Viele von uns haben seit dem Anfang der Coro­na-Zeit die Uni­ver­sität nicht mehr von innen gese­hen. Das wirkt sich auch auf unsere Leis­tungs­fähigkeit und Moti­va­tion aus. Doch wie bewältigt man als Student:in auch diese Zeit, bleibt motiviert und pro­duk­tiv? Die psy­chosozialen Bera­terin­nen Annett Zehnpfund und Vic­to­ria Fitz teilen wertvolle Tipps.

Arbeit­en im Home­of­fice, kaum noch Kon­takt zu Freund:innen oder Ver­wandten, ein stetiges Hin und Her der Maß­nah­men und kein wirk­lich­es Ende in Sicht – anstren­gend. Seit einem Jahr leben wir jet­zt in ein­er Real­ität, die für uns alle kom­plett neu ist. Zwis­chen Ver­anstal­tun­gen und Studieren­den beste­ht auf vie­len Ebe­nen eine unüber­brück­bare Dis­tanz, die nicht nur den Teilnehmer:innen schadet, son­dern auch der Ler­nat­mo­sphäre. Oft­mals entste­ht hier­aus auch ein großes Konzen­tra­tionsprob­lem. Das Handy liegt sowieso immer neben einem, da kann auch ein­mal kurz Social Media gecheckt wer­den – und bevor man es merkt, ist die Vor­lesung vor­bei. Zuhause lauern viele Ablenkun­gen, die das Auf­passen und Ler­nen nicht ger­ade ein­fach­er machen. Glück­licher­weise kann man die Konzen­tra­tion und Aufmerk­samkeit trainieren. Hier find­en Tech­niken der Acht­samkeit Ver­wen­dung. „Das ist ein kon­stantes Trainieren, wie von einem Muskel, so kann man natür­lich auch die Aufmerk­samkeit trainieren“, sagt Zehnpfund. Man solle hin und wieder ein­mal in sich hinein­hören und sich fra­gen, ob man den eben gesagten Satz des Dozieren­den oder des:der Gesprächspartner:in wieder­holen könnte.

Allerd­ings sei es auch wichtig, sich bewusst zu machen, dass das kom­plette Weg­fall­en der sozialen Kom­po­nente in Sem­i­naren eine große Umstel­lung ist und man unter diesen Umstän­den auch nicht wie gewohnt agieren kann und muss. Außer dem Anstellen der Kam­era gebe es kaum Wege, ein Verantwortungs­gefühl gegenüber dem Online-Unter­richt aufzubauen. „Ich empfehle grade auch da den Studieren­den, nicht so streng mit sich selb­st zu sein, denn es kann nicht das­selbe Gefühl entste­hen“, so Zehnpfund. „Wir ver­suchen es krampfhaft, aber das, was ich mit­nehme, ist vielle­icht doch nicht so viel, wie wenn ich aus einem Sem­i­nar heraus­gehe, und das sollte man sich auch ein­mal erlauben zu denken.“ Denn: Die Kraft, die von real­er sozialer Inter­ak­tion aus­ge­ht, kann nicht dig­i­tal simuliert werden.

Strukturen schaffen
Illus­tra­tion: Anna Schomberg

Diese Kraft des Grup­pen­drucks fehlt vie­len auch beim Ler­nen. Die Bib­lio­theken sind zwar wieder offen, die Platz­zahlen allerd­ings begren­zt. Wo sich kurz vor den Prü­fungszeit­en kaum noch ein freier Platz fand, sind jet­zt die meis­ten Sitze abges­per­rt. Viele von uns haben sich darauf kon­di­tion­iert, nur noch in ein­er Biblio­thek, dem Lieblingscafé oder an einem anderen Ort ler­nen zu kön­nen. Das fällt nun weg und damit auch die Möglichkeit, Uni und Freizeit klar vonein­ander zu tren­nen. Die Empfehlung bei­der Bera­terin­nen: Struk­tur! Denn „je struk­turi­ert­er man außen ist, desto struk­turi­ert­er kann ich natür­lich auch im Inneren sein“, meint Zehnpfund. Man solle sich desig­nierte Plätze schaf­fen, die dann auch nur eine bes­timmte Ver­wen­dung find­en. Ide­al­er­weise solle der Arbeit­splatz auch aufgeräumt sein, und es solle nur im Blick sein, wom­it man sich auch beschäfti­gen will.

Wenn der eigene Arbeit­splatz irgend­wann zu lang­weilig wird, kann man sich auch einen Arbeit­sz­im­mer­tausch vornehmen, rät Fitz. Das könne man am besten in ein­er WG umset­zen, indem man ein­fach den Schreibtisch des jew­eils anderen nutzt. Wenn man außer­halb der Uni­ver­sität trotz­dem ein­fach nicht in den Flow kommt, kön­nen „Als-Ob-Spiele“ helfen. Hierzu sich ein­fach mor­gens fer­tig machen, Jacke anziehen, fünf Minuten um den Block gehen, als ob man zur Uni gehen würde. Diese Spiele und andere Über­gangsrituale kön­nen helfen, eine neue Kon­di­tion­ierung zu vollziehen.

Auch die Arbeit­szeit kann und sollte gut eingeteilt wer­den. Hier beste­ht laut Zehnpfund ein Unter­schied zwis­chen Auf­nahme- und Aneig­nungszeit­en. Die Auf­nah­mezeit­en sind für jede Per­son unter­schiedlich. Manche Studierende kön­nen während ein­er ganzen Vor­lesung aktiv zuhören und am Ball bleiben, andere gehen schon nach ein paar Minuten zum Onli­neshop­ping über. Aneig­nungszeit­en sind zwar auch indi­vidu­ell, sie kön­nen aber noch etwas konkreter einge­gren­zt wer­den. Dem­nach könne man sich nur etwa 50 Minuten lang aktiv etwas aneignen und solle danach eine Pause ein­le­gen. Ins­ge­samt solle man nicht damit rech­nen, dass eine solche Art der aktiv­en Aneig­nung länger als sechs Stun­den am Tag möglich ist. Es gilt also sich kleine Zeit­fen­ster und kleine Ein­heit­en zu schaf­fen. Genau hier­für find­en sich jede Menge Arbeits- und Lern­tech­niken. Eine davon ist die Pomodoro-Tech­nik, bei der 25 Minuten konzen­tri­ert gear­beit­et und danach eine fünfminütige Pause ein­gelegt wird. Dies sei ger­ade für den Ein­stieg und auch für Tage, an denen man in einem Moti­va­tion­stief steckt, angenehm, da 25 Minuten nicht allzu lang er­scheinen und für die meis­ten mach­bar sein soll­ten. Doch: „Wenn man im Flow ist, ist man im Flow und kann die Welle eventuell auch reit­en“, so Fitz. Man sollte sich also auch in diesen Fen­stern nicht zu sehr beschränken und die indi­vidu­ellen Bedürfnisse berücksichtigen.

Lernstress: Was hilft?
Illus­tra­tion: Anna Schomberg

Doch wenn man akut im Lern­stress ist, kann man bes­timmte Zeit­en oft nicht mehr ein­hal­ten. Man hat das Gefühl, den ganzen Tag ler­nen zu müssen, um über­haupt noch den Stoff des Semes­ters aufzu­holen. Die bei­den Bera­terin­nen rat­en hier vor allem dazu, sich über länger­fristige Strate­gien Gedanken zu machen. Die oben genan­nten Zeit­en soll­ten, obwohl es sich manch­mal kon­trapro­duk­tiv anfühlt, einge­hal­ten wer­den, und auch genü­gend Pausen solle man sich gön­nen. Langfristig helfen kön­nen ansprechende, pos­i­tiv beset­zte Lern­pläne. Bei dem Auf­bau und der Gestal­tung dieser kön­nen auch die Mitarbeiter:innen der psycho­sozialen Beratung helfen. Doch Zehnpfund betont auch die Wichtigkeit, sich auf das tägliche Befind­en einzu­lassen und vor allem hier­nach zu han­deln. Man solle sich täglich nach seinem Befind­en sowie nach anderen To-Do-Punk­ten erkundi­gen und den Lern­plan indi­vidu­ell gestal­ten. Nicht jed­er Tag ist gle­ich, man ist nicht immer hochmo­tiviert bei der Sache, und das ist auch in Ord­nung. „Es gibt ein­fach Tage, die muss man abar­beit­en. Die Ergeb­nisse wer­den unter­schiedlich sein, ich werde mich unter­schiedlich fühlen danach, aber es muss mir bewusst sein, dass das erlaubt ist, dass das den einen Tag flutscht und am anderen Tag ein richtiger Krampf ist“, so Zehnpfund. Und auch wirk­lich nur wenn man jeden Tag nimmt, wie er ist, und sich nicht krampfhaft ver­sucht einen Lern­plan überzustülpen, den man an manchen Tagen ein­fach nicht erledi­gen kann, kann man langfristig pro­duk­tiv bleiben.

Im akuten Lern­stress empfehlen bei­de Bera­terin­nen sich Entspan­nungstak­tiken zu suchen, die man kon­sis­tent durchzieht – denn nur so helfen sie auch wirk­lich. Die aus­gewählte Meth­ode brauche cir­ca sechs Wochen, bis der Effekt ein­set­zt und man das Entspan­nungs­ge­fühl auch auf anstren­gende und stres­sige Sit­u­a­tio­nen über­tra­gen könne. „Wenn man die pos­i­tiv­en Effek­te ein­mal erlebt hat, kann man die auch gut über­tra­gen“, so Zehnpfund. Es gibt mit­tler­weile viele Möglichkeit­en, für sich etwas zu find­en, sei es Yoga, Medi­tieren oder Lesen, aber die Ver­ankerung ist das wirk­lich Wichtige.

Generell solle in stres­si­gen Leben­sphasen bedacht wer­den, dass der Kör­p­er und der Geist keine voneinan­der getren­nten Ein­heit­en sind. Ein guter Schlafrhyth­mus, genug essen und trinken – diese Dinge scheinen offen­sichtlich, sind sie für viele aber nicht. Wenn jene nicht beachtet wer­den, könne man oft­mals aber auch die Konzen­tra­tion vergessen. Und am Ende von jed­er anstren­gen­den Phase gilt: Feier dich etwas! Auch kleine Dinge dür­fen und soll­ten gefeiert wer­den. Fitz rät aus­drück­lich dazu, nicht nur von Ziel zu Ziel und Prob­lem zu Prob­lem zu has­ten, son­dern auch ein­mal etwas Wertschätzung in den All­t­ag einzubauen. Das gibt dann direkt etwas Energie zurück und tut gut.

Geteiltes Leid ist halbes Leid

Außer­dem wichtig: Durch Prob­leme und stres­sige Phasen muss man nicht alleine durch. Auch wenn sie es nicht teilen, die meis­ten Studieren­den rin­gen mit der momen­ta­nen Sit­u­a­tion und deren Auswirkun­gen auf die men­tale und auch physis­che Gesund­heit: „Jedem Studieren­den, der hier sitzt und sagt: ‚Ich komm grad nicht klar‘, dem sage ich: ‚Sie sind nicht der oder die Einzige‘“, so Fitz. „Wir sitzen hier tagtäglich, wir hören das tagtäglich, aber sie hören es nicht untere­inan­der.“ Kom­mu­nika­tion mit anderen Studieren­den ist also unge­mein wichtig: sei es zum Mit­teilen konkreter Prob­leme oder auch zum Teilen von Strate­gien, die sich bewährt haben. Auch die Kom­mu­nika­tion mit den Lehren­den sei wichtig und solle genutzt wer­den. Das helfe dann nicht nur den Studieren­den, son­dern auch den Dozieren­den, da sie ihre Ange­bote anpassen und aus­bauen kön­nen. Und wenn gar nichts mehr geht, sei auch der Weg zum Arzt und eine Krankschrei­bung gerecht­fer­tigt. Denn die psy­chis­che Gesund­heit sollte genau­so ern­stgenom­men wer­den wie die physische.

Hil­f­sange­bote
Beste­ht bei Dir konkret Hil­febe­darf? Die psy­chosoziale Beratung ste­ht Dir momen­tan sowohl dig­i­tal als auch ana­log mit Rat und Tat zur Seite. Nicht nur die Berater:innen kön­nen bei Prob­le­men rund ums Studi­um und auch im pri­vat­en Bere­ich helfen, es gibt auch von Studieren­den geleit­ete Selb­sthil­fe­grup­pen unter anderem zum The­ma Depres­sio­nen. Die Berater:innen helfen außer­dem gerne dabei, weit­er­führende Ange­bote wie einen Ther­a­pieplatz, Anbindung an Grup­pen oder alter­na­tive Heil­meth­o­d­en zu find­en. Ter­mine kön­nen direkt online über den Beratungskalen­der, per Mail oder Tele­fon gebucht wer­den. Für drin­gen­den Gesprächs­be­darf ste­hen auch mehrmals in der Woche offene Sprechzeit­en zur Ver­fü­gung. Weit­ere Infos gibt es auf der Home­page des Stu­den­ten­werks: https://www.studentenwerk-halle.de/beratung-soziales/

Beitrags­bild: Mar­lene Nötzold

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