Woher kommt das Schnitzel auf unse­ren Tellern und wer muss­te das Lebewesen töten und zer­le­gen, das wohl in den meis­ten Fällen kein schö­nes Leben hat­te? Buchautor:innen der Gewerkschaftslinken und des BUND zei­gen am Beispiel Tönnies, wel­che Arbeitsbedingungen in den gro­ßen fleisch­ver­ar­bei­ten­den Fabriken herr­schen und was sich per­spek­ti­visch ändern muss.    

An einem win­ter­kal­ten Freitagabend kamen inter­es­sier­te Zuhörer:innen im Kulturzentrum “Passage 13” in Halle-Neustadt zu einer Buchvorstellung unter dem Titel „Ist das System Tönnies pas­sé?” zusam­men. Sie wur­de von der FAU Halle, der Freien Arbeiter:innen-Union, initi­iert. Sich selbst als „die kämp­fe­ri­sche Basisgewerkschaft” bezeich­nend setzt sich die FAU vor allem im Niedriglohnsektor sowie in Betrieben mit kaum vor­han­de­ner gewerk­schaft­li­cher Organisation für die Beschäftigten ein. In die­sem Rahmen wur­den zwei Mitautor:innen des zwei­ten Bandes des Buches „Das ‚System Tönnies’ — orga­ni­sier­te Kriminalität und moder­ne Sklaverei” ein­ge­la­den, um ihre eige­nen Erfahrungen im Zusammenhang mit den Tönnies-Schlachthöfen dar­zu­stel­len: Dieter Wegner von der Jour Fixe Gewerkschaftslinken in Hamburg und Diana Harnisch vom BUND Weißenfels, dem Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland. Moderiert wur­de die Veranstaltung von Alfred Metz, dem Sprecher der FAU Halle. 

Ein neues Gesetz 

Die Problematik des ‚System Tönnies’ ist spä­tes­tens seit dem Corona-Ausbruch im  
Tönnies-Schlachthof Rheda-Wiedenbrück im Jahr 2020 deut­lich gewor­den, bei dem  
sich cir­ca 1.600 Leiharbeiter:innen mit dem Virus infi­zier­ten. Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen wur­de das Arbeitsschutzkontrollgesetz ein­ge­führt, das laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Einsatz betriebs­frem­der Arbeitnehmer:innen im Bereich der Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung in einem Unternehmen der Fleischindustrie weit­ge­hend ver­bie­tet. Zudem besteht eine Pflicht zur elek­tro­ni­schen Arbeitszeiterfassung.  
Laut Wegner sei­en seit Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2021 rund 90 Prozent der Arbeiter direkt bei Tönnies ange­stellt und könn­ten somit nicht mehr ein­fach von Subunternehmen nach Hause geschickt wer­den. Der Mitautor berich­te­te von einem Tönnies-Werk in sei­ner Heimatstadt in Schleswig-Holstein noch aus der Zeit vor Einführung des Gesetzes. Die dor­ti­gen Arbeiter:innen hät­ten sepa­riert gelebt, kein Deutsch gekonnt und sich erst nach Austritt aus dem Unternehmen getraut, mit Außenstehenden in Kontakt zu tre­ten. Sie sei­en von einem regel­rech­ten „Angstregime” unter­drückt wor­den, so der Norddeutsche. An den all­ge­mei­nen Arbeits- und Lebensbedingungen habe sich trotz Einführung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes kaum etwas verändert. 

Immer wieder Ärger in Weißenfels 

Mitautorin Diana Harnisch schil­der­te ihre Erfahrungen mit dem heu­te größ­ten Schlachthof Ostdeutschlands in Weißenfels, der nach der Wende von Tönnies über­nom­men wur­de. Nach Angaben des Unternehmens arbei­ten dort ins­ge­samt rund 2.200 Mitarbeiter:innen, von denen die meis­ten für die Schlachtung und Zerlegung von Schweinen ver­ant­wort­lich sind. Die Anzahl an Schlachtungen sei seit der Tönnies-Übernahme ste­tig gestie­gen. Sie habe im Jahr 1991 bei cir­ca 1.000 bis 2.000 Schweinen pro Tag gele­gen und in den 2000er Jahren einen Wert von über 10.000 erreicht. Die Stagnation die­ser Entwicklung in den letz­ten Jahren sei unter ande­rem eine Folge von Schweinepest und Coronavirus, sodass der Wert aktu­ell bei ca. 13.000 bis 16.000 lie­ge, so Harnisch. 

Da sich das Werk mit­ten in der Stadt befin­det, sei­en die Anwohner:innen den Geruchs- und Lärmemissionen direkt aus­ge­setzt. Für die Schweinelaster vor dem Werk gel­te eine maxi­ma­le Wartezeit von 30 Minuten. Diese sei­en aber auch schon vor Kaufhallen oder an Tankstellen gesich­tet wor­den, um eine zeit­li­che Überschreitung zu umge­hen. Der Geruch und das Schreien der Schweine sei­en dabei stets zu ver­neh­men. Auch die Abgabe von zu viel und belas­te­tem Abwasser habe in der Vergangenheit zu Protesten bei den Anwohner:innen geführt, die die hohen Abwasserkosten mit­tra­gen müs­sen. Laut Harnisch habe sich die dor­ti­ge Kommunalpolitik in der Vergangenheit „Tönnies-freund­lich” gezeigt, die gegen­wär­ti­ge Position lie­ße sich nach Meinung der Mitautorin noch nicht abschätzen. 

Schwerer Stand trotz Knochenjob 

Neben den Mitautor:innen wur­de ein Mitglied der FAU Jena ein­ge­la­den, um über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter:innen in den Tönnies-Werken, ins­be­son­de­re dem in Weißenfels, zu berich­ten. Sie kämen vor allem aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Polen; ihre Stellung in der Hierarchie sei dabei durch­aus abhän­gig vom Herkunftsland. So stün­den pol­ni­sche Arbeiter:innen in der Hierarchie oft am höchs­ten, wäh­rend an den Fließbändern vor­wie­gend rümä­ni­sche Arbeiter:innen zu fin­den sei­en. Die bru­ta­len Arbeitsbedingungen wür­den sich unter ande­rem dar­in äußern, dass die Förderbänder immer schnel­ler gestellt wer­den, wenn beson­ders vie­le Schweine geschlach­tet wur­den und nun zer­legt wer­den müs­sen. Dabei kom­me es immer wie­der vor, dass sich die Arbeiter:innen an den auto­ma­ti­sier­ten Maschinen wäh­rend der Arbeit regel­recht verstümmeln. 

Die meis­ten Beschäftigten sei­en unge­lernt. Sie bekä­men befris­te­te Verträge von meist einem Jahr Vertragsdauer und even­tu­ell eine Verlängerung um ein hal­bes Jahr. Dann wer­de ihnen oft­mals gekün­digt oder sie wür­den an einen ande­ren Standort geschickt. Die Kündigungen sei­en „ver­hal­tens­be­dingt” oder auf indi­vi­du­el­le Fehler zurück­zu­füh­ren. Auch nach einer Krankschreibung kön­ne es zur Kündigung kom­men. Die kur­zen Vertragsdauern hät­ten den Hintergrund, ein “Zusammenwachsen” und die Möglichkeit der Protestorganisation unter den Arbeiter:innen zu ver­hin­dern. Auch die Organisation eines Betriebsrates gestal­te sich meist schwie­rig. Die Mehrzahl der Gekündigten wis­se nichts von einer Kündigungsschutzklage inner­halb von drei Wochen. Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zie­he zudem auch den Verlust der Wohnung nach sich. Die Miete sei auf­grund der Zugehörigkeit zur Tönnies-eige­nen Wohnungsgesellschaft oft­mals one­hin höher als in ver­gleich­ba­ren Wohnungen in der Umgebung. 

Aufklärung und Widerstand für mehr Gerechtigkeit? 

Welche Perspektiven gibt es für die Branche und vor allem für die Arbeiter:innen? Die Mitautor:innen sind sich einig, dass die Enteignung und Rekommunalisierung von Schlachtbetrieben eine Lösung sein kann, um Tierwohl und fai­ren Arbeitsbedingungen gerecht zu wer­den. Auch der Einsatz einer Betriebsinspektion und die Herausbildung von Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften, die auf sol­che Fälle spe­zia­li­siert sind, könn­ten Lösungsansätze sein, um ange­mes­se­ne­re Arbeitsbedingungen sicher­zu­stel­len und die Arbeiter:innen über ihre Rechte auf­zu­klä­ren und ver­nünf­tig zu ver­tre­ten. Zudem sei eine bes­se­re Organisation nötig, um auf­merk­sam­keits­er­re­gen­de Aktionen durch­füh­ren zu kön­nen. Dazu zäh­len die Mitautor:innen bei­spiels­wei­se “wil­de Streiks”, das heißt Arbeitsniederlegungen, die nicht durch eine Gewerkschaft orga­ni­siert und geführt, son­dern durch die Arbeitnehmer:innen selbst initi­iert wer­den. Eine zuneh­men­de “Veganisierung der Bevölkerung” ist für die Mitautor:innen dage­gen kei­ne unmit­tel­ba­re Lösung, da dies in einer frei­heit­li­chen Gesellschaft ein lang­sa­mer Prozess sei und nicht staat­lich ange­ord­net wer­den könne. 

Text: Leon Danker

Illustrationen: Rika Garbe

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