Genderverbote kennt man nur aus Bayern? Falsch! Auch direkt vor unse­ren Augen an der MLU sank­tio­niert ein Dozent die Benutzung geschlech­ter­sen­si­bler Sprache in sei­nen Veranstaltungen scharf  und wird dafür seit Jahren kritisiert.

Es war einmal ein Professor…

…namens Jürgen Plöhn. Der Politologe und Ehrenritter des Johanniterordens, wie er in sei­ner Vita schreibt, steht spä­tes­tens seit 2021 in der Kritik der Studierendenschaft der Universität Halle. Der Grund: Plöhns vehe­men­te Ablehnung geschlech­ter­sen­si­bler Sprache in sei­nen Lehrveranstaltungen. Doch lehnt der außer­plan­mä­ßi­ge Professor nicht nur selbst die Benutzung die­ser ab, son­dern ermahnt auch sei­ne Student:innen dazu, sich „all­ge­mein übliche[r] Hochsprache“ zu bedie­nen oder alter­na­tiv nicht an sei­nen Seminaren teil­zu­neh­men. So gab er gegen­über dem MDR bei­spiels­wei­se an, gen­der­sen­si­ble Sprache in Hausarbeiten als Fehler anzu­strei­chen. Inwiefern sich dies auf die Bewertung aus­wirkt, ist jedoch nicht bekannt. Zumindest habe es kei­ne Fälle gege­ben, in wel­chen sich Studierende bei den ent­spre­chen­den Stellen über Plöhns Bewertung ihrer Hausarbeiten beklagt hät­ten, wie er den Kanzler der Uni in einer Stellungnahme zitiert. 

Gendersensible Sprache beschreibt die Neutralisierung  von Substantiven oder die Verwendung von Sonderzeichen als Glottisschlag als Alternative zum gene­ri­schen Maskulinum. So wird aus Studenten bei­spiels­wei­se Studierende oder Student:innen.

Doch statt das Verbot kri­tik­los zu akzep­tie­ren, wen­de­ten sich 2021 Betroffene von Plöhns Anti-Gender-Doktrin an die Präventionsstelle Diskriminierung und sexu­el­le Belästigung der Universität und leg­ten Beschwerde ein. Mit Verweis auf die Empfehlungen der Uni in Bezug auf geschlech­ter­sen­si­ble Sprache folg­te sogleich eine Ermahnung durch das Institut für Politikwissenschaft, auch abwei­chen­de Positionen zum Gendern zuzu­las­sen. Zudem wur­de Plöhn dazu ange­hal­ten, etwai­ge Äußerungen aus sei­nen Veranstaltungsbeschreibungen auf StudIP zu ent­fer­nen und den Seminarteilnehmer:innen zu ver­si­chern, dass auch bei Benutzung gen­der­sen­si­bler Sprache kei­ne Sanktionen fol­gen wür­den. Eine für alle zufrie­den­stel­len­de Lösung, oder?Nein, denn trotz der Vorgaben sei­tens des Instituts für Politikwissenschaft ver­wei­ger­te Plöhn die Toleranz gegen­über geschlech­ter­sen­si­bler Sprache in der Lehre. Alsbald wur­de der Konflikt der­art hoch­sti­li­siert, dass dem Dozenten die Austragung von Veranstaltungen, wel­che Leistungspunkte erbrin­gen, unter­sagt wur­de. Auch ver­wei­ger­te man ihm den Zugang zu uni­ver­si­tä­ren Ressourcen, bei­spiels­wei­se dem Sekretariat des Instituts. Man könn­te mei­nen, die­se Sanktionsmechanismen hät­ten zu einem Einlenken  Plöhns geführt, doch wäre das ein über­aus nai­ver Gedankengang. Stattdessen zog der Professor, wel­cher sich im übri­gen als Opfer von Mobbing sah, vor den Petitionsausschuss des Landtags von Sachsen-Anhalt. Im Sommer 2023 dann die Klatsche für die gen­dern­de Studierendenschaft: Eine Einigung zwi­schen Plöhn und dem Rektorat. Der Begriff ‚Einknicken‘ passt hier­bei jedoch wohl bes­ser, denn statt auf die Forderungen der Student:innen und Institutsangehörigen ein­zu­ge­hen, gestand man dem Professor den Zugang zur uni­ver­si­tä­ren Infrastruktur wie­der zu und gewähr­te ihm über­dies erneut das Austragen von Seminaren in Pflichtmodulen des Politikstudiums. Und so trägt Plöhn in die­sem Sommersemester wie­der ein Wahlpflichtseminar für gan­ze zehn Leistungspunkte aus. 

What did he sayyy?

Um nun aber wirk­lich die Motivation hin­ter Plöhns Sprachdiktat zu erken­nen, ist ein Blick in sei­ne Veranstaltungsbeschreibungen auf StudIP sicher nicht ver­kehrt. Spoileralarm: Ein Großteil davon wur­de gelöscht. Die frü­hes­te ver­füg­ba­re Veranstaltung ist ein Seminar aus dem Sommersemester 2023 über die Deutsche Wirtschaftspolitik ab 1918. So anti­qua­risch wie das Thema klingt, so liest sich auch die doch recht kur­ze Anmerkung bezüg­lich des Themas. „Strikte Ideologiefreiheit der Lehre“ sei für Plöhn ein­wich­ti­ges Kriterium. „Dazu zählt neben ande­ren Ideologien auch die geziel­te Beugung der deut­schen Sprache unter die Ideologie der Gendersprache“, heißt es wei­ter. Gendern gleich Ideologie, ach so. Dabei wird der Ideologiebegriff, so schwer er auch zu erfas­sen sein mag, poli­tik­wis­sen­schaft­lich zumeist als eine Weltanschauung oder poli­ti­sche Strömung, also eine Sammlung verschiedensterIdeen in poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Teilbereichen, ver­stan­den. Geschlechtersensible Sprache als eine gan­ze Strömung zu defi­nie­ren, ist in allen Fällen gewagt, auch für einen habi­li­tier­ten Politikwissenschaftler. 

„Die Verwendung einer geschlech­ter­ge­rech­ten Sprache in der Lehre [soll] selbst­ver­ständ­lich wer­den“, heißt es in den uni­ver­si­tä­ren Empfehlungen.
Bild: Uni Halle/Norbert Kaltwaßer

Doch da hört der Spaß noch lan­ge nicht auf. In einer Seminarbeschreibung des ver­gan­ge­nen Wintersemesters wirft Plöhn gen­dern­den Student:innen vor, „an der Universität eine eige­ne poli­ti­sche Agenda [zu] ver­fol­gen“. Die Nutzung geschlech­ter­sen­si­bler Sprache impli­zie­re zwin­gen­der­ma­ßen auch immer einen ange­streb­ten gesell­schaft­li­chen Wandel und ste­he daher im Konflikt mit dem Wahrheitswert wis­sen­schaft­li­cher Aussagen. Das ist nicht nur eine gro­be Verallgemeinerung und Generalisierung, die Aussage spricht über­dies auch zahl­rei­chen wis­sen­schaft­li­chen Publikationen auf­grund eines gen­der­sen­si­blen Sprachduktus ihre Gültigkeit ab. Verfolgt Plöhn hier viel­leicht selbst eine eige­ne, kon­ser­va­ti­ve Agenda?

Von Opferrolle und Selbstmitleid

Aber was hät­te all die­se Aufregung gebracht, wenn man sie nicht noch mit einer Prise Selbstdarstellung bespren­keln könn­te. Pünktlich zum letz­ten Wintersemester ver­öf­fent­lich­te der Ehrenritter im Oktober einen Artikel mit dem heroi­schen Titel: „Wie ich mich gegen Gendersprech an mei­ner Universität zur Wehr setz­te“ auf der christ­li­chen und rechts­kon­ser­va­ti­ven Plattform Corrigenda. Zur Einordnung: Corrigenda steht laut eige­nen Aussagen ein für „Ehe, Familie und das christ­li­che Erbe Europas“ und fällt vor allem durch wissenschafts‑, mus­lim– und queer­feind­li­che Positionen auf. Es ist sicher kein Zufall, dass der Politikchef des rechts­po­pu­lis­ti­schen Onlinemediums NIUS, Ralf Schuler, von Corrigenda schwärmt. Umso dra­ma­ti­scher ist jedoch, dass ein habi­li­tier­ter Hochschuldozent einen Artikel für ein Magazin schreibt, wel­ches im nächs­ten Beitrag die men­schen­ge­mach­te Klimakatastrophe leug­net und Bemühungen zur Einhegung eben­je­ner als „aktualisierte[n] sozialistische[n] Klassenkampf“ denunziert. 

Plöhn sei durch den Prodekan der Philosophischen Fakultät I bespit­zelt wor­den, schreibt er im Artikel. Er sei einer „schikanöse[n] Behandlung“ aus­ge­setzt gewe­sen. Appelle, trotz sei­ner Ablehnungshaltung gegen­über geschlech­ter­sen­si­bler Sprache auch abwei­chen­de Positionen zu akzep­tie­ren, beschreibt er als „admi­nis­tra­ti­ve Zwangsmaßnahme[n]“. Doch wie jede gute Heldengeschichte siegt auch hier im Endeffekt unser Ehrenritter. „Das Sprachdiktat ist abge­wen­det – ich kann wie­der leh­ren“, schreibt Sprachdiktator Jürgen Plöhn zu sei­nem heroi­schen Sieg gegen die Uni. Im Endeffekt bewirkt der Corrigenda-Artikel genau eine Sache bei sei­nen Leser:innen: Er erschafft einen Opfermythos à la Münkler um den geschol­te­nen Professor. Plöhn argu­men­tiert sich geschickt in eine Opferrolle und ern­tet so Sympathie in der rechts­kon­ser­va­ti­ven Bubble, im Notfall auch durch stump­fen Populismus. Doch genau das scheint Erfolg zu haben, wie die Kommentare unter dem Artikel zei­gen. „Gendern ist der Hitlergruß des 21. Jahrhunderts“, schreibt ein Nutzer in Reaktion auf den Artikel. Ein ande­rer lobt den „Mut und [das] Standvermögen von Prof. Plöhn“.

Der Professor selbst ver­tritt im Übrigen nicht die Auffassung, dass Corrigenda rechts­kon­ser­va­ti­ve und wis­sen­schafts- wie men­schen­feind­li­che Positionen zulässt. Das zu den­ken sei „ein­sei­tig-pro­vo­ka­tiv“ und „kei­nes­falls von einem offe­nen wis­sen­schaft­li­chen Erkenntnisinteresse geprägt“. Vielmehr hät­te die Plattform, anders als  die „aus einer öffent­li­chen Zwangsabgabe finan­zier­ten“ Öffentlich-Rechtlichen, ihm eine unbe­ein­fluss­te und freie Veröffentlichung zuge­stan­den. „Über die Texte ande­rer Beiträger tra­ge ich kei­ne Verantwortung“, ant­wor­tet Plöhn auf eine Presseanfrage der has­tu­zeit. Das stimmt natür­lich. Trotzdem ist es doch schon etwas pro­ble­ma­tisch, einen Artikel über ein Medium zu ver­öf­fent­li­chen, in wel­chen in einem ande­ren Beitrag das Verbreiten von Memes mit Hakenkreuzen ver­tei­digt und legi­ti­miert wird.

Mit gan­zen fünf Seiten nahm Plöhn Stellung zu unse­rer Anfrage. Auf die­sen recht­fer­tigt er sei­ne Antipathie gegen das Gendern zwei­er­lei. Geschlechtersensible Sprache erfül­le einer­seits nicht die gram­ma­ti­ka­li­schen Regeln, sei also ganz fak­tisch als Fehler zu wer­ten und ent­spre­che auf der ande­ren Seite „nicht wis­sen­schaft­li­cher Praxis“. Sie wer­de von über 80 Prozent der Bevölkerung abge­lehnt, was Plöhn wei­ter zu der These führt, gen­dern­de Personen sei­en „von auto­ri­tä­rem Geist geprägt“, indem sie zwang­haft gegen die gro­ße Mehrheit der deutsch­spra­chi­gen Bevölkerung agie­ren wür­den. Ein ganz schön star­ker Vorwurf für einen Dozenten, dem wis­sen­schaft­li­che Genauigkeit der­ma­ßen am Herzen liegt. Tatsächlich exis­tiert eine ent­spre­chen­de Umfrage tat­säch­lich. 2023 führ­te das Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag von t‑online eine ent­spre­chen­de Online-Befragung durch. Nun wei­sen Online-Umfragen jedoch das Problem auf, dass die Stichprobenziehung nicht zufäl­lig geschieht, son­dern viel­mehr will­kür­lich. Dies führt zu einer Einschränkung der Repräsentativität. Dafür wird die­se Umfrageformat von zahl­rei­chen Wissenschaftler:innen kri­ti­siert. Es ist sicher kein Zufall, dass sich diver­se ande­re Umfrageinstitute bei dem Deutschen Presserat dar­über beschwert haben, dass Civeyfälsch­li­cher­wei­se Ergebnisse von Online-Befragungen unter dem Gütesiegel ‚reprä­sen­ta­tiv‘ ver­öf­fent­licht. Dieser sah beim Vorgehen des Meinungsforschungsinstituts jedoch kei­ne Verstöße. In einem Statement ganz unre­flek­tiert die­se 80 Prozent als fak­tisch gesi­chert dar­zu­stel­len, lässt sich daher zumin­dest kritisieren.

An meh­re­ren Stellen schreibt Plöhn über­dies vom „natür­li­chen Geschlecht“, impli­ziert damit also eine binä­re Geschlechterordnung. Eine sprach­li­che Benachteiligung von FLINTA*-Personen in der deut­schen Sprache sieht er im Übrigen nicht. Begründet wird das durch den Vergleich Deutschlands mit China und der Türkei. Diese Staaten ver­folg­ten laut Plöhn durch­aus repres­si­ve­re Politiken, hät­ten im Gegenzug jedoch kei­ne sprach­li­chen Geschlechtsunterschiede. Eine sprach­li­che Benachteiligung in der deut­schen Sprache kön­ne daher ja gar nicht vor­lie­gen. Na klar. Auch der Begriff der ‚geschlech­ter­sen­si­blen Sprache‘ ist dem Dozenten ein Dorn im Auge. Er sug­ge­rie­re einen „unsen­si­blen Umgang mit Frauen, sofern jemand sich den […] Forderungen der Aktivisten nicht unter­wirft“. Laut Plöhns Auffassung ein pole­mi­scher Angriff auf sei­ne Sprachpraxis. Da ist sie wie­der, die Opferrolle. 

FLINTA* ist ein Akronym, wel­ches Frauen, les­bi­sche, inter‑, nicht-binä­re, trans–  und agen­der-Personen umfasst.

Reaktionen über Reaktionen

Doch nicht nur der Dozent selbst, son­dern auch vie­le ander­wei­ti­ge Gremien und Personenkreise haben Stellung zu Plöhnswiedererteilter Erlaubnis zur Lehre in Pflichtmodulen bezo­gen. Das Sprecher:innenkollegium des Studierendenrates bei­spiels­wei­se benennt das Einknicken des Rektorats in einem Statement als eine „Einschränkung der Freiheit der Student:innen“. Die Wiederaufnahme Plöhns „Lehre aus dem Pflicht-Curriculum“ drü­cke das Unvermögen der Universitätsleitung aus, sich gegen „den Kulturkampf von rechts“ zu behaup­ten. Auch kri­ti­sie­ren die StuRa-Sprecher:innen, dass dem Streit um gen­der­sen­si­ble Sprache zum wie­der­hol­ten Male eine solch zen­tra­le poli­ti­sche Rolle ein­ge­räumt wird, anstatt die tat­säch­li­chen Baustellen des defi­zi­tä­ren deut­schen Bildungssystems anzu­ge­hen. Abgeschlossen wird das Statement der Studierendenvertretung mit einer Forderung nach einer freienLehre ohne die sprach­li­che Einschränkung der Studierendenschaft durch Professor:innen wie Plöhn. 

In einer kur­zen Stellungnahme, die uns das Rektorat der MLU auf eine Presseanfrage zukom­men ließ, wird der Ausgang des Konflikts mit dem Politikwissenschaftler posi­tiv auf­ge­fasst. Es sei eine ein­ver­nehm­li­che Einigung zustan­de gekom­men, wobei den Studierenden das Ausweichen auf ande­re Seminare mög­lich blei­be. Plöhns Corrigenda-Artikel woll­te man nicht kom­men­tie­ren, das Rektorat sei jedoch im Bilde darüber. 

Der Petitionsausschuss des Landtags behan­delt Anregungen oder ander­wei­ti­ge Eingaben der Bürger:innen Sachsen-Anhalts, etwa bei Verdacht auf unge­rech­te Behandlung durch Behörden oder Staatsorgane.
Bild: ltlsa/Viktoria Kühne

Doch auch die soge­nann­te Alternative für Deutschland hat öffent­lich Stellung zur Konfliktbeilegung in der Universität bezo­gen. Mitglied des Landtages Hans-Thomas Tillschneider nennt geschlech­ter­sen­si­ble Sprache dar­in eine „abson­der­li­che Schreibweise“ und lobt Plöhn für sei­nen not­wen­di­gen Widerstand. Demnach sei die Universität ledig­lich eine „wil­li­ge Vollstreckerin der herr­schen­den Gender-Agenda“, wel­che durch die Sanktionierung des Professors die Wissenschaftsfreiheit ein­ge­schränkt hät­te. Auch von einer Gleichschaltung ist die Rede. Lupenreines NS-Vokabular. Plöhn ver­tei­di­ge die Wissenschaft indes gegen den „Gender-Totalitarismus“.

Text: Till Menzel

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