Halle beste­ht nur aus Hochhäusern und ist voller Recht­sex­tremer. Mit diesen Vorurteilen wer­den sich­er manche Stu­di­en­an­fän­gerIn­nen vor ihrem Umzug nach Halle kon­fron­tiert. Doch was davon stimmt wirk­lich? Ali­na wohnt nun seit einem Jahr in dieser laut ihren Bekan­nten so unat­trak­tiv­en Stadt und möchte nun ihre Erfahrun­gen teilen.

»Und was genau treibt dich jet­zt nach Halle?«, war die Reak­tion meines Vaters auf meinen Entschluss, das Studi­um vor einem Jahr hier anzutreten. Leicht gekränkt über diese neg­a­tiv klin­gende Frage erk­lärte ich ihm meine Beweg­gründe. Für mich war es in erster Lin­ie die Nähe zu Leipzig und in zweit­er der Auf­bau des Stu­di­en­gangs. Leipzig sei das neue Berlin, wurde mir immer wieder beteuert. Ohne auch nur die ger­ing­ste Ahnung davon zu haben, wie es dort genau aussieht, klang es in meinen Ohren sehr gut, und ich fand, ein neues Berlin in sehr viel klein­er kön­nte ganz gut zu mir passen.

Aus sicher­heit­stech­nis­chen Grün­den bewarb ich mich an ein­er unüber­schaubaren Anzahl an Uni­ver­sitäten, die ich fein säu­ber­lich in ein­er Excel-Tabelle fes­thielt. Unter anderem auch in diesem Halle an der Saale. Während ich noch nie in Leipzig war, aber immer­hin auf der Deutsch­land­karte grob einze­ich­nen kon­nte, wo es liegt, hat­te ich bei Halle abso­lut keine Ahnung. Ich erin­nere mich an ein Gespräch mit ein­er Fre­undin, der ich damals laut­stark verkün­dete, dass ich mich zwar an vie­len Uni­ver­sitäten bewor­ben hätte und recht offen sei, was die Städte­wahl bet­rifft (erste Lüge, denn eigentlich wollte ich nur nach Leipzig), aber in so einem lang­weili­gen Ort wie Halle jet­zt nun wirk­lich nicht lan­den müsse (zweite Lüge, denn, naja: »Here I am«). Richtig, ich habe diese Stadt verurteilt, bevor ich wusste, wo sie über­haupt liegt.

Nach einem anstren­gen­den Bewer­bungszeitraum, in dem es manchen Unis reichte, nur ein Online-For­mu­lar auszufüllen, während andere gerne meinen Organspendeausweis gese­hen hät­ten, wusste ich kaum noch, wo oben und unten ist. Nach und nach kamen Zu- und Absagen eingetrudelt. Leipzig hat­te sich bis Mitte August noch nicht gemeldet, aber die anderen Unis woll­ten schon recht schnell eine Antwort. Unter anderem auch die MLU. Also fand ich mich schw­eren Herzens mit dem Gedanken ab, dass das neue, kleine Berlin wohl doch erst mal ohne mich auskom­men musste.
Für den Entschei­dung­sprozess, welche Uni­ver­sität es am Ende wer­den sollte, set­zte ich mir jet­zt drei Anhalt­spunk­te: Es sollte ein Zwei-Fach-Bach­e­lor sein, und die Stadt sollte min­destens 200 000 Ein­wohn­er haben und weit genug weg von mein­er Heimat Mainz sein, sodass ich am Woch­enende nicht so schnell nach Hause flücht­en könne. Ein Blick auf die Karte erle­ichterte mir die Entschei­dung. Halle liegt ja qua­si um die Ecke von Leipzig?! Nach langer Recherche und unter­schiedlichen Gesprächen, bei denen Sätze fie­len wie »Das einzig Gute an Halle ist die Auto­bahn­ab­fahrt nach Leipzig«, erkundigte ich mich nach dem Studi­um an sich. Das wiederum klang alles ziem­lich vielver­sprechend. Nach­dem ich über das Inter­net erfuhr, dass einige Stu­den­ten von Leipzig aus pen­deln, dachte ich: Na gut, zur Not ziehe ich eben um. Auch ich habe also einen län­geren Prozess durchgemacht, bis ich mich auf die Stadt an der Saale ein­lassen kon­nte. Meinem Vater kann ich seine erste Reak­tion somit nicht ankreiden.

Foto: Ali­na Haynert
Der erste Spaziergang

Das erste Mal trieb es mich in die Hän­del­stadt, als ich eine geeignete WG suchte. Ich lan­dete schnell in der Kleinen Ulrich­straße, die liebevoll genan­nte »Kleine Uli«. Der Spät­som­mer war so warm, dass sie voller Men­schen war. Fasziniert über den Trubel schlen­derte ich von Kneipe zu Kneipe und sah mich schon im Potemkin sitzen und an meinem Bier­glas nip­pen, während ich einen gemütlichen Abend dort mit Fre­un­den ver­brin­gen würde. Ich hüpfte inner­lich vor Freude, denn so ein belebtes Nachtleben hätte ich hier weiß Gott nicht erwartet! »In Halle ist ja richtig was los«, dachte ich.

Ent­lang der Großen Ulrich­straße gelangte ich zum Mark­t­platz. Zweit­er Freuden­sprung. So viele alte, gut erhal­tene Gebäude und ein über alle wachen­der Hän­del waren beein­druck­end. Die Atmo­sphäre rund um das Opern­haus und ein volles Pierre Grasse ließen mich immer weniger an der Entschei­dung für diese Stadt zweifeln. An diesem Abend ging ich wirk­lich sehr zufrieden ins Bett und lobte mich vor dem Ein­schlafen noch mal für meine Ortswahl.

Das Studentenleben genießen

Die Erstse­mes­ter­par­ty vom Stu­ra macht jedes Jahr die Erstse­mestler mit einem Teil der hal­lis­chen Club­szene ver­traut. Mit einem zum Par­ty­bus umfunk­tion­ierten städtis­chen Bus wer­den die Stu­den­ten zwis­chen Bauern­club, Turm, Charles Bron­son und der Drush­ba hin und her trans­portiert. Wer auf Main­stream und ältere Charts ste­ht, für den ist der Turm die richtige Anlauf­stelle. Zusät­zlich gibt die Atmo­sphäre der alten Gemäuer defin­i­tiv etwas her. Das Charles Bron­son hinge­gen bietet ver­schiedene Floors mit Hip-Hop oder House, die zum Feiern und Tanzen einladen. 

Der große Außen­bere­ich ermöglicht es, zwis­chen­durch Luft zu schnap­pen, ohne den Club ver­lassen zu müssen. Generell hat Halle eine recht große Auswahl an Clubs vorzuweisen. In ein­er Stadt dieser Größe ist das keine Selbstverständlichkeit.

Wer nicht so gerne das Tanzbein schwingt, kann in ein­er der vie­len Bars und Kneipen sein Kalt­getränk genießen. Ruhigere Abende lassen sich unter anderem im Spiele­haus bei den Franck­eschen Stiftun­gen ver­brin­gen. Dort find­et man ein Regal voller Gesellschaftsspiele und eine Bar, die mit alko­holis­chen und nicht-alko­holis­chen Getränken für die nötige Hydrierung sorgt. Alte Gebäude in der Stadt müssen nicht immer neuen weichen, son­dern wer­den teil­weise zu Bars und Clubs umfunk­tion­iert. So auch die Sta­tion End­los, in der die diesjährige Burg-Par­ty stat­tfand. In den indi­vidu­ell und kreativ gestal­teten Räu­men des Clubs kon­nte zu Musik von unter­schiedlichen DJs und Bands gefeiert werden. 

Auf­fäl­lig ist, dass hier am Woch­enende immer was los ist. Ob Fes­ti­val, Flohmarkt, Straßen­fest, Konz­ert, Märk­te, oder The­ater, bei den Hal­lensern wird auch uns Hal­lunken nicht langweilig.

Tagsüber kön­nen die freien Stun­den unter anderem mit Sport aus­ge­füllt wer­den. Die Uni­ver­sität selb­st hat viele Sportange­bote. Vor allem am Anfang eignen sie sich wun­der­bar, um neue Bekan­ntschaften zu schließen und gle­ichzeit­ig seinem Kör­p­er noch etwas Gutes zu tun. Von Fußball über Taba­ta bis hin zu Quid­ditch ist einiges dabei. Das einzige, was beachtet wer­den muss: Schnelles Inter­net kann entschei­dend sein bei der Ein­schrei­bung, denn beliebte Kurse sind inner­halb von Minuten voll.

Durch meine dama­lige Mit­be­wohner­in wurde ich auch auf die Kreativkurse aufmerk­sam und kon­nte mir so den langersehn­ten Traum eines Nähkurs­es erfüllen. Die MLU bietet dem­nach viele unter­schiedliche Ange­bote, wodurch sich einiges aus­pro­bieren lässt.

Ver­steck­en kann man sich in der Saalestadt nicht. Lernst du eine Per­son ken­nen, triff­st du sie in der Regel immer wieder.

Bib­lio­theks­bekan­ntschaften habe ich schon auf WG-Par­tys wiederge­se­hen, und Fre­un­des Fre­unde waren wiederum ander­er Fre­unde Fre­unde. In der Vor­lesungszeit geht man sel­ten vor die Haustür, ohne auf jeman­den zu tre­f­fen, den man kennt. 

Foto: Ali­na Haynert
Diebe und grauer Beton

Die erste neg­a­tive Erfahrung in mein­er neuen Heimat machte ich direkt ein paar Tage nach meinem Umzug. Ich wusste zwar über die Fahrrad­si­t­u­a­tion hier Bescheid; naiv wie ich war, erah­nte ich jedoch nicht, dass mein zehn Jahre altes Moun­tain­bike tat­säch­lich noch so attrak­tiv für Diebe sei. Mein jahre­langer Begleit­er wurde mir aus dem Haus­flur geklaut und nein, ich hat­te noch keine Ver­sicherung dafür. Mein Mit­be­wohn­er klärte mich daraufhin auf: »Ja, Moun­tain­bikes sind hier lei­der hoch im Kurs.« Also ich lernte: Halle ohne Fahrrad­ver­sicherung ist wie die Kleine Uli ohne Kneipen – es ergibt nicht viel Sinn.

Nicht sel­ten wurde ich darauf ange­sprochen, wie viel ich von der recht­en Szene in Halle mit­bekomme, immer­hin wohne ich ja jet­zt im Osten. Meine übliche Antwort: Ja, ich komme mehr damit in Berührung als früher. Die fast wöchentliche Mon­tags­de­mo und das Haus der Iden­titären sind präsent, die Gegen­be­we­gung aber auch. Ich set­ze mich mit dem The­ma seit meinem Umzug mehr auseinan­der als davor. Es beein­trächtigt mich per­sön­lich jedoch nicht in meinem täglichen Leben.

Eine Fre­undin schick­te mir kurz nach meinem Umzug einen Link, der mich zu ein­er Doku mit dem Titel »Halle-Neustadt: das ärm­ste Vier­tel Deutsch­lands« führte. Da wird einem sehr schnell bewusst, wieso Halle nur mit Hochhäusern und grauem Beton assozi­iert wird. Das scheint das Bild zu sein, was in den Medi­en ver­mit­telt wird. Neustadt mit seinen Hochhäusern ist ein Teil von Halle, so wie es die vie­len Grün­flächen der Stadt eben­falls sind.

Sommer, Sonne, Saalegebiet

Als die Tem­per­a­turen nach dem Win­ter wieder anstiegen, real­isierte ich erst­mals, wie grün Halle ist. »Hier lässt es sich im Som­mer wirk­lich gut aushal­ten«, beteuerte mir eine Fre­undin, die mich für ein paar Tage besuchte. Ob Hei­desee, Hufeisensee, Saale oder Saline – baden kann man hier, egal in welchem Vier­tel man lebt. Ein großer Teil der Stadt wird von der Peißnitz ein­genom­men, die direkt an der Saale gele­gen grün und weitläu­fig ist. Die Som­mer­stun­den kön­nen dort gril­lend, joggend, liegend oder Tret­boot fahrend ver­bracht wer­den. Beson­ders ist, dass nicht nur tagsüber die Sonne genossen wer­den kann, son­dern ab und zu auch abends ein DJ dort auflegt und unter dem Ster­nen­him­mel getanzt wird. So auch während der Fête de la Musique, die jeden Som­mer stattfindet.

Pünk­tlich zur Wein­meile beschlossen meine WG und ich eine Kanu­tour im Saale-Unstrut-Gebi­et zu machen und uns daraufhin die zuvor vom Wass­er betra­chteten Wein­trauben in flüs­sigem Zus­tand schmeck­en zu lassen. Das kle­in­ste Weinge­bi­et Deutsch­lands ist mit dem Semes­tertick­et gut zu erre­ichen und bietet sich an, wenn man mal raus in die Natur möchte. »Das ist echt cool, wie schnell man hier das kom­plette Stadtleben hin­ter sich lassen kann«, schwärmte damals meine Mitbewohnerin.

Foto: Ali­na Haynert

Am Ende lässt sich sagen: Halle ist, wie jede Stadt, nicht per­fekt und hat sich­er noch viele Stellen, an denen gear­beit­et wer­den kann. Großs­tadtliebende find­en hier jedoch nicht ihr Glück. Ver­misst man mal den Großs­tadt­trubel, gibt es gute Anbindun­gen nach Leipzig und auch nach Berlin. Wen all das kalt lässt, den überzeu­gen vielle­icht noch die niedri­gen Mietpreise. 

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