Annähernd jeder Haushalt hat Zugriff auf eine schier unend­li­che Menge an Spielen. Egal ob am Computer, der Konsole oder dem Smartphone: nie war es leich­ter, ein Unterhaltungsmittel zu fin­den, als heu­te. Nichtsdestotrotz hat das „Spielen ohne Bildschirm“, ganz ohne digi­ta­le Hilfsmittel, einen eige­nen Charme, der auch im Computerzeitalter sei­nen Platz fin­det. 

Der Würfelpech e.V. in Halle ist ein Treffpunkt für Freund:innen des ana­lo­gen Spielens und bie­tet ihnen Platz und Möglichkeiten, ihr Hobby mit Gleichgesinnten aus­zu­le­ben. Mit den vier Vereinsmitgliedern, Teresa, Joshua, Marvin und Michael, sit­ze ich in ihrem Rollenspielraum am Tisch und spre­che mit ihnen über ihre Erfahrungen am Spieltisch. Hinter ihnen prangt das prall gefüll­te Regal mit Regel- und Quellenbüchern. Im Nebenraum wer­den peni­bel Miniaturen für das nächs­te Warhammer Turnier bemalt. 

Brett‑, Rollen‑, Tabletopspiele 

Wer bei „ana­lo­gen Spielen“ nur an Uno, Monopoly und Mensch ärge­re dich nicht denkt, hat viel nach­zu­ho­len. Die Spieleszene ist so viel­fäl­tig wie ihre Anhänger:innen und stän­dig wer­den neue Spiele ent­wi­ckelt — sei es von gro­ßen Verlagen oder Indie-Entwickler:innen, durch Crowdfunding finanziert. 

Abgebildet sind zwei Vereinsmitglieder des Würfelpech e. V. vor einem Regal mit Brettspielen.
Teresa Fritsch und Marvin Gröning von Würfelpech e. V. — Bild von Stefan Kranz

Brettspiele sind wohl die zugäng­lichs­te Variante ana­lo­gen Spielens. Man kauft eine Box, in der alles Nötige ent­hal­ten ist, liest die Regeln, die kaum Spielraum für Streitigkeiten bie­ten und folgt dem Spielverlauf auf fes­ten Wegen, bis man am vor­her­be­stimm­ten Ende anlangt. Mit abwechs­lungs­rei­chen Mechaniken und oft beein­dru­cken­den Illustrationen bie­ten sie ver­gleichs­wei­se ein­fa­chen Spielspaß. Ihre Zugänglichkeit durch fes­te Regeln und Ziele schränkt sie aber auch deut­lich ein. Sie sind unfle­xi­bel und bie­ten weni­ge Freiheiten. 

Ein Rollenspiel hin­ge­gen sei dar­auf aus­ge­legt, sich per­sön­lich ent­fal­ten zu kön­nen, so Teresa, die selbst­er­klär­te „Mutti“ des Würfelpech-Vereins und lang­jäh­ri­ge Rollenspielerin. Natürlich kom­men auch die­se nicht ohne Regeln aus, aller­dings bestim­men sie im Grunde nur, wie Erfolg oder Misserfolg einer Aktion ermit­telt wird und nicht, wel­che Aktionen mög­lich sind — und selbst dabei wird häu­fig Platz für Interpretationen gelassen. 

Im Rollenspiel ist man ent­we­der ein:e Spieler:in oder Spielleiter:in. Als Spieler:in erstellt man einen eige­nen Charakter, gibt ihm Eigenschaften und Fähigkeiten, kon­stru­iert sei­ne Hintergrundgeschichte und Persönlichkeit. Mit die­sem erlebt man die Geschichten, in die das Spiel einen führt. Die Spielleitung hat die Aufgabe, durch die Geschichte zu füh­ren, die Umgebung zu beschrei­ben und alle Nebenfiguren zu ver­kör­pern. Zum Rollenspiel gehört also der Wille, etwas zu impro­vi­sie­ren, sich in sei­nen Charakter ein­zu­füh­len und vor allem auch, den ande­ren Spieler:innen zuzu­hö­ren. In der Regel bie­ten die Regelsysteme auch die Möglichkeit, selbst neue Abenteuer zu schrei­ben. Da die Spieler:innen die Geschichte vor­her nicht ken­nen, gehen sie sel­ten den gewoll­ten Weg — dann ist das Talent der Spielleitung gefragt, damit umzu­ge­hen und den neu­en Pfad wei­ter zu spin­nen. Das kann zu Beginn etwas über­for­dern, för­dert aber oft Talente zuta­ge, von denen man nicht geahnt hät­te, sie zu haben. 

Tabletop Spiele zoo­men aus dem Rollenspiel her­aus. Man ver­kör­pert dabei nicht mehr sei­nen per­sön­li­chen Charakter, son­dern einen „Feldherr[n], der sei­ne Armee auf­stellt und in die Schlacht führt“, wie es Marvin Gröning, Gründungsmitglied des Würfelpech e.V. und Tabletop-Enthusiast, beschreibt. Während man im Rollenspiel in der Regel koope­ra­tiv gegen die Spielleitung bzw. gegen die Geschichte spielt, sind Tabletop-Spiele kom­pe­ti­tiv, man gewinnt oder ver­liert. Dabei ist nicht nur die Schlacht selbst das Spiel, son­dern schon das Aufstellen der eige­nen Armee. Jede Figur wird nach dem per­sön­li­chen Geschmack aus Torso, Armen, Beinen und Kopf zusam­men­ge­setzt und bemalt. Das ist natür­lich eine finan­zi­el­le und zeit­li­che Hürde, kann aber auch die eige­ne Kreativität und Sammelleidenschaft befrie­di­gen. „Mein Fokus ist eher eine schö­ne Figurensammlung, auch wenn ein Sieg im Spiel natür­lich ein ange­neh­mes Erfolgserlebnis ist“, sagt das Vereinsmitglied Michael Teuchler. 

Tabletop Spiele fokus­sie­ren Taktik: Die Zusammensetzung der Einheiten, die Positionierung die­ser auf dem Spieltisch, die Berücksichtigung des Geländes… dazu muss noch im Blick behal­ten wer­den, was der oder die Gegner:in mit allen offe­nen Möglichkeiten macht. Doch auch mit der bes­ten Taktik und der bes­ten Armee kann es sein, dass man vom Würfelglück ver­las­sen wird und ver­liert. Die Würfel ent­schei­den, ob ein Schwerthieb trifft, die­en SchlüsselpersonHelden im ent­schei­den­den Moment die Kraft ver­lässt oder das Verhandlungsgeschick den HandelHändler erweicht. Sie machen das Spielgeschehen etwas unvor­her­seh­ba­rer und ein Quäntchen Glück nötig. 

Wo der Spaß endet 

Vor allem im Tabletop- und Rollenspielbereich hält sich wei­ter­hin das Klischee vom etwas lebens­frem­den und sozi­al abge­häng­ten „typi­schen Nerd“. In ihren Anfängen wur­den Pen & Paper Spiele, gera­de in den kon­ser­va­ti­ven USA, häu­fig auch mit Satanismus in Verbindung gebracht und so in klei­ne, sich im Geheimen im Keller tref­fen­de Gruppen verbannt. 

Auch wenn der Würfelpech e.V. „unpo­li­tisch bunt“ ist und jeden Menschen als neu­es Mitglied will­kom­men heißt, ist der aktu­el­le Kreis doch vor­wie­gend männ­lich. Das ist nicht nur dort der Fall, son­dern zie­he sich laut der Vereinsmitglieder durch die gesam­te Community, sei­en es ande­re Vereine oder pri­va­te Gruppen. „Das ist zum Teil auch Schuld der Hersteller“, so Marvin Gröning. 

Die Figuren oder „Minis“, aus denen man sei­ne Armeen zusam­men­stellt, sind fast aus­schließ­lich männ­lich. Frauen fin­det man nur sel­ten, in bestimm­ten Fraktionen oder über­se­xua­li­sier­ten Dämonen. Das spre­che dann auch haupt­säch­lich Männer an, man will sich schließ­lich mit sei­nen Truppen iden­ti­fi­zie­ren kön­nen. So ent­steht ein Kreislauf: An Männer ori­en­tier­te Produkte füh­ren zu einer haupt­säch­lich männ­li­chen Community, was die Verlage moti­viert, Produkte für die­se Zielgruppe herauszugeben. 

Jedoch kann man auch in die­ser Szene eine Entwicklung fest­stel­len. Die Popkultur holt das Hobby aus der nerdi­gen Klischeeecke und trägt es in den Mainstream. Zum Beispiel beginnt die über­aus erfolg­rei­che Netflix Serie Stranger Things damit, dass die Protagonist:innenProtagonisten das Rollenspiel Dungeons and Dragons spie­len. Soziale Netzwerke und das Internet all­ge­mein bie­ten eine Plattform, die den Zirkel der ein­ge­schwo­re­nen Spieler:innen auf­bricht und Neulingen einen leich­ten Einstieg ermög­licht; wer nicht sofort selbst spie­len will, schaut womög­lich erst bei einem Livestream ande­rer Spieler:innen zu. Der Kanal „Critical Role“, auf dem eine Gruppe Synchronsprecher:innenSynchronsprecher ihre Dungeons & Dragons Runden live­strea­men, war 2021 der erfolg­reichs­te Kanal auf der Plattform Twitch. 

So wird die Demographie inner­halb der Spielendengemeinschaft lang­sam hete­ro­ge­ner. Das ent­spricht auch den Erfahrungen im Würfelpech e.V. — vor allem im Rollenspielbereich hät­te sich die Frauenquote ver­bes­sert. Natürlich erreicht die­se Entwicklung auch die Verlage, die in jüngs­ter Vergangenheit eine grö­ße­re Diversität in ihrem Produktsortiment för­dern. Kartenspiele wie Magic: The Gathering über­ar­bei­ten man­che ihrer bis­her unrea­lis­tisch über­se­xua­li­sier­ten Illustrationen. Das trifft nicht bei allen alt­ein­ge­ses­se­nen Spieler:innen auf Begeisterung, aber die­se „das haben wir schon immer so gemacht“-Denkweise ist eine aus­ster­ben­de Minderheit. 

Auch kul­tu­rel­le Unterschiede tei­len die Spielendenschaft. Gerade die deut­sche Tabletop-Szene sei ver­gleichs­wei­se kom­pe­ti­tiv und tak­tisch, so Marvin Gröning und Joshua Scherf aus dem Würfelpech e.V. Der Frust nach einer Niederlage sei hier deut­lich grö­ßer als bei­spiels­wei­se in einer bri­ti­schen Runde. Nicht umsonst bezeich­net der Begriff „German Games“ durch­ge­plan­te und kom­ple­xe Spiele, die wenig vom Zufall abhän­gig machen. Dagegen ste­hen die soge­nann­ten „Beer and Pretzels Games“, die von einem leich­ten Einstieg und Thema sowie viel Zufälligkeit geprägt sind; die nöti­ge Konzentration darf nicht zu hoch sein, um neben­bei noch gemüt­lich ein Bier trin­ken, sich unter­hal­ten und Knabbereien essen zu können. 

Abgebildet sind Miniatur-Figuren für das Spiel "Warhammer".
Miniaturen für das Spiel Warhammer — Bild von Stefan Kranz
Zwischen Spiel und Realität 

Man kann schnell sei­nen Spaß am Spiel ver­lie­ren, wenn Spielende ver­ges­sen, wo es endet. Das bezieht sich nicht nur auf schlech­te Verlierer:innen, die ihrem Gegenüber die Schuld geben wol­len, dass ihre Würfel kei­ne guten Ergebnisse erzielt haben, son­dern auch sol­che, die das Thema des Spiels zu ernst nehmen. 

Bei Spielen, die in rea­len Szenarien wie dem zwei­ten Weltkrieg ange­setzt sind, sind die Grenzen oft noch sehr offen­sicht­lich. In vie­len Regelwerken ist es auch nicht vor­ge­se­hen, dass man „die Bösen“ spielt. Solche Rollen neh­men dann meist die Antagonist:innenAntagonisten ein, die es im Abenteuer zu besie­gen gilt. Fantasy- oder Sci-Fi-Szenerien sind schwie­ri­ger zu beur­tei­len. Inwieweit neh­men sie Bezug zur Realität? Ist der faschis­ti­sche Weltraumimperator ein Nazi oder ist das Spielgeschehen völ­lig von der Historie ent­kop­pelt und er ein gene­ri­scher Antagonist? In der Welt von Das schwar­ze Auge, dem erfolg­reichs­ten deut­schen Rollenspiel, sind Elfen ein wesent­li­cher Teil der Welt. Sie wer­den im Regelwerk pau­schal als „dümm­lich“ bezeich­net. Das klingt ober­fläch­lich nach einer Fantasyversion von Rassismus, wird aber damit begrün­det, dass ihre Kultur so unter­schied­lich von jener der Menschen ist, dass Dialoge häu­fig der­art anein­an­der vor­bei gehen, dass sie aus mensch­li­cher Perspektive nur unge­bil­det wir­ken. Wie die­se Diskrepanz aus­ge­spielt wird, hängt wie­der vom Spielenden ab. 

Trotz alle­dem wäre es falsch, eine:n Spieler:in nur wegen der Wahl der Fraktion oder des Charakters zu ver­ur­tei­len. „Am Ende sind es nur Spiele. Wir spie­len Krieg, aber wir müs­sen uns nicht so ver­hal­ten als wür­den wir das tun“, fasst Marvin Gröning zusam­men. Nur wer alles zu ernst nimmt, macht die Erfahrung für sich und sei­ne Mitspielenden kaputt. 

Fazit 

Das Spielen ohne Bildschirm ist unfass­bar facet­ten­reich. EinigesManches ist schon immer am Familientisch gang und gäbe, ande­res wur­de lan­ge zu einem Randgruppenphänomen ver­drängt. So scha­de das auch ist, umso schö­ner ist es, dass die­se Stigmatisierung immer mehr auf­bricht. Davon pro­fi­tie­ren die Spiele selbst, die so ein grö­ße­res Publikum bekom­men, sowie die Community der Spielenden, die zuneh­mend diver­ser wird und damit wie­der Rückwirkungen auf die Repräsentation durch die Verlage hat. 

Pen & Paper Spiele sind für ihre Anhänger:innen häu­fig ein wich­ti­ger Teil ihrer Freizeit und eine wun­der­ba­re Möglichkeit, sich zu ent­fal­ten; sei es als Spielleiter:in beim Schreiben eige­ner Welten und Geschichten, als Spieler:in beim Schlüpfen in die erdach­te Rolle oder all­ge­mein beim Schauspiel, das alles erst zum Leben erweckt. 

Für Interessierte ste­hen alle Türen offen und Zusammenschlüsse wie der Würfelpech e.V. emp­fan­gen auch jeden Neuling mit offe­nen Armen. Auch wenn es am Anfang womög­lich Überwindung kos­ten mag, sich auf die Erfahrung ein­zu­las­sen und es sicher auch vie­le Menschen gibt, für die es letzt­lich doch nicht das Richtige ist, kann man wohl kaum etwas ver­lie­ren, wenn man sich traut, ein­mal selbst die Würfel in die Hand zu nehmen. 

 

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