Sam­stagvor­mit­tag, die Sonne scheint, vere­inzelte Besuch­er haben sich auf dem Sport­gelände der Ziegel­wiese ver­sam­melt, aus der Musik­box tönen bekan­nte Poplieder. Die angenehm­ste Kulisse, um den zauber­haftesten Unis­port der MLU erleben zu dürfen.

Wir benöti­gen: Sieben Spiel­er, sieben Besen, vier Bälle. Und schon kön­nen wir los »quid­ditchen«.

»Halle, Halle, Halle: in 10 Minuten friend­ly!«, ruft uns die junge Frau im Ren­nen ent­ge­gen, macht auf dem Absatz kehrt und ist im näch­sten Augen­blick schon wieder bei ihrer blau-weiß gestreiften Mannschaft am anderen Ende der Wiese angekom­men. Ich ver­ste­he nur Bahn­hof, ver­suche mir das aber nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Son­ja Rohlfs, die neben mir ste­ht, hat wohl das große Frageze­ichen auf mein­er Stirn erkan­nt. Lächel­nd erk­lärt sie: »Das bedeutet, dass die Horkruxe Halle in 10 Minuten ein Fre­und­schaftsspiel gegen die Loop­ing Luchs Leipzig bestre­it­en werden.«

Besen?! »Wingardi­um Leviosa« als Zauber­spruch zum Fliegen?! Kommt das dem einen oder anderen nicht irgend­wie bekan­nt vor? Richtig: Das fik­tive Mannschaftsspiel Quid­ditch entstammt ursprünglich dem von der britis­chen Schrift­stel­lerin J. K. Rowl­ing erdacht­en Har­ry-Pot­ter-Uni­ver­sum. Die Stu­den­ten Xan­der Man­shel und Alex Benepe eines Col­leges in Ver­mont etablierten den Sport 2005 als »Muggel-Quid­ditch« zuerst in den USA, dann ver­bre­it­ete sich das Spiel immer weit­er rund um den Globus. Der gemis­cht­geschlechtliche Vol­lkon­tak­t­sport kann selb­stver­ständlich nicht nur von Har­ry-Pot­ter-Fans gespielt wer­den. Seit 2012 wird das Spielgeschehen, das Ele­mente aus Hand­ball, Rug­by und Dodge­ball enthält, vom Deutschen Quid­ditch-Bund organisiert.

Aktuell entwick­elt sich die Hom­mage an den »Jun­gen, der über­lebt hat« beständig weit­er: Immer mehr Teams wer­den Teil der Inter­na­tion­al Quid­ditch Asso­ci­a­tion. Der Zusam­men­halt der weltweit­en Com­mu­ni­ty sucht schon jet­zt seines­gle­ichen, 2016 kon­nten die ersten deutschen Meis­ter­schaften in Darm­stadt aus­ge­tra­gen werden.

Foto: Clara Hoheisel
Match für Muggel

Die offiziellen Regeln sind sehr kom­plex und wer­den deshalb in einem über 200 Seit­en starken Buch­band fest­ge­hal­ten. Das Spielfeld besitzt eine Größe von unge­fähr 22 mal 33 Metern, wobei Match­es oft­mals auf zweck­ent­fremde­ten Fußballplätzen stat­tfind­en. Obwohl der Sport in der Har­ry-Pot­ter-Welt sofort mit Besen assozi­iert wird, ist das in der Real­ität auf­grund des erhöht­en Ver­let­zungsrisikos der Spiel­er nur eingeschränkt möglich. Daher set­zen viele Teams auf leichte PVC-Rohre, die sich die Spiel­er zwis­chen die Beine klem­men. In den let­zten Jahren entwick­elte sich in den USA ein Markt spieltauglich­er Besen. Die Mod­elle sind meis­tens kürz­er als herkömm­liche Kehrbe­sen und sehen schick­er aus als die tris­ten PVC-Rohre. Lei­der han­delt es sich dabei um einen sehr kosten­in­ten­siv­en Spaß. Der Ver­sand aus den USA ist aufwendig, sodass sich fast kein Team dieses klei­d­same Acces­soire leistet.

Gespielt wird in der Regel ein­händig, da der Besen fest­ge­hal­ten wer­den muss. Fällt ein Exem­plar zu Boden, ist es die Auf­gabe des entsprechen­den Spiel­ers, zu seinen eige­nen Tor­rin­gen zu sprint­en, um wieder am Geschehen teil­nehmen zu dür­fen. Die Spiel­po­si­tio­nen sind eben­falls an die Erfind­ung J. K. Rowl­ings angelehnt: Drei Chas­er (Jägerin­nen) tra­gen weiße Head­bands (Stirn­bän­der) und ver­suchen, einen nicht ganz voll­gepumpten Vol­ley­ball, den Quaf­fle, durch einen der geg­ner­ischen Tor­ringe zu befördern. Ein Tre­f­fer bringt dem eige­nen Team 10 Punk­te ein und wird erre­icht, sobald die Chas­er durch einen der drei Ringe tre­f­fen, unab­hängig von welch­er Seite das Tor erzielt wird. Vor den Rin­gen ist der Keep­er (Hüterin), erkennbar an einem grü­nen Head­band, bemüht, die Tre­f­fer der geg­ner­ischen Mannschaft zu verhindern.

Zwei Beat­er (Treiberin­nen) in schwarzem Trikot wer­fen die Spielerin­nen der geg­ner­ischen Mannschaft mit Dodge­bällen, soge­nan­nten Bludgern (Klatsch­ern), ab. Dies müssen sie allerd­ings ohne die in der Buchvor­lage erwäh­n­ten Schläger tun, da Ver­let­zun­gen son­st nicht aus­geschlossen sind. Damit kein Team die Bludger ewig inner­halb der eige­nen Mannschaft behal­ten kann, wird mit drei Bällen gespielt. Bei einem Tre­f­fer ist der entsprechende Spiel­er off broom (»aus­ge­knockt«) und muss zu den eige­nen Tor­rin­gen sprint­en, um weit­er­spie­len zu dürfen.

Schließlich beste­ht der Kad­er auch aus der Posi­tion Seek­er (Sucher*in). Dieser trägt ein gelbes Head­band und darf das Spielfeld ab der 18. Minute betreten, um den Snitch (Schnatz) zu fan­gen. Dabei han­delt es sich um einen Ten­nis­ball, der sich wiederum in ein­er gel­ben Socke befind­et, die an die Hose des Snitch-Run­ners gek­let­tet ist. Diese Spiel­po­si­tion beschreibt eine neu­trale Per­son, die ganz in gelb gek­lei­det ist, keinen Besen mit sich führt und das Spielfeld ab Minute 17 betreten darf. Die Auf­gabe des Snitch-Run­ners beste­ht darin, vor dem Seek­er zu fliehen oder ihn, so gut es geht, von dem Schnatz fernzuhal­ten, sodass das Spiel zeitweise an einen Wrestlingkampf erin­nert. Gle­ichzeit­ig kann der Snitch Run­ner auch zur Unter­hal­tung des Pub­likums beitra­gen. Er besitzt außer­dem (fast) alle Frei­heit­en, wie beispiel­sweise den Besen eines Spiel­ers zu entwen­den und ihn so zeitweise spielun­fähig zu machen.

Gelingt es einem Seek­er, dem Snitch-Run­ner den Ten­nis­ball in der Socke abzunehmen, ist das Spiel been­det, und die entsprechende Mannschaft erhält 30 Punk­te. Falls sich ein Spiel in die Länge zieht, wer­den die Hand­lungsmöglichkeit­en des Snitch-Run­ners zunehmend eingeschränkt.

Wie beim Fußball kön­nen auch beim Quid­ditch eine Rei­he an Fouls began­gen wer­den. Dazu gehören beispiel­sweise aktives Ball­spiel, während der Spiel­er off broom ist, oder das Umstoßen der Tor­ringe. Eine Strafe kann neben einem Zurückp­fiff an die Torstan­gen auch das Kassieren ein­er Karte sein. Mit der blauen oder gel­ben Karte darf der Spiel­er jew­eils eine Minute nicht am Geschehen teil­nehmen. Mit der zweit­en gel­ben Karte erhält der Spiel­er anschließend ein rotes Exem­plar und muss endgültig aus dem Spielgeschehen aussteigen. Bei schw­erem Verge­hen kann eine Per­son sog­ar aus der Quid­ditch-Mannschaft aus­geschlossen werden.

Willkommen in der Winkelg… Selkestraße 

Inzwis­chen ist das Fre­und­schaftsspiel Halle gegen Leipzig in vollem Gange. Es fällt mir schw­er, das kom­plette Geschehen zu überblick­en, da so viel gle­ichzeit­ig geschieht. Ein paar Meter ent­fer­nt ent­decke ich Sebas­t­ian Hilsch­er, der sich aufwärmt. Er erzählt: »Quid­ditch sieht nicht nur kom­pliziert aus, zu Beginn ist es auch rel­a­tiv ver­wirrend. Sowohl auf kör­per­lichem als auch auf geistigem Gebi­et ist höch­ste Konzen­tra­tion gefordert, da man viel laufen muss und dabei auf vier Bälle gle­ichzeit­ig acht­en sollte. Deshalb beste­ht unser Train­ing neben konkreten Spiel­sim­u­la­tio­nen auch aus Laufein­heit­en, Par­cours, Fit­ness- und Agilität­sübun­gen, um uns per­fekt auf die Wet­tkämpfe vorzu­bere­it­en.« Sebas­t­ian hat inzwis­chen ange­fan­gen, auf der Stelle zu hüpfen. Er fährt fort: »Die Idee, eine Ama­teur­mannschaft in Halle zu grün­den, ent­stand bei einem kühlen Bier, als mir ein Fre­und ein Pro­movideo der Amerikanis­chen Meis­ter­schaften zeigte. Offiziell gibt es die Horkruxe Halle seit dem 27. April 2017. Heute beste­ht unser Team aus cir­ca 30 Per­so­n­en, die oft­mals als Har­ry-Pot­ter-Fans kamen, aber niemals nur deshalb bleiben.« Ein Sig­nal ertönt, irgend­je­mand scheint eine Karte bekom­men zu haben. Sebas­t­ian ruft seinem Team etwas zu und fährt dann fort: »Ich bin ein­er der drei bis vier Train­er. Aber eigentlich gibt es keine klaren Hier­ar­chiestruk­turen in unserem fluk­tu­ieren­den Kad­er.« Obwohl Sebas­t­ian son­st häu­fig als Chas­er auf dem Spielfeld kämpft, ist er heute auch als Seek­er aktiv und darf das Spielfeld erst ab der 18. Minute betreten. Er blickt auf das Geschehen und lächelt. »Ich hat­te schon Angst, dass wir heute gar nicht spie­len kön­nen. Im Rah­men der Ostli­ga müssten die Horkruxe Halle eigentlich gegen Jena und Berlin spie­len, aber bei­de haben abgesagt.«

Sebas­t­ian streift sein Team auf dem Spielfeld, das sich momen­tan zum Großteil auf Höhe der geg­ner­ischen Tor­ringe befind­et, mit einem mustern­den Blick. »Beim Quid­ditch ist es sehr wichtig, dass niemals mehr als vier Per­so­n­en eines Geschlechts, sprich männlich, weib­lich oder divers, eine Posi­tion auf dem Spielfeld innehaben. Anson­sten muss der Schied­srichter eine warn­ing for gen­der rule vio­la­tion aussprechen.« Auf die Frage, was bei Sebas­t­ian die Fasz­i­na­tion für diesen kom­plex­en Vol­lkon­tak­t­sport aus­löst, antwortet er: »Die Com­mu­ni­ty ist einzi­gar­tig. Der Geg­n­er wird geliebt und nach einem Spiel kann man oft beobacht­en, dass sich zwei Teams gegen­seit­ig Mut zus­prechen. Dafür gibt es sog­ar ein Wort: Quove, eine Mis­chung aus Quid­ditch und Love.« Abrupt endet unser Gespräch, als Sebas­t­ian von einem Mit­spiel­er darauf hingewiesen wird, dass er gle­ich aufs Spielfeld muss. Ich wün­sche ihm viel Glück, aber das hört er schon gar nicht mehr.

Son­ja Rohlfs wird zeit­gle­ich aus­gewech­selt. Ver­schwitzt, aber glück­lich lässt sie sich ins Gras fall­en, atmet kurz durch und erzählt dann: »Ich bin nun schon fast zwei Jahre dabei, cir­ca sechs Monate nach der Entste­hung des Teams in Halle. Beson­ders gerne spiele ich als Defen­sive Seek­er. Der wird einge­set­zt, wenn unsere Mannschaft mehr als 30 Punk­te hin­ten liegt, also selb­st durch den Snitch Catch ver­lieren würde. Ich ver­suche dann vor allem den geg­ner­ischen Seek­er davon abzuhal­ten, die Socke mit dem Ball zu bekom­men. Ist die Swim­range erre­icht, sprich, der Catch entschei­det wieder über den Aus­gang des Spiels, wird der Defen­sive Seek­er aus­gewech­selt oder begin­nt selb­st aktiv nach dem Snitch zu suchen. Außer­dem bin ich ziem­lich oft Chas­er und manch­mal auch Keep­er, aber dafür bräuchte man eine noch bessere Spielüber­sicht, als ich es habe.«

Plöt­zlich ertönt ein Sig­nal. Das Match ist zu Ende. Mir fällt auf, dass sich bei­de Teams direkt nach Spie­lende gegen­seit­ig umar­men. Ich möchte wis­sen, wie das Spiel aus­ge­gan­gen ist. Aus dem Pulk der Umar­menden ertönt es: »180 zu 160 oder so. Ist ja auch egal. Spaß zu Spaß!« Ich ent­decke Sebas­tians grin­sendes Gesicht, und er raunt mir zu: »Spread the quove!«

  • Quid­ditch ist Teil des Unis­port­pro­gramms (usz.uni-halle.de) und find­et ab Okto­ber voraus­sichtlich mon­tags und fre­itags 15.00 bis 17.00 Uhr beim Peißnitzhaus und mittwochs 17.00 bis 18.00 Uhr in der Sporthalle Selkestraße statt. 
  • Aktuelle Infor­ma­tio­nen: facebook.com/HorkruxeHalle/
Foto: Clara Hoheisel
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