Das Akrützel, Hochschulzeitung in Jena, sin­niert in die­sem Gastbeitrag über die Aufhebung der Maskenpflicht: „Endlich wie­der Freiheit, was für eine Zumutung!“

Freiheit: Tolles Wort – scheiß Sache. Als ob wir nicht schon genug zu tun hät­ten mit all den Entscheidungen, die jeden Tag dar­auf war­ten, getrof­fen zu wer­den. Welche Cornflakes­-Sorte mag ich am liebs­ten? Eigentlich ja Lion, aber die gehö­ren zu Nestlé. Darf ich die noch essen? Und das Fleisch? Und der Flug nach Spanien? Und vor allem: Studiere ich noch das Richtige?

Seit dem 9. Mai ist der Berg der Freiheit noch grö­ßer gewor­den. Die Maskenpflicht an der FSU ist gefal­len. Jetzt gibt es eine wei­te­re Pflicht zur Entscheidung: Trage ich mei­nen Mund­-Na­senschutz wei­ter oder bin ich jetzt doch Quer­denker? Während die meis­ten in den ers­ten Tagen noch sicht­bar zu den Antiquerdenken­ den gehör­ten und stolz ihre Masken tru­gen, fal­len mitt­ler­wei­le von Tag zu Tag die Scham­grenzen. Endlich wie­der Gesicht zei­gen. End­lich wie­der frei.

Neue Freiheit oder Solidarität?

Eigentlich könn­te ich froh sein. Die Maske ist heu­te kein Zeichen der Hörigkeit mehr, nur noch ein Zeichen der Solidarität. Solida­rität mit den Alten, den Vorerkrankten und viel­leicht sogar mit den Ungeimpften. Endlich kann ich bewei­sen, dass nicht die Staats­hörigkeit mich dazu brach­te, zwei Jahre mit bedeck­tem Gesicht ein­kau­fen zu gehen, son­dern mei­ne eige­ne Überzeugung.

Dafür lege ich mir seit zwei Jahren Rechtferti­gungen zurecht. Meine liebs­te: Wir müs­sen die unver­meint­li­che Infektionswelle so klein wie mög­lich hal­ten, damit das Gesundheitssystem ent­las­tet und der kri­ti­sche Punkt der Überla­stung ver­mie­den wird.

Und trotz­dem ste­he ich jetzt vor jedem Uniein­gang mit einem beklem­men­dem Gefühl. Die Hand wüh­lend in allen Hosentaschen bis ich end­lich einen der blau­en Fetzen in der Hand hal­te. Die frei­en Gesichter der ande­ren verun­sichern mich. Leicht beschämt lau­fe ich dann neben mei­nen Kommilitoninnen zur Vorle­sung. Masken tra­gen die nicht mehr. Irgendwie ist das mit dem Anderssein gar nicht so leicht. Respekt an alle, die bis­her vol­ler Selbstbewusst­sein Muttis Maulkorb kate­go­risch abge­lehnt haben.

Eines kann man ihnen nicht abspre­chen: Kon­sequent sind sie. Gilt das auch für mich? Ich las­se mich ja schon von ein paar lächeln­den Gesichtern aus dem Konzept bringen.

Das Ideal unse­rer auf­ge­klär­ten Gesellschaft kommt gera­de an eine Grenze. Moderne Krisen wer­den kom­pli­zier­ter. Klimawandel, Pandemie und Krieg las­sen sich aus der nor­ma­len All­tagsperspektive kaum noch verstehen.

Natürlich bezahl ich jetzt fünf Euro für den Döner und nie­se selbst­ver­ständ­lich in die Armbeuge, aber das meis­te bleibt beim Alten. Corona habe ich zwei­mal gut über­stan­den, die Hitzewellen im Sommer hal­te ich ganz gut am Wehr aus, und an die Kriegsbilder aus der Ukraine gewöhnt man sich auch schnel­ler als man denkt. Die Krisenwahrnehmung der Expertinnen steht im Widerspruch zu der Nor­malität mei­nes Alltags.

Das Ergebnis: man fühlt sich oft zwi­schen den Welten hin­ und her­ge­ris­sen. Die Zahlen, Stu­dien und Wissenschaftlerinnen sagen das eine, aber mein Gefühl sagt das ande­re. Wenn sich dann die Selbstverständlichkeit der letz­ten zwei Jahre ändert, kön­nen auch auf ein­mal lächeln­de Gesichter verunsichern.

Aber wir müs­sen nicht für immer Masken tra­gen, um unse­rer Solidarität der letz­ten zwei Jahre gerecht zu blei­ben. Man wider­spricht sich nicht, wenn man Corona lang­sam auch mal wie­der etwas locke­rer nimmt, zumin­dest vorerst.

Krisen lie­gen heu­te nicht mehr ein­fach auf der Straße, son­dern ver­ste­cken sich hin­ter kom­plizierten Begriffen wie Sieben­-Tage-­Inzidenz und irrever­si­ble Kipppunkte. Um die ganz zu ver­ste­hen, müss­te man eigent­lich ein Bache­lorstudium absolvieren.

Kritisches Vertrauen

Die Lösung für die­ses Problem ist ent­we­der, sich mit jedem Problem unse­rer Gegenwart so tief zu beschäf­ti­gen, dass man immer ein eige­nes Urteil fäl­len kann, oder man pro­biert sich mal im kri­ti­schen Vertrauen. Vertrauen in Leute, die sich damit bes­ser aus­ken­nen. Es ist gar nicht so schlimm, sich mal was sagen zu las­sen. In den letz­ten zwei Jahren bedeu­te­te das: Maske auf und Abstand hal­ten. Aber jetzt bedeu­tet es auch, die Maske abzu­neh­men und mal wie­der fri­sche Luft zu schnap­pen. Zumindest bis zum Herbst.

Text: Johannes Vogt
Foto: Henriette Lahrmann

• https://www.akruetzel.de/

• Das Akrützel exis­tiert seit 1989 als „Jenas füh­ren­de Hochschulzeitung“ und bringt alle zwei Wochen Neuigkeiten und Kul­tur aus dem Studierendenalltag, dem Uni­geschehen und der Stadt unter die Studierenden der Friedrich­Schiller­Universität (FSU) und der Ernst­-Abbe­Hochschule (EAH). Wegen einer Haushaltssperre des Stura der FSU war es dem Akrützel zuletzt nicht mög­lich, in gedruck­ter Form zu erschei­nen, daher über­neh­men wir einen Artikel aus der unge­druck­ten Ausgabe.

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Kris
Kris
2 Jahre zuvor

Gratuliere, ich hab noch nie so viel Schwachsinn auf ein­mal gele­sen. Wenn man sich kom­plett von den Medien indok­tri­nie­ren lässt, kommt eben sowas bei raus.