Einmal ins Ausland – ein Traum für vie­le Studierenden. Antonia woll­te in die slo­we­ni­sche Hauptstadt Ljubljana, Rudolf nach Daegu in Südkorea. Beide hat­ten jedoch nicht damit gerech­net, dass ihr Auslandssemester die­ses Jahr ganz anders ver­lau­fen wür­de als geplant. 

 Unterkunft suchen, Sprachzertifikate nach­wei­sen, Finanzierung bean­tra­gen, Versicherungen abschlie­ßen – zu einem Auslandssemester gehört viel Vorbereitung. Eine glo­ba­le Pandemie bezieht man für gewöhn­lich nicht in sei­ne Planung ein. Student:innen im Ausland fin­den sich in einer neu­en Situation wie­der und sehen sich mit bis­her nicht da gewe­se­nen Herausforderungen konfrontiert. 

Antonia Schade, Studentin der Politik- und Wirtschaftswissenschaften und Rudolf Merbach, Student des Gesundheits- und Sozialwesens, erzäh­len von ihren unter­schied­li­chen Erfahrungen. 

Warum hast du dich für das Land entschieden, in dem du gerade dein Auslandssemester absolvierst?  

Rudolf: Als ich ange­fan­gen habe zu stu­die­ren, habe ich einen Freund ken­nen­ge­lernt. Der hat­te sich damals auf das Auslandssemester in Südkorea vor­be­rei­tet und ich war total begeis­tert von der Idee. Als er dann zurück­kam, mach­te er eine Präsentation, bei der ich ganz vie­le Fragen gestellt habe. Die Lust, mal nach Asien zu kom­men, hat­te ich eigent­lich schon immer. Ich bin ziem­lich dank­bar dafür, dass es geklappt hat. 

Antonia: Ich bin durch Reisen dar­auf gekom­men, dass ich Osteuropa sehr ger­ne moch­te, weil die Leute sehr herz­lich und offen sind. Ursprünglich hat­te ich Interesse an Ungarn – die poli­ti­sche Situation, die Studenten, das Leben dort. Das war an mei­ner Fakultät aber nicht mög­lich, des­we­gen habe ich mich für Slowenien entschieden. 

Was waren deine Erwartungen und Ziele für das Auslandssemester?  
Tempel “Donghwasa” bei Daegu, Südkorea
Foto: Rudolf Merbach

Rudolf: In ers­ter Linie war es, die Kultur zu erle­ben, die Leute ken­nen­zu­ler­nen. Auch wenn Daegu eine gro­ße Stadt ist und man ja immer sagt, die gro­ßen Städte sind alle gleich, habe ich fest­ge­stellt, dass es nicht stimmt. Zumindest, wenn man nach Asien kommt, ist das alles sehr anders. Mir wur­de von die­sen gro­ßen Stadtfesten erzählt. Ich hät­te mir mehr davon gewünscht. Das fällt jetzt logi­scher­wei­se alles ein biss­chen flach. 

Antonia: Ich woll­te das Leben, die Abläufe und den Arbeitsaufwand an einer ande­ren Uni mit­be­kom­men und Kommunikation zu Leuten aus ganz Europa haben. Ein biss­chen aus mei­nem Uni-Alltag raus­kom­men und die­se Erfahrung mit­neh­men für mei­nen Lebenslauf. Ich woll­te mein Englisch auf­bes­sern. Außerdem auch ein­fach bewei­sen, dass ich mich in einer kom­plett ande­ren Situation und neu­em Umfeld behaup­ten kann. Und auf jeden Fall viel rei­sen, weil Slowenien sehr klein ist und an vie­le ande­re Staaten grenzt. 

Wie verlief deine Einreise?  

Rudolf: Ich bin am 13. März ange­kom­men. Zu dem Zeitpunkt war Daegu – die Stadt, in der ich bin – das Zentrum der Ausbreitung. Der Einfluss der neu­en Regeln hat schon am Flughafen in Frankfurt ange­fan­gen. Für den Check-In, bei dem man nor­ma­ler­wei­se sein Gepäck abstellt und sei­nen Reisepass hin­hält, habe ich über eine Stunde gebraucht. Das Personal hat alle fünf Minuten neue Regelungen bekom­men und muss­te sich gleich­zei­tig um die Leute küm­mern. Das war ein Riesenchaos. Zu dem Zeitpunkt hat in Deutschland nie­mand eine Maske getra­gen oder Sicherheitsabstand gehal­ten. Dass wir rüber­ge­kom­men sind, war nur Zufall. Es hieß: „Touristen nein, Arbeiter ja.“ Als Student bist du keins von bei­dem und schlüpfst da durch. Wir sind in Doha zwi­schen­ge­lan­det, und da hast du zum ers­ten Mal gemerkt: Okay, hier ist was im Gange. 

Antonia: Ich bin am 16. Februar ein­ge­reist, zwei Tage vor Beginn des Sommersemesters. Zu dem Zeitpunkt war die Grenze offen und ich bin ganz nor­mal [mit dem Auto] rüber­ge­fah­ren. Man hat da noch gar nichts mit­be­kom­men. Das war noch ganz weit weg. Niemand hat es wirk­lich ernst genommen. 

Wie hast du persönlich zum ersten Mal von der Krise mitbekommen?  

Rudolf: Das war ziem­lich abge­fah­ren. Wir kamen aus dem Flugzeug raus, und da stand schon die ers­te Kontrollschneise, wo sie dei­ne Körpertemperatur gemes­sen haben. Du muss­test einen Zettel mit dei­nen Symptomen aus­fül­len. Dann haben sie schein­bar zufäl­lig – also für mich, weil ich nicht mit ihnen kom­mu­ni­zie­ren konn­te – Leute aus­sor­tiert. Eine ande­re Studentin aus Deutschland und ich stan­den da für drei­ßig Minuten und wur­den dann in eine Art Wartezimmer geführt. Da waren zwei Ärzte und es soll­te ent­schie­den wer­den, wie es mit uns wei­ter­geht. Ich hat­te mir vor Korea eine Erkältung zuge­zo­gen, davon war nur ein biss­chen Halskratzen übrig. Der Arzt sag­te, dass alles in Ordnung sei. Das Mädel hat­te nicht so viel Glück. Sie hat in einem ande­ren Wartezimmer mit drei­ßig Koreanern auf ihre Testergebnisse gewar­tet. Sie ist die gan­ze Nacht und einen Tag dort fest­ge­hal­ten wor­den. Das war, bevor wir Korea über­haupt betre­ten haben. Danach: Ausgestorbene Straßen. Aber mir ist posi­tiv auf­ge­fal­len, dass die Koreaner eine Menge an Leuten in kür­zes­ter Zeit mobi­li­siert haben. Jedes Zahnrad hat da funktioniert. 

Im Wohnheim muss­test du zwei­mal am Tag dei­ne Temperatur in einen Zettel ein­schrei­ben. Wenn du das nicht gemacht hast, hast du ziem­lich Stress bekom­men. Von 140 Mal ein­tra­gen habe ich es vier­mal ver­ges­sen und bin tat­säch­lich genau des­we­gen aus dem Wohnheim geflogen. 

Antonia: An der Universität wur­den wir schon gewarnt. Ich war zu der Zeit erkäl­tet, und mir wur­de per­sön­lich gesagt, ich sol­le nicht zu Vorlesungen erschei­nen. Es wur­de stark auf Desinfektionsmittel geach­tet, und wir wur­den vor Kontakt zu ande­ren gewarnt. Ein Dozent von uns hat­te auch gleich am Anfang eine Krisensitzung zur Auswirkung von Corona auf poli­ti­sche inter­na­tio­na­le Beziehungen und Wirtschaft. 

Leere Straßen in Ljubljana, Slowenien
Foto: Antonia Schade 

Am Anfang haben wir das nicht so rich­tig für voll genom­men, weil alles offen war. Klar, du hast dir Desinfektionsmittel gekauft und ein biss­chen öfter die Hände gewa­schen, aber es kam dann so plötz­lich, als es rich­tig gestar­tet hat. Mitte März wur­de der Großteil unse­rer Vorlesungen abge­sagt. Alle Büros waren lahm­ge­legt. Das hat sich immer wei­ter gestei­gert. Dann wur­den die Uni und die Bibliothek von einem Tag auf den nächs­ten kom­plett geschlos­sen, zusam­men mit allen ande­ren öffent­li­chen Gebäuden. Eines Morgens, als ich nach Kroatien rei­sen woll­te, muss­te es abge­sagt wer­den, weil das Reiseunternehmen gar nicht gefah­ren wäre. Viele Leute, die ich hier kann­te, ent­schie­den sich kur­ze Zeit spä­ter, in ihre Heimatländer zurückzureisen. 

Welche Veränderungen und Probleme sind dir im Alltag begegnet?  

Rudolf: Nahezu erschre­ckend weni­ge in Südkorea. Die Struktur, die sich die Koreaner auf­ge­baut haben, funk­tio­niert so gut, dass nach kür­zes­ter Zeit das Alltagsleben ein­ge­tre­ten ist. Es sind Restaurants, Cafés und – was ich über­haupt nicht gut­hei­ßen kann – eini­ge Diskotheken wie­der offen. 

Das größ­te Problem für uns Auslandsstudenten aus Europa und ande­ren Kontinenten ist, dass die Koreaner teil­wei­se schlimm Angst haben, in Kontakt zu kom­men. Die meis­ten den­ken, die Ausländer schwem­men das Coronavirus nach Korea ein. Das führt zu angst­be­ding­ten, manch­mal fast schon ras­sis­ti­schen Geschichten. Die Leute ant­wor­ten dir nicht, gehen dir aus dem Weg. Sie sehen, dass du in den Bus ein­steigst, also war­ten sie lie­ber auf den nächs­ten oder set­zen sich im Bus irgend­wo anders hin. 

Antonia: Ich fand es schwie­rig, mei­nen Alltag zu struk­tu­rie­ren. Als alles aus­ge­fal­len ist, hat­te ich zwar Zoom-Meetings, aber es fiel mir extrem schwer, mich zu moti­vie­ren. Ich habe Glück, dass ich hier in einem Vorort woh­ne, viel Natur habe und mich trotz Social Distancing drau­ßen bewe­gen kann. Aber du triffst kei­ne Freunde, hast kei­nen Kontakt. Der Alltag, der nor­ma­ler­wei­se ein­kehrt, ist bei mir total durch­ein­an­der­ge­wor­fen wor­den. Dadurch hat man sich irgend­wie iso­liert gefühlt. Zumal ich die Sprache nicht spreche. 

Zum Einkaufen oder zu Ämtern gehen, Wege erle­di­gen – was man so machen muss – war schwie­rig. Der gan­ze Umgang war auf ein­mal ganz anders. Leute, die vor­her herz­lich und ent­spannt waren, waren sehr gestresst. Wenn du natür­lich nicht weißt, an wel­che Vorschriften genau du dich hal­ten musst, wer­den Leute schon sehr unfreundlich. 

Welche Lösungen hast du für dich gefunden?  

Insel Jeju, Südkorea
Foto: Rudolf Merbach

Rudolf: Ich ver­su­che das meis­te zu akzep­tie­ren und alles so, wie es ist, zu genie­ßen und wert­zu­schät­zen. Sich über Sachen zu ärgern, die sich nicht ändern las­sen, ist mei­ner Meinung nach sowie­so ver­schwen­de­te Zeit. Ich kann nicht sagen, dass ich eine schlech­te Zeit habe. Eigentlich ist das hier schon wie Urlaub. 

Antonia: Ich habe ver­sucht, viel Sport zu machen, raus­zu­ge­hen, mit Familie und Freunden viel Kontakt zu hal­ten. Unser Studierendenrat hat Zoom-Meetings orga­ni­siert, wo ich auch mit ande­ren Studenten quat­schen konn­te. Man muss sich für die Uni fes­te Zeiten aus­ma­chen und sich mög­lichst dar­an hal­ten, auch wenn es natür­lich schwie­rig ist. 

Man muss dazu sagen: Ich war wäh­rend der Zeit des Kontaktverbots allei­ne, weil mei­ne Mitbewohner schon vor­her aus­ge­zo­gen sind. Viel mit Leuten zu reden, gera­de bei Mahlzeiten, hilft sehr. Klingt erst mal komisch, aber es schafft so eine Nähe. 

In der Retrospektive: Inwiefern musstest du deine ursprünglichen Ziele und Erwartungen der neuen Situation anpassen?  

Rudolf: Ich hät­te mich auf um eini­ges mehr Kontakt mit den Koreanern gefreut. Vor allem, weil vie­le jetzt nicht da, son­dern in ihren Wohnungen sind, und die, die da sind, möch­ten meis­tens nicht mit dir reden. Das ist ein biss­chen scha­de. Obwohl ich, seit ich aus dem Wohnheim aus­ge­zo­gen bin, die schö­nen Seiten der korea­ni­schen Gastkultur ken­nen­ler­nen durf­te. Wir haben hier über­all Dachterrassen, wo abends alle zusam­men­sit­zen, essen und trin­ken. Leute aus dem Wohnblock kom­men zu mir und bie­ten mir irgend­et­was an. Sie ver­su­chen mir das auf ihrem gebro­che­nen Englisch oder Koreanisch zu erklä­ren oder kre­den­zen mir das ein­fach auf den Tisch. Das ist so nied­lich, wenn jemand denkt: „Der sitzt da ganz allei­ne. Da gehe ich jetzt hin und tei­le was mit dem.“ Das ist ein ganz gro­ßes Ding hier in Korea. Das wird, glau­be ich, von die­ser Pandemie am meis­ten kaputt gemacht, aber trotz­dem gibt es noch Leute, die das machen. Das sind die klei­nen Dinge, auf die man sich kon­zen­trie­ren muss, die herz­er­wär­mend sind. 

Antonia: Alle Trips wur­den abge­sagt, und es kommt jetzt erst lang­sam wie­der in Gang, dass die Grenzen offen sind. Meinen Level in Englisch konn­te ich trotz­dem ver­bes­sern, das Ziel habe ich ganz gut erreicht. Ich habe auch irgend­wo das Leben an einer ande­ren Uni mit­be­kom­men. Dadurch, dass die Universität so klein ist, ist das Verhältnis zu den Dozenten sehr eng. Man kennt sich, und wenn es nur über Zoom-Meetings ist. Jeder kennt dei­nen Namen und kann dich zuord­nen. Das ist total ver­rückt, weil wir das aus Deutschland gar nicht gewohnt sind. Außerdem ist Ljubljana sehr kar­rie­re­ori­en­tiert. Ich konn­te für mich in der Zeit reflek­tie­ren, dass ich auf­grund mei­nes beruf­li­chen Werdegangs ein drit­tes Fach dazu­neh­men möch­te. Ich fin­de aber nicht, dass man mit einem Selbstoptimierungswahn an die­se Situation ran­ge­hen soll­te. Man hat Zeit zu reflek­tie­ren, soll­te aber ein­fach froh sein, dass man aus der gan­zen Sache gesund raus­geht und etwas für sich mit­neh­men kann. 

Welche Möglichkeiten ergeben sich vielleicht aus der Krise? Gibt es etwas, das wir lernen oder mitnehmen können?  

Rudolf: Ein gan­zer Haufen Menschen aus der Lehrergeneration muss sich – ohne, dass er das unbe­dingt gewollt hat – mit Technik aus­ein­an­der­set­zen. Das ist, glau­be ich, etwas Gutes. Die meis­ten Lehrer aus mei­ner Schulzeit hat­ten manch­mal schon Probleme, den Polylux ein­zu­schal­ten. Zu sehen, wie sich alle mit dem Thema arran­gie­ren, ist manch­mal ärger­lich, weil es nicht so funk­tio­niert, wie sie oder wir es uns vor­stel­len. Aber die meis­ten machen es bes­ser, als ich es könn­te. Es ist ja nicht so, dass es die­ses Format erst seit der Pandemie gibt. Fernstudium ging teil­wei­se übers Internet, Onlinekurse, „Skillshare“ etc. Das gibt dem Ganzen noch mal einen Push, weil sich jetzt mehr Leute dar­um küm­mern, dass es bes­ser funk­tio­niert. Ich den­ke, dass wir im Grunde alle davon ler­nen kön­nen. Wenn es auch nur ist, dass wir dann in den hof­fent­lich nor­ma­len Alltag zurück­keh­ren und wis­sen, wie gut es uns geht. 

Antonia: Sich auch unter beson­de­ren und unge­wöhn­li­chen Umständen nicht auf­hal­ten zu las­sen. Diese müs­sen einen in sei­nem Lebensweg oder in sei­nem Bestreben, sei­ne Leistungen gut vor­an­zu­brin­gen, nicht ein­schrän­ken. Mir hat sehr gut gefal­len, dass wir trotz die­ser Einschränkungen sehr viel kom­mu­ni­zie­ren muss­ten, sehr kla­re und krea­ti­ve Aufgabenstellungen hat­ten. Ich fand es ganz toll, dass es kein pas­si­ver Unterricht war, von wegen „zuhö­ren, mit­schrei­ben und Haken dran“, son­dern dass mich das trotz der Umstände wirk­lich gefor­dert hat. Man kann sol­che Aufgabenstellungen meis­tern und soll­te sich nicht auf­hal­ten lassen. 

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