Secondhand-Mode hat ihr muf­fi­ges Image abge­legt und der Markt wächst und wächst. Zum jet­zi­gen Zeitpunkt kön­nen welt­weit Umsätze im drei­stel­li­gen Millionenbereich akqui­riert wer­den. Die Kleidung wird als nach­hal­tig pro­pa­giert, als ein­fa­che Möglichkeit aus der Konsumgesellschaft aus­zu­stei­gen. Doch han­delt es sich tat­säch­lich um eine Prämie für eine nach­hal­ti­ge Konsumbewegung? 

Abgebildet ist ein Foto von Medina Imsirovic.
Medina Imsirovic taucht als Juristin in die Welt der Menschenrechte ein

November 2021, Große Ulrichstraße, in der Nähe des Marktplatzes in Halle (Saale): Zahlreiche Menschen rei­hen sich am Straßenrand auf. Was wie der Einlass zu einem hip­pen Club anmu­tet, ist in Wahrheit die Eröffnung eines Geschäfts der Secondhand-Kette „Strike Wardrobe“. Viele der Wartenden haben durch einen Instagram-Post von der Store-Eröffnung erfah­ren. Die meis­ten, die sich zu uns hin­ge­zo­gen füh­len, sind rela­tiv jung und möch­ten mit ihrem Geld so viel shop­pen wie mög­lich“, erzählt Daniel Bayen. Der Jungunternehmer eröff­ne­te 2020 sei­nen ers­ten Secondhand-Laden in Krefeld. Heute arbei­tet die Kette mit rund 20 Großhändlern euro­pa­weit zusam­men. Strike kon­kur­riert mit Einrichtungen wie der Caritas oder Vinted. „Deshalb ist es für uns wich­tig, nur die bes­ten Sachen zu bekom­men, bei denen eine Gewinnmarge besteht“, erklärt Bayen. Das Konzept des 20-Jährigen liegt im Trend: Rund ein Drittel der in Deutschland leben­den Personen kauft Secondhand-Mode. Das Marktforschungsunternehmen GlobalData geht davon aus, dass der welt­wei­te Markt bis 2025 einen Wert von 77 Milliarden US-Dollar erreicht. 

Abgebildet sind Daniel Bayen und Mira Fandel vor Klamottenständern.
Links: Geschäftsführer Daniel Bayen, rechts: stell­ver­tre­ten­de Geschäftsführerin Mira Fandel
Gentrifizierung: Secondhand Mode im Trend 

Die Mode in den Secondhand-Geschäften, auch Thrift-Stores genannt, wird teu­rer – und das eigent­lich unbe­grün­det: In Deutschland exis­tiert zu viel gebrauch­te Ware. Rund die Hälfte wird ins Ausland expor­tiert und zwi­schen 15 und 19 Prozent recy­celt. Jeweils 10 Prozent gelangt an Secondhand-Läden oder Bedürftige. Die Qualität der Kleidungsstücke ist oft so schlecht, dass sie nicht für den deut­schen Secondhand-Markt zu gebrau­chen sind. Stattdessen wird der Großteil in den glo­ba­len Süden verschifft. 

Durch den Preisanstieg kön­nen sich Thrift-Produkte vor­ran­gig die­je­ni­gen leis­ten, wel­che die Kleidungsstücke eben­so fair und nach­hal­tig pro­du­ziert erwer­ben könn­ten. „Das wird zum Problem, wenn Secondhand-Läden zum Beispiel Fast Fashion (Mode, bei­spiels­wei­se von H&M oder Zara, die trend­be­zo­gen designt sowie bil­lig pro­du­ziert und ver­kauft wird) anbie­ten, die jedoch nicht unbe­dingt güns­ti­ger ist als neue Mode“, meint die Völkerrechtlerin Medina Imsirovic. Immer wie­der wird in Deutschland über die unzu­rei­chen­den Sicherheits- und Umweltauflagen der Fast Fashion-Fabriken in Ländern wie Indien oder Bangladesch berich­tet. So gelan­gen Chemieabfälle mit dem Abwasser in Flüsse und Seen. Die Menschen vor Ort haben kei­nen Zugang zu sau­be­rem Trinkwasser, erkran­ken an Krebs oder erlei­den ande­re gesund­heit­li­che Beschwerden. 

Secondhand-Läden ver­kau­fen zu einem wesent­li­chen Teil Bekleidungsstücke, die als B‑Ware oder Überproduktion der Läden abfal­len. Imsirovic nimmt an, dass Fast Fashion-Brands bewusst Fehlproduktionen an Secondhand-Läden spen­den. So kön­nen Abfallkosten gespart und die Marke an die Kund:innen gebracht wer­den. „Gesetze soll­ten sich dar­auf kon­zen­trie­ren, den Ressourcenverbrauch in den Lieferketten zu redu­zie­ren“, appel­liert die Völkerrechtlerin und führt aus: „Einerseits ist es gut, wenn die Ware abge­ge­ben und damit wei­ter­ver­kauft wer­den kann. Andererseits wird der Secondhand-Laden nicht alles ver­kau­fen kön­nen. Dann stellt sich wie­der die Frage, was mit der über­schüs­si­gen Ware pas­siert.“ Medina Imsirovic schlägt vor, die Mehrwertsteuer auf Secondhand-Produkte her­un­ter­zu­set­zen. „Außerdem könn­ten Secondhand-Läden kos­ten­lo­se oder ver­güns­tig­te Verkaufsflächen zur Verfügung gestellt wer­den. Das wür­de sich auch auf den Preis der Secondhand-Mode aus­wir­ken.“  

Nachhaltiger als Secondhand geht nicht!? 

Die Schlange hat sich inzwi­schen bewegt. Mühsam schie­ben sich die Ersten ins Gebäude. Ein pom­pö­ses Schild ver­sperrt den Weg. Es erklärt die „Regeln des Thriftings“. Punkt fünf der Liste lau­tet: „Shoppe gewis­sen­los, denn nach­hal­ti­ger und güns­ti­ger als Second-Hand geht nicht“. 

Grundsätz­lich ist es sinn­voll, Kleidung second­hand zu kau­fen, denn so wer­den Produkte wie­der­ver­wen­det, für die schon bestimm­te Ressourcen ver­braucht sind“, meint die Bekleidungstechnikerin und Journalistin Carmen Maiwald. Rund 20 Prozent der welt­wei­ten Wasserverschmutzung grün­den auf dem Färben von Kleidungsstücken. Dieser Anteil könn­te durch den Kauf von Secondhand-Mode ver­rin­gert wer­den. Auch ein Großteil der Chemikalien wur­de bei vor­he­ri­gen Waschvorgängen bereits ent­fernt. Allerdings han­delt es sich bei vie­len Kleidungsstücken in den Thrift-Stores um Modeartikel von Fast Fashion-Brands. Diese ver­wen­den für die Herstellung ihrer Waren meist kos­ten­güns­ti­ges Material aus syn­the­ti­schen Fasern, wie Polyester. Aus die­sen Produkten lösen sich beim Waschvorgang kon­ti­nu­ier­lich klei­ne Mikroplastik-Partikel, die in die Flüsse und Meere gelan­gen. Carmen Maiwald bestä­tigt: „Umso älter das Textil wird, umso mehr Partikel lösen sich.“ Insgesamt gibt sie sich aber ver­söhn­lich: „Secondhand-Kleidung ist kein Freifahrtschein für gedan­ken­lo­sen Konsum, aber schon eine gute Möglichkeit, um res­sour­cen­scho­nend zu kon­su­mie­ren.“ 

Ein grüner Anstrich 

Auch Luxusmodemarken erken­nen das Bewusstsein für nach­hal­ti­ge Mode. „Sie ver­su­chen sich einen grü­nen Anstrich zu ver­pas­sen“, meint die Bekleidungstechnikerin spöt­tisch. So pflanz­te bei­spiels­wei­se Gucci in Kooperation mit The RealReal für jedes “pre-loved” Gucci-Produkt einen Baum. Carmen Maiwald bestä­tigt, dass es sich bei sol­chen Nachhaltigkeitsstrategien oft um eine Form des Greenwashings (ein Unternehmen insze­niert sich in der Öffentlichkeit als umwelt­freund­lich, ohne es tat­säch­lich zu sein) han­delt: Das Unternehmen ver­än­dert nichts an den Produktionsbedingungen und arbei­tet nicht dar­an, res­sour­cen­scho­nen­de­re Produkte her­zu­stel­len. Die Konsument:innen wer­den getäuscht.“  

Im Sommer 2021 besuch­te Carmen Maiwald die Anlagen einer Aufarbeitungsfabrik eines der größ­ten Sortierbetriebe Deutschlands. „Es sind vor allem Frauen, die an ihren Sortiertischen ste­hen und inner­halb von zwei Sekunden erken­nen müs­sen, wel­che Qualität ein Kleidungsstück hat.“ Über den Tischen befin­den sich Anzeigen, die ange­ben, wie vie­le Tonnen Kleidung die Arbeiterinnen sor­tiert haben. „Wenn die Zahl unter dem Soll liegt, erscheint ein rotes Licht: Jede:r bekommt mit, dass sie nicht schnell genug arbei­ten“, erin­nert sie sich. 

Konsumstolz oder Konsumscham? 

Carmen Maiwald weist dar­auf hin, dass bei der Kaufentscheidung auf bestimm­te Dinge geach­tet wer­den kann: „Kaufe ich bei­spiels­wei­se in einem Kilo-Shop (der Preis des Einkaufs berech­net sich nach dem Gewicht) von einem gro­ßen Sortierbetrieb in Deutschland oder kau­fe ich doch lie­ber auf einem Flohmarkt von einer Privatperson oder in einem  Secondhand-Shop, der gemein­nüt­zi­ge Projekte unter­stützt.“ Außerdem ermun­tert Carmen Maiwald, dar­auf zu ach­ten, aus wel­chem Material ein Kleidungsstück besteht. Weiterhin führt sie aus: „In Deutschland waschen wir unse­re Kleidung viel zu häu­fig. Eigentlich kann man sie ein­fach gut aus­lüf­ten oder Flecken ein­zeln aus­wa­schen.“  

Die ers­ten Menschen tre­ten aus dem Laden. Viele tra­gen ein neu­es Lieblingsteil unter dem Arm. Die meis­ten wer­den sicher­lich wie­der­kom­men, wenn nicht zu Strike, dann zu einem ande­ren Thrift-Store. Denn Secondhand liegt im Trend. 

Autorin: Clara Hoheisel

Bilder: pri­vat

Illustration: Paul Koch

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anonym
anonym
2 Jahre zuvor

Preisanstieg hat nicht mit den höhe­ren Preisen für die Ware zu tun son­dern mit höhe­ren Liefer- und Logistikkosten, höhe­ren markt­ge­rech­ten Mitarbeiterkosten, unge­recht­fer­tigt hohen Mieten und ein qua­li­ta­tiv schlech­te­res Angebot an Ware durch Fast Fashion.