Serienkilller, Polizeiarbeit, Tatorte: Das wahre Verbrechen findet sich überall. Egal ob man den Fernseher einschaltet oder am Zeitschriftenregal vorbeiläuft. Warum schon unsere Großeltern zu Hobby-Kriminalistin wurden und wo sich der beste Stoff zum Gruseln und Mitfiebern findet, wird die Spurensicherung zeigen!
Ich weiß noch genau, wie ich als Teenager mit meinem ersten Laptop nachts im Bett lag und eine Doku über Serienmörder nach der anderen schaute. Die Erzählungen, die Tatortbilder und auch die detaillierten Beschreibungen der echten Kriminalfälle faszinierten mich. Hätte man mich damals nach meinem »Hobby« gefragt, hätte ich bestimmt niemals zugegeben so etwas zu schauen. Auch dass ich später mal Gerichtsmedizinerin werden wollte, hätte ich definitiv nicht zugegeben. Zehn Jahre später gibt es diese Dokumentationen immer noch: »True Crime«, wie sie nun heißen, ist zum Trend avanciert. Das wahre Verbrechen, also die echten Kriminalfälle, sind inzwischen neben den erfundenen Geschichten ein eigenes Genre geworden.
Wo liegt die Leiche begraben?
Aber auch ohne den hippen Begriff, der großzügig auf Podcasts, Magazinen und Bücher geklatscht wird, üben echte Verbrechen schon lange eine Faszination aus. Schon unsere Großeltern saßen mit ihren Kindern regelmäßig vor dem Fernseher, um sich ein bisschen zu gruseln. Und nein, hier ist nicht der Tatort als Klassiker schlechthin gemeint, sondern »Aktenzeichen XY … ungelöst«. Eigentlich hatte sich das ZDF zum Ziel gesetzt, die Allgemeinbevölkerung bei der Lösung echter Kriminalfälle mit einzubeziehen. Doch der Großteil der Fernsehzuschauer wollte sich wahrscheinlich schlichtweg gruseln. Auch wenn Aktenzeichen XY immer noch im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wird, dominieren inzwischen die Serien und Dokumentationen aus den USA den Markt. »Snaped – Wenn Frauen töten« auf Super RTL befasst sich ausschließlich mit Mörderinnen, »On the Case« mit allgemeinen Mordfällen. Selbst »Galileo Big Pictures« hat schon eine Folge der Thematik gewidmet. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist die Sendung »Morddeutschland« sehr zu empfehlen. Der Streamingdienst Netflix scheint hingegen ein Faible für Dokumentationen zu haben: »Casting JonBenet« und »Making a Murder« sind wohl die bekanntesten. Aber auch »The Keeper«, der von dem mysteriösen Tod einer Nonne in den Sechziger Jahren handelt, bleibt bis zum Schluss genauso spannend wie aufwühlend. Die Dokumentationen, Filme und Serien aus den USA werden hochdramatisch inszeniert, bleiben jedoch einfache Unterhaltung.
Wer sich nicht nur gruseln will, sondern sich ein bisschen wissenschaftlicher informieren möchte, der sollte den deutschen Markt auskundschaften. Es gibt zahlreiche Artikel, Blogs, Bücher und Podcasts, die sich entweder mit dem Genre selbst auseinandersetzen oder über wahre Kriminalfälle mehr oder weniger ausführlich berichten. Für Deutschland sind vor allem die Podcasts und die Ausgaben der ZEITVerbrechen zu empfehlen sowie SternCrime. Dort werden nicht nur wahre Begebenheiten wiedergegeben, die man sich zugegebenermaßen auch selbst zusammen googeln könnte, sondern auch Hintergründe zur Polizei‑, Justiz- oder rechtsmedizinischen Arbeit. Sabine Rückert, stellvertretende ZEIT-Chefredakteurin, führt einen an deutsche Kriminalfälle heran, die sie selbst als Journalistin bearbeitete. Im Gespräch steht sie dabei mit Andreas Sentker, dem Leiter des Wissenschaftsressorts. Während andere Podcasts im deutschen und englischen Raum häufig bekanntere Fälle bearbeiten, wie zum Beispiel den Zodiac-Killer, bekommt man bei Rückert und Sentker einen guten Einblick in unbekanntere Fälle. Wer sich für das Thema interessiert und schon immer damit gehadert hat, dass man nicht doch einen ganz anderen Studienweg eingeschlagen zu haben, der wird nach kurzer Suche seinen Lieblingspodcast, ‑serie oder doch die Lieblingszeitung finden.
Sind wir nicht alle Täter?
Fragt sich abschließend nur: Warum das Ganze? Reicht uns der Tatort am Sonntagabend nicht mehr? Oder die tausendste Wiederholung von Criminal Minds?
Für manche ist es die Genugtuung zu wissen, dass die eigenen negativen Gedanken völlig normal sind. Zum Beispiel, wenn man die Nachbarn mal wieder gerne wegen nerviger Musik abknallen würde. Die Faszination an menschlichen Abgründen und Motiven lässt einen immer wieder zum Thema zurückkehren. Auch die Arbeit von Polizisten und Behörden spielt sicherlich eine große Rolle. So spricht Rückert in einer Episode ihres Podcasts über etwaige Fehler, die Polizisten unterlaufen. Einen Einblick in die Strukturen und den Arbeitsverlauf der Polizei, den man sonst nicht hat, zu erhalten ist besonders spannend. Der größte Faktor bleibt jedoch, dass es sich um reale, echte Geschehnisse handelt. Ein Fernsehfilm hat eben immer noch den faden Beigeschmack eines Abklatsches der Realität. Und vielleicht wird dadurch der Hype um dieses Genre deutlich: Keine gut ausgeleuchtete Geschichte, in der am Schluss der böse Täter von den attraktiven Polizisten und Polizistinnen gefasst wird, packt einen so sehr wie die ungeschönten Abgründe der Menschheit, auch wenn sie gleichzeitig ein gewisses Unwohlsein auslösen.
Wer löst den Fall?
Ob dieser Hype, denn so kann das Phänomen True Crime nur betitelt werden, weiter anhält, ob er sich weiter ausbreitet und schließlich die langweiligen Vorabendkrimis verdrängt, kann schwer eingeschätzt werden. Schon im August schrieb Claudia Tieschky in der Süddeutschen Zeitung: »Echt ist manchmal zu echt«. Vielleicht sehnen wir uns, vom Angebot völlig übersättigt, irgendwann wieder nach Geschichten, die der Fantasie entspringen. Das wird sich in den nächsten Jahren noch herausstellen. Fakt ist: Es ist ein spannender Trend, der gerade in den dunklen Monaten einen Mordsspaß macht.