Der Studienbeginn — Anfang eines neuen Lebensabschnittes. Oft verbunden mit hohen Erwartungen und noch größeren Hoffnungen. Und dann – eine weltweite Epidemie. Zwischen Kennenlernen aus 1,5 Metern Entfernung, WG-Besichtigungen mit Maske, Fernstudiumsfeeling und Zoom-Fatigue: Fünf Erstsemester erzählen über den wohl ungewöhnlichsten Studienstart.
Die Nesthockerin
2020 sollte das Jahr mit großen Veränderungen für mich sein. Frisch das Abi gemacht und schon ins studentische Leben! Raus aus dem Elternhaus und rein in die Unabhängigkeit. Schluss mit „Solange du die Füße unter meinem Tisch hast“ und Hallo „ich habe meinen eigenen Tisch“. Doch 2020 hat mir leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nein, ich habe keinen eigenen Tisch, auch keinen, den ich mir mit anderen teile. Ich war der festen Überzeugung, dass alles so klappt, wie ich es wollte. Zwar wohne ich in Halle und habe es nicht weit zur Uni, doch wollte ich trotzdem endlich meine eigenen vier Wände haben. Mein Plan war es zum Uni-Start in einer coolen WG zu leben und endlich frei zu sein. Eine Menge WG-Besichtigungen später habe ich immer noch keine WG gefunden.
Unter Coronabedingungen ist alles ziemlich anders, auch die WG-Besichtigungen. Diese waren entweder online oder mit Maske, manchmal auch ohne, aber damit fühlte ich mich nicht sehr wohl. Auf der beliebten Seite „WG-Gesucht“ ließ das Angebot auch ziemlich zu wünschen übrig. Knapp 70 WG-Angebote, davon wollten viele Mitbewohner:innen haben, die schon älter sind (ist das schon Altersdiskriminierung?), manche waren Studentenverbindungen und die wenigen, die übrig blieben, luden mich entweder nicht mehr ein, weil es so viele Bewerber:innen gab oder es hat einfach nicht gepasst. Eine Schwierigkeit schien auch zu sein, dass ich aus Halle komme und die WG-Suchenden Studierende aus anderen Städten bevorzugten, da diese selbstverständlich dringender etwas suchten, als ich es tue.
Drei Monate später wohne ich immer noch zu Hause unter dem Dach meiner Eltern. Versteht mich nicht falsch, es ist ein schönes Dach, aber im Zuge meines Unabhängigkeitsdrangs hätte ich eben auch echt gerne mein eigenes Dach. Wegen der hohen Infektionszahlen liegt meine WG-Suche momentan auf Eis und ich studiere vom Zimmer aus, in dem ich schon seit 19 Jahren lebe. Und momentan ist das auch okay so. Ich bin dankbar, dass ich schon in Halle wohne und trotz fehlgeschlagener Wohnungssuche problemlos studieren kann. Ohne Corona wäre womöglich alles ziemlich anders verlaufen. Ich werde die WG-Suche dieses Jahr neu angehen und bis dahin lebe ich eben kostenlos unter dem Tisch meiner Eltern, das hat doch auch was.
Joana Kalinowski, Politikwissenschaften/Ethnologie
Kein Applaus
Noch bevor ich eigentlich wusste, was eine Immatrikulationsfeier überhaupt ist und dass eine stattfindet, waren die begrenzten Plätze für die Präsenzveranstaltung schon vergeben. Denn im Onlinesemester musste ich lernen, dass man wirklich alles auf jeder Seite lesen muss, um nichts zu verpassen. Die Problematik besteht nur darin, dass einmal nicht ausreicht, denn jeden Tag könnte sich etwas verändern. Informationen, die am Morgen noch aktuell waren, können einem am Abend gar nichts mehr nützen. Für einen Ersti, der sowieso keinen Überblick hat, war das alles manchmal etwas viel.
Letztendlich wäre die Mühe, einen der umworbenen Plätze zu ergattern, dann doch verschwendet gewesen. Denn die Immatrikulationsfeier wurde in Präsenz vollständig abgesagt. Mich persönlich hat es teilweise gefreut, denn die Enttäuschung darüber, dass ich nicht die Chance hatte teilzunehmen, aber andere schon, war groß. Glücklicherweise wurde von der Uni eine Alternative gefunden und man konnte sich die Veranstaltung am 27.10 live auf YouTube ansehen.
Natürlich war es etwas ungewöhnlich. Der Rektor der Universität hält eine Rede und keiner reagiert. Vollkommenes Stillschweigen, alle gucken ihm nur zu wie er von der Bühne runter geht. In der Realität eine unvorstellbar absurde Situation. Die Moderatorin durchbricht zwar kurzeitig diese Spannung, jedoch direkt nach dem nächsten Beitrag verspürt man den Drang zu klatschen, aber einfach nichts passiert. Allein vor dem Computer zu applaudieren ist auch keine Option. Dennoch hat es mich gefreut, dass es trotz der schwierigen Umstände ein offizielles Willkommen für die neuen Studenten gab. Dadurch fühlte man sich ein kleines bisschen mehr angekommen.
Ludmila Nischtschenko, Soziologie/Psychologie
Maske statt Mische
Den Anfang meines Studiums hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt. Mehr Trubel, mehr Feiern — oder vielleicht auch einfach nur mehr soziale Interaktion. Ebendiese beschränkt sich nämlich derzeit auf die etwas verpixelte Ansicht von neutralen bis gelangweilten Mienen am anderen Ende des Bildschirms; vorausgesetzt, dass überhaupt jemand die Kamera eingeschaltet hat.
Aber gut, wer begrüßt auch die Vorstellung, fortan die meiste Zeit des Tages zusammengekauert vor einem Monitor zu hocken und zu hoffen, dass sich die Internetverbindung nicht ausgerechnet bei den wichtigsten Informationen verabschiedet. Zwischen knackenden Headsets und minderlustigen Trollen im Konferenzchat erscheint einem manchmal nur der Geschwindigkeitsregler des Screencasts als Lichtblick im Onlinesemesters.
Gerade die Ersti-Woche — ein sagenumwobenes, oft angepriesenes Highlight des Studienbeginns — fand in unserem Jahrgang schlichtweg nicht statt. Stattdessen gab es, zumindest in der Psychologie, Ende Oktober eine zweitägige Orientierungsveranstaltung — in Präsenz. Kommen durften alle Erstsemester:innen der Psychologie die wollten, was etwa 60 Student:innen entsprach. „Damals“ noch möglich, allerdings natürlich auch unter Voraussetzung bestimmter Hygienerichtlinien, wie einer durchgängigen Maskenpflicht und fest markierten Sitzplätzen im Hörsaal. Zwar diente die Veranstaltung größtenteils nur der Information und Organisation, dennoch war es schön, die Kommiliton:innen zumindest einmal — wenn auch vornehmlich mit Maske — gesehen zu haben. Neben den grundlegenden Informationen gab es auch ein Programm, das sich drei Psychologiestudent:innen aus höheren Semestern überlegt hatten: Kennenlernspiele, ohne das Gesicht der anderen Person wirklich zu sehen, wirken erstmal etwas paradox, erfüllen jedoch im Rahmen der Möglichkeiten trotzdem ihren Soll.
Auch, wenn es faktisch durch das Online-Semester viel weniger Möglichkeiten gibt mit Kommiliton:innen ins Gespräch zu kommen und neue Kontakte zu knüpfen, so habe ich das Gefühl, dass dieser Umstand viele Erstsemester zur festen Entschlossenheit gebracht hat, sich davon nicht aufhalten zu lassen. Es müssen eben andere Wege gefunden werden. Viele sind aufgrund der deprimierenden Aussicht, ansonsten alleine dazustehen, viel offener, auf andere zuzugehen. So lässt sich dann doch ganz gut — wenn auch nur online oder in der Mensa — Kontakt halten und ein regelmäßiger Austausch finden.
Anna Schomberg, Psychologie
Studierende allein zu Haus
Ich sitze vor meinem Schreibtisch, warte bis es zwei Minuten vor dem Termin ist, ehe ich mich zu der Vorlesung zuschalte, es werden noch kurze technische Schwierigkeiten geklärt und dann geht es auch schon los. Nachdem ich die ersten 20 Minuten so konzentriert wie möglich zugehört habe, schaue ich doch kurz auf mein Handy und sehe den Chatverlauf meiner Kommilitonen. Irgendjemand kam wohl nicht rein, schafft es zeitlich nicht und die anderen tauschen sich aus, wie gut man gerade den Ton versteht oder eben auch nicht. Bei einem Blick auf meinen Laptop sehe ich, dass der Professor schon auf einer neuen Folie ist und jetzt irgendwelche komplexen Fragen beantwortet. Bin ich die Einzige, die nicht einmal die Fragestellung des Kommilitonen versteht, geschweige denn so weit war zu dem Thema schon solche Fragen zu stellen?
Und da sind wir auch schon bei dem ersten Problem… Ich kann mich mit niemandem so wirklich vergleichen, sind alle anderen auch gerade so verwirrt wie ich? Oder wie sieht der Durchschnitt meiner Kommilitonen aus? Bin ich mit dem was ich gerade tue im oder unter dem Durchschnitt? Ich kann mich nicht umdrehen, um zu schauen was die anderen gerade denken. Und obwohl es natürlich eine WhatsApp-Gruppe gibt, ist die Überwindung um einiges größer dort eine Frage reinzustellen, ohne Gesichter dahinter zu kennen.
Kleine Lichtblicke sind die kurzen Gruppenarbeiten in den Breakout-Rooms, endlich ein Gesicht sehen, die ersten Wörter des Tages mit anderen wechseln und erkennen, dass man sich darüber einig ist, wie schnell der Professor war oder auch andere die Texte nicht ganz so ausführlich bearbeitet haben.
Irgendetwas Positives muss man dem Online Semester dann aber auch zuschreiben: ich kann essen wann und so laut wie ich will, die Zeiteinteilung kann ich bis auf ein paar Live-Übertragungen so legen, wie ich möchte, um in dieser dunklen Jahreszeit wenigstens die paar hellen Stunden draußen zu verbringen. Ich kann Präsentationen in doppelter Geschwindigkeit hören, wer will sich schon die ewigen Gedankenpausen anhören. Ich muss mich nicht überwinden morgens aus dem Haus zu gehen. Auch wenn in Halle die Wege ja nicht wirklich weit sind, war ich bis jetzt schon an dem ein oder anderen Morgen sehr froh darüber nur kurz vom Bett zum Schreibtisch zu gehen und den Regen und die Kälte nur hinter einem Fenster sehen zu müssen. Und ja, natürlich gibt es weiterhin die Tage, an denen die Motivation am Tiefpunkt angekommen ist und man den Tag lieber im Bett verbringen möchte, aber das wäre wahrscheinlich auch unter normalen Umständen der Fall.
Julia Golde, Politikwissenschaften/Kunstgeschichte
Lost in Halle
Es ist fast, als lebte man durch die Online-Lehre in einer Art digitalen Parallelwelt. Statt spontan mit seinen neuen Mitstudierenden ins Quatschen zu kommen, begegnet man ihnen hauptsächlich in Breakout-Rooms oder über die anonymen Nachrichten einer WhatsApp-Gruppe. Doch nicht nur das Kennenlernen neuer Menschen wird durch die Onlinelehre erschwert – auch was die Stadtkenntnis angeht, bleibt in meinem Fall einiges zu wünschen übrig.
Nicht jeder, der in Halle studiert, hat die Stadt schon mit eigenen Augen gesehen. Was nach einem Fernstudium klingt, ist für einige Erstis der MLU gar nicht so ungewöhnlich. Wer in Leipzig wohnt und vorhatte, zum Studieren nach Halle zu pendeln, hatte seit Beginn des ersten Semesters oft noch nicht wirklich Anlass, nach Halle zu fahren. Auch ich kann meine Besuche in Halle an einer Hand abzählen. Mit der Folge, dass mir meine Unkenntnis über Halles Straßen gepaart mit unterdurchschnittlichen Orientierungsfähigkeiten zum Verhängnis wird. Kürzlich stand ein außergewöhnliches Ereignis in Halle an – ein Tutorium in Präsenz. Naiv wie ich war, glaubte ich mich in der Lage, innerhalb von 15 Minuten mit dem Fahrrad vom Hauptbahnhof zum Seminar für Ethnologie zu finden. Falsch gedacht. Nachdem ich zweimal im Kreis gefahren war, kam ich fast 25 Minuten zu spät und fertig mit den Nerven im Seminarraum an. Von Stadtkenntnis kann also noch nicht die Rede sein – aber immerhin habe ich von meinen Kommiliton:innen mehr gesehen, als nur deren Namen auf meinem Bildschirm.
Bleibt zu hoffen, dass der Tag, an dem es wieder (mehr) Präsenzveranstaltungen gibt, nicht mehr allzu weit entfernt ist. Denn echte Begegnungen mit der Möglichkeit sich face to face auszutauschen sind durch nichts zu ersetzen.
Leonie Uhlemann, Soziologie/Ethnologie