»#wir sind noch mehr – Deutsch­land in Aufruhr«. So betiteln sich 21 Autoren auf der Suche nach knall­harten Fak­ten zur freien Mei­n­ungs­bil­dung jen­seits staatlich­er Deu­tung­shoheit. Gefun­den haben sie aber dann lei­der doch nur ihre eigene Lesart. – Eine Rezension 

»Es verge­ht beina­he kein Tag mehr, an dem sich Deutsch­land nicht weit­er abschafft. Argu­mente zählen nicht mehr, nicht mal mehr Men­schen­leben. Wenn in Chem­nitz ein Deutsch­er von einem abgelehn­ten Flüchtling erstochen wird, dann gerät ganz schnell das ermordete Opfer in den Mainstream­medien in den Hin­ter­grund – bloß den bösen Recht­en keine Argu­mente geben«. Her­aus­ge­ber Han­no Vol­len­wei­der gelingt es schon im Vor­wort des Sam­mel­bands, vol­lkom­men frei von Pietät zahlre­iche Klis­chees radikaler neurechter Gesin­nung fal­l­en­zu­lassen. Schade eigentlich, denn die auf dem Cov­er angekündigte fundierte Medi­enkri­tik bleibt dabei und auf den fol­gen­den 500 Seit­en über­wiegend aus. Kri­tisiert und gerüf­felt wird aber trotz­dem fleißig. Neben »jour­nal­is­tis­chem Ein­heits­brei« sind Islam, Poli­tik und Wirtschaft im Fokus der ein­seit­i­gen, polemis­chen Abfertigung.

Gle­ich im ersten Beitrag des Sam­mel­ban­des wird der Titel des Buch­es the­ma­tisiert: »#wir sind noch mehr«. Eine triv­iale Antwort auf den im Zuge der Chem­nitzer Unruhen ent­stande­nen Protest­na­men. Vera Lengs­feld, Kolum­nistin des islamkri­tis­chen und kli­mawan­delskep­tis­chen Weblogs »Die Achse des Guten«, will skizzen­haft Aufk­lärung um die Kon­tro­verse bieten, die sich anschließend um Hans-Georg Maaßen gebildet hat­te. Der ehe­ma­lige Ver­fas­sungss­chutzpräsi­dent äußerte Anfang Sep­tem­ber 2018 seine Skep­sis bezüglich der Echtheit eines Videos, welch­es Het­z­jag­den auf Aus­län­der bele­gen soll. Tat­säch­lich kur­sieren mehrere Filme im Netz, in denen Ver­fol­gun­gen von Men­schen (offen­sichtlich mit Migra­tionsh­in­ter­grund) stat­tfind­en und frem­den­feindliche Parolen skandiert wer­den. Lengs­feld und wohl auch Maaßen beziehen sich expliz­it auf ein Video der Aktivis­ten »Antifa-Zeck­en­biss«. Die Autorin äußert dabei nicht bloß Zweifel an der Authen­tiz­ität des Clips, son­dern nimmt ein­fach sofort und ent­ge­gen der Analy­sen von Fak­ten­find­ern an, dass es sich um einen »Fake« han­deln muss, der von der Regierung mitini­ti­iert wird, um »das eigene Volk zu verunglimpfen«. In ihren Aus­führun­gen geizt die Blog­gerin keineswegs mit Vok­ab­u­lar der neuen Recht­en. Dar­legun­gen über linken »Staat­sjour­nal­is­mus«, »gle­ichgeschal­tete Oppo­si­tion« und »Denkver­bote« gehören ein­deutig zu dem doch ziem­lich ein­för­mi­gen Ver­such, mit windi­gen Annah­men einen Scoop zu landen.

Helden schwimmen gegen den Strom

Über­haupt zieht sich durch das ganze Buch die Absicht, mit Mit­teln der Emo­tion­al­isierung Betrof­fen­heit auszulösen und sich selb­st in der Rolle des unter­drück­ten Mei­n­ungskämpfers als Opfer ein­er Ver­schwörung gegen freies und kri­tis­ches Denken zu man­i­festieren. So deklamiert die Graphik­erin Niki Voigt »ein tiefemp­fun­denes Gefühl des hil­flosen, all­ge­meinen Aus­geliefert­seins« auf­grund »wöchentlich­er Messer­morde«. In dieser Unsach­lichkeit lässt sich wenig von den angekündigten Fak­ten find­en. Stattdessen wer­den mit miss­glück­ten Sprach­bildern kom­plexe poli­tis­che und gesellschaftliche The­men verz­er­rt und verfälscht.

Illus­tra­tion: Emil­ia Peters

Die Autoren scheinen sich dabei selb­st auf dün­nem Eis zu sehen und proklamieren wieder­holt, dass sie sich zur Wehr set­zen müssten gegen Staat und Presse. Das alles ähnelt eher dem Duk­tus von schiefen Ver­schwörungs­the­o­rien als kri­tis­ch­er Auseinan­der­set­zung. Daran ändern auch die leicht infan­til wirk­enden Aufrufe des Youtu­bers und Pub­lizis­ten Heiko Schrangs nichts, der jeden Auf­satz mit den Worten »Und denkt immer daran, nur wer gegen den Strom schwimmt, gelangt zur Quelle. Nur tote Fis­che schwim­men mit dem Strom« beendet.
Den­noch blitzen an sel­te­nen Stellen, wenn auch recht kraft­los und undif­feren­ziert, nachvol­lziehbare Kri­tikan­sätze zur medi­alen Ein­flussnahme auf poli­tis­che The­men auf. Denn in der Tat sind Jour­nal­is­ten aus wis­senschaftlich­er Sicht poli­tis­che Akteure, die auch eine eigene Agen­da ver­fol­gen. Zwar beken­nt sich die Mehrheit der Jour­nal­is­ten zur Neu­tral­ität, doch sind sie auch mis­sion­ar­ischen Gedanken nicht gän­zlich abgeneigt. Nach neueren Umfra­gen wollen 40 % pos­i­tive Ide­ale ver­mit­teln, 24 % Poli­tik kon­trol­lieren und 19 % ihre eige­nen Ansicht­en präsen­tieren. (Wolf­gang Rudzio: Die Medi­en als Mit­tler und Akteure. In: Das poli­tis­che Sys­tem der Bun­desre­pub­lik Deutsch­land. Springer VS, Wies­baden 2015)

Trotz­dem bleibt die Analyse der Autoren sin­nwidrig. Kaum umstrit­ten ist, dass Jour­nal­is­ten eine soziale Gruppe, also ein gesellschaftlich­es Sub­sys­tem, bilden, das im Rah­men des Möglichen seinen eige­nen Regeln fol­gt. Hinzu kommt, dass zwis­chen Medi­en und Poli­tik eine bes­timmte Dynamik ver­läuft. Doch ist die Annahme, dass die soge­nan­nten Main­streamme­di­en sich als Steig­bügel­hal­ter für poli­tis­che Gehirn­wäsche andi­enen, recht ein­fältig. Eher ver­hält es sich so, dass Medi­en aus eigen­er Ori­en­tierung her­aus »agen­da set­ting« betreiben und dur­chaus aus ver­schiede­nen Blick­winkeln, abseits von ein­fach­er Berichter­stat­tung The­men dif­feren­ziert einord­nen. Medi­en kön­nen nicht beliebig manip­ulieren, auch wenn sie in der Lage sind, Aufmerk­samkeit zu ver­schieben. Festzuhal­ten bleibt lediglich, dass medi­ale The­men zunehmend nach Kon­flik­thaltigkeit aus­gewählt und mit bewusster Vere­in­fachung sowie mit dra­matur­gis­chen Ele­menten verziert wiedergegeben wer­den. Aber das dürfte den Autoren des Sach­buch­es nicht fremd sein, angesichts des roten Fadens, der sich mit Vere­in­fachung und reißerisch­er Sym­bol­sprache durch den Inhalt zieht.

Ebendiese Charak­ter­is­tik erhält sich in den nach­fol­gen­den Abhand­lun­gen über Iden­titätsver­lust, Gle­ich­heit und Flüchtlinge. Let­ztere sind, wenn man sich den Worten des Autors Jür­gen Fritz annehmen will, wed­er als Flüchtlinge noch Geflüchtete, son­dern als »Wan­dernde« zu beze­ich­nen. Sie kom­men anscheinend nur nach Deutsch­land, weil es dort »sehr schön« ist. An Per­fi­die und Wirrheit wird Fritz dann nur noch von seinem Kol­le­gen und Blog­ger Peter Helmes übertrof­fen, der bei all den Neuankömm­lin­gen Gefahr für »unsere alte Gesellschaft« zu erken­nen ver­mag. Er stellt fest, dass dabei in Sprache, Kul­tur und Reli­gion »Deutsch« und »der Deutsche auf der Strecke« bleiben. Auf der Strecke geblieben und mithin anachro­nis­tisch umreißt das The­ma auch Mar­cus Franz, dem zum Punkt Gle­ich­heit ein­fällt, dass es nicht gut­ge­hen könne, wenn »kul­turelle und biol­o­gis­che Unter­schiede negiert und durch Geset­ze und Reg­u­la­tive aus­ge­bügelt wer­den sollen«. Der öster­re­ichis­che Poli­tik­er sieht das Prinzip der Gle­ich­heit als Kul­turz­er­stör­er an. Es bevorzuge ohne­hin zwangsläu­fig die Schlecht­esten und benachteilige die Besten. Es fällt schw­er, den Gedankengän­gen der Ver­fass­er annäh­ernde Tiefe zuzuschreiben. Man kann ein­fach zu viel erwidern und wider­legen. Auch die zwis­chen­durch einge­baut­en und als »bit­ter­böse« beschriebe­nen Satiren über die Entste­hung der Poli­tik­er und einem Medika­ment, das »Gut­men­schen« her­anzüchtet, kön­nen das Gesamtwerk nicht wirk­lich sym­pa­this­ch­er machen.

Zwischen wirren Gedanken und abgenutzten Klischees

Ins­ge­samt enthält »#wir sind noch mehr – Deutsch­land in Aufruhr« mehr von Polemik zer­faserte Ver­schwörungs­the­o­rien, als dass es sach­liche Inhalte bietet. Das Spiel mit hyper­bolis­chen Emo­tion­al­isierun­gen und sprach­lichen Bildern lässt sich nicht mal mehr als Gonzo-Jour­nal­is­mus zusam­men­fassen, son­dern gibt ein­fach nur einen extrem sub­jek­tiv­en Quer­schnitt neurechter Gedanken wieder. Die Ver­fass­er sind weniger daran inter­essiert, die Demokratie zu vertei­di­gen, son­dern ver­fol­gen vielmehr abseits von men­schlichem und moralis­chem Basiskon­sens das Ziel, ihr Grun­drecht auf Mei­n­ungs­frei­heit zu Las­ten ander­er Grun­drechte bis ins Geschmack­lose auszureizen. Dabei rück­en sie sich in helden­hafter Pose der unter­drück­ten Befreier in das Licht des Opfer­da­seins. In dieser Rolle noch mehr bestätigt scheinen sie sich durch eine Löschak­tion Face­books zu fühlen. Dort wurde kurz vor Veröf­fentlichung die Wer­bung für die Textsamm­lung ges­per­rt, da sie gegen die Gemein­schafts­stan­dards des sozialen Net­zw­erks ver­stoße. Die Aktion ist nachvol­lziehbar, da man den drastis­chen Ansicht­en keinen Raum bieten möchte. Den­noch ist der Sache damit nicht geholfen. Bloßes Aus­gren­zen schadet dem Diskurs und zwingt die Autoren, in ihrer Blase unre­flek­tiert zu ver­weilen. Der ermat­tete Leser wird sowieso unweiger­lich erken­nen müssen, dass nach 509 Seit­en die Frage, wo nun die große Wahrheit beherbergt wird, offen­bleibt. Man kann nur spekulieren. Gut möglich, dass sie sich nur den Ver­fassern und deren Anhängern offen­bart. Irgend­wo zwis­chen wirren Gedanken und abgenutzten Klis­chees. Wo son­st wird so ein­fach Wahrheit geboten, ohne dass man denken müsste?

Illus­tra­tion: Emil­ia Peters
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