Diese Serie ist den Frauen gewid­met, die einen Bezug zu Halle hat­ten. Ob hier gebo­ren, auf­ge­wach­sen oder stu­diert, meist präg­ten die­se Persönlichkeiten über die Stadt hin­aus Kunst, Gesellschaft und Kultur. Diesmal geht es um Friederike Rosine Lehmann: unter ande­rem Vorsteherin des hal­li­schen Frauenvereins Anfang des 19. Jahrhunderts.

Illustration: Gregor Borkowski 

Soziales Engagement fin­det am ehes­ten unter schwie­rigs­ten Bedingungen größ­te Anhänger*innen: In Krieg- und Krisenzeiten, beson­ders wäh­rend der napo­leo­ni­schen Feldzüge in Mitteldeutschland, war Fürsorge über­le­bens­not­wen­dig. Friederike Rosine Lehmann, gebo­re­ne Zöhler, war ein Beispiel sol­cher Fürsorglichkeit: Sie enga­gier­te sich in den letz­ten Jahrzehnten der Koalitionskriege außer­or­dent­lich für die Armen und Verwundeten. Lehmann war zunächst eine »klas­si­sche« Meistersfrau: Sie half bei den Geschäften, führ­te den Haushalt und beauf­sich­tig­te die Gesellen, lei­te­te in Abwesenheit ihres Mannes den Betrieb und sorg­te für die Kinder, die aus der Ehe her­vor­gin­gen. Fünf sind im Geburts- und Sterberegister der St. Ulrichskirche ver­zeich­net. Drei star­ben ver­mut­lich unmit­tel­bar und unge­tauft nach der Geburt, denn sie tau­chen im Register nicht auf. Die Hungerunruhen 1805, die vom preu­ßi­schen Militär nie­der­ge­schla­gen wur­den, lös­ten bei Rosine Lehmann ers­te Empathie für die Armen aus. Die Folge der napo­leo­ni­schen Besatzung Halles ein Jahr spä­ter ver­stärk­te die­ses Mitgefühl. Sieben Jahre blie­ben die Truppen in der Stadt, mit ver­hee­ren­den Auswirkungen auf Menschen und Wirtschaft: Nicht nur das Essen blieb aus oder war unbe­zahl­bar, son­dern auch ande­re sozia­le Bereiche waren betrof­fen. So wur­de unter ande­rem die Universität geschlos­sen, und kom­mu­na­le Armenfürsorgen sowie pri­va­te Wohltätigkeiten bra­chen zusammen. 

Vereinsgründung und Verdienstmedaille

Lehmann, zunächst pri­vat wohl­tä­tig, enga­gier­te sich ab 1813 im neu gegrün­de­ten »Verein von edlen Frauen und Töchtern« in Halle. Nach der Völkerschlacht von Leipzig küm­mer­ten sich die Mitglieder um ver­wun­de­te Soldaten. Der »Frauenverein« grün­de­te sich zwei Jahre spä­ter am 1. März. Geleitet wur­de die­se Institution vom Bürgermeister Karl Albert Ferdinand Mellin, da Frauen zum dama­li­gen Zeitpunkt als nicht geschäfts­fä­hig gal­ten. Zu den »Damen aus geho­be­nen Kreisen« gehö­rend war Friederike Rosine als Mitglied die ein­zi­ge Frau eines Handwerkers. Die Gründung die­ses und vie­ler wei­te­rer Vereine folg­te dem Appell der preu­ßi­schen Prinzessinnen an alle Frauen und Jungfrauen, stän­de­über­grei­fen­de Vereine zu bil­den. Somit wirk­te Lehmann unter ande­rem an der Aktion »Gold gab ich für Eisen«, einem Werbespruch, der zur Spende von Gold und Schmuck zur Kriegsfinanzierung auf­rief, mit. Sie half zudem im Waisenhaus, der Marienkirche, damals ein Ausweichlazarett, bei der Pflege von Verwundeten, beim Kochen und der Verteilung von Speisen mit.

Die Leistungen der Frauen wur­den nach der Übernahme der Lazarette durch das preu­ßi­sche Militär jedoch nicht aner­kannt. Lehmann unter­stütz­te dar­auf­hin die Frauen und Mädchen, die sich auch in den umlie­gen­den Dörfern zusam­men­ge­schlos­sen hat­ten, um Haushaltsleinen zu Verbandsmaterial für die in Frankreich kämp­fen­den Soldaten umzu­ar­bei­ten. Ihr Sohn Carl Friedrich Andreas fiel bei den Gefechten in Frankreich. Lehmann hat­te einen maß­geb­li­chen Anteil an den Sammlungen von Geld und Bekleidung, wel­che an die Truppen gin­gen. 1815 zeich­ne­te man sie auf­grund ihrer Erfolge mit der Preußischen Verdienstmedaille aus. Mit die­ser Auszeichnung wur­den jähr­lich 8 Taler aus­ge­zahlt, wel­che sofort an die Armen gin­gen. Die Verleihung der Auszeichnung war ein wah­res Politikum und sorg­te in der Stadt für Empörung. Denn Frauen aus den höhe­ren Ständen erhiel­ten für sol­che Verdienste den Luisen-Orden.

»Dieß schlägt alle Kenner und Schätzer des Verdienstes zu Halle nie­der, wenn­gleich die Lehmannin … es nicht ein­mal gern hört: daß Ihrem Verdienstes außer­dem noch immer der Luisen-Orden gebühre.« 

Hendel, Stadtchronik
Wohltätiges Vermächtnis

Nach dem Tod ihres Mannes führ­te Friederike Rosine allei­ne den Handwerksbetrieb als Meisterwitwe wei­ter. Die Lage in der Stadt ver­schlech­tert sich dra­ma­tisch. Ihre Aufgaben wei­te­te sie mit der Arbeit im »Brotverein« und »Frauenverein der Stadt Halle, des Saal- und Mansfeldischen Kreises« aus. 1818 erfolg­te die Gründung des »Frauenvereins zur Aufsicht über arme, aus öffent­li­chen Mitteln erzo­ge­ne Kinder« bei dem Lehmann prak­tisch die Leitung über­nahm. Unter der offi­zi­el­len Aufsicht der städ­ti­schen Armendirektion ver­mit­tel­te der Verein Lehrstellen für Jungen und Dienstmädchen-Stellungen. Lehmann selbst ver­pfleg­te zu der Zeit in ihrem Haus allei­ne bis zu 50 arme Kinder, sorg­te zudem für ihre geis­ti­ge und sitt­li­che Erziehung und sam­melt Geld- und Sachspenden. Daraufhin erschien im Hallischen Patriotischen Wochenblatt aber­mals eine Würdigung ihrer Arbeit. Als »wacke­re Mitbürgerin« bezeich­net, unter­stütz­te sie in ihrer Funktion als Vorsteherin der Arbeitsanstalten der Stadtarmenschule die Arbeit des »Frauenvereins zum Besten der Stadtarmenschule«.

Aufgrund ihres Gesundheitszustandes, muss­te Lehmann ab 1830 die Leitung der Arbeitsanstalten abge­ben. Aktiv wur­de sie noch ein­mal wäh­rend der Cholera-Epidemie 1831. Dabei sam­mel­te sie erneut Spenden für die Armen und Waisen. Zu ihrem 63. Geburtstag erschien ein offi­zi­el­les Huldigungsgedicht. Im August des Folgejahres stirbt Friederike Rosine Lehmann und wird unter gro­ßer Anteilnahme der Bevölkerung bei­gesetzt. Testamentarisch hat­te sie ein Vermächtnis über 300 Taler aus­ge­setzt, durch des­sen Zinsen bis 1860 jähr­lich drei Waisenkinder ein­ge­klei­det wer­den konn­ten. Im sel­ben Jahr geht der Etat dann in die städ­ti­sche Armenkasse über. 

»Als die Bravste und Thätigste unter allen kennt und ver­ehrt in jeder Hinsicht ganz Halle die Frau Witwe Lehman, die ob sie gleich ihre eif­rigs­te Gehülfin im Lazarettdienste, ihre ein­zi­ge Tochter am epi­de­mi­schen Fieber ein­büß­te, den­noch unge­stört fort­fuhr, im Mindern der Leiden und im Wohlthun nur Beruf und Beruhigung zu suchen und zu finden …« 

Hendel, Chronik der Stadt Halle
Illustration: Gregor Borkowski

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