Die Letzte Generation pola­ri­siert mit ihren Aktionen. Nun haben sich Aktivist:innen auch in Halle auf der Straße fixiert. Warum nimmt mensch es auf sich, im Kalten zu sit­zen und von Passant:innen belei­digt und bedroht zu werden?

Treffpunkt: Montag, 7:20 Uhr, Leipziger Straße. Niemand, außer einer Eingeweihten weiß, wann es los geht und wo der Verkehr blo­ckiert wird. Ob wir auch mit zu den Klebern gehö­ren wür­den, wer­den wir gefragt. Nicht von den „Klebern” selbst, son­dern einem der ande­ren anwe­sen­den Reporter. Wir war­ten cir­ca 15 Minuten. Wir gehen eini­ge Meter wei­ter, war­ten wie­der. Wir gehen wei­ter, war­ten wieder.

Die Letzte Generation fixiert sich nahe des Leipziger Turms

Wir ste­hen inzwi­schen nahe der Straßenbahnhaltestelle am Leipziger Turm. Einige Meter wei­ter vor­ne über­que­ren Menschen die viel befah­re­ne Kreuzung zwi­schen Francke- und Riebeckplatz; auf der Prof.-Friedrich-Hoffmann-Straße blei­ben Fußgänger:innen und ein Rollstuhlfahrer ste­hen, zie­hen sich Warnwesten an und blo­ckie­ren die Straße. Mit Sekundenkleber fixie­ren sich acht der zehn Personen auf der Fahrbahn und dem angren­zen­den Fußweg. Ein Hupkonzert ertönt als die an der Ampel war­ten­den Autofahrer:innen rea­li­sie­ren, was pas­siert – letz­te Versuche sich über eine Verkehrsinsel an den Aktivist:innen vorbeizudrängeln.

Aufmerksamkeit

„Fahr sie um” ruft eine Person von wei­ter weg. „Alter, euer scheiß ernst?” sagt eine Person, die neben uns die Straße über­quert. Noch mehr Beleidigungen wer­den fol­gen. Noch zahl­rei­che Autos wer­den hupen. „Ich mache das am Ende auch für den Menschen, der vor mir steht, für den Autofahrer, der vor mir steht und mich anpö­belt. Für den, für die Polizist:in, die mich bald weg­tra­gen wird“, so Pia Osman, Sprecherin der Letzten Generation, wäh­rend ihre Hand auf dem Asphalt klebt; sie kön­ne ver­ste­hen, dass die Menschen wütend sind „es tut mir leid, die Menschen haben es nicht ver­dient, im Alltag gestört zu wer­den, nur weil jetzt ihre Regierungskoalition nicht han­delt, nicht bereit ist zu han­deln, weil sie lie­ber auf die rei­chen ein Prozent [der Bevölkerung] hört – auf ihre rei­chen Freund:innen, auf die Lobbyist:innen.“ Hauptsächlich ist Pia Studierende in Halle und in der Jugendarbeit und Demokratieförderung tätig.

Pia Osman, Sprecherin der Aktivist:innen

Die Regierungskoalition hal­te sich nicht an das Grundgesetz. Die Letzte Generation bezieht sich dabei auf Artikel 20 a: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künf­ti­gen Generationen die natür­li­chen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die voll­zie­hen­de Gewalt und die Rechtsprechung.“

Zu den Forderungen der Letzten Generation gehört ein Gesellschaftsrat: mit­tels Losverfahren sol­len Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen in einer Krisensitzung zusam­men­kom­men und gemein­sam mit Expert:innen Maßnahmen für eine lebens­wer­te Zukunft erar­bei­ten. „Dazu brau­chen wir die Regierungskoalition, dazu brau­chen wir unse­re Abgeordneten, die öffent­lich wirk­sam ver­kün­den, dass sie die­se Notfallsitzung ein­be­ru­fen wer­den, und dass sie auch die dar­an beschlos­se­nen Maßnahmen umset­zen wer­den”, argu­men­tiert Pia.

Als par­la­men­ta­ri­scher Beobachter ist Sebastian Striegel (Bündnis 90/Die Grünen) vor Ort

Von Seiten der Regierung ist ein par­la­men­ta­ri­scher Beobachter vor Ort – Sebastian Striegel, Landtagsabgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ein Interesse der poli­ti­schen Öffentlichkeit sei wich­tig, wenn auch nicht im Sinne einer Parteinahme. „An uns rich­tet sich der Protest. Wir wer­den zum Handeln auf­ge­for­dert – rich­ti­ger­wei­se aus mei­ner Sicht – aber es geht um die Frage, wie agiert die Polizei, wie agie­ren und reagie­ren Bürgerinnen und Bürger auf die­sen Protest. Dafür soll­te sich ein Parlament inter­es­sie­ren und des­we­gen […] gucke [ich] mir das an”.

Opfer, die gebracht werden

Das Verhalten der Polizei lau­fe nach Vorschrift, so Pia. „Sie ist zu uns gekom­men und hat geschaut, gefragt wer klebt und wer nicht, hat sich eben einen Überblick der Lage ver­schafft, hat uns dann als spon­ta­ne Versammlung aner­kannt […]. Der Rettungswagen ist wahr­schein­lich für uns da, es sind öfters mal Rettungswagen, auch bei Blockaden, dabei, eben weil die Polizei sicher­ge­hen möch­te, dass uns auch nichts pas­siert”. Das sei nicht immer so, natür­lich hät­ten sie Polizeigewalt erfah­ren, vor allem auch unver­hält­nis­mä­ßi­ge Schmerzgriffe.

Lösungsmittel und Öl tren­nen die Hände vom kal­ten Asphalt

Wir sehen, wie die Hände der Aktivist:innen auf dem Asphalt durch die Kälte immer blas­ser wer­den.

„Reißen sie die von der Straße run­ter, zum Teufel, wenn das unse­re Zukunft ist, dan­ke schön!” wet­tert eine Seniorin im Vorbeigehen. Unklar ist, was genau sie dabei in unse­rer Zukunft sieht, wel­che Dringlichkeit sie der Klimakrise bei­misst. Eine Dringlichkeit, wel­che die Aktivist:innen dazu bewegt, auf die Straße zu gehen; Ordnungswidrigkeiten, Beleidigungen und Drohungen in Kauf zu neh­men, um für eine lebens­wer­te Zukunft zu kämp­fen. Die letz­te Generation vor den Kipppunkten – dar­auf spielt der Name an.

„Ich mach das ja auch nicht gern und gleich­zei­tig sitz ich hier, weil das, was uns erwar­tet, wenn wir jetzt eben nicht han­deln – und die Zeit läuft ab – noch viel unan­ge­neh­mer [wird]. Dann haben wir jedes Jahr so ein Ahrtal und da sehe ich das als ver­hält­nis­mä­ßig pas­send, dass ich hier eben mor­gens auf der kal­ten Straße sit­ze”, sagt Pia. Sie hat Verständnis für die Wut derer, deren Alltag sie durch ihren Aktivismus stören.

Sich auf die Straße zu kle­ben ist ein Mittel zum Zweck der Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, die es braucht, um die Regierungskoalition zum Handeln zu brin­gen.
Manche der Passanten soli­da­ri­sie­ren sich mit dem Protest. „Tapfer blei­ben“, „Cool“ – auch posi­ti­ve Kommentare mischen sich zwi­schen Hupen und Missmut.

Was folgt

„Über die Protestform kann, darf, muss gestrit­ten wer­den. In der Demokratie muss Protest nicht gefal­len, son­dern es steht in der Verantwortung der­je­ni­gen, die pro­tes­tie­ren […] auch für die­se Regelverstöße hin­ter­her die Sanktionen […] in Kauf zu neh­men”, so Sebastian Striegel.

Die Blockade wird gelöst. Die Mission der Letzten Generation besteht weiterhin

Da die Protestierenden nach mehr­fa­cher Aufforderung sei­tens der Polizei nicht den Versammlungsort ver­las­sen, wer­den sie schließ­lich von der Straße ent­fernt – der Kleber wird gelöst und die kurz zuvor noch Festgeklebten weggetragen.

Pia wer­de sich vor­erst rege­ne­rie­ren, sich um ihre Hand und ihre Mitdemonstrant:innen küm­mern. Längerfristig wer­de sie für die Sache ein­ste­hen und „die Dringlichkeit auch mit fried­li­chem Protest deut­lich machen“. Der Kampf der Letzten Generation geht also weiter.

Es ist nach­voll­zieh­bar, dass die­se Art des Aktivismus pola­ri­siert. Es bleibt abzu­war­ten, wie wir als Gesellschaft damit umge­hen. Welche Perspektiven sind wir bereit zu sehen? Welchem Diskurs tre­ten wir bei? Welche Handlungskonsequenzen zie­hen wir?
Eine Frage von indi­vi­du­el­len Entscheidungen in der Gegenwart mit gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Folgen in der Zukunft.


Wenn ihr euch über die Arbeit der Letzten Generation infor­mie­ren möch­tet: jeden Donnerstag um 18 Uhr und Sonntag um 14 Uhr fin­den online „Krisensitzungen“ statt, in denen über Klima- und Zukunftsthemen gespro­chen wird. Zudem wer­den regel­mä­ßig in ver­schie­de­nen Städten Deutschlands Vorträge gehal­ten. Informationen dazu fin­den sich unter https://letztegeneration.de/.

Text: Renja-Arlene Dietze, Stefan Kranz
Fotos: Stefan Kranz

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