Zuletzt machten mehrfach Proteste von Landwirt:innen gegen auslaufende Subventionierungen Schlagzeilen. Auch mit berechtigten Gründen, kam es zu politischer Unterwanderung und Instrumentalisierung.
Straßenblockaden, Widerstand gegen die Polizei, Lynchmobs und allgemeiner Unmut – alles Aspekte, die die kürzlichen Proteste von Landwirt:innen ausmachen. Allerdings sind das nun wohl eine legitime Mittel für die Forderung, ausgelaufene Subventionen zu verlängern, auf die es auch fix Zugeständnisse durch Politiker:innen gibt. Gleichwohl werden andere für friedliche Proteste als „Terrorist:innen“ denunziert und in Präventivhaft genommen.
Weshalb die Proteste?
Essen wollen wir alle, daher sind wir auf die Landwirtschaft angewiesen. Am liebsten regional, das ist gut für lokale Gewerbe und verursacht weniger Emissionen im Transport. Genug Nahrungsmittel zu produzieren, um damit ein ganzes Land versorgen zu können, braucht allerdings viel Zeit, Aufwand und Ressourcen; erst recht, wenn auf dem globalen Markt Preise für Produkte angeboten werden, die für Großabnehmer:innen deutlich attraktiver sind. Trotzdem wollen wir als Verbraucher:innen kein Vermögen für unser Gemüse ausgeben. Daher subventionierte die Regierung die Produzent:innen – investierte also Geld, damit die Landwirt:innen Gewinn machen und trotzdem die Preise für die Verbraucher:innen niedrig bleiben können.
Unter anderem konnten Landfahrzeuge wie Traktoren steuerfrei gekauft werden und der Agrardiesel für deren Betrieb wurde vergünstigt. Beide Subventionen sollten nun auslaufen. Die Folgen wären höhere Preise für Kund:innen oder weniger Einnahmen für die Erzeuger:innen. Da letztere nicht einmal drei Prozent der Bevölkerung ausmachen, ist offensichtlich, wer verliert.
Legitime Kritik
Betreibt man eine Landwirtschaft, wurde man damit auch bisher schon nicht reich: Im Gegenteil, es mussten in den letzten zehn Jahren mehr als 35.000 Betriebe schließen, so ein Artikel der agrarheute. Auch sind immer mehr Landwirt:innen auf einen Nebenerwerb angewiesen, um sich vor allem außerhalb der Saison über Wasser zu halten.
So gesehen ist es nur allzu verständlich, dass man auf die Straße geht, wenn einem noch mehr finanzielle Steine in den Weg gelegt werden, nachdem seit Jahren Preise durch Großabnehmer:innen gedrückt wurden und auch Verbraucher:innen keine Einsicht für steigende Verkaufskosten zeigen oder gar nicht zeigen können, wenn Löhne nicht mit der Inflation mitwachsen.
Auch die Mehrheit der Studierenden der Agrarwissenschaften an der MLU stehen hinter den Forderungen des Bauernverbandes, schreibt der Fachschaftsrat für Agrar- und Ernährungswissenschaften. Von der politischen Instrumentalisierung distanziere man sich jedoch trotzdem: „Zu lange wurden Probleme aus politischer Überzeugung statt fachlicher Expertise gelöst, zu oft wurden Versprechen an die Landwirtschaft nicht eingehalten. […] Die junge Generation braucht verlässliche Zusagen für die Laufzeiten ihrer Kredite und nicht ihrer Politiker.“, schreiben die Mitglieder in ihrem Statement.
Illegitime Mittel
Problematisch sind bei den Demonstrationen also nicht die Hintergründe, sondern wie die Proteste abgehalten und unterwandert werden. Kolonnen von Traktoren blockieren Straßen, Autobahnen und Zufahrten – Fluchtwege und Rettungsgassen interessieren niemanden mehr. Dabei waren und sind es doch genau diese, wegen der die Demonstrierenden der Letzten Generation so verurteilt und kriminalisiert werden. Auch auf Absperrungen durch die Polizei wird keine Rücksicht genommen. Was soll ein silber-blauer Kombi auch gegen einen Zehn-Tonnen-Traktor ausrichten?
Weit entfernt von friedlichem Protest zeigten sich Landwirt:innen und andere Protestierende auch Anfang Januar in Schleswig-Holstein. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) war privat auf einer Fähre unterwegs und wurde von hunderten Protestierenden erwartet, die ihm und den anderen Passagier:innen das Verlassen der Fähre verwehrten. Spätestens als laut Polizei 25 bis 30 Personen versuchten, die Fähre zu stürmen, und dabei von Einsatzkräften teilweise mit Pfefferspray abgehalten werden mussten, macht das den unangenehmen Eindruck eines Lynchmobs. Habeck zeigte sich sogar noch gesprächsbereit und lud einige Demonstrant:innen zu Verhandlungen auf die Fähre ein – Hut ab dafür – das wurde aber pöbelnd und schreiend abgelehnt. Damit haben sich die Protestierenden viel Sympathie bei der Bevölkerung verspielt.
Die Titelzeile „An die ‚Letzte Generation‘: Blockierer und Nötiger sind keine Helden!“, wie sie vor etwa zwei Jahren noch bei agrarheute prangte, ist wirklich schlecht gealtert. Immerhin schreiben sie heute, die Klimaproteste „zeichnen sich […] durch ausgenommene Friedfertigkeit aus“, wenn sie mit den Bauerndemos verglichen werden. Wahrscheinlich geht man auch selbstsicherer vor, wenn man es sich drei Meter über dem Boden in der beheizten Fahrkabine gemütlich macht, statt sich selbst in die verletzliche Lage zu bringen, offen für die immer wieder vorkommenden Angriffe von Passant:innen zu sein.
Bauernrechte und rechte Bauern
Nachdem Teile der demonstrierenden Landwirt:innen ihre Narrative schnell so aufgebaut hatten, dass „die Ampel“ an allem schuld sei, hat es nicht lange gedauert, bis sich auch andere Gegner:innen der Regierung auf ihre Seite schlugen und die Proteste instrumentalisierten. Statt unfairer Preisgestaltungen stand auf einmal im Fokus, wie „Die Grünen die hart arbeitenden Bäuer:innen nieder machen wollen”.
Dass die aktuell regierende Koalition aus Grünen, FDP und SPD die Änderungen gar nicht beschlossen hat, sondern diese noch von der vorigen Regierung stammen, spielt für viele keine Rolle. Schnell war der Populismus zur Stelle, den Mittelstand vor der bösen Ampel schützend, und ganz vorne mit dabei die AfD, um weiter die Hetzstimmung anzuheizen. Dabei ist es nicht einmal schwer zu zeigen, dass sich diese teilweise gesichert rechtsextreme Partei in Wahrheit kein Stück für die Landwirt:innen interessiert; im Gegenteil, es steht in ihrem Parteiprogramm explizit, dass sie sich gegen jedwede Subventionierung aussprechen. Aber sich tatsächlich damit auseinander zu setzen, wer da neben seinem Traktor marschiert, ist nun wirklich zu viel verlangt, wenn man sich auch auf den Sündenbock konzentrieren kann, den sie einem präsentieren.
Zu viele Bilder der Bäuer:innenproteste sind geprägt von grün-gelb-roten Puppen an Galgen, Rechtspopulismus und der Flagge der Landvolkbewegung. Letztere ist womöglich gar nicht so bekannt – ein weißer Pflug und ein rotes Schwert auf schwarzem Grund. Die Landvolkbewegung hat ihren Ursprung in der Agrarkrise der 1920er Jahre und war in ihrer Ausrichtung vor allem völkisch-nationalistisch, antiparlamentarisch und antisemitisch. Sie sei nach Recherchen einer arte Dokumentation ein Wegbereiter der NSDAP gewesen und ihre Fahne wird nun stolz von wütenden Bäuer:innen auf ihren Traktoren gehisst.
Das alles ist eine Unterwanderung von einigen rechtsextremen, aber sehr lauten Stimmen. Sie dominieren unfairerweise die Wahrnehmung der Proteste. Auch erkennen viele Bäuer:innen wahrscheinlich nicht, in welche politische Richtung sie damit treiben, weil sie von ihrer Wut geblendet sind, die der Rechtspopulismus mit seinem Anti-Ampel-Narrativ immer weiter schürt. Und trotzdem stellen sich immer wieder Bäuer:innen „gegen rechte Stimmungsmacher bei Protesten“, wie der NDR schreibt. Auch Studierende, die sich an den Protesten beteiligen, haben kein Interesse an der rechten Unterwanderung, sondern wollen, dass die Themen “wissenschaftlich, faktenbasiert und vor allem zusammen mit den Landwirtinnen und Landwirten diskutiert werden”. Doch der wütende Mob ist lauter.
Zweierlei Maß
Erschreckend ist nun, wie die Bevölkerung, Medien und vor allem Politik reagierten. Rufen wir uns dazu nochmal ins Gedächtnis, wie mit den Klimaprotesten der Letzten Generation umgegangen wurde.
Sie zu den “Klimakleber:innen” zu degradieren ist wohl noch das harmloseste. Immer wieder gab es Neuigkeiten, wie Polizist:innen zu übermäßiger Härte griffen, um sie aus ihren Protestpositionen zu entfernen, oder sie nicht vor Attacken von Passant:innen schützten. Autofahrer:innen, die sich so angegriffen von den Behinderungen auf ihren Arbeitswegen fühlten, deuteten nicht selten an, die Demonstrierenden überfahren zu wollen, und riskierten auch immer wieder, diese zu verletzen. Ja, die Blockaden der Letzten Generation sind unangekündigt und überraschend, auf die der Landwirt:innen kann man sich mehr oder weniger vorbereiten. Dafür sperren erstere nur eine einzelne Straße und machen nicht ganze Ortschaften mit Zügen aus Traktoren und Betriebsfahrzeugen undurchquerbar.
Mit einer Kolonne von Traktoren hat man natürlich Angriffe von Passant:innen und Polizist:innen nicht zu befürchten, da kann man auch mal einen ganzen Autobahnabschnitt blockieren und dabei entspannt ein paar Bratwürste auf dem mitgebrachten Grill wenden.
Spätestens als Klimaaktivist:innen wie die Letzte Generation Kartoffelbrei und Suppe auf Exponaten in Museen verteilten, wurden sie zu “Klimaterrorist:innen” erklärt. Die betroffenen Exponate waren übrigens stets durch Glasscheiben geschützt. Wie aber Christian Lindner (FDP) in seiner äußerst pathetischen, aber vor allem populistischen Rede vom 15. Januar klarstellte: Der Unterschied zwischen den “Klimakleber:innen” und den Bäuer:innenprotesten sei, die einen hätten das Brandenburger Tor beschmutzt, und die anderen hätten es geehrt. Gut zu wissen, dass das der entscheidende Punkt ist.
Durchbrich mit antiparlamentarischen und antisemitischen Gruppen Polizeiblockaden, folge den Lügen einer teilweise gesichert rechtsextremen Partei und lauere mit einem Mob Politiker:innen auf – dann findest du Gehör und die Legislative kommt deinen Forderungen nach. Verpass ein paar alten Säulen einen neuen Anstrich und du bist Terrorist:in und wirst in Präventivhaft genommen.
Diese Doppelmoral ist es, die Wut in mir auslöst, und die vor allem alles Negative, was man den Klimaprotesten vorgeworfen hat, zu nichts als Heuchelei macht. Mit dieser Reaktion hat die Regierung meiner Meinung nach ein wichtiges Signal an die Letzte Generation und jede andere Aktivist:innengruppe gesendet: Ihr wart zu nett! Plant wirklich extreme Reaktionen, missachtet die Regeln, die euch gesetzt werden, und nehmt keine Rücksicht mehr – Hauptsache, eure Forderungen werden erfüllt.
Oder lasst euch nicht dazu herab. Wünschenswerter wäre es, wenn sich eine Regierung formiert, die auf Fakten und Wissenschaftler:innen hört, und die nicht nur so arbeitet, dass sie die Stimmen aller Wutbürger:innen mitnimmt, sondern so, dass kommende Generationen auch in einer lebenswerten und demokratischen Welt aufwachsen.
Entschuldigung
Zugegeben, die Seite der Landwirt:innen ist in diesem Artikel nicht gut weggekommen. Aber ich hoffe, dass sich hier nur diejenigen angesprochen fühlen, die es auch tun sollten. Denn es bleibt dabei: die grundlegenden Forderungen sind berechtigt. Zum Problem geworden sind nur die extremistischen Stimmen, die die Proteste unterwandert und instrumentalisiert haben. Und das tut mir leid für alle Landwirt:innen, die sich durch Supermarkt-Ramschpreisen kaum über Wasser halten können. Für alle Familienbetriebe, die ihren Hof schließen müssen, weil sie neben Großhändler:innen und Massenbetrieben nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Für alle Studierenden, die wissen, dass es ohne eine nachhaltige Anbauweise nur noch schwerer wird, eine funktionierende Landwirtschaft aufrecht zu erhalten, und trotzdem noch auf Subventionen für fossile Treibstoffe der Landmaschinen angewiesen sind.
Text: Stefan Kranz
Foto: privat