Frank Scott lädt in der Adap­tion zu Wal­ter Travis’ Roman „The Queen’s Gam­bit“ (im Deutschen: „Das Damengam­bit”) zu ein­er unkon­ven­tionellen Com­ing-of-Age-Geschichte in die Swing­ing Sixties.

1967, Paris. Beth Har­mon (Anya Tay­lor-Joy) stolpert im Hal­brausch aus der Bade­wanne, nach­dem sie von einem der Zim­mer­wärter ihres glam­ourösen Hotels geweckt wurde. Ihr Zim­mer ist geze­ich­net von den Überbleib­seln ein­er lan­gen Nacht – Sek­t­flaschen, Hotel­dekor halb zer­stört und ver­streut auf dem Boden, ein nack­ter Mann im Bett. Nicht wirk­lich, was man typ­is­cher­weise in Zusam­men­hang mit Schach brin­gen würde, zumal der Titel der Sendung „Das Damengam­bit“ nach ein­er der am häu­fig­sten genutzten Schach­eröffnungen benan­nt wurde. Doch hin­ter dieser Net­flix-Minis­erie, die sich über sieben Episo­den zieht, steckt viel mehr als junge Män­ner in ein­far­bigen Pul­lun­dern, die ihre gesamte Freizeit stur vor dem Schachbrett in ihrem Zim­mer verbringen.

Sie zeigt die Geschichte der Beth Har­mon, die im jun­gen Alter nach einem schw­eren Autoun­fall ihre Mut­ter ver­lor und in Obhut eines stren­gen Kinder­heims ihre Lei­den­schaft für Schach ent­deck­te. Die Serie ver­fol­gt dabei nicht nur ihr Her­anwach­sen aus dem Mädchen­alter zu ein­er jun­gen Frau, son­dern auch den Weg in die Berühmtheit und Pop­u­lar­ität aus einem Leben in Armut und Ein­samkeit. Gle­ichzeit­ig kämpft sie nicht nur mit den alltäglichen Teenager­prob­le­men wie Aus­gren­zung und Mob­bing in der Schule, son­dern auch The­men rund um Ras­sis­mus, psy­chis­che Gesund­heit, Fem­i­nis­mus und Emanzi­pa­tion wer­den für den Zuschauer in den Fokus gerückt.

Das Herzstück der Serie bildet jedoch das Schachspiel, das zu dieser Zeit fast gän­zlich von Män­nern dominiert wird. Diese sind nur sehr zurück­hal­tend, wenn es darum geht, ein junges weib­lich­es Tal­ent in seinen Rei­hen aufzunehmen und während­dessen zu real­isieren, dass dieses sog­ar bess­er als manch ein­er sein könnte.

Auf ihrem ger­adezu steilen Auf­stieg ent­gleist Beth einige Male, sucht unter­dessen auch Trost in Alko­hol, Medika­menten und Sex und beweist, wie nah Selb­st­be­wusst­sein und Selb­stver­lust doch beieinan­der­liegen können.

Ein nervenaufreibendes Spiel

Beson­ders inter­es­sant ist „Das Damengam­bit“, da es die Serie schafft, den doch von vie­len als lang­weilig und ein­seit­ig ver­pön­ten Sport Schach span­nend, sog­ar fes­sel­nd darzustellen, was unter anderem auf die rasch wech­sel­nden Kam­er­ae­in­stel­lun­gen und die beglei­t­ende span­nungs­ge­ladene Musik zurück­zuführen ist. Bei jedem einzel­nen Spiel der Serie fiebert man fast schon so sehr mit wie son­st nur bei ein­er Fußball-Welt­meis­ter­schaft, in der das eigene Nation­al­team im Finale ste­ht. Denn wie schon in der Serie erwäh­nt, sind nur recht wenige Dinge „geistig so bru­tal wie Schach“. Zudem beweist „Das Damengam­bit“ ein­mal mehr den Net­flix­ef­fekt – wird etwas auf Net­flix pop­ulär, schlägt das auch zurück auf das Pub­likum. So kon­nte man direkt nach Erscheinen im Dezem­ber 2020 ein schnellwach­sendes Inter­esse am Schachspiel und einen regel­recht­en Auf­schwung der Anmel­dun­gen für Schachkurse beobachten.

Kurzer Nostalgietrip gefällig?

Die Net­flix-Minis­erie „Das Damengam­bit“ (2020) ist ein ästhetis­ch­er Augen­schmaus. Trotz­dem ist sie nicht nur ein Must-watch für Nos­tal­giev­ernar­rte, son­dern auch für jeden, der nach ein­er unkon­ven­tionellen Com­ing-of-Age-Geschichte der Ver­gan­gen­heit sucht. Sie überzeugt neben ein­er einzi­gar­ti­gen Emanzip­ierungssto­ry ohne einge­fahrene und neg­a­tiv kon­notierte Girl-Pow­er-Klis­chees mit wun­der­schö­nen Sets der Kalten-Kriegs-Zeit der 1950er bis in die späten 1960er Jahre in den USA. Das liegt daran, dass Uli Hanisch, der schon mit seinem Kön­nen und sein­er Liebe zum Detail als Szenen­bild­ner in „Baby­lon Berlin“ (2017–) von sich reden machte, auch hier beein­druckt. Über­raschen­der­weise wurde der Großteil der Serie tat­säch­lich auch in Berlin gedreht.

Eben­so glänzt die Serie mit einem liebevoll gestal­teten, akku­rat­en Kostümde­sign sowie nos­tal­gis­chen Musik­sequenzen, in denen man so einige Klas­sik­er wie die Bea­t­les, The Mon­kees oder Frank Sina­tra wiederfind­et. Die Kürze der Serie ist ins­beson­dere angemessen für unsere aktuelle Sit­u­a­tion. In ein­er ungewis­sen Zeit wie dieser scheint sie nahezu per­fekt zu sein für eine kleine Zeitreise, wobei die Sta­bil­ität und Intim­ität eines Schachspiels möglicher­weise genau den Halt bieten, den einige momen­tan sehr vermissen.

Weit­ere Filmbe­sprechun­gen find­et Ihr auf unser­er Web­site:
https://hastuzeit.de/tag/filmrezension/

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