So begann ich in den let­zten 16 Monat­en über 200 Postkarten zu beschriften. Dann habe ich sie in die ganze Welt ver­schickt: USA, Japan, Aus­tralien, Finn­land, … ins­ge­samt 38 Län­der, an mir völ­lig unbekan­nte Men­schen. Und die Welt hat geantwortet.

Was hin­ter diesem wun­der­baren Hob­by steckt? Eine Web­site namens Post­cross­ing! Sie verbindet Mit­glieder auf der ganzen Welt – inzwis­chen über 800 000 Men­schen. Wie das Ganze genau funk­tion­iert, erk­läre ich später. Als erstes will ich darüber reden, welchen Wert ein kleines beschriebenes Rechteck aus Pappe haben kann. Meine Erfahrun­gen mit Postcros­sing haben näm­lich einen größeren Ein­fluss auf mich gehabt, als ich ursprünglich erwar­tet hat­te. Sie haben zum Beispiel meine Vor­stellung von Fre­und­schaft erweit­ert. Für mich sind Postkarten eine Antwort auf eine große Frage, die vor allem das dig­i­tale Zeital­ter in mir hin­ter­lassen hat: Wie kann ich das Gefühl von Nähe und per­sön­lich­er Ver­bun­den­heit halten? 

Warum noch Postkarten schreiben? 

Durch Post­cross­ing habe ich ange­fan­gen, auch Men­schen in meinem pri­vat­en Umfeld ver­mehrt Postkarten zu schick­en. Was erst mal gar nicht so ein­fach ist, weil man von echt weni­gen Men­schen die Anschrift hat, wie ich fest­stellen durfte. Aber langsam füllt mich mein Adress­buch und damit die Briefkästen mein­er Freund:innen eben­so. Vor allem, wenn man in unter­schiedlichen Städten oder gar Län­dern lebt, empfinde ich das Kon­tak­thal­ten als nicht ein­fach. Nicht, dass sich eine gute Freund­schaft allein über steten Aus­tausch definieren würde, nur habe ich das Gefühl, dass sich das alle sechs Wochen „Na, wie geht’s dir so? :)“ bei What­sApp schreiben schnell im Sande ver­läuft. Daraus ziehe ich nicht viel. 

Wenn ich aber in einem Laden eine Postkarte sehe, die mich direkt an eine Fre­undin den­ken lässt, wenn ich diese Karte dann kaufe und mich zuhause hin­set­ze und mit Bedacht eine Anek­dote auswäh­le, die ich hand­schriftlich fes­thalte, eine kleine Skizze in die Ecke male und dann noch eine schöne Brief­marke aus­suche, dann ist das ein ganz ander­er Prozess. Diesem Prozess wohnt viel mehr Aufmerk­samkeit und Per­sön­lich­es inne. Ich füh­le dabei eine tief­ere Ver­bun­den­heit als bei fünf Sekun­den Tip­pen in einem Chat. In gewiss­er Weise empfinde ich es angemessen­er im Hin­blick auf die Zunei­gung, die ich diesen Men­schen in meinem nahen Umfeld ent­ge­gen­bringe. Eine Postkarte ist per­sön­lich. Manch­mal entste­hen dabei auch For­men von Insid­er­witzen. Es gibt eine Fre­undin, der schicke ich regelmäßig die hässlich­sten Karten, die ich find­en kann.

Inzwis­chen habe ich eine beträchtliche Samm­lung ver­schieden­ster unbeschrieben­er Post­karten zuhause. Ver­gan­genen Monat habe ich mir auf der Web­site der Deutschen Post die Brief­marken der let­zten Jahre angeschaut und dann die schön­sten davon bestellt. Wenn ein Fre­und sich aufgeregt bei mir meldet, weil ich ihm eine Brief­marke mit seinem Lieblingsti­er, einem Dachs, auf die let­zte Karte gek­lebt habe, dann merke ich, dass das Ganze bei uns bei­den mehr hin­ter­lässt, als wenn ich ihm nur ein witziges „The Office“­GIF gesendet hätte. Auch meine Oma – Teil ein­er Gen­er­a­tion, die ohne­hin das Analoge gewohnt ist – freut sich maß­los, wenn sie zwi­schen Anrufen ab und an eine Karte bekommt, die sie sich in den Schrank stellen kann. Post­karten sind eine Art von Zuwen­dung, wie sie in unserem dig­i­tal­en Zeital­ter gerne mal abhan­denkom­men. Man kön­nte fast sagen, sie sind so etwas wie eine Umar­mung auf postal­is­chem Wege. 

Post­cross­ing wiederum erweit­ert diese Idee. Das Inter­net verbindet Men­schen aus aller Welt und nutzt diese dig­i­tal­en Con­nec­tions, um seine Mit­glieder auch auf dem Post­weg miteinan­der zu verknüpfen. So wer­den kleine per­sön­liche Brü­cken zwis­chen Unbekan­nten errichtet.

Das Prinzip von Postcrossing

Es ist ein­fach: möchte ich eine Postkarte ver­schicken, lost mir die Web­site zufäl­lig ein anderes Mit­glied zu. Ich bekomme dessen per­sön­lich­es Pro­fil angezeigt, dessen Adresse und dazu eine Post­card­-ID. Anhand des Pro­fils erfahre ich etwas über den Men­schen, den ich nun im Begriff bin zu kon­tak­tieren. Das kann helfen, eine passende Karte auszuwäh­len, das richtige Pronomen zu ver­wen­den oder in ein­er Sprache zu schreiben, die der:die andere beherrscht. Die Post­card­-ID kommt eben­so auf die Karte. Mit deren Hil­fe regis­triert der:die Empfänger:in die Karte, sobald diese bei ihm:ihr angekom­men ist. So weiß die Web­site, dass ich mei­nen Teil der Abmachung erfüllt habe, und lost mich wiederum einem anderen Mit­glied der Web­site zu, das eine Postkarte ver­schick­en will. Das ist das ganze Prinzip. 

Website und Community

Die Betreiber:innen der Web­site sind nicht um Prof­it bemüht. Diese finanziert sich über dort geschal­tete Wer­beanzeigen und frei­willige finanzielle Unter­stützung durch die Commu­nity. Die Mit­glied­schaft und alle Bere­iche der Web­site sind als Nutzer:in kom­plett kosten­frei. Die Grund­funk­tion ist durch aller­lei liebenswerte Fea­tures angerei­chert. So hat jede:r eine dig­i­tale Pin­nwand mit den Karten, die er:­sie ver­schickt hat. Fotos kön­nen sowohl von den Absender:innen, als auch von den Empfänger:innen hochge­laden wer­den. Durch die Favoriten­funk­tion kann jede:r sich noch eine weit­ere Pin­nwand ein­richt­en, die anderen einen Hin­weis auf die jew­eili­gen Präferen­zen, was Motive ange­ht, gibt. In den Stats kön­nen die durch­schnit­tlichen Reisezeit­en von Karten in die jew­eili­gen Län­der nachgeschaut wer­den, was ziem­lich beruhi­gend sein kann, wenn die eigene Karte nach Südafri­ka auch mal 72 Tage unter­wegs ist. Im Explore­-Reit­er erfährt man viele Dinge über die Com­mu­ni­ty selb­st. So ist Deutsch­land auf Platz fünf der Län­der mit den höch­sten Mit­gliederzahlen, hin­ter den USA, Chi­na, Tai­wan und Rus­s­land an der Spitze. Das kle­in­ste Land mit aktiv­en Mit­gliedern ist tat­sächlich der Vatikan. 

Überdies bietet die Web­site noch weit­ere Mög­lichkeiten an, sich mit anderen Mit­gliedern zu ver­net­zen. So gibt es einen Blog, in dem regel­mäßig Beiträge ver­schieden­er Postcrosser:innen zu den The­men Postkarten und Brief­marken veröf­fentlicht wer­den. Eben­so gibt es ein Forum, in dem sich Sammler:innen unter­hal­ten und aus­tauschen kön­nen. Auf der Web­site lässt sich außer­dem ein Meet­up-­Kalen­der ein­se­hen. Mee­tups sind Tre­f­fen für Mit­glieder, die von lokalen Postcrosser:innen eigen­ständig orga­nisiert wer­den. Im Vorn­here­in wird eine Akti­vität fest­gelegt. So wurde zum Beispiel diesen Som­mer bei einem Meet­up in Halle das Schoko­laden­mu­se­um in der Hal­loren­fab­rik besucht – und eine offizielle Mee­tup­-Postkarte designt. 

Doch all diese Ange­bote sind ein Kann, kein Muss. Im Mit­telpunkt ste­ht nach wie vor die postal­is­che Con­nec­tion mit Men­schen aus aller Welt. Diese Freude, eine hüb­sche Karte und ein paar liebe Worte im Briefkas­ten zu find­en, wo son­st nur Rech­nun­gen und DHL­Abholscheine lan­den, kann einem wirk­lich den Tag versüßen.

Tipps zum Einstieg ins Postkarten-Game

Wenn Ihr Postkarten sucht, sind prinzip­iell Buch­lä­den – vor allem die in Bahn­höfen – und Tourist­-Infor­ma­tio­nen gute Anlauf­punk­te. Mein lieb­ster Laden in Halle ist die Reise­buchhandlung „Auf und davon“ in der Großen Ulrich­straße 24. Auch im „Feingemacht“, ein paar Häuser weit­er, in der Num­mer 21 und im „Vogelvil­la­land“ Num­mer 31, Ecke Kleine Ulrich­straße find­et man immer wieder schöne Karten. Die kleine, aber feine Auswahl im Anti­quariat „Rotschildt“ in der Großen Ste­in­straße 15 lohnt eben­so einen Abstech­er. Neben Einzel­karten lässt sich bei häu­figerem Schreiben auch empfehlen, einen Blick ins Inter­net zu wer­fen und sich dort Postkartensets zu bestellen, wo der Preis pro Karte zum Teil deut­lich unter dem von Einzelka­rten liegt. Noch per­sön­lich­er wird es durch das Selb­st­gestal­ten von Karten. Hier­für gibt es zwar Vor­la­gen, von der Sache her reicht aber auch ein Stück robustes Papi­er. Auch aus­ge­druck­te Fotos lassen sich zu Postkarten umfunk­tion­ieren, hier­bei sollte aber auf Copy­right und Per­sön­lichkeit­srechte geachtet wer­den. Hin und wieder lassen sich in Cafés und Kultur­ und Bil­dung­sein­rich­tun­gen hüb­sche kosten­lose Wer­bekarten finden. 

Die Vor­gaben der Deutschen Post zu den Maßen von Postkarten sind eine Länge von 14 bis 23,5 cm, eine Bre­ite von 9 bis 12,5 cm und ein Seit­en­ver­hält­nis von 1 : ≥ 1,4. Das Por­to für Sendun­gen inner­halb Deutsch­lands beträgt 70 Cent, für das Aus­land 95 Cent. Wenn die Karte eine weite Reise vor sich hat, fragt in Eur­er Post­fil­iale nach Air­mail­-Stick­ern – damit wird sie schneller ihr Ziel erre­ichen. In diesem Sinne: Viele Grüße und Hap­py Postcrossing!

Text und Fotos: Ron­ja Hähnlein

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