Eine his­to­ri­sche Spurensuche, wie aus dem hei­li­gen St. Nikolaus Santa Claus wur­de und wie die­se Entwicklung unse­re moder­ne Vorstellung vom Weihnachtsfest prägt. 

„Püppchen, Zinnsoldaten oder ein Schaukelpferd? Was du wün­schest”, heißt es im Kinderlied ‚Was bringt der Weihnachtsmann‘ aus dem 19. Jahrhundert. Heute kann man sich die Diversität der glo­bal ver­schick­ten Wunschzettel kaum aus­ma­len. Von Norwegen bis Ägypten, Peru bis Singapur haben sich auf der gan­zen Welt Schenktraditionen ent­wi­ckelt, die im Ursprung auf das Fest der Geburt Jesu Christi zurück­ge­hen. Auch wenn sich die Länder in ihrer Verbundenheit zum Christentum unter­schei­den, eint sie doch ein mar­kan­tes Symbol moder­ner Weihnachtskultur: Der dick­bäu­chi­ge, rot­be­man­tel­te Greis, mit Sack, Rentier und fröh­li­chem Blick. Ihn lie­ben die Kinder für sei­ne all­um­fas­sen­de Güte, auch wenn der Gedanke an die stra­fen­de Rute, bis heu­te manch Wartestund‘ vor der Bescherung lang wer­den lässt. Hoffend, trotz all der klei­nen Sünden des letz­ten Jahres das neue Smartphone aus der Verpackung zu zie­hen, wird aber wohl kaum ein Kind, zumin­dest in unse­ren Breiten, vom Weihnachtsmann ent­täuscht. Kein Wunder, dass die Zahl der Kirchenbesucher:innen an Heiligabend seit Jahren rück­läu­fig ist, bei all die­ser Barmherzigkeit. An der Geschichte von Santa Claus spie­gelt sich auch die Entwicklung der kapi­ta­lis­ti­schen Postmoderne. 

Von Antalya komm ich her  
Im tür­ki­schen Demre ist Nikolaus noch heu­te anzutreffen

Angefangen hat alles vor lan­ger Zeit im Oströmischen Reich, genau­er auf dem Gebiet der heu­ti­gen Türkei. Einige Jahre, nach­dem Konstantin der Große im Jahr 312 als ers­ter römi­scher Kaiser zum Christentum kon­ver­tier­te, starb womög­lich an einem frü­hen Dezembertag ein Mann, der noch heu­te als bekann­tes­ter Heiliger der katho­li­schen Kirche gilt: Nikolaus von Myra. Viele Legenden ran­ken sich um sein Leben. Die Rede ist von Totenerweckungen, Seesturmstillungen und der Abwendung einer Hungersnot. Drei Jungfrauen, die wegen fami­liä­rer Armut in die Prostitution ver­kauft wer­den soll­ten, brach­te er Goldsäckchen in der Nacht, ein ers­ter Hinweis auf die Ursprünge des weih­nacht­li­chen Schenkens. In sei­ner Grabeskirche in Patara (heu­te: Demre), male­risch gele­gen in der belieb­ten Urlaubsregion Antalya, lager­ten die sterb­li­chen Überreste bis ins 11. Jahrhundert. Als dann die Seldschuken aus dem Osten kom­mend Anatolien erober­ten, wur­de mit dem Byzantinischen Reich auch der christ­li­che Einfluss in der Region zurück­ge­drängt. Beunruhigte ita­lie­ni­sche Seefahrer brach­ten die Reliquien ihres Schutzpatrons übers Mittelmeer nach Bari, wo die­se bis heu­te in einer Basilika auf­be­wahrt wer­den. Französische Nonnen began­nen im 12. Jahrhundert wohl erst­mals damit, am Vorabend sei­nes Gedenktages, dem 6. Dezember, Kindern klei­ne Gaben in auf­ge­häng­te Wollsocken zu stecken. 

Die Rute wird berechnet  
Ein Fresko des hei­li­gen St. Nikolaus in sei­ner Grabeskirche in Demre

Martin Luther selbst wird es zuge­schrie­ben, im Zuge der Reformation die Schenktradition des hei­li­gen Nikolaus auf den ers­ten Weihnachtsfeiertag gelegt zu haben. Luther dis­kre­di­tier­te die Anbetung katho­li­scher Heiliger als Gottesabkehr. Fürbitte dür­fe nur von Christus selbst kom­men und nur das Christkind die Gaben brin­gen. Noch heu­te spielt die engels­haf­te Kindergestalt, iro­ni­scher­wei­se in vie­len katho­li­schen Regionen Europas, für die Bescherung eine wich­ti­ge Rolle. Dennoch brei­te­te sich in den fol­gen­den Jahrhunderten das Symbol des Weihnachtsmannes über den Erdball aus. In Russland kam Väterchen Frost in Begleitung des Schneemädchens, in den Niederlanden Sinterklaas, wel­cher durch christ­li­che Symbolik bis heu­te Bezug zum his­to­ri­schen Ursprung bewahrt hat. Im 19. Jahrhundert wur­den in Thüringen Grußkarten gefer­tigt, mit moder­nen, rot- wei­ßen Weihnachtsmännern als Motiv. Seine Attribute: Fröhlichkeit und Güte, aber auch stra­fen­de Strenge, in Form einer höl­zer­nen Rute, die zum Teil auch von sei­nem Knecht Ruprecht geführt wird. So wur­de das Weihnachtsfest durch die Erziehungsideale der euro­päi­schen Moderne nach und nach sei­ner reli­giö­sen Grundlagen ent­ho­ben. Der vom aske­tisch- bibel­treu­en und ernst drein­bli­cken­den Nikolaus ent­frem­de­te Weihnachtsmann küm­mer­te sich nicht mehr um das Jenseits, son­dern voll­streck­te sein Urteil über die Taten der Kinder all­jähr­lich in den Wohnzimmerstuben Mitteleuropas. 

Taste the Feeling  

Mit dem Aufstieg Amerikas zur glo­ba­len Wirtschaftsmacht voll­zog auch der Weihnachtsmann eine letz­te und fol­gen­schwe­re Verwandlung, wel­che unse­re Einstellung zum Weihnachtsfest bis heu­te prägt. Gewiefte Marketingstrategen such­ten im Geldrausch der 1920er Jahre nach neu­en Möglichkeiten, den wäh­rend der Wintermonate sin­ken­den Absatz einer koka­in­ver­setz­ten Erfrischungsbrause anzu­kur­beln. Sie enga­gier­ten Cartoonist H. Sundblom, die Assoziation Weihnachtsmann und Coca- Cola gestal­te­risch umzu­set­zen, was ihm nicht zuletzt durch die farb­li­chen Analogien bes­tens gelang. Seinem künst­le­ri­schen Geschick ist es zu ver­dan­ken, dass sich das Gerücht, die Firma habe den Weihnachtsmann erfun­den, bis heu­te hart­nä­ckig hält. Nach Jahrzehnten glo­ba­ler Werbekampagnen will bei­na­he jedes Kind auf der Welt vom dick­bäu­chig- markt­ge­form­ten X‑Maskottchen beschenkt wer­den. Dazu kommt, dass es in Zeiten digi­ta­len Konsums nur zwei Klicks braucht und der Brief liegt im Weihnachtspostamt am Nordpol. Derweil wer­den die Gehilfen in den Weihnachtsfabriken ange­schickt, die Rentierschlitten schnel­ler zu bela­den. Es gibt noch so vie­le sehn­süch­tig war­ten­de Kinder, deren Augen zum Leuchten gebracht wer­den müs­sen. Niemand mag es, wenn Kinder an Weihnachten trau­rig sind. Ihr Verlangen nach der neus­ten Unterhaltungstechnik speist sich aus der Mischung von Werbung und dem mate­ria­lis­ti­schen Wohlstandsbedürfnis der Eltern, wel­che zwi­schen dem all­mäch­ti­gen Santa und ihnen ver­mit­teln. Indem sie sich zu sei­nen Gehilfen machen, repro­du­zie­ren sie den Mythos eines über dem Konsumtempel wachen­den, alten wei­ßen Mannes. 

Wer glaubt noch an den Weihnachtsmann?  

Wenn wir die Weihnachtszeit kol­lek­tiv mit über­schwäng­li­chem Konsum ver­knüp­fen, spie­len wir den Großkonzernen in die Karten und hul­di­gen Santa Claus, ihrem Repräsentanten. Selbst wenn sein Lächeln in den letz­ten Jahren aus Gründen des Infektionsschutzes oft ver­bor­gen blieb, in der Adventszeit ist sei­ne Anwesenheit im öffent­li­chen Raum omni­prä­sent. Und auch wenn in den Wohnzimmern so etwas wie Besinnlichkeit ein­kehrt, wir mit unse­ren fra­gi­len Familien im Kerzenschein zusam­men­sit­zen und jede:r gespannt ist, wie­viel Liebe unter dem elek­tri­schen Tannenbaum war­tet, ist er in Form von Geschenk- und Schokoladenverpackungen dabei, in Gedichten, Liedern und Sprichwörtern. Er ist die Manifestation des kur­zen Glücksmoments mate­ri­el­ler Bedürfnisbefriedigung, jemand der in der Ferne für eine:n da ist und war­tet. Durch die schier gren­zen­lo­se Kenntnis unse­rer Wünsche und die Fähigkeit die­se in kon­kre­ten Handlungen zu ver­wirk­li­chen, wird er nicht nur von Kindern pro­phe­ten­gleich ver­ehrt. Doch durch die Entbehrungen der letz­ten Jahre scheint sich all­mäh­lich auch ein Wandel abzu­zeich­nen. Um sowohl den all­jähr­li­chen Geschenkestress als auch eine Viruserkrankung zu umge­hen, wer­den Weihnachtsmänner sel­te­ner ange­fragt, davon abge­se­hen ver­la­gert sich das Weihnachtsgeschäft zuneh­mend ins Internet. So gehetzt und unter­be­zahlt sind die Paketzusteller:innen, dass jede Freude auf die süße Weihnachtspost eine bit­te­re Note ent­hält. Bei all dem Überfluss an Konsumgütern schei­nen Kinder zudem gleich­gül­ti­ger gegen­über ihren Geschenken zu wer­den. Sie mer­ken auch, dass kei­ne rich­ti­ge Feststimmung auf­kommt, wenn nur die hal­be Familie dabei sein darf und die gesel­li­ge Wärme fehlt. Doch die­ses Geschenk kann man nicht aus­pa­cken und in der Hand hal­ten. Es ist eine ande­re Form des Weihnachtsfestes, kos­ten­los, selbst­los und form­los. Zwischenmenschliche Bindungen zu stär­ken, ohne sich mate­ri­el­ler Hilfsmittel zu bedie­nen, erfor­dert Motivation und Initiative, ist dafür aber auch nach­hal­ti­ger. Vielleicht sind die aktu­el­len Aufrufe zur Sparsamkeit ja eine Chance, fami­liä­re Geborgenheit neu zu entdecken. 

Text: Lennart Kreuzfeld
Fotos: Lennart Kreuzfeld, PxHere
Illustrationen: William Lionnel Wyllie (CC BY-NC-SA 3.0; commons.wikimedia.org/wiki/File:Father_ Christmas_1887_RMG_PV2502.jpg, Credit: National Maritime Museum, Greenwich, London, Caird Collection; zuge­schnit­ten), unbe­kannt (commons.wikimedia.org/wiki/ File:1914_Santa_Claus.jpg), unbekannt/Rawpixel (CC BY-SA 4.0, commons.wikimedia.org/wiki/File:Vintage_ Christmas_illustration_digitally_ enhanced_by_rawpixel-com‑8.jpg)

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