Schienenge­bun­den, mit elek­trisch­er Energie betrieben, dient als öffentlich­es Per­so­nen­nahverkehrsmit­tel – die Rede ist von der Straßen­bahn. In Halle gestal­ten sich Fahrten mit dieser regelmäßig als mod­ernes Reiseaben­teuer. Eine Kolumne über Fahrten rot-weiß. Dies­mal geht es um das hal­lis­che Gondwana-Land. 

Diesen Som­mer ver­brachte ich viel Zeit in den hal­lis­chen Straßen­bah­nen. Viel, sehr viel Zeit. Wobei es sich falsch anfühlt, von Straßen­bah­nen zu reden, eher sollte man von Saunen auf Rädern sprechen. Denn bei den vie­len Minuten, ja Stun­den, die ich in der Straßen­bahn zubrin­gen durfte, hat­te ich aus­re­ichend Gele­gen­heit­en, mich gebührend in meinem Selb­st­mitleid ob der Hitze zu suhlen. Ich hätte mich natür­lich auch in meinem Schweiß suhlen kön­nen, aber das ver­bi­etet einem jegliche Konvention.

In den Straßen­bah­nen hat­te ich auf­grund der beson­deren Nähe zu den anderen Fahrgästen – zunächst Nähe kör­per­lich­er Art, später auch emo­tion­al auf­grund des gemein­samen Lei­dens­drucks – gebührend Möglichkeit­en, die fröh­lich von­stat­ten gehende Tran­spi­ra­tion mit allen Sin­nen wahrzunehmen. »Veni, vidi, vici«, zu Deutsch »Ich kam, ich sah, ich siegte« soll­ten wir mein­er Mei­n­ung nach nicht länger Julius Cae­sar zuschreiben, son­dern dem Schweiß. Egal mit welch­er Lin­ie ich fuhr: Der Schweiß kam bei allen Fahrgästen, jed­er sah ihn bei sich und anderen, den Geset­zen der Schw­erkraft gefügig, am Kör­p­er entlang­rinnen, und am Ende besiegte er uns alle. Jed­wed­er Hoff­nung nach spätestens drei schweißtreiben­den Fahrten beraubt fügten wir uns in das Schick­sal eines jeden Bah­n­fahrers in Halle, mehr oder weniger wohlriechend in A einzusteigen und als Stink­ti­er in B anzukom­men. Ich ver­mute ja eine geheime Koop­er­a­tion der HAVAG mit diversen Deo-Her­stellern. Hash­tag Verschwörung!

Es herrscht­en also ex­treme Umstände. Dies führte zwangsläu­fig zu ex­tremen Ver­hal­tensweisen. So ließen zum Beispiel gierige Blicke auf trag­bare Ven­ti­la­toren und Fäch­er oder aus­ge­feilte Tech­niken, um sich möglichst unauf­fäl­lig den Schweiß von der Stirn zu wis­chen, erah­nen, welche Qualen durch­lit­ten wur­den. Öffneten sich die Türen an den Hal­testellen, so richteten sich alle Lei­densgenossen syn­chron auf, und für einen kurzen Moment durch­floss einen jeden neue Energie mit der von draußen here­in­strö­menden Frischluft. Doch noch im sel­ben Moment, als die Brise mit dem Schließen der Türen ver­siegte, sah man alle Leiber erneut kraft­los zusam­men­sack­en. Der Fahrgast­wech­sel ging indessen so von­stat­ten, dass Men­schen auf ihrem Schweiß hin­aus- beziehungsweise hereingeschwemmt wur­den. Das Maya Mare ver­suchte dies nachträglich als geschick­te Wer­beak­tion zu verkaufen, doch jed­er HAV­AG-Pas­sagi­er weiß um die Wahrheit: Hyperhidrose.

Doch zurück zum Wesentlichen; der­weil ich also bei jed­er Fahrt in ein­er Sauna auf Rädern fest­steck­te, schwirrten mir aller­hand Ver­gle­iche durch den Kopf, um meine Sit­u­a­tion und die mein­er geplagten Mitin­sassen tre­f­fend beschreiben zu kön­nen. Am häu­fig­sten dachte ich hier­bei an das Gond­wana­land im Leipziger Zoo – es ist feucht-warm, über­all hän­gen Pri­mat­en ab, und die ganze Szener­ie ist von Men­schen­hand erschaf­fen. Außer­dem zeigt der Text auf der Web­site des Gond­wana­lands eine unverkennbare Ähn­lichkeit zur hitzi­gen Sit­u­a­tion in hal­lis­chen Bah­nen: »In den Straßen­bah­nen der HAVAG spüren Sie den tro­pis­chen Regen­wald Sach­sen-Anhalts mit allen Sin­nen. Auf ein­er über­dacht­en Fläche, etwa zwei Wagen groß, schwitzen diverse Tier­arten, zum Großteil Homo sapi­ens, und tum­meln sich rund 500 ver­schiedene Viren, Keime und Bak­te­rien. Fol­gen Sie dem Lin­ien­plan, erfahren Sie die aktuelle Gle­is­führung und lassen Sie sich treiben in kumulierten Schweißaus­dün­stun­gen bei ein­er Fahrt mit der hal­lis­chen Straßenbahn.«

Gond­wana­land, 24 Stun­den lang, im Sitzen sog­ar! Da gibt es doch eigentlich gar keinen Anlass, über hocher­hitzte Straßen­bah­nen (sollen die etwa halt­bar­er gemacht wer­den?) zu meck­ern. Infolge all dieser Über­legun­gen kam ich also zum Schluss, dass ich dankbar sein sollte. Während sich Aut­o­fahrer ganz schnell eine Erkäl­tung dank ein­er funk­tion­ieren­den Kli­maan­lage holen, Rad­fahrer küh­len­den Fahrtwind spüren und Spaziergänger im Schat­ten Erhol­ung tanken, dür­fen Fahrgäste der HAVAG echt­es Gond­wana-Feel­ing erleben und sich die alles entschei­dende Frage stellen: Wann zum Teufel wird es endlich wieder Winter?!

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