Lit­er­atur im Lit­er­aturhaus: Peter Hand­ke und sein Schaus­piel ohne wörtliche Rede. Eine szenis­che Lesung, die Anfang März das „Kom­men und Gehen, Kom­men und Gehen“ auf dem Platz, der einiges zum Beobacht­en bietet, mit musikalis­chen und spielerischen Ele­menten seinem Pub­likum präsentiert. 

Das Schauspiel

„Die Stunde da wir nichts voneinan­der wußten“ aus dem Jahr 1992 von Peter Hand­ke, dem Lit­er­aturnobel­preisträger des Jahres 2019, hat genau einen Haup­tak­teur: den freien Platz. Auf diesem begeg­nen sich die unter­schiedlich­sten Leute, wie zum Beispiel ein Tep­pich­händler, der tiefge­bückt mit geknick­ten Knien einen Tep­pich­stapel tra­gend den Platz über­quert, oder der Papageno mit Vogelfängerkä­fig und im Fed­erkleid. Ulkige Men­schen und Begeg­nun­gen wer­den beschrieben, über­spitzt und sehr bild­haft vorgestellt. Als The­ater­stück ist Hand­kes Werk beliebt und bietet großar­tige Möglichkeit­en der Umset­zung, auch wenn es gle­ichzeit­ig eine Her­aus­forderung für die Schaus­piel­er darstellt, die während der Auf­führung kein Wort zu sagen haben, andauernd in ver­schiedene Rollen schlüpfen und sich per­ma­nent umk­lei­den müssen. Eine ganz andere Art der Umset­zung bot das Lit­er­aturhaus Halle am Sonntag, dem 1. März 2020 um 18:00 Uhr seinem Pub­likum. 

Eine szenis­che Lesung unter der kün­st­lerischen Leitung von Ron­ny Jakubaschk, deutsch­er The­ater­regis­seur, der unter anderem im Neuen The­ater Halle bei Stück­en wie „Tschick“, „Kabale und Liebe“, „Die Benennung der Tiere“ Regie führte, wurde hier zum Besten gegeben. Im Anschluss daran hat­te man die Gele­gen­heit, einem Gespräch mit Thorsten Ahrendt, Leit­er des Lit­er­aturhaus­es Leipzig und in den Jahren 1999 bis 2002 Lek­tor von Peter Hand­ke im Suhrkamp Ver­lag, zu lauschen.

Eine ganz besondere Lesung 

Gele­sen haben Jen­nifer Kran­nich, Bet­ti­na Schnei­der, Frank Schilch­er und Jonas Schütte. Doch bestand ihre Auf­gabe an diesem Abend nicht allein darin, nur aus Hand­kes Stück vorzule­sen. Sie spiel­ten sich die Worte regelrecht zu, während sie von passender Musik begleit­et wur­den. Diese erzeugte Sebas­t­ian Herzfeld mit unter­schiedlichen Instru­menten, wie beispiel­sweise ein­er Bass­gi­tarre und ver­schieden­sten Schla­gin­stru­menten, im Hin­ter­grund selb­st. Mal las jed­er der vier Vortra­gen­den eine Pas­sage vor, die einen Men­schen, der den Platz über­querte, behan­delte, oder sie über­gaben sich mit­ten im Satz das Wort, sog­ar vol­l­zo­gen sie Wech­sel der Sprech­er inner­halb eines Wortes und ori­en­tierten sich hier an den Sil­ben­gren­zen. Manch­mal sprachen sie syn­chron, manch­mal im Kanon und manch­mal sprachen nur drei gle­ichzeit­ig und der vierte stellte schaus­pielerisch dar, was aus­ge­sagt wurde. Während die Akteure lasen, blieben sie nicht die ganze Zeit über an einem Fleck, son­dern nah­men sich den ganzen Raum als Bühne. Erst standen sie im Viereck und das Pub­likum saß auf zwei gegenüber­liegen­den Seit­en um sie herum. Dann änderten sie ihre Posi­tio­nen und ließen sich auf Kar­tons verteilt nieder. In ein­er anderen Szene waren die Vor­lesenden plöt­zlich außer­halb des Sicht­feldes des Pub­likums und ihre Stim­men ertön­ten irgend­wo aus dem Hin­ter­grund, sie hat­ten sich hin­ter Vorhän­gen und Säulen für die Zuschauer unsicht­bar gemacht. Zum Schluss holten sie einen Tisch her­bei, saßen an diesem, tranken Wass­er und lasen sich ihre Texte gegen­seit­ig vor, als wür­den sie ganz gewöhn­lich miteinan­der plaud­ern. Als Zuschauer hat­te man den Ein­druck, es sei ein Leicht­es, die Sprache Hand­kes gin­ge leicht von der Zunge, doch schaut man sich diese genauer an, so wird man feststellen, dass es wohl doch einiges an Übung kostet, so spielerisch und exper­i­mentell mit seinen Tex­ten umzuge­hen: 

 „Ein­er mit Blind­en­brille tapst here­in, ohne seinen Stock, irrt umher, und bleibt dann wie ver­loren ste­hen, während um ihn herum, von allen Seiten, ein episodis­ches Getriebe herrscht; plöt­zlich­es Vor­beistampfen eines Läufers (der schon lang unter­wegs ist); ein­er der im Irrwitz dahin­flitzt, den Kopf immer zurück­wen­dend über die Schul­ter, von dem gle­ich Nach­set­zen­den, der gegen ihn die Faust ballt, ver­fol­gt als ein Dieb; ein­er der auftritt als der Terassenkell­ner, eine Flasche entkapsel­nd, die Kapsel über den Platz schnip­pend und wieder abge­hend […]“ 

Nun gehörte an diesem Abend mehr dazu, als nur vorzule­sen. Die Vor­tra­gen­den zeigten eben­falls ihr schaus­pielerisches Tal­ent in eini­gen Szenen, in denen nicht gele­sen wurde, son­dern die Bühne dem The­ater gehörte. Einige Req­ui­siten waren vor­bere­it­et: eine Taschenuhr, ein Fußball, ein Smart­phone, ein Buch, eine Zeitschrift, ein Regen­schirm und und und. Die Schaus­piel­er nah­men diese Dinge manch­mal in die Hand, begutachteten sie, tauscht­en sie untere­inan­der aus, klopften teil­weise auf ihnen herum, als wür­den sie ihre Funk­tion noch her­aus­find­en müssen, sie streck­ten und dehn­ten sich, inspizierten ihre Umge­bung – alles ohne ein Wort zu sagen.

 Peter Handke aus der Sicht seines ehemaligen Lektors

… oder Fre­un­des. Während Thorsten Ahrendt sprach, merk­te man, dass Peter Hand­ke nicht nur ein Autor ist, dessen Texte er zu lek­to­ri­eren hat­te. Hand­ke ist auch ein Men­sch, der ihm etwas bedeutet. Aus diesem Grund freut er sich ein­er­seits beson­ders über den gewonnenen Lit­er­aturnobel­preis aber ander­er­seits gehen ihm die Debat­ten um Peter Hand­kes poli­tis­che Äußerun­gen, die als Grund vor­angestellt wur­den, die Preisver­gabe möglichst neu zu über­denken, sehr nahe. Es wird ihm nachs­ge­sagt, er würde in den Jugoslaw­ienkriegen, 1991–2001, mit den Ser­ben sym­pa­thisieren, die einige Täter in ihren Rei­hen hat­ten. Seine Ein­stel­lung sei vor allem in seinem Buch „Win­ter­liche Freuden“ deut­lich zu erken­nen. Ahrendt bringt hier­bei nochmal zum Aus­druck, wie sehr den Autor die Sit­u­a­tion Jugoslaw­iens zu Zeit­en des Krieges schmerzte, da er sich durch seine Mut­ter, die slowenis­ch­er Abstam­mung ist, sich per­sön­lich betrof­fen fühlt. Hand­ke sei, laut seines ehe­ma­li­gen Lek­tors, aber der Mei­n­ung, wed­er die Ser­ben seien die Guten noch andere am Krieg Beteiligte. Er habe nur klarstellen wollen, dass es auf allen Seit­en Täter und Opfer gegeben habe und kein­er bess­er als der andere sei. Im Zuge dessen muss Thorsten Ahrendt ein wenig über den Autor schmun­zeln, da dieser durch seine ab und an etwas sture Art, bei Kri­tik nicht gle­ich „zu Kreuze zu kriechen“, selb­st wenn er dadurch das ein oder andere richtig­stellen kön­nte, sich selb­st man­chal ein Bein gestellt habe. Er sei nicht nur ein sehr lei­den­schaftlich­er Autor, son­dern auch ein sehr lei­den­schaftlich­er Men­sch. Hierzu erzählte der Lek­tor noch kleine Geschicht­en aus der Zusam­me­nar­beit mit Hand­ke. Zum Beispiel habe dieser ihn, während er auf dem Weg in von Bombardierun­gen bedro­hte Gebi­ete war, angerufen, nur um eine Leer­stelle in seinem Buch zu besprechen. Ahrendt redete durchge­hend mit großem Respekt von Hand­ke und sein­er Lit­er­atur. Die bei­den haben auch heute noch Kontakt.

Hand­ke wurde diesen Abend auf eine ganz beson­dere Art vorgestellt. Man hat ihn auf ein­er per­sön­licheren Ebene ken­nen­ler­nen dür­fen ohne Ein­fluss von Medi­en. Gle­ichzeit­ig wurde die Leb­haftigkeit, die Bewe­gung und Vielfältigkeit, die das Stück „Die Stunde da wir nichts voneinan­der wussten“ zu ver­mit­teln ver­sucht, deut­lich zum Aus­druck gebracht. Vom Anfang bis zum Schluss war man in seinen Bann gezo­gen, hat­te etwas zum Lachen aber auch Nach­denken. Diese szenis­che Lesung kann man als sehr orig­inelle und gelun­gene Alter­na­tive zum The­ater beschreiben.

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