Unsere neue Reihe „Zwischen Menschen“ möch­te mar­gi­na­li­sier­ten Personen eine Plattform bie­ten, erleb­te Diskriminierungen zu tei­len und auf Ungesehenes auf­merk­sam zu machen. In der ers­ten Folge lässt Genaro Euch an sei­nen Gedanken teil­ha­ben: „Zwischen Opferolympiade und Olymp“.

Manchmal, wenn ich so vor mich hin grü­ble und es sich fast so anfühlt, als säße ich auf einer Autobahnbrücke, unter mir PKWs vol­ler Gedanken und Laster vol­ler Laster, überkom­men mich Erinnerungen. Erinnerungen, wie ich mit ande­ren auf dem Schulhof stand und die weni­gen nicht-migran­ti­sier­ten Jungs krampf­ haft ver­such­ten, einen eige­nen eth­ni­schen Hintergrund zu fin­den, um auch zu uns zu gehö­ren. Da war zum Beispiel Kevin, er war min­des­tens zu 1/16 Russe und ganz sicher zu 1/8 Franzose – war­um soll­te er nicht eben­so laut lei­den wie wir, wenn der Lehrer zu uns sagt, wir sol­len auch im Knast noch wei­ter ler­nen? Eine Situation, die mir spä­ter als Opferolympiade im Buch “Der wei­ße Fleck” von Mohamed Amjahid wie­der begeg­ne­te, kam mir damals zwar skur­ril, kei­nes­falls aber pro­ble­ma­tisch vor. Heute tra­gen Situationen wie die­se aus­schlag­ge­bend dazu bei, dass ich mich schä­me, wenn ich von mei­nen Erfah­rungen berich­te. Ich fühl mich wie der Impo­stor, der Junge, der lan­ge schon nicht mehr auf den Schulhöfen mei­ner Erinnerungen herum­ wan­dert. Stattdessen gehö­re ich nach einem lan­gen, schwe­ren Weg zur Elite – Ich stu­die­re.
Ich schrei­be die­sen Satz nicht ohne Stolz. Ich stu­die­re. Das ist ein Umstand, der für mich, wie für mei­ne alten Schulfreunde, kaum denk­bar war. Eine Erfolgsgeschichte, die nach die­sem Satz getrost enden könn­te, alle wären hap­py – der Kanake von damals hat sich gut in der Gesellschaft ein­ge­fun­den und Deutschland hat ’nen pri­ma Job gemacht, ihm dabei zu hel­fen. Es tut mir leid, werte:r Leser:in, das soll’s noch nicht gewe­sen sein.

Meine Mutter ist deutsch, mein Name ist euro­päisch, mein Hautton hat die „gute“ Art von Braun – gera­de noch weiß genug, um nicht auf­zufallen. Früher wur­de mir von wei­ßen Aka­demiker:innen abge­spro­chen, dazu zu gehö­ren, heu­te wird mir von wei­ßen Akademiker:innen abge­spro­chen, mich nicht dazu­ge­hö­rig zu füh­len, und wie­der wird mein impos­tor phe­no­me­non getrig­gert – wo ist mein Platz? Soll ich mit mei­nem „hal­ben“ Leid hau­sie­ren gehen? Soll ich erzäh­len, wie ich mit 16 Jahren von vier wasch­ech­ten Faschos miss­han­delt wur­de, wie ihre Zigaretten mit der Zeit als stum­me Zeugen ihrer Tat für immer mei­ne Hände und Arme schmü­cken? Wie der Polizist mich danach frag­te, war­um ich mich nicht weh­re – ich sei doch ein „statt­li­cher Mann“? Oder soll ich zufrie­den nicken, mich bedan­ken, dass ich jetzt dazu gehö­re? Versteht mich nicht falsch, ich möch­te dazu gehö­ren, ich möch­te Teil von die­ser Uni sein, aber ich möch­te auch mein gan­zes Ich bewahren.

Wie die meis­ten, die das hier lesen wer­den, stu­die­re ich an einer nach einem Antisemiten benann­ten Universität in Halle an der Saale. Einer Universität, die als ein­zi­ge Anlaufstelle für migran­ti­sier­te Personen die „Präventions­ und Beratungsstelle Antidiskriminierung“ anbie­tet. So sehr ich ihre Arbeit im intersek­tional femi­nis­ti­schen Bereich auch schät­ze, so ist es doch eine Beratungsstelle von wei­ßen Menschen, die ras­sis­ti­sche Erfahrungen wohl schwer nach­füh­len kön­nen. Es bedarf auch auf struk­tu­rel­ler Ebene mehr Aufmerksamkeit für mar­gi­na­li­sier­te und migran­ti­sier­te Personen, um dem ursprüng­li­chen Begriff der Universi­tät (Gesamtheit) gerecht zu werden.

Ich ver­su­che einer­seits in mei­ner Funktion als Ally mein Wissen mit ande­ren pri­vi­le­gier­ten Menschen zu tei­len, gleich­zei­tig möch­te ich dar­auf hin­wei­sen, dass Aufklärungsarbeiten nicht allein von mar­gi­na­li­sier­ten Personen zu tra­gen ist. Was wir alle machen kön­nen, ist mehr zuzu­hö­ren, sich mit den eige­nen Privilegien aus­ein­an­der­zu­set­zen, auch wenn es sich im ers­ten Moment nach Verlust und Angriff anfühlt. Versuchen wir acht­sa­mer miteinan­der zu sein und auch im stres­si­gen Unialltag ehr­lich die Bedürfnisse ande­rer zu erfra­gen und wahr­zu­neh­men, so hel­fen wir uns allen.

Text: Genaro Heuer

Illustrationen:
Certified su (CC BY 2.0) flickr.com/photos/certified_su/229016531/
Sam Bald (CC BY 2.0) flickr.com/photos/28931095@N03/5345386518/

• Fühlst auch Du Dich dis­kri­mi­niert? Unsere neue Reihe „Zwischen Menschen“ möch­te mar­gi­na­li­sier­ten Personen eine Plattform bie­ten, erleb­te Diskriminie­rungen zu tei­len und auf Ungesehenes auf­merk­sam zu machen. Möchtest Du die Möglichkeit nut­zen, Deine Erfahrungen und Gedanken zu dem Thema unge­fil­tert dar­zu­stel­len? Nimm Kontakt mit uns auf unter zwi­schen-men­schen [at] pos­teo [dot] de.

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