In den Regalen der Buchhandlung “koh­sie” las­sen sich aus­schließ­lich Bücher von Autorinnen und diver­sen Personen fin­den. Dabei möch­te die Gründerin Sarah Lutzemann beson­ders BIPoC-Autor:innen (Black, Indigenous, People of Color) eine Stimme geben.   

Zu sehen ist die Innenansicht der Buchhandlung
Das “koh­sie” — Bild von Clara Pohlandt

Online-Trends wie “My white male books­helf” visua­li­sie­ren, dass Werke von Frauen oft in Vergessenheit gera­ten. Bei eben die­sem Trend wer­den alle Bücher, die von Männern geschrie­ben wur­den, mit dem Rücken zur Wand gestellt, sodass nur noch Werke von Autorinnen zu sehen sind. Da wei­ße Männer, wie in vie­len Lebensbereichen, auch in der Literatur domi­nie­ren, hät­te das bei vie­len Menschen einen über­wie­gend gleich­far­bi­gen Bücherschrank zur Folge. 

Die Bücherregale der Diversity-Buchhandlung “koh­sie” in Halle (Saale) aller­dings wür­den bunt blei­ben. Der gemüt­li­che und mit Liebe zum Detail gestal­te­te Laden auf der Kleinen Marktstraße 7 macht diver­se Autor:innen sicht­bar und deren Perspektiven zugäng­li­cher. Im Interview erzählt die Gründerin Sarah Lutzemann von ihrem Konzept und ihren Visionen. 

Pohlandt: Hallo Sarah! Dein Mann Danny Lutzemann und du habt im April die­ses Jahres die ers­te diver­se Buchhandlung in Mitteldeutschland eröff­net. Wie ist es zu die­ser Idee gekom­men? 

Lutzemann: Ich woll­te mich selbst­stän­dig machen, das war klar. Ich wuss­te noch nicht genau wie, habe aber par­al­lel dazu schon seit Ende 2019 nur noch Bücher von Frauen gele­sen. Ich bin durch eine Instagram-Challenge dar­auf gesto­ßen, die ange­spro­chen hat das mal zu tun. Ich habe dann gemerkt, wie groß die Bandbreite in der weib­li­chen Literatur eigent­lich ist, wie wenig davon in den Buchhandlungen ankommt und wie wenig Bücher bespro­chen wer­den. Vor allem wenn man vom euro­päi­schen Kontinent run­ter­geht und was vom afri­ka­ni­schen oder asia­ti­schen Kontinent lesen möch­te, fin­det man recht wenig in den klas­si­schen Buchhandlungen. Wenn man noch nicht-binä­re Autor:innen dazu nimmt, dann fin­det man noch weni­ger. Und das woll­te ich ändern: Ich woll­te zei­gen, was es alles gibt und die gan­ze Bandbreite an Büchern von weib­li­chen und diver­sen Autor:innen prä­sen­tie­ren und herausstellen. 

Kohsie ist ja eine Zusammensetzung aus “cozy”, also gemüt­lich, und “sie”. Der Name ist hier Programm. Wie schaffst du es, dass sich Kund:innen in dei­nem Laden auf Anhieb wohl­füh­len? 

Ich ver­su­che das durch die Atmosphäre zu machen. Es soll hier weni­ger wie ein nor­ma­ler Laden aus­se­hen, son­dern eher wie ein Wohnzimmer. Besonders Einrichtung und Lichtgestaltung sind mir sehr wich­tig. Es gibt hier auch Pflanzen und Sitzmöglichkeiten. Durch das gro­ße offe­ne Schaufenster kann man schon von außen sehen, was einen oder eine hier drin­nen erwar­tet. Man muss nicht erst in den Laden rein­ge­hen und sich zurecht­fin­den, son­dern kann sich schon von außen ein Bild machen. 

Natürlich bera­ten wir auch zu Büchern, aber wir ver­su­chen Menschen hier auch ein­fach ihren Freiraum zum Durchsuchen zu las­sen und ihnen die Zeit zu geben, alles selbst zu ent­de­cken. Es ist uns auch wich­tig, Menschen einen Raum zu geben, ein­fach so sein zu kön­nen, wie sie sind und sich nicht ver­stel­len zu müs­sen. Man soll sich hier nicht unter Druck gesetzt füh­len was zu kau­fen, son­dern ein­fach rein­kom­men, sich umschau­en und viel­leicht etwas finden. 

Hier geht es ja um viel mehr, als Diversität im Sinne von Männlich oder Weiblich. Welchen Autor:innen möch­test du eine Stimme geben? 

Ich möch­te vor allem denen eine Stimme geben, die bis­her eher nicht gezeigt wer­den. Das sind sehr vie­le nicht-binä­re Autor:innen, das sind Autor:innen aus ver­schie­de­nen Ländern des afri­ka­ni­schen Kontinents. Außerhalb von gro­ßen Autor:innen aus Nigeria, die man viel­leicht kennt, gibt es da ganz vie­le wei­te­re aus den unter­schied­lichs­ten Ländern. Aber auch Autor:innen aus asia­ti­schen Ländern, die man bis­her eher weni­ger liest, haben eine span­nen­de Geschichte zu erzäh­len. Die möch­te ich vor allem highlighten. 

Welche wei­te­ren Kriterien, neben weib­li­chen und diver­sen Autor:innen, gibt es denn für dich bei der Auswahl von neu­en Büchern für den Laden?  

Wir haben uns da tat­säch­lich stren­ge Kriterien gesetzt. Wir ach­ten sehr auf Repräsentation und machen das auch an Zahlen fest. Was zum Beispiel Länder betrifft, haben wir eine Landkarte genom­men und uns ange­schaut, aus wel­chen Ländern wir bereits Autor:innen haben und aus wel­chen nicht. Dann suchen wir gezielt danach, aus die­sen Ländern Autor:innen zu fin­den. So haben wir schon Autor:innen gefun­den, auf die wir ohne geziel­tes Suchen wahr­schein­lich nicht gesto­ßen wären. Beim Thema Repräsentation wol­len wir zum Beispiel nicht nur eine Trans-Autorin, son­dern wir hät­ten ger­ne eine Schwarze Trans-Autorin und eine wei­ße Trans-Autorin und eine mus­li­mi­sche Trans-Autorin. Wir suchen nach Mehrfachrepräsentation. 

Gibt es Bücher, die du bewusst aus­schließt und auch nicht auf Nachfrage ver­kau­fen wür­dest? 

Ja, alle Bücher die Rassismen repro­du­zie­ren und zur Spaltung der Gesellschaft beitragen. 

Ist hier wirk­lich für jeden und jede was dabei oder gibt es ein bestimm­tes Buchgenre, wel­ches das Sortiment domi­niert? 

Es gibt extra kein domi­nan­tes Genre, denn Leser:innen sind so ver­schie­den. Wir wol­len auch kein Genre dem ande­ren vor­zie­hen, weil kei­nes bes­ser als ein ande­res ist. Deshalb gibt es hier wirk­lich eine ganz gro­ße Bandbreite. 

Man kann auch Bücher von männ­li­chen Autoren bei dir bestel­len, aber es fin­det sich kei­nes davon in den Regalen. Warum soll­ten sich Männer dadurch nicht benach­tei­ligt füh­len? 

Weil Männer in allen ande­ren Buchhandlungen über­durch­schnitt­lich reprä­sen­tiert sind. Auf Bücherlisten, im Buchkanon, über­all sind Männer über­durch­schnitt­lich reprä­sen­tiert. Wir wer­fen nur alles ande­re in die Waagschale und glei­chen die Waage qua­si aus. Wir gehen also nicht in die ent­ge­gen­ge­setz­te Richtung, son­dern sor­gen eher für ein Gleichgewicht. 

Auf eurem Instagram-Account „kohsie.halle“ konn­te ich sehen, dass ihr jeden Monat eine neue Book-Wall kre­iert. Was ist der Gedanke dahin­ter? 

Wir hat­ten den Gedanken, dass wir hier auch lokal eine Veränderung brin­gen wol­len. Wir möch­ten uns lokal mit Menschen ver­net­zen, die schon viel leis­ten und auch lese­be­geis­tert sind. Dabei haben wir an die loka­le Buchblogger-Szene gedacht, die ja auch oft nicht die wür­di­ge Repräsentation oder Aufmerksamkeit bekommt, beson­ders wenn es klei­ne Accounts sind. Wir haben hier auch kei­ne Einschränkungen bezüg­lich einer bestimm­ten Accountgröße für Menschen, die auf die Book-Wall kom­men. Du bist lese­be­geis­tert? Herzlichen Glückwunsch, du darfst dei­ne Auswahl hier prä­sen­tie­ren, wenn du das möch­test. Und das stärkt unse­ren Charakter, dass wir in die­ser Stadt ver­wur­zelt sind und etwas in die­ser Stadt bewe­gen wollen. 

Ihr schafft hier auch einen Safe-Space für vie­le Menschen. Gibt es bei euch Mitmach-Möglichkeiten, wie Lesungen oder ähn­li­che Veranstaltungen?  

Ja, auf jeden Fall. Lesungen füh­ren wir immer wie­der durch. Wir hat­ten im September eine Lesung hier, wir haben auch manch­mal Lesungen außer­halb, wenn unse­re Räumlichkeiten ein­fach zu klein sind. Wir orga­ni­sie­ren auch für die loka­len “Bookstagrammer”, die über Bücher schrei­ben, Treffen zum Vernetzen. Das wol­len wir auf jeden Fall gern auf­recht­erhal­ten, es wird auch bald ein Weihnachts-Bookstragram-Treffen hier geben. Wir pla­nen gera­de was mit der quee­ren Szene zu star­ten, weil wir gemerkt haben, dass es hier kei­nen rich­ti­gen Raum gibt, wo sich quee­re Menschen tref­fen kön­nen. Es gibt kei­ne quee­ren Cafés, Bars oder Partymöglichkeiten. Genau so einen Ort wol­len wir zusam­men erschaffen. 

Man sieht Sarah und Danny Lutzemann hinter der Ladentheke im "kohsie".
Danny und Sarah Lutzemann im “koh­sie” — Bild von Clara Pohlandt

Was möch­test du ger­ne in den Köpfen von Menschen bewe­gen? 

Ich möch­te, dass Menschen sich trau­en “out­side-the-box” zu leben. Also sich Bücher oder Geschichten von Themen anzu­le­sen, die sie sel­ber gar nicht betref­fen. Ich möch­te, dass Menschen einen ande­ren Blickwinkel ein­neh­men, von einem Land lesen, dass sie noch gar nicht ken­nen oder einer Person, die ganz anders ist als sie. Ich möch­te das Gespräch eröff­nen über sol­che Themen zu reden, nach­zu­den­ken und mal einen ande­ren Blickwinkel zu bekommen. 

Die Lutzemanns laden immer gern Menschen ein, ein­fach her­ein zu kom­men, sich kurz hin­zu­set­zen, in ein Buch zu schau­en und durch­zu­at­men. Sarah betont, dass man sich nicht gedrängt füh­len muss zu reden – ein­fach kurz “Hallo” sagen reicht. Ihr Raum soll als sicher wahr­ge­nom­men wer­den, indem man ein­fach sein kann, wie man ist. 

Website: https://kohsie.de/

Online-Shop: https://kohsie.buchhandlung.de/shop/

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