Ein Kommentar von Fiona Hruschka und Laurin Weger

Du denkst, es ist schlimm? Es ist noch viel schlim­mer. In der aktu­el­len Klimadebatte geht oft ver­lo­ren, dass die Existenz unse­rer Zivilisation auf dem Spiel steht. Und dass sie auf dem Spiel ste­he, ist kein Ausdruck von Hysterie, kei­ne Randmeinung [sie­he auch UN-Report]. Niemand über­bringt ger­ne schlech­te Nachrichten, doch wird die Dringlichkeit der Klimakrise bei wei­tem noch nicht genug kom­mu­ni­ziert. Wir müs­sen alles dar­an setz­ten, die größ­ten Klima-Kipppunkte zu vermeiden.

Es geht um die Sicherung unse­rer Gesundheit, unse­rer Demokratie und einer inter­na­tio­na­len Ordnung. Abstrakte Klimamodelle und Gradzahlen bedeu­ten für uns und die nach­fol­gen­den Generationen die Gefährdung unse­rer Existenz: Klimakipppunkte, Artensterben, das Überschreiten pla­ne­ta­rer Grenzen sind Indikatoren für unser Überleben. Sie müs­sen ent­spre­chend ernst genom­men wer­den; von uns als Bürger:innen, Konsument:innen, Produzent:innen und beson­ders Politiker:innen und der Wirtschaft. 

Auch eine Begrenzung der Erderwärmung um 1,5°C wird vie­le Katastrophen nicht ver­hin­dern kön­nen – dafür hat sich in den letz­ten 100 Jahren bereits zu viel Kohlenstoffdioxid in der Erdatmosphäre ange­sam­melt. Die Lage ist schon heu­te bedroh­lich: Fluten im Ahrtal, das Londoner und New Yorker U‑Bahnsystem säuft ab, Hitzewellen mit über 4000 Toten im letz­ten August. Und wir wis­sen, dass die Folgen der Erwärmung auch bei völ­li­ger Klimaneutralität wei­ter gras­sie­ren­de Konsequenzen haben wird. 
Immer noch nicht über­zeugt, dass wir etwas ver­än­dern müssen? 

Die für unse­ren Schutz not­wen­di­gen Rahmenbedingungen sind wis­sen­schaft­lich klar gesetzt. Das heißt, hier gibt es in Politik und Wirtschaft kaum Interpretations- und Verhandlungsspielraum. Es geht nicht um das “Wie viel?”, es geht um das “Wie?”. Die poli­ti­schen Absichtserklärungen lie­gen indes weit abseits der Spur – beson­ders die der kon­ser­va­ti­ven Parteien. Und das, obwohl alle von 1,5°C reden. Manchmal fra­gen wir uns, war­um das Problem poli­tisch auf die­se Art und Weise so klein­ge­re­det wird, als wäre es mit einem Katzensprung zu lösen und wie es so weit über­haupt kom­men konnte. 

Was können wir tun? 

Die gute Nachricht: Fast alle befür­wor­ten mehr Klimaschutz. Eine reprä­sen­ta­ti­ve Umfrage der Organisation More in Common zeigt, dass sich 80% der Deutschen Sorgen um den Klimawandel machen. Die Transformation ist noch mög­lich. 

Das Anzweifeln und Entgegentreten braucht Mut. Mit der Anerkennung der Drastik der Klimakrise stellt sich die Frage, war­um bis­her so wenig pas­siert ist, obwohl das Problem aller­spä­tes­tens seit den 80ern bekannt ist. Die Antworten hier­auf sind unbe­quem und stel­len unse­re poli­ti­sche, wirt­schaft­li­che und gesell­schaft­li­che Ordnung infra­ge. Wir müs­sen hier ein Demokratieversagen fest­stel­len. So füllt sich die Parole „System Change not Climate Change“ mit Inhalt. Die nöti­gen Veränderungen sind fun­da­men­tal und dele­gi­ti­mie­ren das herr­schen­de Wirtschaftssystem, des­sen Geschäftsmodell unvor­stell­ba­res (und sinn­lo­ses) sozia­les Elend erzeugt, die Lebensgrundlagen unse­rer und kom­men­der Generationen zer­stört und sozia­le Gruppen mit ihren Problemen gegen­ein­an­der ausspielt. 

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im April die­ses Jahres bestä­tig­te noch ein­mal die Priorität eines lang­fris­ti­gen Klimaschutzes, der sozi­al ver­träg­lich ist. Die Bundesregierung muss auch ab 2031 einen Klimaschutz gewähr­leis­ten, der mit allen Freiheitsrechten ver­ein­bar ist. Das fängt bereits bei den Bundesländern an – so wur­de kürz­lich das Land Sachsen-Anhalt, neben sie­ben wei­te­ren Ländern, von der Deutschen Umwelthilfe und Aktivist:innen auf unzu­rei­chen­de Maßnahmen ver­klagt und auf­ge­for­dert, beson­ders mit Hinblick auf den emis­si­ons­rei­chen Energiesektor im Land, gesetz­lich fest­ge­leg­ten Klimaschutz zu verabschieden. 

Bundestagswahl bedeu­tet Klimawahl. Die kom­men­de Bundesregierung ist wahr­schein­lich die letz­te, die Deutschland bei der Wahrung des 1,5°C‑Ziels anfüh­ren kann. Dabei brau­chen wir drin­gend eine Veränderung: Die gro­ße Koalition aus CDU und SPD hat gezeigt, dass sie nicht dafür geeig­net ist, die­ses Menschheitsthema anzu­ge­hen. Lobbyismus (u.a. der Kohle,- Auto,- Agrarindustrie) und Korruption durch­set­zen bei­de Parteien auf so ekla­tan­te Weise, dass wir nicht davon aus­ge­hen soll­ten, dass ihnen das Wohl unse­rer nach­fol­gen­den Generationen stär­ker am Herzen liegt als finan­zi­el­le Eigeninteressen. Nachgewiesenermaßen ist die „Klimaschmutz-Lobby” eng ver­wo­ben mit der CDU, was dazu führt, gemein­wohl­ori­en­tier­te Politik aus­zu­brem­sen. Lobbyismus war es, der den ver­hee­ren­den, bun­des­weit ver­bind­li­chen Kohleausstieg bis 2038 maß­geb­lich beein­flusst hat. Ein Vergleich der Wahlprogramme zeigt, dass die Linken (Klimaneutralität bis 2035) und die Grünen (Klimaneutralität bis 2041) mit ihrem Wahlprogramm dem 1,5°C‑Ziel am nächs­ten kom­men, jedoch deut­lich unzu­rei­chend. Klimaschutz lässt sich nicht wäh­len, aber Klimazerstörung lässt sich abwählen. 

Mit Angehörigen und Freund:innen reden 

Mit einem Anteil von 58% an den knapp 60 Millionen Wahlberechtigten machen die über 50-jäh­ri­gen mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten bei der kom­men­den Bundestagswahl aus – vie­le von ihnen set­zen ihr Kreuz gewohn­heits­be­dingt bei kon­ser­va­ti­ven Parteien, die den Ton in Sachen Klima- und Umweltschutz vorgeben. 

Dabei liegt den kon­ser­va­ti­ven Wähler:innen doch auch unser gemein­sa­mes Schicksal am Herzen. Sachsen-Anhalt ist das tro­ckens­te Bundesland in Deutschland. Bad Lauchstädt, 20 km süd­west­lich von Halle, gehört zu den regen­ärms­ten Städten in Deutschland. Im letz­ten Jahr erbrach­te die dor­ti­ge Region 50 bis 60 Prozent weni­ger land­wirt­schaft­li­chen Ertrag als nor­ma­ler­wei­se. Und auch die Wälder in Sachsen-Anhalt haben mit immer grö­ße­ren Problemen zu kämp­fen: 40% des Waldes sind krank oder tot. Parasiten- und Pilzbefall brei­ten sich aus. Das sind besorg­nis­er­re­gen­de Ereignisse. Erzählen wir davon, bis das Bewusstsein hier­für alle erreicht hat. 

Der glo­ba­le Klimastreik die­sen Freitag bie­tet eine Möglichkeit, ein Zeichen zu set­zen. Gleichzeitig ist es unab­ding­bar mit denen die uns nahe­ste­hen, gedul­dig zu spre­chen. Und nicht aus dem Blick zu ver­lie­ren, dass ihnen nicht zwangs­läu­fig der Wille, son­dern viel eher das Wissen, die Erfahrung und die Inspiration feh­len. Wir soll­ten uns das kli­ma­po­li­ti­sche Gespräch zutrau­en und dabei ver­mei­den, ein­an­der mit indi­vi­du­el­len Lebensstilfragen in die Enge zu trei­ben. Klimaträgheit als Eigenschaft macht einen Menschen nicht schlecht — wir sind alle Produkte der Gruppen und Systeme, die uns umge­ben und geprägt haben. Aber das ändert nichts am Ernst der Lage. Stärkere kli­ma­ti­sche Veränderungen wer­den auf uns zukom­men. Es ist not­wen­dig, gemein­sam recht­zei­tig zu han­deln um die Katastrophe abzumildern. 

Es gehört auch zu unse­rer Verantwortung, zu ver­su­chen, mit Demut und trotz­dem Nachdruck die­se Menschen dar­über auf­zu­klä­ren, dass uns die­se Transformation mehr geben kann, als sie uns ver­meint­lich weg­nimmt. Dass Wirtschaftswachstum und Konsum, wel­che oft nur zu kurz­fris­ti­ger Bedürfnisbefriedigung füh­ren, kei­ne Indikatoren für unser Glück sein müs­sen. In der Befragung des Instituts More in Common wur­de fest­ge­stellt, dass sich 84 Prozent der Befragten für eine Einführung eines kos­ten­lo­sen ÖPNVs aus­spra­chen. Klimapolitik, wel­che die Stärkung des Gemeinwohls anstrebt, und eine hand­lungs­fä­hi­ge Politik, wel­che fair die Wünsche der Bevölkerung und nicht der Wirtschaft in den Fokus stellt, kommt an. 

Während das bis­he­ri­ge Wirtschaftssystem uns Menschen nicht nur als von der Natur abge­kop­pel­tes Wesen betrach­tet, son­dern auch kul­tu­rell zu einer Gesellschaft bei­trägt, in der das Individuum des „Homo Oeconomicus“ als kon­kur­renz­ori­en­tiert gilt und sich Werte wie Egoismus und Habgier im Zentrum unse­rer eige­nen Motivation wie­der­fin­den, sind sich beson­ders in der Pandemie vie­le Menschen dem Gefühl, das die­se Entfremdung mit sich bringt, bewusst gewor­den. Wir haben bemerkt, wie fun­da­men­tal Sozialkontakt für das eige­ne Wohlbefinden ist, schließ­lich gehört es zu den Grundbedürfnissen des Menschen dazu. Die Filterblasen des Internets, die fort­schrei­ten­de Polarisierung und die kaum greif­ba­ren Zusammenhänge der Globalisierung ent­frem­den uns zuneh­mend von unse­ren Mitmenschen. Dabei leben wir alle auf die­sem einen Planeten, atmen die glei­che Luft und sind letzt­lich alle ein Produkt die­ser „fer­nen“ Natur selbst. Unsere Differenzen sind oft­mals kul­tu­rel­ler Natur. Lasst uns ver­su­chen, zu ler­nen die­se Dimension zu berück­sich­ti­gen, wenn wir uns das nächs­te Mal in einem Gespräch mit dem skep­ti­schen Onkel Jürgen wie­der­fin­den, um den Blick auf das zu rich­ten, was zählt: Klimaschutz über unse­re Differenzen hin­weg und die Sicherstellung unse­rer Zukunft. 

Globaler Klimastreik am 24.09.2021 

Keine der Parteien hält die nöti­gen Maßnahmen bereit, die es bräuch­te, um ihren eige­nen Verpflichtungen gerecht zu wer­den. Es liegt also an uns Bürger:innen, wei­ter­hin poli­ti­schen Druck aus­zu­üben und für unse­re Zukunft ein­zu­ste­hen. Fridays for Future hat einen maß­geb­li­chen Anteil dar­an, die Klimakrise in das Bewusstsein der brei­ten Öffentlichkeit zu brin­gen. Wir sind weit gekom­men und doch noch lan­ge nicht auf der Zielgeraden. 

Daher strei­ken wir die­sen Freitag! Verabredet euch zum glo­ba­len Klimastreik — die Demonstration beginnt um 14 Uhr am Steintor. Bringt eure Freund:innen, Bekannte oder Familie mit und lasst uns zwei Tage vor die­ser his­to­risch bedeut­sa­men Wahl ein Zeichen für unse­re Zukunft setzen! 

Wir müs­sen uns ver­net­zen und laut sein. Je mehr wir sind und je bes­ser wir gemein­sam und koor­di­niert aktiv sind, des­to mehr kön­nen wir errei­chen. Durch Demonstrationen, die Inanspruchnahme juris­ti­scher Mittel, das Gründen akti­vis­ti­scher Gruppen oder Engagement in Leih- und Tauschbörsen: Der Kreativität sind kei­ne Grenzen gesetzt. 

Autor:innen: Fiona Hruschka und Laurin Weger, Studierende an der MLU und enga­giert bei Fridays for Future

3.4 11 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

3 Comments
Inline Feedbacks
View all comments
asdasd
asdasd
2 Jahre zuvor

Tolles Engagement.
Für unse­re Zukunft ein­ste­hen in dem wir mit Pappschildern auf dem Markt ste­hen mit Aussagen die wir alle schon ken­nen? Ich glau­be die Regierung weiß bereits was die Bevölkerung will.
Ich per­sön­lich ver­su­che spar­sa­mer zu leben. Weniger weg­schmei­ßen, kau­fen, kon­su­mie­ren.. Licht aus­schal­ten beim Verlassen des Zimmers.. Gemüse selbst anbau­en.. joa… ist nicht so leicht, weil ich manch­mal ein Konsumschwein bin. Ich glau­be solan­ge die Regierung im Interesse der Wirtschaft agiert, kön­nen wir lan­ge demons­trie­ren. Da wer­den auch die Grünen nichts ändern, glau­be ich.
Peace

asdasd
asdasd
2 Jahre zuvor
Reply to  Laurin Weger

ich fin­de dei­ne moti­va­ti­on toll, um ehr­lich zu sein. the­ma umwelt­schutz kommt immer wie­der auf, ja fin­de ich auch. Deswegen glau­be ich, dass es dem groß­teil der bevöl­ke­rung bereits bewusst ist und der poli­tik sowieso.  ich habe auch das gefühl, dass es nicht bei allen so rich­tig ange­kom­men ist. ich glau­be, dass es die meis­ten wis­sen, aber nichts damit zu tun haben wollen.  ich wür­de die gan­ze ver­ant­wor­tung auch nicht beim indi­vi­du­um able­gen. viel­mehr glau­be ich, dass die gesamt­heit der indi­vi­du­en, die in der west­li­chen welt leben eine über­fluss- und weg­werf­ge­sell­schaft dar­stellt und einen ein­fluss die umwelt hat, der ver­än­dert wer­den… Weiterlesen »