„Ich wollte genau so sein wie alle anderen“, erzählt Kathrin, „Kein Kind, keinen Beruf haben. Aber ich hab halt Familie, ich hab halt Verantwortung, ich hab dann halt ab morgen zwei Kinder.“ Das klassische Bild einer Studentin ist nicht das der Frau, die auch ein Kind großzieht, die sich durch das Familienleben und die Vorlesungen navigiert. Welche Schwierigkeiten treten dadurch auf, und wie sehr werden sie durch die Corona-Krise beeinflusst? Werden Rollenklischees jetzt noch mehr reproduziert?
„Frauen werden gerade unsichtbarer“, erklärt Katja Nebe, die eine Professur an der MLU für Arbeits- und Sozialrecht innehat, im Interview mit Campus Halensis aus dem Juni 2020. In der Wissenschaft wurden vergangenes Jahr deutlich weniger Artikel von Frauen eingereicht als von Männern, deren Abgaben sogar zugenommen haben. Sie erklärt sich das durch das erhöhte Maß an Care-Arbeit von Frauen, also das Kümmern und die Pflege der Mitmenschen. Wie schon im März sind nun auch die Schulen sowie zum großen Teil die Kindergärten geschlossen. Dadurch müssen die Kinder zu Hause beschäftigt werden. Wie dann eben doch noch keine Geschlechtergerechtigkeit herrscht, bleibt es an den Frauen hängen.
Im Dezember veröffentlichte das Marktforschungsinstitut Ipsos in Auftrag der Bertelsmann-Stiftung eine Studie, in der 1060 Personen zur Haus- und Familienarbeit in Zeiten von Corona befragt wurden. Das Ergebnis der Umfrage zeigt, wie gefestigt geschlechterbezogene Rollenbilder noch sind. Laut Studie geben 69 Prozent der befragten Frauen an, die generelle Hausarbeit zu erledigen, während dies nur 11 Prozent der befragten Männer angeben. Mehr als die Hälfte der Frauen übernimmt die Aufgaben des Homeschoolings. Bei den Männern sind es nur etwa 13 Prozent.
Es wird auch deutlich, dass den männlichen Befragten auffällt, dass die Aufgabenverteilung unausgeglichen ist. 66 Prozent von ihnen sind aber überzeugt, das wäre gerecht. Unter den weiblichen Befragten geben 43 Prozent an, durch die Coronakrise größere Schwierigkeiten zu haben, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren.
Zwischen Studium und Familie
Sie könnten wohl nicht unterschiedlicher sein. Kathrin studiert Medizin, hat im letzten Sommer endlich ihr Physikum geschafft. Sie lebt inzwischen mit ihren zwei Kindern auf einem Dorf in der Nähe von Halle. Die Medizinstudentin war neun Monate des Jahres 2020 schwanger und wohnt mit ihrem Mann zusammen. Annika dagegen studiert Erziehungswissenschaften und ist alleinerziehend. Sie sagt, ihre Mitbewohnerin helfe mit, sei in vielen Situationen das zweite Elternteil. Ihr Sohn ist inzwischen fünf Jahre alt, sie ist fast fertig mit ihrem Studium.
Kathrin erzählt, wie sie ihr Kind vor Corona mit zu den Seminarsitzungen nehmen musste, weil es eben nicht anders ging. Sie hatte erst Angst, dass das nicht gut ankäme. Aber dann blieb ihr Sohn ganz ruhig, er hat ganze dreieinhalb Stunden ausgehalten, dabei war er damals gerade einmal vier Jahre alt. Die Dozierenden zeigten immer wieder Verständnis, sie durfte den verpatzten Test noch einmal machen, es wurden Ausmalbilder und Stifte besorgt, wenn ihr Kind dabei war.
Annika erzählt auch, wie verständnisvoll ihre Dozierenden sind, wie sehr dann auf sie eingegangen wird. Dabei müssen sie es aber beide eben doch von sich aus ansprechen. Niemand fragt, ob das Verschlafen nicht vielleicht damit zusammenhängt, dass das Kind in der Nacht zuvor gefiebert hat.
Kathrin muss sich mit ihrem Mann zusammensetzen, sie muss es einfordern, dass er im Haushalt mithilft, dass das nicht auch noch an ihr hängen bleibt. Aber seit der letzten Krise gehe es besser, erklärt sie. Sie mussten das eben aushandeln, sie spricht von „einem Geben und Nehmen.“ Der sechsjährige Sohn hilft jetzt auch mit, räumt häufig genug von sich aus den Tisch ab.
Im Sommer hat Kathrin ihr Physikum bestanden, da war sie schon schwanger und konnte deswegen nicht mehr arbeiten. Dann hat ihr Mann nach der Arbeit das Kind übernommen, sie konnte sich konzentrieren. Nebenbei wurde noch das Haus renoviert. Irgendwann hat der Sohn dann zu ihr gesagt: „Mama, du musst doch lernen.“ Er wollte sie nicht ablenken, nicht stören. Und sie sollte sich nicht von ihm ablenken lassen. Sie erzählt von dem Bestehen ihres Physikums so, als wäre es eine Teamleistung der drei. Eine Woche nach der Geburt des zweiten Kindes muss sie dann übrigens auch weiterstudieren, das geht nicht anders. Dann übernimmt ihr Mann beide Kinder.
Annika musste im März, als die Kitas zu waren und die Welt auf einmal ohne Vorwarnung stillstand, erkennen, dass sie die Hausarbeit so nicht schreiben kann. Das war dann doch zu viel. Aber im Sommer waren sie, ihr Kind und ihre Mitbewohnerin dann schon besser auf die Situation eingespielt. Da musste sie zusammen mit anderen Studierenden eine Forschungsarbeit schreiben, das ging gut, sagt sie. Wenn sie mal keine Zeit hatte, wenn sie sich mal um ihren Sohn kümmern musste, haben alle Rücksicht genommen.
Der Arbeitskreis Studieren mit Kind
Annika meint, es komme auf das Netzwerk an, das man sich aufbaut. Sie engagiert sich im Arbeitskreis Studieren mit Kind des Stura. Der Arbeitskreis betrachtet sich vor allem als eine Anlauf- und Vernetzungsstelle für Betroffene. Dazu gehört aber auch, dass sie sich im Dezember für Kindertoilettensitze in den Unigebäuden einsetzten. Im Moment liegt der Fokus auf dem Vernetzen von Familien, die keinen Anspruch auf Notbetreuung haben, um so wieder neue Betreuungssangebote zu schaffen.
Klara Stock, die inzwischen auch vorsitzende Sprecherin des StuRa ist, erzählt von den Schwierigkeiten, die Corona mit sich bringt. Der Arbeitskreis hat sich im Januar 2020 erst neu organisiert, und dann kamen gleich im März die Einschränkungen durch Corona. Veranstaltungen wie das Familienkino oder der Kinderflohmarkt sind 2020 nicht möglich gewesen. Sie müssen jetzt ganz anders arbeiten, deswegen konzentrieren sie sich gerade auf interne Angelegenheiten des Arbeitskreises. Ein Workshop für Familien ist geplant, aber Angebote für Kinder seien gerade einfach nicht gut möglich.
Der Arbeitskreis ist aber trotzdem offen für an ihn herangetragene Interessen und kann bei Problemen auch weitervermitteln, zum Beispiel durch den engen Kontakt zum Familienbüro.
Am Ende zählt vor allem das Vernetzen. Dazu gehört aber auch das aktive Einfordern des eigenen Rechts, der eigenen Bedürfnisse, die vielleicht nicht jeder Person zu kommunizieren möglich sind. Wenn dieser Schritt geschafft ist, kann nicht nur die Universität Studierende mit Kindern unterstützen.
Kontaktstellen
Familienbüro
Barfüßer Straße 17, 06108 Halle (Saale)
Telefon: 0345/55 21357
familiengerechte-hochschule [at] uni-halle [dot] de
AK Studieren mit Kind
kinderinsel [at] stura [dot] uni-halle [dot] de
Facebook: AK Studieren mit Kind
Instagram: ak_studieren.mit.kind
Angebot und Beratung des Studentenwerks
https://www.studentenwerk-halle.de/studieren-mit-kind/