Zwei Gen­er­a­tio­nen von Klimaaktivist:innen trafen an diesem Mittwoch in Halle zusam­men: Katrin Göring-Eckardt begleit­ete bere­its die Fusion von Ost- und West-Grü­nen, Jakob Blasel ist Aktivist der ersten Stunde bei Fri­daysfor Future und möchte für die Grü­nen in den Bun­destag einziehen. Doch wie eng ste­hen die unter­schiedlichen Protest-Gen­er­a­tio­nen beieinan­der? 

„Es hängt alles davon ab, wer nach der näch­sten Wahl im Par­la­ment sitzt“, stellt Jakob Blasel fest. „Die näch­ste Regierung wird die Rich­tung bes­tim­men, die Deutsch­land klimapoli­tisch ein­schlägt. Deshalb will ich nicht mehr länger nur zuschauen, son­dern sel­ber aktiv werden.“ 

Etwa 150 Per­so­n­en haben sich an diesem Abend im Freyling­hausen-Saal der Franck­eschen Stiftun­gen einge­fun­den. Auf­grund der pan­demiebe­d­ingten Abstand­sregeln bedeutet das, die Plätze sind fast voll­ständig beset­zt. Einge­bet­tet ist das Aufeinan­dertr­e­f­fen der Grü­nen-Frak­tionsvor­sitzen­den im Bun­destag mit dem 19-jähri­gen Aktivis­ten in die Ver­anstal­tungsrei­he „Per­sön­lichkeit­en im Gespräch“ der Franck­eschen Stiftungen. 

Auch Katrin Göring-Eckardt sieht die Bun­destagswahl im Okto­ber 2021 als rich­tungsweisend an. „Wir müssen klarstellen, dass die Prob­leme real sind und nicht nur eine grüne Idee“, so die 1966 geborene Thüringerin. Bei den Koali­tionsver­hand­lun­gen mit CDU/CSU und FDP im Herb­st 2017, die let­z­tendlich scheit­erten, habe sie das bere­its in har­ter Arbeit getan, so Göring Eckardt. „Das Beson­dere an dieser Wahl wird sein, dass wir uns als Grüne zum ersten Mal die Mehrheit der Stim­men als Ziel set­zen. Wir wollen nicht mehr das kleine Add-on sein, nicht mehr nur die Klima-App.“ 

Von der Straße in den Bundestag 

Einen Beitrag dazu leis­ten kön­nte ein Schul­ter­schluss mit Fri­days for Future. Luisa Neubauer, oft beze­ich­net als das deutsche Gesicht der Bewe­gung, besitzt ein grünes Parteibuch, möchte aber nach eigen­er Aus­sage kein poli­tis­ches Amt bek­lei­den. Doch nun wollen sich Aktivist:innen von Fri­days for Future erst­mals um Par­la­mentskan­di­da­turen für die Grü­nen bewer­ben. Jakob Blasel ist seit 2017 Grü­nen-Mit­glied, ein Jahr später baute er in sein­er nord­deutschen Heimat die Orts­gruppe Kiel von Fri­days for Future mit auf und engagierte sich auch auf Bun­de­sebene in der Bewe­gung. Bei der kom­menden Bun­destagswahl möchte Blasel über die schleswig-hol­steinis­che Grü­nen-Lan­desliste für das Par­la­ment kan­di­dieren, er rechne sich gute Chan­cen aus, sagt er an diesem Abend. 

Aus den Rei­hen von Fri­days for Future lässt sich dur­chaus auch Skep­sis über diese Ambi­tio­nen her­aushören. „Gerät nicht die Über­parteilichkeit der Bewe­gung in Gefahr, wenn einzelne Mit­glieder für Parteien kan­di­dieren?“, möchte ein Aktivist der hal­lis­chen Orts­gruppe von Fri­days for Future von Blasel wis­sen. Die Über­parteilichkeit sei charak­ter­isierend für die Bewe­gung, stellt Blasel daraufhin klar. „Aber wenn wir an die Poli­tik appel­lieren, etwas zu tun, müssen wir früher oder später auch sel­ber Poli­tik machen. Entschei­dun­gen wer­den in den Par­la­menten getrof­fen und auch hin­ter ver­schlosse­nen Türen.“ Es man­gele zurzeit an Men­schen, die von der Straße auch in diese Bere­iche vor­drin­gen woll­ten, schließt Blasel. 

Die Zahl der Aktivist:innen, die sich parteipoli­tisch engagieren, ist niedrig. Den­noch ist die Sorge um eine Abwan­derung führen­der Per­sön­lichkeit­en aus der Bewe­gung nachvol­lziehbar; sie lebt ja ger­ade von starken Charak­teren, die gegenüber ihren Anhänger:innen ein Vor­bild abgeben und zur Poli­tik als autorisierte Vertreter:innen der Bewe­gung frei von Parteipoli­tik sprechen kön­nen. „WELT“ berichtet, neben Blasel seien zumin­d­est vier weit­ere Aktivist:innen der Bewe­gung Fri­days for Future in Ver­hand­lun­gen um Bun­destags-Kan­di­da­turen – zwei mit den Grü­nen und jew­eils eine:r mit der Linkspartei und der SPD. 

Foto: Burkhard Seresse
Zwei verschiedene Grüntöne 

Jakob Blasel betont an diesem Abend, er trete in dem Gespräch wed­er als Vertreter von Fri­days for Future auf, noch als Grü­nen-Poli­tik­er; er sei Kli­maak­tivist. Damit stellt er nicht die Zuge­hörigkeit zu ein­er größeren Insti­tu­tion, son­dern seine poli­tis­chen Ziele in den Vorder­grund – und die sind eben nicht gle­ichzuset­zen mit einem Parteipro­gramm. Der Druck der Straße ist entschei­dend, weiß er: „Es waren wohl seit der friedlichen Rev­o­lu­tion noch nie so viele Men­schen auf der Straße wie beim Glob­alen Kli­mas­treik im let­zten Jahr.“ 1,4 Mil­lio­nen waren es am 20. Sep­tem­ber 2019 in Deutsch­land. Doch Blasel hat offen­bar ver­standen, dass er noch andere Mit­tel benötigt, um an seinen Zie­len zu arbeit­en, und dass das eine Partei sein kann. 

Die Partei der Grü­nen formierte sich in den Siebziger­jahren als Zusam­men­schluss divers­er Inter­essens­grup­pen. Das Dach ein­er Partei ermöglichte es, gemein­sam in Par­la­mente einzuziehen. War Kli­maschutz zu Beginn nur ein The­ma von mehreren, hat es sich schnell als das zen­trale Anliegen der Grü­nen herauskristallisiert. 

Fri­days for Future ste­ht seit sein­er Entste­hung unverkennbar für dieses eine The­ma. Kön­nen die ver­schiede­nen Protest-Gen­er­a­tio­nen mit so unter­schiedlichen Hin­ter­grün­den auf ein­er Ebene zusam­me­nar­beit­en? „Ich hoffe, dass Aktivist:innen uns das Leben schw­er machen“, stellt die Frak­tionsvor­sitzende Göring-Eckardt ohne Zögern klar, „im pos­i­tiv­en Sinne.“ Es brauche Men­schen, die deut­lich macht­en, wie drama­tisch sich die Kli­makrise bei aus­bleiben­dem Han­deln zus­pitzen würde. Dabei gin­ge es auch um die Vor­bild­funk­tion Deutsch­lands: „Wir müssen zeigen, dass wir es ernst meinen.“ 

„Grün-Rot-Rot wäre am günstigsten“ 

Auch wenn die Bun­destagswahl erst in 13 Monat­en stat­tfind­et, kann Mod­er­a­tor Rein­hard Bärenz, Chef von MDR Kul­tur, es sich nicht verkneifen zu fra­gen, wie es nach der Wahl weit­erge­hen solle. „Na, mit uns bei­den“, scherzt Göring-Eckardt und deutet auf Blasel. Der hat dur­chaus konkrete Vorstel­lun­gen: „Ich denke, die gün­stig­ste Kom­bi­na­tion wäre eine grün-rot-rote Regierung“, sagt dieser, „auss­chließen möchte ich aber nichts, wir wer­den mit allen demokratis­chen Parteien ver­han­deln.“ Göring-Eckardt lässt sich auf so konkrete Über­legun­gen nicht ein: „Die Frage nach möglichen Koali­tio­nen wer­den wir nach der Wahl beant­worten und zwar sehr kühl.“ An dieser Stelle wird deut­lich, dass die eine als Parteipoli­tik­erin mit mehr als 30 Jahren Poli­tik-Erfahrung spricht, der andere noch stärk­er als Aktivist ein­er über­parteilichen Bewegung. 

Einig sind sich die bei­den jedoch, sobald sie auf mögliche Ver­hand­lun­gen mit einem CDU-Spitzenkan­di­dat­en Söder, Laschet oder Merz ange­sprochen wer­den: „Das ist wahrlich nicht mein Traum“, stellt Göring-Eckardt fest. „Mein­er auch nicht“, pflichtet Blasel ihr bei, was das Pub­likum hör­bar mit Erheiterung quittiert. 

Was sein Plan B sei, wenn die Kan­di­datur nicht gelinge, will der Mod­er­a­tor noch wis­sen. Blasel richtet eine Gegen­frage an das Pub­likum: „Ich bin 19 – haben Sie damals länger geplant?“ Er wolle zunächst die Kandidat:innen-Aufstellung der Grü­nen in Schleswig-Hol­stein abwarten, fährt Blasel fort, darüber hin­aus plane er noch nicht. „Ich werde mich so oder so für diese Wahl engagieren. Und allzu viel ver­lieren kann ich bei ein­er Kan­di­datur nicht.“ 

Auf Augenhöhe 

Die Dringlichkeit ihres gemein­samen Anliegens haben die bei­den Politiker:innen an diesem Abend bei­de klar zur Sprache gebracht. In ihrer Wort­wahl unter­schei­den sich Parteipoli­tik­erin und Aktivist erstaunlich wenig, for­mulieren gle­icher­maßen drastisch. „Wir müssen jet­zt mit aller­größter Radikalität so schnell wie möglich han­deln“, kon­sta­tiert Göring-Eckardt nach ein­er Stunde Gespräch. Blasel pflichtet ihr bei, möchte nur ein Wort ändern: „So schnell wie nötig.“ Göring-Eckardt nickt zustimmend. 

Längst sind die Grü­nen nicht mehr der lockere, alter­na­tive Zusam­men­schluss der Siebziger­jahre. Aber auch Fri­days for Future ist nach zwei Jahren mehr als eine weltweite Bewe­gung. Partei und Bewe­gung sind und bleiben grundle­gend unter­schiedlich, und doch gelingt es ihnen, einan­der Impulse zu geben, voneinan­der zu ler­nen und – das ist der entschei­dende Punkt – im Angesicht der Kli­makrise in engem Schul­ter­schluss zu ste­hen. Katrin Göring-Eckardt und Jakob Blasel, zwei Gen­er­a­tio­nen unter­schiedlich­er Protest­be­we­gun­gen, begeg­nen sich an diesem Abend auf Augen­höhe, geben ein Beispiel dafür, dass das „Team“, als das Göring-Eckardt ihre Partei sieht und das mehr und mehr die Bewe­gung Fri­days for Future umschließt, tat­säch­lich existiert. Das gibt Hoffnung. 

  • Das Gespräch von Rein­hard Bärenz mit Katrin Göring-Eckardt und Jakob Blasel wurde aufgeze­ich­net und ist am Dien­stag, 29. Sep­tem­ber 2020, ab 22 Uhr auf MDR Kul­tur zu hören. 
  • Fri­days for Future ruft an diesem Fre­itag, 25. Sep­tem­ber, unter dem Mot­to „Kein Grad weit­er“ zum Glob­alen Kli­mas­treik auf, bei dem rund um die Welt Kundge­bun­gen geplant sind. Der Protest in Halle soll um 12 Uhr mit einem Auftritt der Berlin­er Sän­gerin Dorothea Kehr alias Dota begin­nen. Ab 13 Uhr wird ein Demon­stra­tionszug durch die Stadt ziehen und gegen 15 Uhr die Lud­wig-Wucher­er-Straße erre­ichen. Bis 18 Uhr beschließt ein Straßen­fest unter dem Mot­to „LuWu Frei(t)räumen“, an dem auch der ADFC Halle beteiligt ist, den Kundge­bungstag in Halle. 
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