Weil der nieder­säch­sis­che Ver­fas­sungss­chutz ver­gisst, Akten zu schwärzen, wird an der Uni Göt­tin­gen ein V‑Mann ent­tarnt. Seit­dem ste­ht die Glaub­würdigkeit der Hochschulpoli­tik zur Debat­te. Der Fall wirft mehr Fra­gen auf, als er Antworten gibt. 

Auf dem Foto lächelt ein junger Mann in den Spiegel. Er dürfte Mitte 20 sein. Es sieht aus wie ein gewöhn­lich­es Pro­fil­bild für die sozialen Medi­en. Aber die Veröf­fentlichung dieses Bildes auf der links­gerichteten Inter­net­plat­tform Indy­media am 13.11.2018 ist nicht nur für den Betrof­fe­nen auf dem Foto eine per­sön­liche Katas­tro­phe. Sie wird auch für hitzige Debat­ten im nieder­säch­sis­chen Land­tag sor­gen und die Chefin des dor­ti­gen Ver­fas­sungss­chutzes den Job kosten.

Ins Rollen gebracht hat all das die Klage ein­er Aktivistin aus der stadt­poli­tis­chen Gruppe »Basis­demokratis­che Linke« (BL), die ein Teil der linksalter­na­tiv­en bis linksradikalen Szene in Göt­tin­gen ist. Die Vorgänge sind einiger­maßen kom­pliziert: Zunächst erfährt die Aktivistin im Rah­men eines Auskun­ftsver­fahrens, dass der Ver­fas­sungss­chutz Dat­en über sie gespe­ichert hat; dabei geht es vor allem um einen Ver­stoß gegen das Ver­samm­lungsrecht bei ein­er Demon­stra­tion in Bautzen 2016. Dann klagt die Aktivistin auf Löschung dieser Dat­en vor den nieder­säch­sis­chen Gericht­en. Im Zuge dieses Ver­fahrens über­mit­telt der Ver­fas­sungss­chutz die Akten, in denen die Infor­ma­tio­nen über die Linksak­tivistin ver­merkt sind, an die Gerichte. Diese enthal­ten natür­lich auch die Quelle dieser Dat­en: ein V‑Mann des Lan­desver­fas­sungss­chutzes, als Mit­glied platziert in den Rei­hen der BL. Nor­maler­weise wer­den diese Akten so geschwärzt, dass für die Öffentlichkeit ver­bor­gen bleiben.

Was dann passiert, kön­nten böse Zun­gen als »typ­isch Ver­fas­sungss­chutz« beze­ich­nen: Verse­hentlich wer­den ungeschwärzte geheime Seit­en der Akte an das Ver­wal­tungs­gericht Han­nover weit­ergeleit­et, wodurch der Anwalt der Gruppe Mate­r­i­al ein­se­hen kann, was als »VS-ver­traulich, amtlich geheimge­hal­ten« gekennze­ich­net ist. So wird der V‑Mann ent­tarnt – kurz gesagt: weil es der Ver­fas­sungss­chutz ein­fach ver­gisst zu schwärzen.

Eine persönliche Tragödie und ein politischer Skandal

Nicht nur die Arbeit des Agen­ten wird so von einem Tag auf den anderen unmöglich – die linke Inter­net­plat­tform veröf­fentlicht auch seine Adresse, Tele­fon­num­mer, E‑Mail-Adressen, sog­ar Bankverbindun­gen und der Wohnort der Eltern tauchen dort auf. Die Gegen­reak­tion aus der Szene ist hart und wirkt rach­süchtig; als »Schweine« wer­den dort die Mitar­beit­er der Behörde beze­ich­net, der Beitrag schließt mit den Worten: »Wir kriegen sie alle!«

Am näch­sten Mor­gen herrscht im Land­tag helle Aufre­gung. Zum einen fra­gen sich viele, wie es einem Geheim­di­enst passieren kann, seine »Kro­n­juwe­len«, wie Spi­one unter Sicher­heits­be­hör­den oft genan­nt wer­den, so leicht­fer­tig zu ver­heizen. Min­destens genau­so brisant ist aber auch: Der Agent war während sein­er Tätigkeit nicht nur in der Basis­demokratis­chen Linken tätig, son­dern auch in der Hochschul­gruppe »Alter­na­tive Linke Liste« (ALL) engagiert. Für diese saß der 24-Jährige im Studieren­den­par­la­ment und in eini­gen Kom­mis­sio­nen, wirk­te bei Abstim­mungen und Diskus­sio­nen an der Hochschule mit.

Damit geht es plöt­zlich auch ganz wesentlich um die Glaub­würdigkeit von Hochschulpoli­tik. Der stel­lvertre­tende Frak­tionsvor­sitzende der Grü­nen, Helge Lim­burg, fragt sich im Land­tag »ob Studierende, bei Wahlen für Hochschul­gremien befürcht­en müssen, ihre Stim­men an V‑Personen des Ver­fas­sungss­chutzes zu geben.« Damit sei schließlich zu befürcht­en, dass der Ver­fas­sungss­chutz »die stu­den­tis­che Selb­stver­wal­tung und die demokratis­che Wil­lens­bil­dung an Hochschulen bee­in­flusst, manip­uliert oder unter­wan­dert«. Der Innen­min­is­ter soll sich erk­lären, ver­weist aber auf den Auss­chuss für Ver­fas­sungss­chutz. Prak­tisch dabei: dieser tagt ver­traulich. Auch deshalb bleiben Lim­burgs Fra­gen und die aller anderen zunächst unbeantwortet.

Schock und Verwunderung

»Ich wüsste auch gerne, was sich der Ver­fas­sungss­chutz dabei gedacht hat«, fasst Friedrich Paun die all­ge­meine Rat­losigkeit zusam­men. Paun ist Sprech­er der Alter­na­tiv­en Linken Liste im Göt­tinger Studieren­den­par­la­ment. Die ALL ist von dem Vor­fall sehr über­rascht, denn auch wenn man ein linksradikales Selb­stver­ständ­nis pflegt, habe man »lap­i­dar gesagt auch Leute, die weniger krass drauf sind« in den eige­nen Rei­hen, so Paun. Der nieder­säch­sis­che Ver­fas­sungss­chutz ist da offen­sichtlich ander­er Ansicht. Die Basis­demokratis­che Linke hält er für gewalt­bere­it und ver­fas­sungs­feindlich. In der ALL sind zwar auch Studierende, di

e gle­ichzeit­ig in der BL aktiv sind. Wie Paun betont, sei die Hochschul­gruppe aber von der BL unab­hängig. Trotz­dem: Für die Behörde scheint das auszure­ichen, um die Alter­na­tive Linke Liste eben­falls zu überwachen.

Als der V‑Mann ent­tarnt wird, informiert die Basis­demokratis­che Linke Paun und die ALL. In der Krisen­sitzung herrscht eine bedrück­te Stim­mung. »Was? Bei uns?« fasst der Sprech­er der Gruppe die erste Reak­tion zusam­men. »Wir waren schock­iert, dass so etwas passiert ist, denn ger­ade als Studi­gruppe, die nur an der Uni aktiv ist, rech­net man noch weniger damit, Beobach­tung­sob­jekt zu sein.« Aber nicht nur das Gefühl, unter Beobach­tung zu ste­hen, »auch das krasse Gefühl, dass wir lange mit ein­er Per­son zusam­mengear­beit­et haben und gedacht haben, sie zu ken­nen, um dann erfahren zu müssen, dass das über­haupt nicht so ist«, kommt hinzu.

Schlampig und fahrlässig – aber auch undemokratisch?

»In unser­er Arbeit ist er inhaltlich nicht aufge­fall­en«, beschreibt Paun das Engage­ment des V‑Mannes, »aber er hat viele All­t­agsauf­gaben wahrgenom­men, zum Beispiel die Mit­glied­schaft in Uni-Kom­mis­sio­nen.« Dort braucht es nicht die Vertre­tung beson­der­er poli­tis­ch­er Posi­tio­nen. Es han­delt sich allem Anschein nach um ganz nor­male Hochschulpoli­tik. Der »Agent« saß für die ALL zulet­zt in der Struk­tur- und Haushalt­skom­mis­sion der Philosophis­chen Fakultät. Das klingt nicht beson­ders glam­ourös. Dabei stellt sich aber die Frage, warum der V‑Mann sich ger­ade in diese Kom­mis­sion wählen lässt – nur zur Tar­nung, um Engage­ment vorzutäuschen? Denn sen­si­ble Dat­en der ALL oder gar der Basis­demokratis­chen Linken wird er dort nicht find­en, son­dern allen­falls die Bilanzen der Uni-Fakultät.

Wenn aber ein Mit­glied des Geheim­di­en­stes ohne wirk­lich­es Inter­esse an der eigentlichen Hochschulpoli­tik die Verteilung von Geldern an der Uni bee­in­flusst, befürchtet der Grü­nen-Abge­ord­nete Lim­burg nicht zu Recht eine Manip­u­la­tion der demokratis­chen Hochschule? Lukas Wanke ist Mit­glied der hal­lis­chen Offe­nen Linken Liste, die im Stu­ra die stärk­ste Frak­tion stellt. »In Göt­tin­gen fängt es im Kleinen an, das heißt, die Demokratie und Autonomie der Hochschule ist noch nicht dadurch in Gefahr, dass eine Per­son dafür bezahlt wird, sich in Kom­mis­sio­nen zu set­zen«, schätzt er die Lage ein. »Aber wenn Leute, die dafür gewählt wer­den, etwas zu repräsen­tieren, gekauft wer­den, ist das an sich ein Ver­stoß gegen demokratis­che Grundregeln.«

Während die ALL ver­sucht, mit der Enthül­lung klarzukom­men, läuft in Han­nover die poli­tis­che Aufar­beitung des Fall­es. 8 Tage nach seinem Bekan­ntwer­den, am 21.11.2018, ist Maren Bran­den­burg­er, bis dahin Chefin des nieder­säch­sis­chen Ver­fas­sungss­chutzes, diesen Job los. Grüne und FDP set­zen außer­dem durch, dass das Innen­min­is­teri­um einen Son­der­ermit­tler auf den Fall anset­zt. Im Dezem­ber bescheinigt dessen Bericht der Behörde gröb­ste Fahrläs­sigkeit. Offen­bar wurde mit den Akten unpro­fes­sionell umge­gan­gen, gegen drei Beamte wird ein internes Ver­fahren ein­geleit­et. Jet­zt ist zwar klar, dass der nieder­säch­sis­che Ver­fas­sungss­chutz geschlampt hat – der Zweck und die Beweg­gründe für die Ein­mis­chung in die Hochschulpoli­tik bleiben aber weit­er im Dunkeln.

Einzelfall oder Wiederholungsgefahr?

Auf die Frage, ob Lukas Wanke eine solche Überwachung und Ein­mis­chung in (linke) Hochschulpoli­tik auch in Sach­sen-Anhalt für möglich hält, bleibt er allerd­ings gelassen: »Es wäre hier noch ein Stück weit absur­der. Gar nicht unbe­d­ingt, weil wir uns groß inhaltlich von solchen Grup­pen wie in Göt­tin­gen unter­schei­den wür­den, aber weil unser Vorge­hen frei im Inter­net nach­les­bar ist.« Außer­dem hält Lukas den Ver­fas­sungss­chutz in Sach­sen-Anhalt per­sön­lich »für weniger proak­tiv als beispiel­sweise in Nieder­sach­sen.« Und für den Grü­nen Lim­burg han­delt es sich bei den Göt­tinger Geschehnis­sen um einen Einzelfall. Auf unsere Anfrage hin antwortet er, er habe »gegen­wär­tig nicht den Ein­druck, dass eine flächen­deck­ende Überwachung oder Unter­wan­derung stu­den­tis­ch­er Selb­stver­wal­tungs­gremien in Nieder­sach­sen erfolgt.«

Unab­hängig aber, ob es sich um einen Einzelfall han­delt, oder inwiefern man die Beobach­tung der ALL aus Grün­den der öffentlichen Sicher­heit für gerecht­fer­tigt hält oder nicht: Nach­dem auch der Bun­desver­fas­sungss­chutz nicht ger­ade mit Erfol­gen prahlen kann, stellen die Meth­o­d­en der nieder­säch­sis­chen Behörde und dessen man­gel­hafte Arbeit die deutschen Geheim­di­en­ste ein­mal mehr in ein sehr neg­a­tives Licht. Friedrich Paun forderte von der Uni Göt­tin­gen, selb­st ein Auskun­ft­ser­suchen beim Ver­fas­sungss­chutz zu stellen, um zur Aufk­lärung beizu­tra­gen – eine Forderung, die unge­hört ver­hallte. Und auch die Erken­nt­nisse der par­la­men­tarischen Unter­suchung im Ver­fas­sungss­chutzauss­chuss bleiben geheim.

So sind ein Viertel­jahr nach der Ent­tar­nung die meis­ten Umstände des Falls weit­er­hin unklar, und die Aufk­lärung bleibt unbe­friedi­gend. Reicht es bere­its aus, dass einzelne Mit­glieder ein­er Hochschul­gruppe in radikalen Grup­pen aktiv sind, um auch die ganze Hochschul­gruppe zu beobacht­en? Muss dazu die Erlan­gung sen­si­bler Dat­en der Uni als Kol­lat­er­alschaden hin­genom­men wer­den? Ist es zweck­mäßig und erforder­lich, dass eine V‑Person die Hochschulpoli­tik bee­in­flusst? Die Ver­fas­sungss­chutzbe­hör­den dürften selb­st ein Inter­esse an der Beant­wor­tung dieser Fra­gen haben, wenn sie ihre Akzep­tanz in der (studieren­den) Bevölkerung sich­er­stellen wollen.

Illus­tra­tion: Emil­ia Peters
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