Ein möglicher Impfstoff ist auf den Weg gebracht worden und dennoch wird uns Corona noch eine Zeit lang stetig begleiten. Für viele Branchen, Berufsstände und Einrichtungen stellt die Pandemie eine noch nie dagewesene Herausforderung dar. Was passiert eigentlich mit der Kunst und den Schaffenden ihrer Zunft, wenn plötzlich allen die Einnahmen wegbrechen?
Egal ob Theater, Museum oder Ausstellung: der Drahtseilakt auf den Hygieneverordnungen bescherte den Kultureinrichtungen einen gehörigen Besucher- und Zuschauerschwund. Tontechniker, Schauspieler, Lichtingenieure und Tour-Crews: sie sind nur einige der Leidtragenden und seit April ohne Aussicht auf ein umfassendes Rettungspaket von Seiten der Bundesregierung. Im Oktober formierte sich mit „Alarmstufe Rot“ eine Vereinigung von Schaffenden ebendieses Bereiches. Immer regelmäßiger gehen sie in Berlin auf die Straße und demonstrieren für ein Hilfspaket. Es liegt ein Jahr der fehlenden Einnahmen hinter diesen Menschen, und was 2021 kommt, ist ungewiss.
In Halle ist die Situation nicht bedeutend anders gelagert. Dennoch präsentiert man seit dem 9. November Kunst am Bau, zur Verschönerung der Altstadt-Spitze von Halle, konkret am Rewe-City Hallmarkt. Hier haben fünf Künstler Exponate und Plastiken in den Schaufenstern installiert. Die Werke haben einen Bezug zu Halle und spenden dem einen oder anderen vielleicht Hoffnung, dass es bald wieder so etwas wie Normalität in der Szene geben könnte. Aber hat diese Pandemie auch gute Seiten?
Sorgt Corona vielleicht für eine stärkere Lobby der Kunst? Gewinnt die Kultur in der Gesellschaft wieder mehr an Bedeutung? Ich spreche mit einem der „Spitze(n)künstler“ darüber, und zwar mit Günter Giseke. Er ist seit 1985 freiberuflich als Maler tätig. Sein neuestes Werk nennt er „Flugobjekte“. Er verbindet damit keineswegs nur maschinelle oder technische Objekte. Vielmehr könnten „Flugobjekte auch Gedanken sein“. Gedanken, die auch über die Zeit nach Corona schweifen …
„Ohne Kultur wird es kalt und düster in unserem Land. Und der Winter kommt erst noch“, das sagte Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Linken im Bundestag, am 26. November bei einer Parlamentsdebatte, wo es um die Verteilung der Novemberhilfen ging. Mit dem Zitat im Hinterkopf: Wie kann denn Kunst den Menschen helfen, mit so einer Pandemie klarzukommen, oder überspitzt gefragt: Warum ist Kunst systemrelevant?
Das ist sehr gut gesagt von Dietmar Bartsch, weil die Kunst die Psyche des Menschen bedient. Ob das nun bildende Kunst, Theater, Malerei, Musik oder Literatur ist, das sind Bereiche, die der Mensch zum Leben braucht. Nur vom Essen und Trinken kann er nicht leben. Sondern er hat auch Gefühl und Seele, und für diesen Bereich ist die Kunst zuständig. Und das macht sie in meinen Augen auch wichtig. Natürlich braucht der Schauspieler auch seine Bühne mit den Zuschauern davor. Ein Maler ist im Atelier sowieso immer alleine mit seinem Bild. Wir sind Einzelkämpfer. Daran hat Corona nichts geändert. Nur ist es hinterher so, dass wir unsere Arbeit in einer Ausstellung reflektieren. Wir bekommen so Kontakt zur Bevölkerung und dem Betrachter, und das ist erst mal eine Art Lohn. Daraus entstehen dann vielleicht Verkäufe. Und wenn wir jetzt keine Ausstellung machen können, fehlt uns die Möglichkeit, diesen Kontakt herzustellen. Das ist ein Problem.
Welchen politischen Stellenwert beobachten Sie für die Kunst dieser Tage?
Das wird alles zu stiefmütterlich begleitet. Es könnte viel besser sein. Aber gut, ich komme ja aus einer anderen Zeit, und da wurde Kunst noch richtig gefördert. Heute ist das eine Kann-Bestimmung. Man kann mal was kriegen, aber es gibt keine Garantien vom Staat. Es gibt keine Struktur, in der Künstler Geld verdienen können. Es wird alles sehr schleppend behandelt.
Gerade weil es so schleppend läuft, kann man sagen, dass die Politik die Kunst nicht als unabdingbar betrachtet?
Die Politik sieht Kunst nicht als notwendige Tätigkeit. Das ist sehr bedauerlich. Denn gerade das Gefühl, was die Kunst vermittelt, ist ja eine Verbindung und eine Chance, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Auch wenn nicht alle ins Theater oder in eine Ausstellung gehen, ist sie wichtig.
Hinter der ganzen Veranstaltungswirtschaft, an der auch Theater, Kino und letztlich auch der Sport dranhängen, steckt der sechstgrößte Wirtschaftszweig Deutschlands. Jährlich generiert man hier über 130 Milliarden Euro Umsatz und beschäftigt mehr als eine Million Menschen. Daraus hat sich jetzt in der Coronazeit ein Bündnis formiert, welches unter dem Namen #AlarmstufeRot auf die Straßen geht und für einen faireren Umgang mit der Veranstaltungswirtschaft demonstriert. Was halten Sie von so einem Bündnis?
Dieses Bündnis finde ich sehr gut, weil es darum geht, die Kunst und Kultur zu erhalten. Es geht nicht nur um die Produzenten der Kunst, sondern um alle, die in dieser Branche arbeiten. Und wenn die finanziellen Grundlagen so weit wegbrechen, dass Häuser schließen müssen, dann ist ein Niedergang der Kultur in einer Gesellschaft vorprogrammiert. Das wiederaufzubauen ist immer schwerer, als sie zu erhalten. Deshalb ist #AlarmstufeRot eine Art Hinweis, dass bitteschön hier auch finanziell unterstützt werden muss, um ein Niveau in der Gesellschaft zu erhalten. Und wenn für große Flugzeugflotten Milliarden da sind, wieso ist für so eine große unterschätzte Branche wie die Veranstaltungswirtschaft kein Geld da? Den Künstlern und Musikern ist nicht damit geholfen, wenn hier und da mal Leuchttürme wie die Elbphilharmonie gebaut werden. Das ist schön, aber davon kommt bei uns in der Mitte ja nichts an.
Fehlt der Kunst also eine Lobby, oder eine Gewerkschaft die sich für Künstler einsetzt?
Es gibt zwar Berufsverbände, aber deren Durchsetzungskraft ist eher begrenzt. Freiberufler können durchaus Mitglied in der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di sein. Erfahrungsgemäß setzt sich die Gewerkschaft allerdings vorrangig für festangestellte Künstler-Kollegen ein.
Aber wie kann man sich für künftige Krisen aufstellen, damit die Kunst dann auch gehört wird?
Die regierenden Parteien müssten im gesetzgeberischen Verfahren die Kunst anders in der Gesellschaft strukturieren. Dann wäre das künftig kein großes Problem mehr, wenn wieder eine Pandemie oder ähnliches kommen würde. Dann wären Künstler abgesichert. Aber da müsste es erstmal ein entsprechendes Gesetz geben.
Kunst ist ja Nahrung für die Seele, wie Sie es vorhin schon beschrieben haben. Ich habe kürzlich Ihr Bild „Flugobjekte“ im Schaufenster des Hallmarkt-Rewe begutachtet, deshalb dazu noch meine Frage: welchen Eindruck sollen Ihre Bilder bei dem Betrachtenden hinterlassen?
Zunächst einmal nimmst du ja das Bild und stellst den Betrachter davor. Der durchlebt dann einen Prozess, in dem er geistig mit der Kunst, die er sieht, arbeitet. Und das beinhaltet ja, dass er sich mit dem, was er sieht, auseinandersetzt und für sein Gefühl interpretiert. Der Betrachter ist ohnehin souverän, und darum habe ich mit meiner „Stimme“ erst mal gar nichts zu sagen. Ich habe es gemalt und biete ihm dann damit die Grundlage seiner eigenen Stimme.
Für mich sind Flugobjekte schon immer etwas Besonderes gewesen, und so beeinflussen sie mich auch in meinen Arbeiten. Flugobjekte müssen aber nichts Materielles sein. Für mich können das genauso Gedanken oder auch Gefühle sein, die mich und mein Leben umgeben. Und da Halle auch einen der größten Flughäfen Mitteldeutschlands hat, ist der regionale Bezug hier auch gegeben.
Ich hätte noch gerne einen Gedanken, oder ein Flugobjekt, wenn man so will: was könnte das Jahr 2021 für uns bereithalten? Welche Spuren wird Corona hinterlassen?
Ich glaube nicht, dass Corona die Kunst nachhaltig verändert haben wird, wenn wir dann mal die Pandemie überstanden haben. Ich hoffe aber, dass die Menschen durch diese Zeit wieder sensibler auf Kunst reagieren. Und wieder mehr wertschätzen, welch hohes Gut die Veranstaltungswirtschaft und die darin vertretene Kunst für unsere Gesellschaft ist. Kunst hat nicht nur unterhaltsamen Wert, sie hat auch einen Bildungsauftrag. Das darf man nicht vergessen, vielmehr, man muss es sich wieder in das Bewusstsein rufen. Man erkennt die Wertigkeit einer Sache erst, wenn sie mal nicht mehr selbstverständlich ist. Und dieses geschärfte Bewusstsein, das würde mir sehr gut gefallen.
Abschließend noch eine persönliche Frage: Haben Sie schon eine Sache, die Sie unbedingt nach dem Lockdown und der Pandemie machen wollen? Vielleicht ein Projekt? Oder ein Land, das Sie besuchen wollen?
Da gibt es für mich nichts Konkretes. Im Atelier geht es für mich weiter nach dem Lockdown wie auch im Lockdown – nämlich alleine. Aber es wäre natürlich sehr schön, wenn man wieder Gaststätten besuchen könnte. Wir haben Gesprächsrunden, bei denen wir uns austauschen. Der Maler ist immer mit seinem Bild verbunden, und viele Ideen entstehen dann auch oftmals in der Gaststätte oder an sich im öffentlichen Raum. Das fehlt, und darauf freue ich mich auch wieder, wenn es möglich ist.