Ich wage zu behaupten, die Sehnsucht nach der Vergangenheit — nach „den guten alten Zeiten“ — ist tief in der Natur des Menschen verankert. Viele Träume drehen sich um das, was einmal war, vor allem, wenn die Gegenwart im Vergleich dazu grau erscheint. Kein Wunder also, dass dieses Sehnen auch oft Teil von Kunst ist, wie folgende Filme beweisen:
Sunset Boulevard
[Boulevard der Dämmerung]
von Billy Wilder
1950 / 110 min / USA / FSK12
Dieser Film zählt zu den besten und wichtigsten Werken der Filmgeschichte. Im Mittelpunkt der Handlung steht der erfolglose Drehbuchautor Joe Gillis. Hochverschuldet landet er auf der Flucht vor seinen Gläubigern in der Villa von Norma Desmond. Diese war einst eine Diva der Stummfilm-Ära, doch ihr Stern ist längst erloschen. Daraufhin hat sich Desmond ihre eigene Welt gebaut, ausstaffiert mit dem Glanz alter Zeiten. Als sie von Gillis’ Betätigung erfährt, schließen die beiden einen Pakt: Sie bietet ihm eine Unterkunft, während er ein von ihr verfasstes Drehbuch überarbeitet, was ihr großes Comeback werden soll.
Der Sunset Boulevard ist die Straße in LA, in dem sich 1911 das erste Filmstudio der Stadt ansiedelte. In den 1920ern war die Gegend für kurze Zeit Mittelpunkt der Goldenen Ära Hollywoods, die mit der Einführung des Tonfilms im folgenden Jahrzehnt eine jähe Zäsur erfuhr. Viele Stars schafften den Sprung ins neue Zeitalter des Films nicht und so kam es zum ersten Mal zu dem Niedergang großer Filmkarrieren. Mit Norma Desmond widmet sich der Film zwar einer fiktiven Figur, ihr Schicksal ist aber beispielhaft für die damalige Realität. Wir sehen eine Frau, die noch Jahrzehnte später einen Weg sucht, die verlorene Liebe der Welt zu verwinden, indem sie sich in ihre Vergangenheit flüchtet. Die tiefe Tragik ihrer Geschichte wird kontrastiert durch Gillis’ junge Energie und wieder wachsende Zuversicht, aber auch durch die aufkeimende Verachtung, die er ihr entgegenbringt. Die daraus entstehende Dynamik droht damit, beide in den Abgrund zu reißen.
“Sunset Boulevard” ist bei Paramount+ verfügbar.
Dazed and Confused
[Confusion – Sommer der Ausgeflippten]
von Richard Linklater
1993 / 102 min / USA / FSK 12
Es ist 1976 und gerade endete der letzte Schultag an der Lee High School in Austin, Texas. All die vielfältigen und widersprüchlichen Gefühle, die das Ende eines Schuljahres und der Beginn des Sommers auslösen können, vereint dieser Film in verschiedensten Cliquen und Figuren, die wir hier durch einen Tag und eine Nacht begleiten. Weit entfernt von eindimensionalen Rollenbildern zeichnet sich hier das Bild einer jungen Generation, die nach den aufwühlenden Jahren von Flower-Power, Civil Rights Movement, Stonewall Riots und Antikriegsdemos nach ihrer eigenen Identität sucht.
Während der Film von vielen als herrliche Reminiszenz an ihre Jugend angesehen wird, wollte Regisseur Richard Linklater genau das Gegenteil erreichen; Sein Ziel war es, die Bedrückung, die er in seiner Generation wahrgenommen hat, und die Enttäuschung wegen des abgeflachten Gefühls der Befreiung von gesellschaftlichen Ketten, nachzuzeichnen. Doch ob nun Hommage oder anti-nostalgisch — was bleibt, ist ein unvergesslicher Sommerabend und ein Film, den Quentin Tarantino einst als einen seiner liebsten Filme aller Zeiten nannte.
Sound of Metal
von Darius Marder
2019 / 121 min / USA, BE / FSK 12
Ruben ist Schlagzeuger und gemeinsam mit seiner Freundin Lou lebt er von dem Geld, das sie als Metal-Duo verdienen. Sie sind auf Tour, als Ruben quasi von heute auf morgen sein Gehör verliert. Der Arzt sagt, Cochlea-Implantate könnten ihn wieder hören lassen, doch das zahlt seine Versicherung nicht. Für Ruben bricht eine Welt zusammen. Lou hat Angst, dass der Schicksalsschlag ihn zurück in die Heroinsucht treibt. Sie finden für ihn einen Platz in einer abgeschiedenen Wohngemeinschaft für taube, ehemals süchtige Menschen und so taucht Ruben ein in eine ihm völlig unbekannte Welt und durchsetzt von der Sehnsucht nach seinem alten Leben beginnt für ihn ein Ringen um Kontrolle, um Verständnis, um Sicherheit und um Akzeptanz.
„Sound of Metal“ ist eine intensive Reise in das Innere einer Welt, die Hörenden meist verborgen bleibt, und in das Innere eines Mannes, dessen Grundfesten aus dem Fundament gerissen werden. Der Film wirft einen unbarmherzig auf zutiefst persönliche Fragen zurück: Wie würde es in mir in dieser Situation aussehen? Wie wäre mein Trauerprozess um etwas zuvor so Selbstverständliches und nun doch Verlorenes? Was würde das mit meiner eigenen kleinen Welt machen? Was bliebe von meinem alten Leben?
Der Film ist im Amazon Prime-Abo enthalten.
Text: Ronja Hähnlein
Illustrationen: Marlene Nötzold