177,40€ allein für das Semesterticket? Was angesichts der aktuellen 118,50€ schlicht nach Wucher klingt, könnte im Wintersemester 24/25 zur Realität werden, wenn die knapp 20.500 Studierenden der MLU sich mehrheitlich für das MDV-Vollticket entscheiden.
Der Hörsaal XXII im Audimax ist an diesem Montagabend um 18 Uhr nur mäßig gefüllt, gerade mal um die 40 Menschen haben vor der Delegation des Sturas, dem Studentenwerk und der HAVAG Platz genommen. Doch es handelt sich nicht um eine schweigende Mehrheit, ganz im Gegenteil: Während Lukas Wanke (OLLi) kurz und knapp in etwa fünf Minuten alle Eckpunkte über die Abstimmung zum MDV-Vollticket erläutert, dauert die anschließende Diskussion mit dem Publikum mehr als eine Stunde. Die Fronten hierbei sind schnell geklärt — vorne am Rednerpult die Fürsprecher des Ticktes, in den Reihen des Publikums kritische Stimmen. Denn was der eine als „Errungenschaft“ betrachtet, findet der andere schlicht und ergreifend ungerecht.
Anlass der Infoveranstaltung ist derweil folgender: Das Semesterticket, mit dem sich Studierende der MLU 24/7 im gesamten MDV-Gebiet ohne zusätzliche Kosten bewegen können, läuft zum Ende des Sommersemesters 2019 aus. Somit fanden seit Jahresbeginn zwischen dem Stura (gemeinsam mit dem Studentenwerk Halle) und dem MDV sowie dessen Verkehrsunternehmen Verhandlungen zur Fortführung des Tickets statt. Die Legitimation hierzu konnten sich alle Beteiligten in bester Sherlock-Holmes-Manier deduktiv erschließen: So ist es laut Thomas Faust vom Studentenwerk ein klares Signal pro Fortführung, dass im Zuge einer Urabstimmung 2014 mit einer Wahlbeteiligung von 40% an der MLU das Ticket eingeführt wurde. Die Studierenden der Burg Giebichenstein, welche von den aktuellen Verhandlungen ebenso betroffen sind, entschieden sich damals noch dagegen, sind seit dem Wintersemester 17/18 aber ebenfalls bekehrt. Nesthäkchen der Solidarticket-Beglückten ist die Hochschule Merseburg; dort gilt das Ticket seit dem aktuellen Wintersemester. Die Forderung nach einer Umfrage im Vorfeld, ob die Fortführung des Tickets denn überhaupt gewünscht sei, wird mit dem Argument abgewiesen, dass es sinnvoller sei, über konkrete Pläne entscheiden zu lassen – wie es ja nun geschehe: Vom 12. bis zum 16. November kann die Studierendenschaft der MLU im Löwenportal über eine Fortführung des Tickets abstimmen.
Doch handelt es sich tatsächlich um eine im besten Sinne demokratische Abstimmung? An eine Alternative wurde bei den Verhandlungen nämlich leider nicht so wirklich gedacht: Auf die wohl wichtigste Frage des Abends, was im Falle einer Ablehnung des Semestertickets geschehe, wird unter Drucksen darauf hingewiesen, dass neue Verhandlungen zwei Jahre dauern könnten. Bis dahin würde wohl für Studierende das Azubi-Ticket gelten. Dieses kostet aktuell 51,70€ monatlich und ist somit erheblich teurer als ein Semesterticket, welches im WS 19/20 mit 134,90€, also 22,48€ monatlich, daherkommt.
„Für jeden lohnt es sich!“
Soweit, so (vorerst) billig. Allerdings erregt die Preissteigerung die Gemüter: Im Jahr 2014 kostete das Semesterticket lediglich 99€. Zehn Jahre später könnten es durch die schrittweise Preiserhöhung in jedem Wintersemester bereits fast 80€ mehr sein – doch mit welcher Rechtfertigung? So gebe es ja kein Mehr an Leistungen oder eine Vergrößerung des Gebiets, kritisiert das Publikum. Nicht einmal bis ins ominöse Wittenberg schafft man es mit dem Ticket. Patricia Fromme (OLLi), Referentin für Soziales und damit Zuständige für das Semesterticket, verweist darauf, dass bei den anstrengenden Verhandlungen versucht wurde mehr rauszuholen, dies jedoch leider nicht möglich war. Sie probt sich derweil in Demut – so sei sie froh, dass die Leistungen nicht noch weniger werden. Andreas Völker, Bereichsleiter Marketing/Vertrieb/Kundenservice der HAVAG, versucht die Preissteigerungen damit zu begründen, dass seit der Einführung des Tickets die Nachfrage im ÖVPN erheblich zugenommen habe. Zwar sei dies wohl nicht einzig und allein auf die Studierenden zurückzuführen, doch müsste man die gestiegene Nachfrage eben auf die Preise umlegen, zumal die 99€ im Jahr 2014 auch eher als Einstieg gedacht waren, um zu schauen, ob das Ticket überhaupt ankomme. Dem Einwand, dass „Solidargesellschaft nicht heißt, dass Studierende das tragen und nicht die Berufstätigen“ setzt Lukas entgegen, dass beim MDV-Ticket Solidarität in dem Sinne zu verstehen sei, dass es für Leute funktioniert, die darauf angewiesen sind.
Tatsächlich pendeln jede Menge Studierende täglich zur Uni – ob nun nach Halle oder Leipzig, aus einer der beiden Städte kommend oder vom Umland, sei dahingestellt. Für diese Menschen wäre es eine finanzielle Katastrophe, würde das Ticket abgeschafft. Aus dem Publikum kommt aber nichtsdestotrotz viel Kritik an der Praxis, mit dem Semesterticket das MDV-Gebiet im wahrsten Sinne des Wortes erfahren zu können. So wirft eine Studentin ein, dass viele Hallenser Studierende in der Nähe ihrer Fakultäten wohnen würden und innerhalb der Stadt alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sei. Ein anderer Diskussionsteilnehmer merkt an, dass er lediglich „5% des MDV-Gebiets – von Niemberg bis nach Leipzig“ nutze. Lena Schütt (Juso), im Verlauf des Abends von ihren Gleichgesinnten vorne am Pult wiederholt zur Ruhe gerufen, verweist auf die Vielfältigkeit des MDV-Gebiets über Leipzig hinaus: „Für jeden lohnt es sich!“. Als kleinen Tipp am Rande erwähnt sie hierbei die MDV-Reihe der hastuzeit. Sollte pro Ticket abgestimmt werden, berichten wir natürlich gerne weiterhin für Euch darüber, was die restlichen 95% des MDV-Gebiets so an Sehenswürdigkeiten zu bieten haben. Wobei Leipzig natürlich nicht außer Acht zu lassen ist.
Denn seien wir mal ehrlich: In Halle wird man kaum einen Studierenden finden, der es nicht genießt, ab und zu „gratis“ ins hippe Leipzig fahren zu können, wenn ihm Halle mal zu provinzlastig wird. Die Frage ist nur, ob die Studierendenschaft es sich ein zweites Mal gefallen lassen wird, mit derartigen Preisaufschlägen konfrontiert zu werden. „Nicht die Studierenden sollten sich anpassen, sondern umgekehrt“, gibt ein Diskussionsteilnehmer zu verstehen. Angesichts dessen, dass allein die HAVAG 2 ½ Millionen Euro pro Jahr durch den Semesterbeitrag verdient, ein berechtigter Einwand: Das Ticket scheint sich tatsächlich für alle Beteiligten zu lohnen. Die Frage ist somit nicht in erster Linie, ob sich die Studierendenschaft für oder gegen das Ticket entscheiden wird, sondern wer in den nächsten Verhandlungen die Bedingungen stellen wird. Denn diese kommen bestimmt — spätestens in sechs Jahren.
Schon lustig, wie sich die meisten Studierende erneut hinters Licht führen lassen aufgrund von fadenscheinheiligen Argumenten und fehlender Verhandlungsfähigkeit und Bereitschaft auf seitens des Verkehrsverbundes. Schon 2014 hat der Stura etc einseitig für das MDV Ticket geworden, was aus heutiger Sicht, nun wahrlich ein Fehler war. Wer die Preissteigerungen bei gleichbleibenden desolatem Angebot noch rechtfertigt, sollte sich hinterfragen. Auch Aussagen, wie, es lohne sich für alle, sind mehr als unreflektiert. Wie schon damals, geht das Argument, dass viele Studierende in der Nähe ihrer Fakultäten wohnen bzw. sich darum gekümmert haben (auch aus wirtschaftlichen Aspekten) und zu Fuß oder mit dem… Weiterlesen »