Die MLU wird zukünftig den Gürtel enger schnallen müssen. Die Kürzungen an unserer Universität machen vor keiner Fakultät halt. Ein Interview mit Prof. Dr. Dariush Hinderberger vom Institut für Chemie liefert Antworten, warum das auch eine Chance sein kann.
Da gibt es verschiedene Ebenen. Ich kann darüber als Professor des Instituts für Chemie sprechen, habe aber durch die Arbeit in der Forschungs- und Personalentwicklungskommission auch etwas Einblick in die Entstehung des Papiers gehabt, das im April im Senat beschlossen wurde. Die Haushaltsdebatte hat eine Vorgeschichte. Wir wurden in den letzten Jahren relativ üppig mit Mitteln aus dem Hochschulpakt zur Sicherung der Lehre und Qualität subventioniert, wodurch strukturell fehlendes Geld kompensiert werden konnte. Da diese Mittel nun nicht mehr so üppig fließen wie noch vor einigen Jahren, brechen alte Risse auf. Dies war der Anlass, weshalb Anfang des letzten Jahres die Reißleine gezogen wurde und es zu Stellensperrungen kam.
Die Debatte hat uns jetzt eingeholt. Man hätte sie aber vor fünf bis sechs, vielleicht auch noch vor drei bis vier Jahren führen können, um nach Alternativen zu schauen, wie die Universität an die vom Land Sachsen- Anhalt zur Verfügung gestellten finaziellenfinanziellen Mittel angepasst werden kann. Diese Debatte und das entsprechende Papier sind nun aus der Not heraus geboren, was zu den Verwerfungen geführt hat, die wir gesehen haben: Proteste von Studierenden und vielen Instituten und Bauchschmerzen bei den Leuten, die im Senat am Ende darüber abgestimmt haben. Da hat sicher niemand leichten Herzens zugestimmt.
Die Debatte ist in einem Papier kulminiert, in dem Vorschläge gemacht werden, welche Posten innerhalb der Universität nicht mehr widerbesetzt werden sollen. Das Ganze ist mit vielen Fragezeichen versehen, da sich auch das Land nicht sicher ist, ob nicht viel zu viel weggenommen werden soll. An unserem Institut blicken wir nun nach vorne und planen mit zwei Professuren weniger.
Welche Maßnahmen wurden seitens der Universität unternommen, um dem Haushaltsdefizit entgegenzuwirken?
Offensichtlich zu wenige. Ich mache aber keinem persönlich einen Vorwurf, dass zu einem Zeitpunkt als scheinbar genug Geld da war, niemand eine solche Debatte angestoßen hat. Aber das wäre die Zeit gewesen, als wir es hätten machen können. Stellensperren oder Nichtbesetzungen sind im Grunde nur Zusatzmaßnahmen. Die eigentliche Problemfrage wäre: Spart man quer durch alle Fakultäten oder schließt man ein bestimmtes Fach komplett? Das wäre eine strategische Entscheidung gewesen und die Chance eine Strukturdebatte zu führen. Das war aber in der jetzigen Situation nicht mehr möglich. Von daher muss man selbstkritisch sagen, dass zu wenig von allen getan wurde, die in verantwortlichen Positionen waren. Wir sollten dem allerdings nicht nachtrauern, sondern schauen, dass wir die Strukturen nun sinnvoll anpassen können.
Welche Folgen ergeben sich für die Naturwissenschaftlichen Fakultäten?
Die Naturwissenschaftlichen Fakultäten leisten einen relativ großen Beitrag zu den Kürzungen. Die Naturwissenschaftliche Fakultät II gibt fünf Professuren ab, die anderen beiden Fakultäten wohl jeweils vier. Viele unserer experimentellen Arbeitsgruppen haben große Geräteparks, die nicht allein von einer Professur geführt werden können. Deshalb haben wir oft mehr Mitarbeiter als die Kolleginnen und Kollegen aus den Philosophischen Fakultäten. Wenn man an unserer Fakultät drei Professuren einspart, müsste man für den gleichen Effekt vier oder vielleicht noch mehr Professuren aus den Philosophischen Fakultäten einsparen. Von daher ist das unser Beitrag, den wir nun leisten müssen. Wenn man nach Kriterien wie Forschungsstärke, Lehrstärke oder Qualität der Lehre und Forschung hätte sparen wollen, wären ganz andere Diskussionen entstanden. Dann hätten wir in den Naturwissenschaftlichen Fakultäten, die in den Rankings recht gut dastehen, vielleicht gesagt, das sei unfair. Das ist aber nicht so und auch ein Stück weit die Solidarität mit den anderen Fakultäten.
Auf welche veränderten Bedingungen muss ich mich als Studienanfänger einstellen, wenn ich in den nächsten Jahren ein Studium zum Beispiel der Chemie oder Physik an der MLU beginnen möchte? Muss man möglicherweise mit Wartezeiten bei Praktika oder einer reduzierten Geräteausstattung rechnen?
Das würden Sie als Student gar nicht merken. Die Studiengänge Chemie und Physik werden immer für die sehr gute Studierbarkeit ausgezeichnet. Wir kennen im Prinzip nach den ersten Semestern unsere Studierenden mit Namen. Das ist in vielen anderen Fakultäten nicht so. Wir haben durchaus ein sehr gutes Betreuungsverhältnis. Die zur Verfügung stehenden Mittel sind natürlich etwas reduziert, aber das werden Sie als Studierende nicht spüren. Da kann ich ganz beruhigt sagen: gerade Chemie, Physik und Mathematik bei uns an der Fakultät könnenSie auch weiterhin unter sehr guten Bedingungen studieren.
Was lässt sich Positives aus der Debatte mitnehmen?
Wir haben in der Forschungs- und Personalentwicklungskommission versucht belastbare Datengrundlagen an das Rektorat zu liefern. Dabei konnten Publikationsleistungen aufgrund der Kürze der Zeit leider kaum berücksichtigt werden. Dafür haben wir aber andere Dinge angeschaut, zum Beispiel Drittmittel für die Forschung von der EU, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem DAAD, der Humboldt- Gesellschaft oder von Industriefirmen. Wir konnten sehen, wie lange Promotions- oder Studiendauern sind und haben so eine relativ wertvolle Datenbasis erhalten, um zu schauen, wo wir besser werden können.
“Eine gewisse Diversität wäre sicher auch nicht schlecht, um vielleicht einen anderen Blickwinkel auf bestimmte Aspekte zu bekommen.”
Zudem sollte die Debatte innerhalb der Institute auch ein Anlass gewesen sein, sich die generelle Orientierung zu überlegen. In welche Richtung wollen wir mit unserer Forschung und Lehre gehen? Brauchen wir alles, was wir haben oder wäre es vielleicht sinnvoller auch mal etwas zu schließen, um aus der Spirale herauszukommen, dass immer neue Studiengänge aufgemacht werden, um die eigene Existenz zu begründen. Da sollte man vielleicht mehr auf Qualität statt auf Quantität setzen. Genauso muss man für die Forschung schauen, was uns an Qualität oder Expertise fehlt, wenn eine Professur wegfällt, und wie man das kompensieren kann. Wir sind eine Universität und sollten uns konstant hinterfragen. Dafür ist jetzt, nach Verabschiedung des Papiers und auf der Datengrundlage, die wir uns intern geliefert haben, genau der richtige Zeitpunkt.
Nun noch eine Frage aus aktuellem Anlass: Bei den diesjährigen Hochschulwahlen haben sich aus den naturwissenschaftlichen Fakultäten nur sehr wenige Kandidaten für den Studierendenrat und den Senat aufstellen lassen. Haben Sie eine Idee, wie man zukünftig mehr Studierende aus diesen Fakultäten motivieren könnte, sich hochschulpolitisch zu engagieren?
Das hängt natürlich von der Kultur des Fachbereiches ab. Wenn man Politikwissenschaften studiert, liegt es einem vielleicht näher, sich an der Hochschulpolitik zu beteiligen, weil da einfach Interessen eine gewisse Rolle spielen. Trotzdem könnte man auch mehr Werbung machen, zum Beispiel über die Studierendenzeitschrift, um die Kommilitoninnen und Kommilitonen aus diesen Bereichen anzusprechen. Eine gewisse Diversität wäre sicher auch nicht schlecht, um vielleicht einen anderen Blickwinkel auf bestimmte Aspekte zu bekommen. Es hängt oft mit engagierten Einzelpersonen zusammen, die dort mitmachen und das in ihre Jahrgänge tragen. Klar ist: wenn Sie zu festen Zeiten im Labor stehen müssen, dann geht zu diesen Zeiten eben nichts anderes. Von daher ist die Struktur der Studiengänge ein Grund, warum aus unseren Fächern etwas weniger Initiative kommt. Vielleicht könnten wir als Professorinnen und Professoren da auch mehr Werbung machen.
Gibt es zum Abschluss noch etwas, das Sie gerne loswerden möchten?
Mir wäre wichtig, dass wir nicht versuchen Lehre und Forschung gegeneinander auszuspielen. Manche sagen vielleicht wir achten die Lehre nicht so hoch wie die Forschung, aber das stimmt nicht. Ich sehe mich nach wie vor dem humboldtschen Ideal der Einheit von Forschung und Lehre verpflichtet. Wenn man auf hohem Niveau Forschung betreiben kann, dann profitieren die Studierenden besonders, weil sie bei uns in den Arbeitskreisen Praktika absolvieren und Dinge lernen, die wirklich modern und am Puls der Zeit sind. Wir sind keine Ausbildungsanstalt, die Leute für den Arbeitsmarkt produziert, sondern sollten das Ideal von Forschung und Lehre zusammendenken.
Foto: Uni Halle