Bund und Länder treffen sich erneut zu einer Krisensitzung. Die zweite Welle ist noch immer nicht gebrochen. Der Lockdown hält an und der Inzidenzwert — auch hier in Halle — fällt nur langsam. Die Entscheidung an Präsenzklausuren festzuhalten, erscheint da zumindest diskussionswürdig. Eine Stellungnahme.
Für uns alle ist das die erste Pandemie. Der Streit darüber, was erlaubt sein darf und muss, ist wichtig. Dass nicht alles getan werden sollte, was erlaubt ist, ist klar. Und gerade in dieses Spannungsverhältnis fallen die Entscheidung des Landes, angesetzte Präsenzklausuren zuzulassen, und die der Universität, sie auch durchzuführen. Eine Entscheidung die angesichts einer Inzidenz von über 200 Infektionen pro 100.000 Einwohnern (und über 300 bei Erlass der Verordnung) zumindest fragwürdig erscheint.
Zahlreiche Studierende sind hiervon betroffen. Angehende Mediziner:innen, Rechtswissenschaftler:innen und Sportwissenschaftler:innen, um nur ein paar zu nennen, stehen alle vor einer schweren Entscheidung: Schreiben sie die angebotenen Klausuren mit und setzen sich einem Infektionsrisiko aus? Oder bleiben sie zu Hause, minimieren das Risiko einer Ansteckung, aber müssen die Klausur irgendwann nachholen? Wer, außer Karl Lauterbach, sagt eigentlich, dass der Sommer besser wird? Wer kann versprechen, dass nicht wieder wichtige Umstellungen verschlafen werden und uns ein nächster Krisenwinter droht? Einer, in dem Studierende vor das gleiche Dilemma gestellt werden.
Man bemüht sich
Man muss der Universität eine Sache lassen. Sie bemüht sich. Wer hinter den Kulissen mit Dozierenden spricht, bekommt das Gefühl, dass die Probleme der Studierenden ernst genommen werden. Die Prüfungsämter haben mit der Uni zusammen Hygienekonzepte entwickelt, unter deren Einhaltung Präsenzklausuren möglich sein sollen. Das juristische Landesjustizprüfungsamt (LJPA) hat zumindest die Praktikumszeiten angepasst. Mit den verschobenen Semesterzeiten können erstmals auch Praktika ein paar Wochen in die Vorlesungszeit hineinreichen. Dem Wunsch, die gesamte Vorlesungszeit für Praktika freizugeben, wurde nicht nachgekommen.
Es fehlt vor allem auch an ausreichender Kommunikation und Transparenz zwischen Universität und Studierenden. Wer ist verantwortlich? Zunächst sind das die universitären Prüfungsämter. Auf der Website des juristischen Prüfungsamtes zum Beispiel erfährt man von der Abwägung, die es – und in ähnlicher Weise wahrscheinlich auch die anderen – in enger Zusammenarbeit mit Fakultätsleitung, LJPA und Rektorat vorgenommen hat. Neben dem Infektionsschutz sei auch noch das Recht auf Prüfung und der elementare prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit zu berücksichtigen. Hierbei geht es um Klausuren, die nicht unter einer Teilnahmepflicht stehen. Sie sind lediglich ein Angebot. Bestanden werden müssen sie natürlich trotzdem irgendwann.
Es gibt sicherlich viele Studierende, die froh sind, dass Prüfungen angeboten werden. Aber es ist fraglich, warum sie nicht online stattfinden können. Die Expertise gibt es an der Universität, im Wirtschaftswissenschaftlichen und auch im Soziologischen Bereich wurden schon Online-Prüfungen durchgeführt. Andere Universitäten, wie die Universität Passau, schaffen es zum Beispiel auch im juristischen Bereich, Klausuren digital durchzuführen. Aber haben die Prüfungsämter der MLU überhaupt Entscheidungsmacht über das „Wie“ der Klausurdurchführung?
Blockiert das Land?
Das Problem scheint eher an anderer Stelle zu liegen. Oft sind Online-Prüfungen nicht möglich, weil die vom Land erlassenen Verordnungen es nicht zulassen. So zumindest im juristischen Bereich. Fraglich bleibt, warum nicht schon im Laufe des vergangenen Jahres darauf reagiert wurde. Hat man die nötigen Veränderungen verschlafen oder will man schlicht nicht nachjustieren? Schon Ende des Sommers war klar, dass es ein Winter mit sehr hohen Infektionszahlen werden würde.
Dem Prüfungsamt scheinen folglich die Hände gebunden zu sein. Ob man die Prüfungen wirklich hätte stattfinden lassen dürfen, bleibt aber umstritten. Es gibt nicht wenige Studierende, die sich wohl durch diese Entscheidung unter Druck gesetzt fühlen. Darunter viele, die aus Vorerkrankungsgründen oder weil sie (wieder) bei ihrer Familie leben, nicht mitschreiben wollen oder können. Am Ende ist es, wie das Prüfungsamt mitteilt, eine Frage des Abwägens. Keiner hat gesagt, eine Pandemie würde uns nur mit einfachen Entscheidungen konfrontieren. Es bleibt abzuwarten, ob es die richtige Entscheidung war. Ein neuer gesetzlicher Rahmen muss jedenfalls geschaffen werden. Wir wissen nicht, wie sich die Pandemie weiterentwickelt und was uns noch bevorsteht. Nochmal so unvorbereitet zu sein, könnte erneut fatale Auswirkungen haben.
Unseren Artikel aus dem Dezember über Präsenzveranstaltungen findet ihr unter dem Titel „Chaos oder vorbereitet?“.
Titelbild: Nathan Dumlao