Ostdeutsche Künstlerinnen im Portrait 

Kun­st sowie Künstler:innen aus der DDR erfahren im gesamt­deutschen Kun­stkanon wenig Aufmerk­samkeit, die Arbeit­en sind größ­ten­teils unbekan­nt. Die Ausstel­lung “Wieder • Sehen. Berlin­er Kün­st­lerin­nen und Kün­stler tre­f­fen Hel­ga Paris” bietet genau diesen Men­schen und Werken eine Bühne. 

Die Kun­sthalle auf der Tal­straße ist von außen ein recht unschein­bar­er Bau. Etwas gedrun­gen ste­ht das Haus in ein­er sich kringel­nden Straße in Saalenähe, nicht weit ent­fer­nt von der Burg Giebichen­stein. An der Fas­sade hängt ein großes Selb­st­por­trait der Fotografin Hel­ga Paris, der mit ihren Por­traits, neben den Werken ander­er ost­deutsch­er Künstler:innen, eine ganze Ausstel­lung gewid­met ist. 

Häuser und Gesichter 
Fotografien von Hel­ga Paris

Hel­ga Paris, geboren 1938 in Goll­now in Pom­mern, ist eine durch All­t­ags­fo­tografien in der DDR bekan­nt­ge­wor­dene Fotografin. Eigentlich studierte sie Mod­egestal­tung, doch ihre Begeis­terung für Fotografie war so groß, dass sie im Alter von 26 Jahren begann, sich das Handw­erk selb­st­ständig beizubrin­gen. Sie doku­men­tierte mit ihrer Arbeit unter anderem in den 1980er-Jahren die Stadt Halle, da ihre Tochter zu dieser Zeit hier studierte. Bröck­el­nde Fas­saden, zer­löcherte Fach­w­erkhäuser, Kräne sowie Men­schen mit Horn­brillen, in Schürzen, auf Sim­son-Mope­ds oder hin­ter gek­löp­pel­ten Gar­di­nen waren zu jen­er Zeit Objek­te ihrer Arbeit. Der Zer­fall der Stadt schien Hel­ga Paris in seinen Bann zu ziehen. Später wurde sie Mit­glied der Akademie der Kün­ste Berlin, seit 2008 fotografiert sie nicht mehr beruflich. 

Ist das Kunst oder kann das weg? 

„In den let­zten großen Ausstel­lun­gen der DDR [waren] nicht ein­mal 25 Prozent Kün­st­lerin­nen vertreten“, berichtet das monopol Mag­a­zin für Kun­st und Leben. Auch viele Ausstel­lun­gen, die sich im wiedervere­in­ten Deutsch­land mit der DDR auseinan­der­set­zten, waren und sind sehr män­ner­do­miniert. Dies hat unter anderem mit der männlich geprägten Schrei­bung von Kun­st­geschichte sowie der Entwer­tung ost­deutsch­er Kul­tur nach der Wiedervere­ini­gung zu tun. Patri­ar­chale Gesellschaftsstruk­turen führten dazu, dass Frauen ein­er­seits weniger Zugang zu kün­st­lerisch­er Arbeit hat­ten und ander­er­seits weib­liche Kun­st, auch inter­na­tion­al, als min­der­w­er­tig betra­chtet wird. Dies spiegelt sich eben­so in den Verkauf­spreisen der Kunst­werke von Frauen wieder. In der Ver­fas­sung ver­ankerte die DDR im Jahr 1949 geset­zlich die Gle­ich­berech­ti­gung der Frau, den­noch entsprach dies bei weit­em nicht der Wirk­lichkeit, was sich an der Sit­u­a­tion von weib­lichen Kun­stschaf­fend­en abze­ich­nete. „Kün­st­lerin­nen waren in der DDR grund­sät­zlich anerkan­nt, sie kon­nten an ein­er Hochschule studieren und durch die Mit­glied­schaft im Ver­band bilden­der Kün­stler war gewährleis­tet, dass sie qua­si vollbeschäftigt und anders als Kol­legin­nen im West­en durch regelmäßige Aufträge ökonomisch rel­a­tiv unab­hängig waren. Vie­len wurde aber auch die Mit­glied­schaft im Ver­band ver­wehrt. […] In den Ver­bandsstruk­turen und kün­st­lerischen Insti­tu­tio­nen, ger­ade in Hin­blick auf Führungspo­si­tio­nen, gab es natür­lich eine aus­geprägte Geschlechter­hier­achie. Zugänge zu bes­timmten Posi­tio­nen waren für Frauen ein­fach nicht gegeben. An den Kun­sthochschulen gab es kaum Pro­fes­sorin­nen, und wenn, dann waren diese oft die Part­ner­in­nen von renom­mierten Pro­fes­soren“ so die Kunst­wissenschaft­lerin und Kun­sthis­torik­erin Ange­li­ka Richter. 

Öl auf Leinwand 

Die Objek­te auf Christa Böhmes Ölgemälden ver­schwim­men fast miteinan­der. Man kön­nte glauben, sie hätte die Far­ben auf ihrer Palette nie abge­waschen, son­dern stetig nachge­füllt und ein Bild nach dem anderen gemalt, so ähn­lich sind sich die Farb­schema­ta. Ihre Bilder wirken, als hätte sie darüber geweint. Sie sind durch­zo­gen von Wasser­spuren, welche sich in das geord­nete Chaos der Far­ben naht­los ein­fü­gen. Ihre Bilder sind unter den ersten, die man betra­chtet, wenn man den linken Teil der Galerie betritt. Böhme wurde 1940 in Berlin-Herms­dorf geboren und studierte bis in die 1960er-Jahre in West­ber­lin Grafik und Malerei. Die Liebe zog sie schließlich nach Ost­ber­lin, wo sie 1964 ihren Ehe­mann Lothar Böhme heiratete und von da an als freis­chaf­fende Kün­st­lerin in Pankow tätig war. Nach der Geburt ihrer bei­den Kinder wurde sie 1966 Mit­glied im Ver­band Bilden­der Kün­stler der DDR. Wie Ange­li­ka Richter bere­its the­ma­tisierte, war eine Mit­glied­schaft für Künstler:innen zu der Zeit von exis­ten­zieller Bedeu­tung, da sie nur so Zugang zum staatlichen Kun­sthandel hat­ten und die Möglichkeit beka­men, öffentliche Aufträge zu erhal­ten. Außer­dem war eine Mit­glied­schaft der einzige Weg zu ein­er freis­chaf­fend­en Tätigkeit, zudem war sie ver­bun­den mit zahlre­ichen Vorteilen, beispiel­sweise einem gün­stigeren Steuer­satz, ein­facherem Zugang zu Verkauf­s­möglichkeit­en sowie die Chance auf den Erhalt eines Kun­st­preis­es. „Der Ver­band fungierte auch als Ver­mit­tlungsin­stanz für die von der SED und dem Min­is­teri­um für Kul­tur staatliche vorgegebene Kul­tur­poli­tik; zu den Haup­tauf­gaben zählten die Förderung der fach­lichen Entwick­lung sein­er Mit­glieder und deren soziale Unter­stützung als auch ihre poli­tisch-ide­ol­o­gis­che Anleitung und Lenkung.“ Von 1977 bis 1980 war Christa Böhme Meis­ter­schü­lerin bei dem Maler und Grafik­er Wil­helm Schmied, ab 1980 lehrte sie selb­st an der Kun­sthochschule Berlin-Weißensee. Man kann sie der Berlin­er Schule zuord­nen, welche sich gegen die Kun­strich­tung des sozial­is­tis­chen Real­is­mus stellte und sich stattdessen in die von der Ide­olo­gie der DDR abge­wandte Inner­lichkeit der Malkul­tur zurück­zog. Am 17. März 1991 nahm sich Christa Böhme im Alter von 50 Jahren das Leben. 

Gips, farbig bemalt 
Werke von Christa Böhme und Sab­ri­na Grzimek

Geht man ein paar Schritte weit­er, in den näch­sten Raum, begeg­net man den Skulp­turen der Bild­hauerin Sabi­na Grz­imek. Diese sind unruhig, aber greif­bar, etwas komisch und trotz ihrer Grob­heit an den selt­sam­sten Stellen detail­re­ich: Betra­chtet man ihr auf­fäl­lig­stes Werk in der Ausstel­lung, das wein­traube­nessende Kind, so fällt einem unmit­tel­bar der riesige, schmale und unpro­por­tion­al große Kopf auf. Die Augen quellen daraus her­vor, als wür­den sie vor Gier auf die schemen­haft mod­el­lierte Traube gle­ich aus ihren Höhlen hüpfen, die Fersen dage­gen sind glatt und die Zehen in kor­rek­ter Anzahl her­aus­gear­beit­et. Die Hände sind allerd­ings dau­men­los, die Fin­ger lang und knochig, wie abgemagerte Stöckchen winden sie sich um die Traube. Trotz ihrer Komik hat die Skulp­tur etwas ästhetis­ches, faszinieren­des, ihre eigene Schön­heit. Sabi­na Grz­imek ist Kind eines Bild­hauers und ein­er Malerin und wurde 1942 als ihre älteste Tochter in Rom geboren. In den 1950er-Jahren zog sie nach der Schei­dung ihrer Eltern nach Berlin-Pankow, zu Beginn der 1960er-Jahre ver­brachte sie ein Jahr an der Porzel­lan­man­u­fak­tur Meißen bei Dres­den. Die renom­mierte Porzel­lan­man­u­fak­tur mit dem Logo der gekreuzten Schw­ert­er ist mit ihrer Grün­dung im Jahr 1710 durch den säch­sis­chen Kur­fürsten, August den Starken, die älteste Porzel­lan­man­u­fak­tur Europas. Sie ste­ht für eine hohe Porzel­lan­qual­ität und fil­igranes Kun­sthandw­erk. Der Export des gefragten Porzel­lans war außer­dem wirtschaftlich wichtig für die DDR. Im Jahr 1962 begann Grz­imek, an der Kun­sthochschule Berlin-Weißensee Bild­hauerei zu studieren. Nach ihrem Abschluss arbeit­ete sie als Bild­hauerin, Malerin und Grafik­erin in Pren­zlauer Berg. Ab 1969 war sie drei Jahre lang Meis­ter­schü­lerin bei dem Bild­hauer, Grafik­er und Zeich­n­er Fritz Cre­mer. Ihre erste bedeu­tende Ausstel­lung wurde 1970 von der staatlichen Galerie Moritzburg Halle beherbergt, diese stellte sie gemein­sam mit dem in Halle gebore­nen Maler Rolf Händler auf die Beine. Es fol­gten weit­ere Ausstel­lun­gen, beispiel­sweise im Leon­hardimu­se­um Dres­den, in der Nation­al­ga­lerie Berlin, aber auch inter­na­tion­al wie beispiel­sweise im Kun­st­mu­se­um Basel oder in der Galerie Z in Paris. Als Wertschätzung für ihre Arbeit erhielt Sabi­na Grz­imek 1983 den Käthe-Koll­witz-Preis. Dieser wurde von der Deutschen Akademie der Kün­ste unter dem Maler und Berlin­er Ehren­bürg­er Otto Nagel ver­liehen und brachte auch die staatliche Anerken­nung von Grz­imeks Kun­st zum Aus­druck, da die Ver­lei­hung der Preise durch den Min­is­ter­präsi­den­ten der DDR genehmigt wor­den war. Zulet­zt kon­nte man die Werke der Kün­st­lerin in ver­schiede­nen Ausstel­lun­gen in Quedlin­burg und Magde­burg sehen. Zu ihren Hauptwerk­stof­fen gehören vor allem Bronze und Gips, einige ihrer Skulp­turen sind in ver­schiede­nen Stadt­teilen Berlins zu bewundern. 

Lebhaft schwarz-weiß 

Die Por­trait­fo­tografien der Künstler:innen sind auf grau lasierten Holztafeln aus­gestellt, auf denen sie in den Räu­men der Ausstel­lung, gefüllt mit unter­schiedlich­sten Kunst­werken, fast unterge­hen. In der Ausstel­lung sind sie dezent und unscheinbar. 

Zwei Ausstel­lungsräume sind nur den Fotografien von Hel­ga Paris gewid­met; bere­its auf der Treppe stim­men Bilder, darunter Auf­nah­men der ost­deutschen Schrift­stel­lerin­nen Sarah Kirsch und Christa Wolf, die Besucher:innen ein. Die Räume sind klein, aber prall gefüllt und im Ein­gangsraum wird man von einem Selb­st­por­trait der Fotografin begrüßt, welch­es sie mit ihrer Nikon vor einem Spiegel schoss. Die schwarz-weißen Arbeit­en sind voller Leben und Bewe­gung. Hel­ga Paris fängt die Men­schen in ihrem All­t­ag ein: In ihren Ate­liers beim Nach­denken, in der Pause, zwis­chen ihren Arbeit­en, beim Rauchen, Tanzen, auf der Straße. Wenn man die Bilder betra­chtet, hat man das Gefühl, die Sinnkrisen, den Zweifel, den Stolz und die Trau­rigkeit der Künstler:innen her­ausle­sen zu kön­nen. Das Strahlen in den Augen, die Erschöp­fung. Man hört das Gelächter und riecht das frisch geback­ene Brot, welch­es auf dem Gar­ten­tisch aufgeschnit­ten wurde, kann das hochgewach­sene Gras beim Spazier­gang zwis­chen den Fin­gern spüren. Die Fotografien sind nah­bar, sim­pel und den­noch poetisch. 

Abgerun­det wird der Ausstel­lungs­be­such von dem Skulp­turen­garten, einem roman­tis­chen Felsen­garten, welch­er beispiel­sweise Werke von Dana Mey­er oder Georg Mann beherbergt. Wenn man die Stein­trep­pen hin­ter sich gelassen hat, bietet der Garten außer­dem eine tolle Aus­sicht über die Stadt. 

Die Ausstel­lung kann noch bis zum 5. Feb­ru­ar 2023 besucht wer­den. Für Studierende kostet der Ein­tritt 5€, Student:innen der Burg Giebichen­stein, sowie der Kun­st­geschichte an der Mar­tin-Luther-Uni­ver­sität haben freien Ein­tritt. Weit­ere aus­gestellte Künstler:innen sind Man­fred Böttch­er, Wil­fried Fitzen­re­it­er, Dieter Goltzsche, Wolf­gang Leber, Har­ald Met­zkes, Ronald Paris, Char­lotte E. Pauly und Núria Queve­do. 

Text und Fotos: Hen­ri­ette Schwabe

0 0 vote
Arti­cle Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments