Sexuelle Gewalt und Diskriminierung wer­den in unse­rer Gesellschaft nach wie vor tabui­siert. Welche Verantwortungen soll­ten dabei Universitäten als ein Teil der Gesellschaft über­neh­men? Wie wird an unse­rer Uni gegen sexua­li­sier­te Diskriminierung und Gewalt vorgegangen?

Seit Jahrhunderten kämp­fen Aktivist:innen und Feminist:innen für die Gleichberechtigung aller Geschlechter, und so lang­sam scheint die­se auch im brei­ten gesell­schaft­li­chen Diskurs ange­kom­men zu sein. 2017 wur­de in Deutschland die „Ehe für Alle“ ein­ge­führt, und die geschlech­ter­ge­rech­te Sprache erfreut sich einer stei­gen­den Bedeutung in der Wissenschaft. Bewegungen wie #metoo oder „Nein heißt Nein“ erreich­ten in den letz­ten Jahren media­le Aufmerksamkeit. Menschen trau­en sich, das Schweigen zu bre­chen und ihre Stimme zu erhe­ben. Gegen Diskriminierung, gegen Sexismus und gegen sexua­li­sier­te Gewalt. Auch an den Universitäten steigt das Interesse an die­sem Thema. Im November star­te­te an der Uni Halle bei­spiels­wei­se die Ringvorlesung „Diversity@University“, wel­che gut besucht wur­de. Es ist also viel pas­siert. So dass man mei­nen könn­te, es wäre doch genug. Aber ist es das?

Hochschulen und Universitäten sind Bildungsstätten, die für den Fortschritt ste­hen. Dementsprechend soll­te auch davon aus­zu­ge­hen sein, dass Personen, die sich in aka­de­mi­schen Kreisen befin­den, an die­ser Stelle eine Vorreiter:innenrolle über­neh­men. Doch in der Realität spie­gelt sich ein ande­res Bild wider. Es wur­de „(…) lan­ge davon aus­ge­gan­gen, dass an Hochschulen intel­li­gen­te Menschen sind – und intel­li­gen­te Menschen ‚tun so etwas nicht‘“, meint Dr. Solveig Simowitsch, Sprecherin der Kommission „Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen“ inner­halb der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen. Denn erst mit der Gendercrime-Studie der EU, die 2011 ver­öf­fent­licht wur­de, war das tat­säch­li­che und erschre­ckend hohe Ausmaß von Übergriffen bekannt. 68 Prozent der befrag­ten weib­li­chen Studierenden in Deutschland gaben an, schon min­des­tens ein­mal sexu­el­le Belästigung im uni­ver­si­tä­ren Kontext erlebt zu haben. Allerdings sind von sexua­li­sier­ter Diskriminierung und Gewalt nicht nur Frauen, son­dern alle Geschlechter betroffen.

Hochschulen sind aus ver­schie­de­nen Gründen anfäl­lig für sexua­li­sier­te Diskriminierung und Gewalt. Die hier­ar­chi­schen Strukturen und die ver­brei­te­ten befris­te­ten Anstellungsarten tra­gen zu Abhängigkeitsverhältnissen bei, die sich auf das Meldeverhalten aus­wir­ken. Ein Abbau von Hierarchien ist also not­wen­dig, was aber nicht bedeu­tet, dass sich Lehrende und Studierende auf einer freund­schaft­li­chen Ebene begeg­nen soll­ten. Denn auch die Entwicklung des Verschwimmens der Grenzen zwi­schen einer pro­fes­sio­nel­len Distanz und dem Privatleben ist pro­ble­ma­tisch. Dozierende besu­chen stu­den­ti­sche Partys, gehen gemein­sam mit Studierenden in die Kneipe und Lehrformate fin­den abends oder am Wochenende statt. Dr. Solveig Simowitsch spricht von einer Entgrenzungskultur, die bewirkt, dass pri­va­tes und beruf­li­ches Pflichtbewusstsein inein­an­der­flie­ßen kön­nen. Denn Betroffene möch­ten die Täter:innen nicht vor den Kopf sto­ßen oder reden sich ein, dass es gar nicht so gemeint gewe­sen sein kann, weil man sich ja so gut ken­ne. Eine gewis­se Nähe ist zwar dazu not­wen­dig, ein Vertrauensverhältnis auf­zu­bau­en, die­se Nähe muss aber eine pro­fes­sio­nel­le Nähe sein, die mit einer pro­fes­sio­nel­len Distanz ein­her­geht, betont Dr. Simowitsch. „Was haben bei­spiels­wei­se Lehrende auf stu­den­ti­schen Partys zu suchen? Mit wel­cher Intention gehen sie dahin?“ In bestimm­ten Situationen und Lehrformaten sind indi­vi­du­el­le Kontakte mit den Lehrenden vor­aus­ge­setzt. An die­ser Stelle wäre es gewinn­brin­gend, die räum­li­chen Bedingungen anzu­pas­sen. Eine Empfehlung der Mitgliederinnenversammlung der Hochschulrektorenkonferenz vom 24.4.2018 ist es, ein gut besuch­tes Gebäude zu wäh­len, da das ele­men­tar zur tat­säch­li­chen und gefühl­ten Sicherheit bei­tra­gen kann.

Die wechselseitige Beeinflussung von Sexismus und sexualisierter Diskriminierung

Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ist jedes Verhalten in einem sexua­li­sier­ten Kontext, wel­ches uner­wünscht ist und eine Verletzung der Würde der betref­fen­den Person zu Folge hat, sexu­el­le Belästigung. Eine sol­che Tat kann bewusst oder unbe­wusst gesche­hen. Stereotypen, wel­che durch Sexismus ent­ste­hen, wir­ken sich sowohl auf das Täter:innen- als auch das Meldeverhalten aus. Statistisch gese­hen geht der Großteil sexua­li­sier­ter Diskriminierung von männ­lich gele­se­nen Personen aus, was im Zusammenhang mit den ver­brei­te­ten Geschlechterrollen steht. Denn häu­fig wird ein über­grif­fi­ges Verhalten mit eben die­sen Rollenbildern gerecht­fer­tigt, sei es auf der indi­vi­du­el­len oder gesell­schaft­li­chen Ebene. Frauen wird zum Beispiel häu­fig eine zu hohe Emotionalität und der Hang zum Übertreiben nach­ge­sagt. Laut einer Umfrage der Europäischen Kommission im Jahr 2016 stimm­ten in Deutschland 26 % der Befragten der Aussage „Frauen erfin­den oder über­trei­ben Missbrauchs- oder Vergewaltigungsvorwürfe oft­mals“ zu. Doch die Realität ist eine ande­re. Eine Studie (Kelly/Seith/Lovett: “Unterschiedliche Systeme, ähn­li­che Resultate? — Strafverfolgung von Vergewaltigungen in elf euro­päi­schen Ländern”, London Metropolitan University, 2009) stell­te mit 3 % nur einen gerin­gen Anteil an Falsch­anschuldigungen bei Vergewaltigungen fest. Im Bewusstsein die­ser Stereotype ver­mei­den vie­le Frauen das Melden eines Vorfalls. Aber auch Verhaltensweisen wie „Victim-Blaming“ sind das Ergebnis von Sexismus. Während Männer meist von den Vorwürfen ver­schont blei­ben, wird Frauen häu­fig sug­ge­riert, sie trü­gen zumin­dest eine Teilschuld an einem Übergriff. Ihnen wird zum Beispiel vor­ge­wor­fen, sie hät­ten einen „zu kur­zen“ Rock getra­gen oder wären zu unvor­sich­tig gewe­sen, da sie nachts allein unter­wegs waren. An die­ser Stelle hemmt das Gefühl des Schuldbewusstseins das Meldeverhalten. Ein auf­ge­klär­tes und soli­da­ri­sches Umfeld trägt wesent­lich dazu bei, dass sich Betroffene im Recht und auch dabei unter­stützt füh­len, etwas gegen die Diskriminierung zu unternehmen.

Illustration: Marlene Nötzold

Queere Personen und Menschen mit Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten, die nicht dem binä­ren Geschlechtersystem ent­spre­chen, bedür­fen eines beson­de­ren Schutzes. Eine Umfrage der European Union Agency for Fundamental Rights zeigt, dass vor allem Transgender- und inter­se­xu­el­le Personen gefähr­det sind. Sabine Wöller, die Projektkoordinatorin der Präventionsstelle Diskriminierung und sexu­el­le Belästigung unse­rer Universität, nennt an die­ser Stelle das Beispiel All-Gender-Toiletten. Für sol­che Toiletten spricht eini­ges. Personen, die sich nicht der binä­ren Geschlechterordnung von Männern und Frauen zuord­nen kön­nen oder wol­len, müss­ten sich so der Entscheidung, wel­che Toilette sie wäh­len, nicht aus­ge­setzt füh­len. Aufgrund der geschlechts­ka­te­go­ri­schen Zuordnung jener kann die­se eine poten­zi­el­le Gefahr, dis­kri­mi­niert zu wer­den, für die Menschen dar­stel­len, die nach der „Meinung“ ande­rer nicht in ein von ihnen als klas­sisch emp­fun­de­nes Geschlechterbild pas­sen. Flächendeckende All-Gender-Toiletten gibt es an der Universität noch nicht, jedoch wird das Gegenteil von der Präventionsstelle ange­strebt. Die Hürde ist die Komplexität des Vorhabens, wel­che sich bei­spiels­wei­se in der Arbeitsstättenverordnung oder den bau­li­chen Möglichkeiten zeigt.

Es kommt vor, dass sich vor allem Männer, die den ver­brei­te­ten geschlechts­spe­zi­fi­schen Rollenbildern und ‑nor­men ent­spre­chen, ange­grif­fen füh­len, wenn sie auf ihre Privilegien hin­ge­wie­sen wer­den, was aller­dings nicht ver­all­ge­mei­ner­bar ist. Männer sind nicht das Feindbild des Feminismus, denn auch sie lei­den dar­un­ter, wenn sie gewis­sen Rollenbildern nicht ent­spre­chen. „Weitverbreitete Mythen wie ‚Männer sind halt so‘ tra­gen zur Bagatellisierung der Übergriffe und zur Schuldverschiebung bei. Im Übrigen sind die­se Aussagen auch eine Diskriminierung gegen­über allen Männern. Und da sind die Männer noch zu lei­se, wenn sie eine pau­scha­le Aussage so unent­geg­net ste­hen las­sen“, meint Dr. Simowitsch. Dennoch sind männ­lich gele­se­ne Personen an vie­len Stellen pri­vi­le­gier­ter als Personen mit ande­ren Geschlechtern. Das kann zum Beispiel an der Professor:innenquote fest­ge­macht wer­den. Laut dem Statistischen Bundesamt liegt der Frauenanteil bei haupt­be­ruf­li­chen Professoren nur bei 25,6 Prozent. Da es Menschen oft schwer­fällt, ihre pri­vi­le­gier­te Position wahr­zu­neh­men, was man ihnen teil­wei­se auch nicht vor­wer­fen kann, gestal­tet es sich für sie auch schwie­ri­ger, Diskriminierung als sol­che wahr­zu­neh­men. Doch ist es wich­tig und gewinn­brin­gend, dass sich auch Männer in die Sexismus-Debatte ein­brin­gen. Denn nur eine auf­ge­klär­te Gesellschaft in der Gesamtheit kann zu einem dis­kri­mi­nie­rungs­ar­men Alltag beitragen.

Häufig werden Übergriffe nicht gemeldet

Eines der Hauptprobleme, wenn es um sexua­li­sier­te Diskriminierung und Gewalt geht, ist die Tatsache, dass vie­le Fälle nicht gemel­det wer­den. „Es gibt ganz vie­le nach­voll­zieh­ba­re Gründe, war­um Menschen sich nicht mel­den“, sagt auch Wöller und nennt in die­sem Zusammenhang die exis­ten­zi­el­len Abhängigkeiten, Schuldgefühle oder die Angst, nicht ernst­ge­nom­men zu wer­den. Ein Problem ist, dass Ablenkungstaktiken von Täter:innen geglaubt wird, etwa nach dem Motto: ‚Das war doch als Kompliment gemeint‘. „Empirische Studien bele­gen aber, dass sich Männer und Frauen weit­ge­hend einig sind, was Flirten oder eben unan­ge­mes­se­nes Verhalten ist“, meint Dr. Simowitsch. Deshalb müs­sen nicht nur die Beratungsstellen an der Universität, an die man sich wen­den kann, bekannt sein. Sondern auch die Tatsache, dass man abso­lut die Berechtigung hat, sich an die­se zu wen­den und man sich in ein ver­trau­li­ches Umfeld begibt. Ein Ansteigen gemel­de­ter Fälle in Beratungsstellen ist eben in der Regel kein Indiz dafür, dass tat­säch­lich mehr Vorfälle passieren.

Eine Voraussetzung dafür sind Sanktionen, die nicht nur ange­droht, son­dern auch umge­setzt wer­den. Sanktionen haben eine dop­pel­te Wirkung: Auf der einen Seite füh­len sich die Betroffenen ernst­ge­nom­men und auf der ande­ren Seite die (poten­zi­el­len) Täter:innen ein­ge­schüch­tert. Aber wie wer­den sexu­el­le Übergriffe an unse­rer Uni sank­tio­niert? Sabine Wöller schil­dert, dass die ange­mes­se­nen Sanktionen stets anhand des Einzelfalls fest­ge­legt wer­den. „Es kann durch­aus gra­vie­ren­de Folgen haben, wenn man so etwas tut, und es wird auch sehr ernst­ge­nom­men hier an der Uni.“ Mögliche Sanktionsmöglichkeiten für Arbeitnehmer:innen stel­len Ermahnungen, Umsetzungen oder Kündigungen dar und für ver­be­am­te­te Personen Disziplinarverfahren. Die meis­ten Übergriffe ereig­nen sich aller­dings sta­tis­tisch gese­hen zwi­schen Studierenden. An die­ser Stelle gibt es auch viel­fäl­ti­ge Sanktionsmaßnahmen wie Ermahnungen, einen Ausschluss aus einer Veranstaltung oder eine Zwangsexmatrikulation. Jedoch ist es wich­tig, dass die­se Sanktionen auch ange­wen­det wer­den, fin­det auch Wöller: „Wir haben eine Vielzahl von Sanktionsmöglichkeiten, wich­tig ist, dass die­se auch ange­mes­sen ange­wen­det wer­den. Dabei soll­te auch berück­sich­tigt wer­den, was sich die betrof­fe­ne Person wünscht.“

Essenziell ist zudem eine gute Schulung der Beratungsstellen sowie regel­mä­ßi­ge, am bes­ten ver­pflich­ten­de Weiterbildungen für Lehrende, Personen in der Verwaltung, Hochschulleitungen und Studierende. Bisher gibt es kei­ne ver­pflich­ten­den Weiterbildungen an der MLU, und dem­entspre­chend hal­ten sich die Besucher:innenzahlen bei Mitarbeiter:innen ver­gleichs­wei­se gering. Der Grund: „Das Problem ist, dass gera­de bei­spiels­wei­se wis­sen­schaft­li­che Mitarbeiter:innen eine sehr hohe Arbeitsbelastung und somit nicht die Zeit für lan­ge Weiterbildungen haben. Wenn ich aber nur zwei Stunden Zeit für eine Weiterbildung habe, dann kann ich der Erwartung der Teilnehmenden, nach der Weiterbildung kei­ne Fehler mehr zu machen und die Antidiskriminierung in Person zu sein, nicht gerecht wer­den. Dazu han­delt es sich bei Diskriminierung um ein viel zu kom­ple­xes Thema, das einer inten­si­ven Auseinandersetzung bedarf“, meint Wöller. Alternativ ist die Präventions­stelle zur­zeit dabei, Handlungsleitfäden zu schrei­ben. Ein Aspekt die­ser Leit­fäden wird sein, wor­auf geach­tet wer­den muss, wenn jemand eine Veranstaltung dis­kri­mi­nie­rungs­frei gestal­ten möchte.

Das Aufbrechen der Schweigekultur

Insgesamt ist es wich­tig, offe­ner über sexua­li­sier­te Diskriminierung und Gewalt zu reden und sich akti­ver in den Diskurs ein­zu­brin­gen. Obwohl noch viel getan wer­den muss, beob­achtet Dr. Solveig Simowitsch eine posi­ti­ve Entwicklung. „Dass es über­haupt mal ange­spro­chen wird, auch im pri­va­ten Umfeld, undenk­bar noch vor 20 Jahren!“ Auch Sabine Wöller zieht, bezo­gen auf unse­re Universität, eine posi­ti­ve Bilanz. Mit den eta­blier­ten Infowebsites, den ver­trau­li­chen Beratungsmöglichkeiten, einer hohen uni­ver­si­tä­ren Informationspolitik im Sinne von Plakaten, Richtlinien und the­men­be­zo­ge­nen Veranstaltungen, zählt die MLU bereits zu den Best-Practice-Beispielen im deutsch­spra­chi­gen Raum. Trotzdem gibt es selbst­ver­ständ­lich immer Luft nach oben. „An unse­rer Universität stu­die­ren und arbei­ten ins­ge­samt mehr als 24 000 Menschen. Jedes Jahr kom­men neue Menschen dazu und ande­re ver­las­sen die Universität. Da ist immer die Frage: Wie kön­nen wir all die­se Menschen errei­chen und sen­si­bi­li­sie­ren? Das ist eine Herausforderung und bleibt eine dau­er­haf­te Aufgabe.“ In Zukunft sind sei­tens der Präventionsstelle die erwähn­ten Leitfäden, Empfehlungen zum Thema dis­kri­mi­nie­rungs­sen­si­bler Sprache und Online-Angebote geplant. Dafür wünscht sich Sabine Wöller auch Anregungen aus der Studierendenschaft: „Wenn Sie selbst Ideen haben, dann mel­den Sie sich sehr gern bei mir. Es ist abso­lut wert­voll, wenn wir Feedback bekom­men, wo noch Handlungsbedarfe sind, um die wir uns küm­mern sollten.“

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