In die Oper zu gehen, kann in vie­len Köpfen ein ver­staub­tes Bild aus­lö­sen: Menschen in fei­ner Abendgarderobe, eine alt­ba­cke­ne Handlung und Musik, die für man­che eher gewöh­nungs­be­dürf­tig ist – die­ser Vorstellung nach, ist die Oper vor allem ein Ort für Privilegierte, an dem die Vergangenheit gefei­ert wird. Dass die­ses Bild nicht unbe­dingt der Realität ent­spricht, wird aktu­ell an den Bühnen Halle bewiesen.

Im März 2022 prä­mier­te „Manru“. Ein Stück, das zuletzt vor über 120 Jahren in deut­scher Originalsprache in Dresden auf­ge­führt wur­de. Zugegeben sug­ge­riert die­ser Umstand nicht unbe­dingt Aktualität. „Manru“ dürf­te Opern-Skeptiker:innen aller­dings über­ra­schen, denn der Stoff und die Problematiken, die dort behan­delt wer­den, könn­ten heu­te gesell­schaft­lich nicht rele­van­ter sein.

Das Thema: Ausgrenzung, Rassismus, Nationalismus

Das Stück zeigt ein­drucks­voll, wie Nationalismus und völ­ki­sche Theorien eine Gesellschaft von innen aus­höh­len und the­ma­ti­siert dabei auch, wel­che gesell­schaft­li­chen „Werte“ und „Traditionen“ genau dafür einen Nährboden schaf­fen können.

Die Inszenierung von Regisseurin Katharina Kastening wirft dabei eine zen­tra­le Frage auf: Sind wir als Individuen gewillt, inter­na­li­sier­te ras­sis­ti­sche Denkweisen als sol­che zu erken­nen und zu hin­ter­fra­gen? Dieser Reflexionsprozess wird in „Manru“ ins­be­son­de­re durch die Sprache ange­sto­ßen, genau­er durch den Umgang mit Begriffen. Kastening ent­schied sich dazu, das Libretto von 1901 für ihre Inszenierung nicht zu glät­ten, damit das Z‑Wort* wäh­rend des gan­zen Stückes zu hören und auch zu lesen ist. Die Regisseurin begrün­det die­se Entscheidung zum einen damit, dass die­ses Wort in ihrer Inszenierung stell­ver­tre­tend für jede Form von ras­sis­ti­scher Ausgrenzung ste­he. Zum ande­ren hät­te eine Glättung des Begriffs bedeu­tet, des­sen Brutalität zu unter­gra­ben und somit die Aussage zu schwä­chen, die in der Aufführung trans­por­tiert wer­den soll. Eine Entscheidung, die pola­ri­sie­ren kann. Denn ras­sis­ti­sche Sprache zu repro­du­zie­ren, kann auch zu Applaus aus den Reihen derer füh­ren, die das Z‑Wort gera­de wegen sei­ner Brutalität nach wie vor verwenden.

*Das Z‑Wort ist seit Jahrhunderten eng mit ras­sis­ti­scher Diskriminierung gegen Sinti:zze und Rom:nja ver­bun­den. Es han­delt sich dabei um eine gene­ra­li­sie­ren­de, fremd­be­stimm­te Kollektivbezeichnung aus wei­ßer Perspektive für ver­schie­de­ne Gesellschaften (wie etwa Sinti:zze, Manusch, Kalé oder Pavee), die als umher­zie­hend und somit hei­mat­los kon­stru­iert wurden.

Die klei­ne Behausung von Manru und Ulana wur­de beschmiert

Symposium als Begleitprogramm

Diesen Konflikt las­sen Kastening sowie Dramaturg Boris Kehrmann im umfang­rei­chen Programmheft zu „Manru“ nicht unkom­men­tiert: Man sei sich bewusst, dass man nicht naiv mit dem his­to­ri­schen Sprachgebrauch umge­hen kön­ne. Der Sinn hin­ter die­ser dra­ma­tur­gi­schen Entscheidung sei es gewe­sen zu zei­gen, wel­che „Zerstörungskraft“ dis­kri­mi­nie­ren­de Sprache in sich tra­ge und wie sie unser Denken und Handeln beeinflusse.

Diese Herangehensweise wur­de neben ande­rem auch auf einem Symposium dis­ku­tiert, das Kehrmann eigens für die Inszenierung in Halle ins Leben geru­fen hat­te – zwei Tage lang stell­ten Wissenschaftler:innen im Audimax der MLU neue inter­dis­zi­pli­nä­re Forschungsansätze zu „Manru“ vor. Besonders span­nend sind in die­sem Zusammenhang die Beiträge zur Lebensgeschichte des Komponisten Jan Paderewski, der nicht nur ein erfolg­rei­cher Musiker, son­dern auch der ers­te Ministerpräsident Polens war. Inwiefern sich des­sen poli­ti­sche Ansichten in „Manru“ wie­der­fin­den, kann in den Aufnahmen des Symposiums auf YouTube nach­ge­hört werden.

Ulana (Romelia Lichtenstein) und Manru (Thomas Mohr)

Worum geht es in „Manru“?

Die Oper des Komponisten Jan Paderewski erzählt die Geschichte einer Ehe und wie die­se an ras­sis­ti­schen Vorurteilen zer­bricht. Eine der bei­den Hauptfiguren ist die jun­ge Frau Ulana, die aus einer Familie von Tatra-Bäuer:innen stammt. Entgegen den Wünschen ihrer Familie hei­ra­tet Ulana ihren Geliebten Manru, der den Rom:nja – genau­er der Gruppierung der Erumanels – ange­hört. Aufgrund von Manrus eth­ni­scher Herkunft akzep­tiert Ulanas Familie die Heirat nicht und ver­stößt sie. So ist das Paar dazu gezwun­gen, abge­schnit­ten von der Dorfgemeinschaft in einer Wellblechhütte am Rand des Waldes zu leben. Ab die­sem Punkt kon­zen­triert sich die Handlung dar­auf zu zei­gen, wie Ulana und Manru an den Folgen von Ausgrenzung und Stigmatisierung lei­den und trotz­dem ver­su­chen, ein glück­li­ches Leben zu führen.

has­tu­zeit-Redakteur Stefan war bei der Premiere in Halle dabei.

Ein Blick hinter die Kulissen

Wenn auch sel­ten, gehe ich ger­ne ins Theater. Dass eine Aufführung buch­stäb­lich eine ande­re Perspektive auf jedem Platz im Saal bie­tet und die klei­nen Eigenheiten, die jede:r Schauspieler:in mit sich bringt, haben einen Charme, der sich kaum repli­zie­ren lässt. In die Oper hat es mich bis­her den­noch nicht ver­schla­gen – somit sind es für mich gleich zwei Premieren. Allerdings führt mich mein ers­ter Besuch nicht durch den Haupt‑, son­dern den Bühneneingang, der sonst den Mitarbeiter:innen vor­be­hal­ten ist.

Etwas zu früh dran, war­te ich zwi­schen Spiel- und Schminkplänen, wäh­rend Schauspieler:innen, Techniker:innen und alle, die sonst zum Theater gehö­ren, sich vor mir auf dem Gang begrü­ßen und sich über das son­ni­ge Wetter freu­en. Ich bin mit den Bühnentechniker:innen der Bühnen Halle ver­ab­re­det. Sie betreu­en die „tech­no­ide Megamaschinerie“, wie Chefdramaturg Boris Kehrmann sie nennt, die in „Manru“ zum Einsatz kommt. Die Bühnen Halle haben hohe in die Bühnentechnik inves­tiert, um die Vision der Regisseurin Katharina Kastening umset­zen zu können.

„Spaltung, die menschengemacht ist

In Kastenings Inszenierung ste­hen sich zwei Gesellschaften gegen­über, deren Wahrnehmung „der Anderen“ durch Vorurteile bestimmt wird. Damit ein Dialog statt­fin­den kann, müss­ten die Figuren eine „unsicht­ba­re Wand“ durch­bre­chen, die sie von­ein­an­der trennt – meta­pho­risch wie auch wört­lich. Denn der inner­li­che Prozess des Abgrenzens wird im Stück durch eine durch­sich­ti­ge, schwe­ben­de Trennwand sym­bo­li­siert, befes­tigt an und gesteu­ert von einer kom­pli­zier­ten Metallkonstruktion über der Bühne. „Es war uns wich­tig, dass man die Maschinerie des Bühnenbildes [, die die Wand trägt] sieht. Sie ist eine Metapher dafür, dass die Spaltung men­schen­ge­macht ist“, so eine Äußerung Kastenings im Programmheft.

Der Premierenabend

Zwischen Kronleuchtern, Sektempfang und den Gästen in Abendgarderobe wirkt das Opernhaus in der Tat ziem­lich impo­sant – womög­lich sogar ein­schüch­ternd, wenn man nach zwei Jahren Pandemie und online Uni haupt­säch­lich unge­bü­gel­te T‑Shirts und Jogginghosen gewohnt ist. Eine Premiere lässt sich im Hoodie aller­dings genau­so genie­ßen wie im Dreiteiler.

Das Stück selbst erfor­dert noch­mal eine beson­de­re Aufmerksamkeit. Die Handlung ist ver­steckt im Gesang, für den Text muss man die Übertitel neben der Bühne lesen, gleich­zei­tig noch dem Bühnengeschehen fol­gen und all das im Fall von „Manru“ über drei Stunden lang. Bestenfalls liest man dazu natür­lich noch das Programmheft, um auch den Meta-Inhalt – also die Einordnung in his­to­ri­sche und aktu­el­le Kontexte – zu erfah­ren. Ganz schön viel.

Jedoch wird man von nie­man­dem gezwun­gen, all das zu tun. Womöglich will man erst ein­mal nur der Musik lau­schen, das Schauspiel oder das Bühnenbild bestau­nen, viel­leicht sogar nur die Gesellschaft genie­ßen. Das ist ein genau­so guter Grund, sich Opernkarten zu kau­fen, wie jeder ande­re. Selbst die Mitarbeitenden der Oper sagen im Interview: „Ich war gar kein so gro­ßer Fan von Opern“ oder „das kommt erst mit der Zeit, dass man das in sei­ner Gänze genie­ßen kann“. Lässt man sich ab und an dar­auf ein, fin­det man womög­lich doch Gefallen am Musiktheater.

„Manru“ im Speziellen ist ein Sonderfall – 120 Jahre seit der Erstaufführung sind eine lan­ge Zeit und die Welt hat sich seit­her vie­le Runden wei­ter­ge­dreht. Umso erschre­cken­der ist es, wie nach­voll­zieh­bar der Konflikt ist, mit dem die Hauptfiguren kon­fron­tiert wer­den. Während Manru auf­grund sei­ner Herkunft nicht von den Bäuer:innen akzep­tiert wird, ist Ulanas ein­zi­ges Vergehen, sich in den „fal­schen“ Menschen ver­liebt zu haben.

Fazit

Die Vorstellung, dass auf der Opernbühne nur Themen und Stoffe behan­delt wer­den, die älte­re Menschen inter­es­sie­ren, ist ein Vorurteil, mit dem abge­schlos­sen wer­den soll­te. „Manru“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass es im Interesse der Opernhäuser liegt, the­ma­tisch nicht in der Vergangenheit ste­hen­zu­blei­ben, son­dern ihr Publikum in der Gegenwart abzu­ho­len. Trotzdem ist ein Opernhaus kein Kinosaal – effekt­ha­sche­ri­sche Unterhaltung wie im neu­es­ten Superheldenblockbuster wird man nicht bekom­men. All das Drumherum macht jeden Besuch aber auto­ma­tisch zum Event.

Zusammenfassend heißt das: Die Opern-Erfahrung lohnt sich. Zudem wird Studierenden der Zugang finan­zi­ell erleich­tert: Seit Februar gibt es das Angebot eines Last-Minute-Tickets, das eine hal­be Stunde vor Vorstellungsbeginn für zehn Euro erhält­lich ist. Einem spon­ta­nen Opernabend steht damit kaum etwas im Wege.

Danach fest­zu­stel­len, dass Musiktheater tat­säch­lich den eige­nen Geschmack ver­fehlt, ist aller­dings eben­so legi­tim. Das fin­det man aber nur durch den eige­nen Besuch heraus.

Aktuell ist kei­ne Wiederaufnahme von “Manru” geplant.

Text: Stefan Kranz, Anne Volksdorf
Fotos: Bühnen Halle, Anna Koalta 

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Lum
Lum
1 Jahr zuvor

Gerade Manu als Beispiel zu nut­zen fin­de ich schwie­rig. Diese Inszenierung hat abso­lut kein Gefühl für die Rassismen, die es repro­du­ziert. Es gibt deut­lich bes­se­re Beispiele, um Menschen in die Oper zu locken.