebote zu nutzen und auch auf sie zu reagieren. „Wenn man so allein am Computer in die Kamera arbeitet, ohne die direkte Rückkopplung im Hörsaal, dann sind Rückmeldungen über E‑Mail umso wichtiger.“, sagt Germann. Das könne in Form von Kritik sein oder auch als Kommentar, dass etwas gut ankommt, als E‑Mail oder Beitrag in einem Forum.
Probleme in der Praxis
Susanne Voigt-Zimmermann hat keine Probleme mit zu wenig Rückmeldungen. Sie sitzt in einem weiten Zimmer in Bernburg. Im Hintergrund befindet sich ein Regal und etwas, das aussieht wie eine Büste. Sie ist Direktorin der Abteilung Sprechwissenschaft und Phonetik. Ein Studiengang, der sich im Rahmen der Kleine Fächer-Woche letztes Jahr präsentieren konnte und der dementsprechend verhältnismäßig wenig Studierende hat. Ein Vorteil gegenüber anderen Studiengängen. Sprechwissenschaften ist aber auch ein relativ praxisorientiertes Fach. „Wir mussten erst schauen, wie sich Stimmbildung, Sprecherziehung, Rhetorik über digitale Medien umsetzen lassen. Da kommen wir an unsere Grenzen.“, sagt Voigt-Zimmermann. Lachend ergänzt sie dann aber: „Wir haben einen sehr starken Corps-Geist und ein sehr enges Verhältnis zu unseren Studierenden. Wir sind dafür bekannt, dass Probleme angepackt und gelöst werden. Wir stehen in engem Kontakt mit den Studierenden und haben auch mit ihnen immer wieder an unseren Lösungen gefeilt und nachjustiert, wo noch nicht alles geklappt hat.“
Sie erzählt von einer Kollegin, die normalerweise in der Sporthalle am Weinbergweg Körper-Stimmtraining gibt. Seit der Schließung ist das nicht mehr möglich. Kurzerhand beschloss ihre Kollegin dann das Training auf die Ziegelwiese zu verlegen. Unter den entsprechenden Hygienemaßnahmen war das möglich.
Wie es weitergeht, ist ungewiss. Keiner kann Langzeitpläne schmieden. Nicht die Professor:innen, nicht die Universität, nicht die Landes- oder Bundesregierung. Es mache keinen Sinn, sagt auch Voigt-Zimmermann, zu glauben, es würde bald wieder alles normal werden. Für die nahe Zukunft werden jetzt Konzepte für Präsenzveranstaltungen erarbeitet, hauptsächlich für die Räume in denen diese stattfinden sollen. Eng werde da zusammengearbeitet mit der Abteilung Arbeitsschutz und dem Prorektorat für Forschung und Lehre. Das Prorektorat hatte in den letzten Wochen alle Fakultäten gebeten eine Priorisierung der Lehrveranstaltungen einzureichen. Vier Kategorien gibt es. Deren Spektrum reicht von Veranstaltungen, bei denen die Weiterführung online keine Probleme bereitet bis zu Veranstaltungen, bei denen Präsenz unverzichtbar ist.
Zusätzlich seien die Eignungsprüfungen schwieriger geworden. Voigt-Zimmermann erklärt, es sei schlicht nicht möglich gewesen, 80 Einzelsitzungen online abzuhalten, und so wurden die Bewerber:innen gebeten, Videos einzusenden. Das sei natürlich eine ganz andere Situation als normalerweise vor einer Jury, aber auch hier gäbe es Vor- und Nachteile. Man könne sich zum Beispiel mehr auf Einzelheiten fokussieren und hätte eine andere Möglichkeit der Beobachtung. So lasse sich diese Krise auch als Chance begreifen. „Wer weiß, wann wir diese neuen konzeptuellen Überlegungen angestrengt hätten, wenn nicht Covid-19 gekommen wäre.“, sagt Voigt-Zimmermann. Um das zu untermalen, zieht sie noch einen geschichtlichen Vergleich. „Wenn ich mich an das letzte Semester kurz vor dem Mauerfall erinnere, war da so viel Aufruhr, dass auch manche Lehre nicht normal stattfinden konnte und jetzt bin ich hier als Professorin. Dass so ein Semester plötzlich anders verläuft als geplant, heißt nicht, dass das nicht auch viele Energien freisetzt und auch neue Wege ermöglicht. Die versuchen wir zu gehen, aber dennoch ist uns auch klar, dass wir erst zurückblickend sagen können, ob das erfolgreich war oder nicht.“
Viel größerer Arbeitsaufwand
Ob sein Weg erfolgreich ist, kann auch Patrick Vonderau nicht mit abschließender Sicherheit sagen. Es deutet jedoch viel darauf hin. Vonderau ist Abteilungsleiter für Medien- und Kommunikationswissenschaften und seit 2018 Professor an der Uni Halle. Er hat für seine Vorlesungen jeweils eine eigene Website erstellt. ILIAS sei nicht ansprechend. Dazu kommt ein Podcast und die eigentliche Vorlesung als Video mit Präsentation und filmischen Elementen. „Der Arbeitsaufwand“, sagt er „ist enorm. Für eine Einheit brauche ich zwei Tage.“ Am Anfang stand auch die Schwierigkeit, sich für eine Technik zu entscheiden und sich dann in diese einzuarbeiten. Es gab, so Vonderau, ein enormes Überangebot, mit dem das Zentrum für multimediales Lehren und Lernen (LLZ) der Uni Halle die Professor:innen begrüßte. Zu viel Technik und zu wenig Fachdidaktik sei ein anfängliches Problem gewesen. Dafür bekommt er aber nun viel positive Rückmeldung von seinen Studierenden und kann durch Umfragen, die explizit auf Lehrinhalte zielen, relativ genau sehen, wie die Veranstaltungen ankommen und wahrgenommen werden. Dadurch entsteht auch eine andere Verbindung mit den Studierenden, die im normalen Vorlesungsbetrieb so nicht möglich wäre.
Dass das Fach Medien- und Kommunikationswissenschaften einen Vorteil gegenüber anderen hätte, sieht Vonderau nicht. Im Gegenteil. „Die Tatsache ist natürlich, dass die Probleme für uns genau die gleichen sind wie für alle anderen. Unser Problem ist noch ein größeres, wenn wir das wirklich ernst nehmen als Herausforderung. Wir als Medienwissenschaftler sind natürlich immer selbst dazu angehalten, die Medien selbst zu reflektieren.“ In allen seinen Vorlesungen müsse er sich natürlich fragen, wie mit dem Stoff medial umzugehen sei. „Insoweit würde ich nicht denken, dass wir eine Patentlösung haben, nur weil wir auf den Gegenstand Medien verdammt sind.“
Für ihn ist jedoch auch klar: „Auf lange Zeit ist die Online-Lehre nicht gesund und man kann auch auf Präsenz-Lehre nicht verzichten. Da würde ich diesem politisch-ökonomischen Argument, dass sich mit der Online-Lehre auch viel einsparen ließe, gleich einen Riegel vorschieben. Diese Art von lebendiger Interaktion ist nicht zu ersetzen.“ Ein weiterer Kritikpunkt, der auch von den Studierenden komme, ist die fehlende Einheitlichkeit der Lehre. Es müsse, so Vonderau, eine Vereinheitlichung der Angebote innerhalb der Fakultäten geben.
Föderalismus in klein
Einheit besteht aber interfakultativ in einer anderen Frage. Die Uni Halle startete schon am sechsten April in die Online-Lehre – vergleichsweise früh im Gegensatz zu anderen Universitäten. Das sei aber die richtige Entscheidung gewesen, lassen Germann, Voigt-Zimmermann und Vonderau unabhängig voneinander verlauten. „Es war ein gutes Gefühl, in einer so schwierigen Situation auch proaktiv sein zu können.“, erklärt Voigt-Zimmermann.
Eine Patentlösung kann es nicht geben. Und so geht jede Fakultät und jede:r Professor:in einen eigenen Weg, auf der Suche nach einer zufriedenstellenden Übermittlung der Lehrinhalte in unsicheren Zeiten. Ein bisschen wie der Föderalismus aus Deutschland einen Flickenteppich an Eindämmungsmaßnahmen gemacht hat, machen das Überangebot an Technik und die individuelle Suche nach Lösungen die Online-Lehre zu einem Urwald an Angeboten und Plattformen. Wie eigentlich überall bietet die Corona-Krise auch bei der Online-Lehre Chancen. Ersatz für die Präsenz-Lehre, da sind sich wohl alle einig, kann sie aber nicht sein.