Seit Jahren wer­den immer mehr Stim­men laut, die sich für die Abschaf­fung von § 219a ein­set­zen. Dieser ver­hin­dert, dass Ärzt:innen im Inter­net selb­st darüber informieren dür­fen, wie sie Abtrei­bun­gen durch­führen. Wie geht man an der Uni­ver­sität Halle mit dieser Prob­lematik um?

Schwanger­schaftsab­brüche sind ein Teil der Leben­sre­al­ität viel­er Men­schen. Laut Sta­tis­tis­chem Bun­de­samt wur­den im Jahr 2020 in Deutsch­land 99.948 Ein­griffe dieser Art durchge­führt. Das Absurde: Ärzt:innen dür­fen auf ihren Web­seit­en über die ver­schiede­nen medi­zinis­chen Meth­o­d­en, die dabei ange­wandt wer­den kön­nen, laut § 219a nicht selb­st aufk­lären. Tun sie es doch, dro­hen hohe Geld– oder sog­ar Gefäng­nis­strafen. Seit ein­er Reform im Jahr 2019 ist es ihnen zwar erlaubt, im Inter­net darauf hin­weisen, dass sie Schwanger­schaftsab­brüche durch­führen, an Infor­ma­tio­nen über das „Wie“ sollen Betrof­fene aber über andere Stellen, wie etwa die Bun­deszen­trale für gesund­heitliche Aufk­lärung (BZgA) gelangen. 

Obwohl Abtrei­bun­gen zu den häu­fig­sten chirur­gis­chen Ein­grif­f­en in der Gynäkolo­gie gehören und die Prob­lematik um das soge­nan­nte „Wer­be­ver­bot“ durch Ärzt:innen wie Kristi­na Hänel, Nora Szász oder Ver­e­na Wey­er in den let­zten Jahren gesellschaftlichen Aufwind bekom­men hat, spie­len sie im Medi­zin­studi­um an deutschen Uni­ver­sitäten meist kaum eine Rolle. Auch an der Uni Halle ist das nicht anders. 

Bild: Zuza Gałczyńs­ka (Unsplash)

Juliane H. hat in Halle studiert und ist inzwis­chen appro­bierte All­ge­meinärztin. Ver­anstal­tun­gen zu den medi­zinis­chen Aspek­ten von Schwanger­schaftsab­brüchen seien während ihrer Stu­dien­zeit nicht vorge­se­hen gewe­sen. Auch die rechtlichen Voraus­set­zun­gen wur­den nicht the­ma­tisiert. „Ich selb­st bin damit nur in Berührung gekom­men, weil ich mit Mit­studieren­den ein Sex­u­alaufk­lärung­spro­jekt an Schulen geleit­et habe – ‚Mit Sicher­heit Ver­liebt‘ (MSV).“ Dass Ärzt:innen durch  
§ 219a in ihrer Aufk­lärungsar­beit und ‑pflicht über die unter­schiedlichen Meth­o­d­en behin­dert wer­den, sei für sie para­dox: „Auf Klinik-Web­seit­en find­est du ohne Prob­leme Infor­ma­tio­nen zur Implan­ta­tion ein­er Hüft­prothese oder wie Oper­a­tio­nen bei Kreb­skranken durchge­führt wer­den. Nur an dieser Stelle darf Aufk­lärung nicht stattfinden.“ 

Unter welchen Umstän­den Schwanger­schaftsab­brüche durchge­führt wer­den dür­fen, ist in Deutsch­land im Strafge­set­zbuch unter § 218 geregelt. Laut diesem sind Abtrei­bun­gen grund­sät­zlich eine Straftat. Inner­halb der ersten zwölf Wochen und nach der Beratung in ein­er soge­nan­nten Schwanger­schaft­skon­flik­t­ber­atungsstelle – ein­er staatlich legit­imierten Organ­i­sa­tion wie Pro Famil­ia etwa – sind sie allerd­ings straf­frei. Diese Aus­nahme von der Straf­barkeit gilt auch dann, wenn die Schwanger­schaft durch eine Verge­wal­ti­gung ent­standen ist oder die Gesund­heit der schwan­geren Per­son gefährdet wird. Durch § 219a soll außer­dem gewährleis­tet wer­den, dass Mediziner:innen für Abtrei­bun­gen nicht werben. 

Die Sinnhaftigkeit dieses Wer­be­ver­bots stellen Kritiker:innen wie die Ärztin Kristi­na Hänel, die 2017 selb­st auf­grund eines Ver­stoßes gegen § 219a verurteilt wor­den ist, infrage. Durch den Para­grafen werde das Grun­drecht der Betrof­fe­nen auf Infor­ma­tions­frei­heit eingeschränkt, auf Seite der Mediziner:innen das der Berufs- und Meinungsfreiheit. 

Ver­ständlich wird dies u.a. am Fall der Berlin­er Gynäkolo­gin Bet­ti­na Gaber. Die Ärztin wurde 2019 zu ein­er Geld­strafe von 2.000 Euro verurteilt, da sie auf ihrer Web­seite angab, einen „medikamentöse[n], narkosefreie[n] Schwanger­schaftsab­bruch in geschützter Atmo­sphäre“ durchzuführen. Dies wurde vom Gericht als Wer­bung deklar­i­ert – zu einem Zeit­punkt, als der Para­graf bere­its reformiert wor­den war. Lediglich eine Ver­linkung, z.B. zur Seite der BZgA, wäre legal gewe­sen, um Infor­ma­tio­nen zu erhal­ten. Somit bewe­gen sich Ärzt:innen, die Betrof­fe­nen einen schnellen Zugang zu Behand­lungs­de­tails ermöglichen wollen, juris­tisch nach wie vor auf einem schmalen Grat. 

Für Juliane H. ist die Debat­te um das Wer­be­ver­bot Teil eines generellen Prob­lems: „Schwanger­schaften wer­den gerne roman­tisiert. Fakt ist: Jede zehnte Frau ver­liert während ein­er Schwanger­schaft ihr Kind. Aber den meis­ten ist nicht klar, wie häu­fig Fehlge­burten oder Abbrüche vorkom­men. Es ist ein Tabuthe­ma. Und das ist nicht in Ordnung.“ 

Dass diese gesellschaftliche Tabuisierung von Abtrei­bun­gen auch in der medi­zinis­chen Aus­bil­dung viel­er Uni­ver­sitäten fort­ge­set­zt wird, zeich­net sich in der aktuellen Ver­sorgungslage ab: Laut einem Artikel des „Katapult“-Magazins müssen Betrof­fene in manchen Regio­nen für den Ein­griff über 200 km zurück­le­gen. Auf der offiziellen Liste der Bun­desärztekam­mer sind zudem bish­er [Stand Sep­tem­ber 2021] nur 364 der rund 1.200 prak­tizieren­den Mediziner:innen verze­ich­net, da diese Angabe auf Frei­willigkeit beruht. Sicher­lich spielt das Risiko, dadurch ein­mal mehr zum Ziel selb­ster­nan­nter „Lebensschützer:innen“ zu wer­den, eine nicht zu unter­schätzende Rolle. 

Aktio­nen dieser Bewe­gung beste­hen u.a. darin, soge­nan­nte Mah­nwachen und Trauerge­bete vor den jew­eili­gen Prax­en und Kliniken abzuhal­ten, um Betrof­fene und Ärzt:innen zu stig­ma­tisieren und einzuschüchtern. Ein­mal jährlich tre­f­fen sich Mit­glieder aus ganz Deutsch­land außer­dem zum „Marsch für das Leben“, ein­er Demon­stra­tion gegen das Recht auf Abtrei­bung, die auch 2020 mit ca. 3.000 Teilnehmer:innen in Berlin stattfand. 

Organ­i­sa­tio­nen wie Pro Famil­ia befürcht­en, dass auf­grund der rück­läu­fi­gen Zahlen von Ärzt:innen, die Schwanger­schaftsab­brüche anbi­eten, in den näch­sten Jahren medi­zinis­che Unter­ver­sorgung dro­hen kön­nte. Um dieser Entwick­lung ent­ge­gen­zuwirken, erscheint es umso wichtiger, die Lehrpläne der Uni­ver­sitäten um die medi­zinis­chen, juris­tis­chen und ethis­chen Aspek­te von Abtrei­bun­gen zu erweit­ern. Eine Forderung, für die sich auch die Organ­i­sa­tion „Med­ical Stu­dents for Choice“ einsetzt. 

Die Debat­te um den Erhalt oder die Abschaf­fung von § 219a wird seit Jahren in der Öffentlichkeit und auf der poli­tis­chen Bühne geführt. 2018 stimmte die Union gegen die Abschaf­fung des Para­grafen, SPD, Linke und Grüne stimmten dafür. Ins­beson­dere durch die Arbeit poli­tisch aktiv­er, engagiert­er Per­so­n­en bleibt das The­ma weit­er­hin in Bewe­gung. So etwa durch die Ärztin­nen Kristi­na Hänel und Bet­ti­na Gaber, die Beschw­erde beim Bun­desver­fas­sungs­gericht in Karl­sruhe ein­gere­icht haben. Bis voraus­sichtlich 2022 wird nun ein Urteil über die Recht­mäßigkeit des Para­grafen erwartet. Weit­er­hin stellte das EU-Par­la­ment im Juni 2021 eine nach­drück­liche Forderung an die Mit­glied­staat­en: Schwanger­schaftsab­brüche sollen entkrim­i­nal­isiert und die Hin­dernisse dafür abge­baut wer­den. Dies kann laut einem Bericht des ZDF als Unter­stützung von Legal­isierungs­forderun­gen gele­sen wer­den. Es bleibt also Grund zur Hoffnung. 

An wen du dich im Falle einer (ungewollten) Schwangerschaft wenden kannst:  

  • Die BZgA 

Auf deren Web­seite find­est du Beratungsstellen: 

https://www.familienplanung.de/beratung/

sowie eine Liste von Mediziner:innen und Kranken­häusern in dein­er Nähe, die Schwanger­schaftsab­brüche durch­führen. Dort kannst du auch nach Kon­fes­sion filtern: 

https://www.familienplanung.de/schwangerschaftskonflikt/schwangerschaftsabbruch/schwangerschaftsabbruch-praxen-kliniken-einrichtungen/

  • Pro Famil­ia 

Der Vere­in bietet neben der Auskun­ft über Beratungsstellen auch Infor­ma­tio­nen zu den Kosten und unter­schiedlichen medi­zinis­chen Methoden: 

https://www.profamilia.de/themen/schwangerschaftsabbruch

  • abtreibung.at 

Die Web­seite lis­tet die Adressen von Mediziner:innen in Deutsch­land, Öster­re­ich und der Schweiz auf, die Schwanger­schaftsab­brüche durchführen: 

http://abtreibung.at/fur-ungewollt-schwangere/adressen/

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